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Stilleben gehören zu den bei Museumsbesuchern beliebtesten, bei Sammlern begehrtesten und im Handel teuersten Kunstwerken. In den letzten Jahrzehnten hat die von jeher große Popularität der Bilder endlich auch ein entsprechendes Echo in der Fachwelt gefunden, das sich in zahlreichen Ausstellungen und Publikationen zu einzelnen thematischen, regionalen oder künstlermonographischen Publikationen manifestierte. Auf der Grundlage dieses aktuellen Wissensstandes wird hier erstmals eine die europäischen Länder sowie die Vereinigten Staaten umfassende Geschichte der Stillebenmalerei von der Antike…mehr

Produktbeschreibung
Stilleben gehören zu den bei Museumsbesuchern beliebtesten, bei Sammlern begehrtesten und im Handel teuersten Kunstwerken. In den letzten Jahrzehnten hat die von jeher große Popularität der Bilder endlich auch ein entsprechendes Echo in der Fachwelt gefunden, das sich in zahlreichen Ausstellungen und Publikationen zu einzelnen thematischen, regionalen oder künstlermonographischen Publikationen manifestierte. Auf der Grundlage dieses aktuellen Wissensstandes wird hier erstmals eine die europäischen Länder sowie die Vereinigten Staaten umfassende Geschichte der Stillebenmalerei von der Antike bis in die Gegenwart vorgelegt. Dabei erweisen sich die gedeckten Tische, Blumen und Früchte, Küchen- und Marktstücke über ihre sinnlichen Qualitäten hinaus als eine reiche Quelle der Kultur- und Sozialgeschichte, die uns viel über Geschmack und Lebensgewohnheiten und deren Wandel erzählen können. Indem der Text die Bilder in den komplexen Zusammenhängen der Kunst- und Kulturgeschichte vorstellt und interpretiert, vermittelt er dem Leser und Betrachter jenes visuelle und intellektuelle Vergnügen, das ihren Reiz ausmacht.
Autorenporträt
Sybille Ebert-Schifferer, geb. 1955, ist seit 2001 Direktorin an der Bibliotheca Hertziana (Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte) in Rom. Zuvor war sie Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Der Sieg der Rübe über die Madonna
Da staunt der Laie und der Fachmann wurmt sich nicht: Sibylle Ebert-Schifferers prächtiger Nachruf auf das Stilleben / Von Robert Gernhardt

Ein Buch, bei dessen Anblick sich zwanglos kulinarische Begriffe einstellen: Prachtschinken, Augenschmaus, berauschender Bildteil. Ein Befund, den nüchterne Zahlen belegen: 420 Seiten, im Format 32,5 x 27,5 Zentimer, 296 meist farbige, oft ganzseitige, durchweg hervorragend gedruckte Abbildungen. Keine Frage: Sybille Ebert-Schifferers "Die Geschichte des Stillebens" stillt so basale Bedürfnisse des kunstliebenden Menschen wie Bilderhunger, Wissensdurst und Schaulust. Ein Buch aber auch, das kein Kunstfreund ohne gemischte Gefühle aus der Hand legen wird. Was hat er da eigentlich zu sich genommen? Ein Festbankett? Eine Henkersmahlzeit?

Soviel jedenfalls weiß er nach der Lektüre, daß für Ebert-Schifferer "Die Geschichte des Stillebens" auch meint, daß das Stillleben Geschichte ist. "Nouveaux Réalistes und die Folgen: Das Ende des Stillebens an der Grenze des Trompe-l'oeil" hat sie ihr letztes Kapitel überschrieben, und wenn sich da auch alles in allem keine Eule der Minerva zum Flug durch das Grau in Grau der Dämmerung anschickt, sondern ein prächtiger Paradiesvogel im Licht der scheidenden Sonne noch einmal sein Glanzgefieder spreizt - für die Autorin ist die Gattung am Ende, hat die Stunde des Nachrufs geschlagen. Wie müßte eine kurzgefaßte Todesanzeige anheben: Plötzlich und unerwartet? Oder: Nach langer, schwerer Krankheit?

Das Stilleben ist nicht die einzige totgesagte Gattung der Malerei. Die Bulletins für Historienbild, Altarbild, Genrebild, Landschaft oder Porträt lauten keinen Deut hoffnungsvoller, trotzdem fällt es, auch wider bessere Einsicht, schwer, gerade an diesen Tod zu glauben: Sah doch immer so frisch aus! Schien überhaupt nicht zu altern!

Eine Alterslosigkeit, die die Gattung mit ihren Motiven teilt. Um Vorformen des Trompe-l'oeils zu dokumentieren, Steckbrett und Quodlibet, bildet Ebert-Schifferer das "Bildnis eines Kaufmanns" vom Mabuse genannten Jan Gossaert aus dem Jahre 1530 ab. Expedierte eine Zeitmaschine einen Kaufmann von heute ins Büro des Kollegen von 1530, er stünde vermutlich genauso fragend vor dessen Arbeitsgerät wie ein Gast von 1530 vor seinem Laptop. Auch Kleidung, Schmuck und Haarschnitt wären sicherlich Anlaß zu wechselseitigem Befremden - "Also ich könnte in solchen Puffärmeln nicht arbeiten!" -, setzten sich die beiden jedoch zu Tisch, würden sie vermutlich eher über die Fülle des beiden Vertrauten staunen.

Ebenfalls um 1530 ist ein Bild von Marten van Heemskerck datiert, das den Haarlemer Patrizier Pieter Jan Foppeszoon mit seiner Familie an einem Eßtisch zeigt, dessen Speisen und Gegenstände durchweg heute noch bekannt und gebräuchlich sind: Brot, Wein, Käse, Kirsche, Traube, Nuß und Birne werden da in Korb, Kanne, Pokal sowie auf Tellern aufgetischt und bei Bedarf mit Messern zerteilt. Noch ist die Familie dem Maler Anlaß dafür, sie mit Tafelgerät und Genußmitteln zu umgeben, doch schon deutet sich an, was in der Folgezeit Tausende von Bildern formatfüllend beherrschen wird: die innige Freude an der täuschend echten Wiedergabe von Eßbarem und Faßbarem. Mildes Tageslicht fällt von links ein, rundet das Körbchen, wird von Metall und Glas zurückgeworfen, fängt sich in den Schnittflächen von Brot und Käse, sorgt für genau berechnete Schatten auf dem hellen, leicht gewellten Tischtuch und erfreut den Beschauer, der sich einmal so richtig satt sehen kann.

Von "einer Dreiecksgeschichte" zwischen "Realität und Schein, in die sich der Mensch, janusköpfig, in einer Doppelfunktion als Schöpfer und staunender Betrachter einschaltet", sei zu erzählen, schreibt Ebert-Schifferer in ihrer Einleitung und bringt gleich zu Beginn die von Plinius überlieferte, immer wieder gern geglaubte Anekdote von zwei rivalisierenden Athener Malern: Um 400 vor Christus sei der berühmte Zeuxis bereits sicher gewesen, seinen Kollegen Parrhasios in einem Malerwettstreit geschlagen zu haben, da echte Vögel versucht hatten, an seinen gemalten Trauben zu picken. Stolz habe er den Kollegen aufgefordert, endlich den Vorhang vor dessen Bild beiseite zu ziehen, zerknirscht sei ihm bei näherem Hinsehen klargeworden, daß auch dieser Vorhang gemalt war: Hatte er lediglich unvernünftige Tiere getäuscht, war es dem Rivalen gelungen, dank der Mimesis, der Kunst der Naturnachahmung, selbst ihn, Zeuxis, reinzulegen.

Zwar ist von der Stillebenmalerei der Antike wenig überliefert, nichts von den Griechen und von den Römern nur das, was sich als Mosaik oder dank unglücklicher Zufälle wie des Untergangs Pompejis als Wandmalerei erhalten hat, doch belegen bereits die acht Abbildungen zu Ebert-Schifferers geraffter Darstellung des antiken Stillebens, daß den Malern die ganze Palette illusionistischer Kniffe vertraut war: Man setze den realen Raum unauffällig ins Bild fort, zum Beispiel durch eine nicht zu tiefe Scheinnische, welche den Betrachterstandpunkt und die Lichtverhältnisse im Raum berücksichtigt; man statte diese Nische bei Bedarf mit Regalbrettern aus und lege darauf Gegenstände des täglichen Bedarfs - Schreibgeräte, Münzen, Früchte, Fisch - alles in natürlicher Größe; man arrangiere die Objekte möglichst zwanglos, lasse zum Beispiel einen Fischkorb umfallen, einen Pfirsich anschneiden, Schreibzeug übers Regalbrett in den Raum ragen; man achte schließlich darauf, was das Licht mit den Dingen und deren Lokalfarben macht, wobei die angestrebte Täuschung weniger durch kläubelnde Feinmalerei als durch die suggestive Setzung von Lichtakzenten und Schattenpartien erreicht wird - und schon erschafft man ein Kunstprodukt, vor dem Laie und Fachmann gleicherweise staunen, wenn auch aus verschiedenen Gründen: "Wie er mich geleimt hat!" - "Wie gut das gemalt ist!"

Zusammen mit der Antike starb nicht nur das Stilleben seinen ersten Tod, es endet auch die unbeschwerte Zeit, in welcher die Darstellungsmittel der Gattung - illusionistisch - und seine Gegenstände - banal - noch gepriesen und geschätzt wurden. Seit seiner Wiederauferstehung am Anfang des vierzehnten Jahrhunderts ist die Stillebenmalerei fortwährend in Frage gestellt, angefeindet oder gänzlich verdammt worden, von Klerikern, die ihr vorwarfen, den Betrachter durch täuschenden Schein vom wahren Sein abzulenken, von Kunsttheoretikern, die sie wegen mangelnder Idealität zum Kellerkind der malerischen Gattungshierarchie degradierten, von Künstlern schließlich, welche Prinzessin Farbe aus den Klauen des Drachen Gegenstand befreien zu müssen glaubten - eigentlich ein Wunder, daß die Gattung nicht schon viel früher das Zeitliche gesegnet hat.

Auf den ersten Blick scheinen die Künstler der Neuzeit da weitergemacht zu haben, wo die antiken Maler den Pinsel hatten fallen lassen. Der Florentiner Taddeo Gaddi malt um 1330 eine Scheinnische mit Gefäßen auf die Wand der Baroncelli-Kapelle in der Kirche Santa Croce, ein unbekannter Nachfolger Rogier van der Weydens malt um 1470 ein "Stilleben mit Büchern und Wasserkrug" sowie andere Gegenstände in gemalter Nische und hinter gemaltem, ein wenig zugezogenem Vorhang, dessen Schatten über die Gegenstände und die Nischenwand gleitet, doch der Eindruck autonomer Stilleben täuscht: Bei Gaddis Gegenständen handelt es sich um liturgisches Gerät, Bücher und Wasserkrug aber finden sich auf der Rückseite eines Bildes der Muttergottes und künden von ihrer Frömmigkeit (Buch) und ihrer Jungfräulichkeit (Krug).

Auch in der Folgezeit sahen sich Stillebenmaler und Stillebenliebhaber so gut wie ständig gezwungen, ihr Malen und ihr Betrachten zu begründen oder nach Kräften zu adeln, und Ebert-Schifferer referiert diese Rechtfertigungsversuche gründlich, ohne die Bilder zu überfrachten und den Leser zu überfordern. Sie vermittelt eine Vorstellung vom Ausmaß christologischer, humanistischer und moralisierender Deutungsmöglichkeiten, vergißt darüber jedoch nicht, daß selbst das anspielungsreichste Stilleben, zumal in seiner Blütezeit und im Holland des siebzehnten Jahrhunderts auch eine reichlich produzierte Ware darstellte, die ihren Käufer suchte: "Eine solche Marktstruktur und die dahinter stehende Produktionsweise von Gemälden bedingen, daß die meisten Stilleben in ihrer moralischen Aussage mehrschichtig und somit für verschiedene Deutungen offenbleiben, da der Künstler ja häufig ihren künftigen Besitzer noch gar nicht kannte."

Meinen die Austern auf einem "Frühstücksstilleben" von Pieter Claesz eine Aufforderung zu frommem Lebenswandel? Sollen sie an erotische Freuden denken lassen? Das hängt davon ab, ob man sie als Fastenspeise oder als Aphrodisiakum deutet. Beide Bedeutungen waren dem Betrachter von 1635 vertraut, der heutige aber sieht mit Ebert-Schifferer vor allem ein Wunderwerk toniger Malerei, "eine spezifische Haarlemer Spielart des Mahlzeitstillebens, das die Bezeichnung monochrome banketje erhielt. Hier dominiert erstmals in der Geschichte der niederländischen Stillebenmalerei deutlich das malerische Wie über das inhaltliche Was."

Fünf Jahre vor diesem Austernfrühstück hatte Pieter Claesz noch deutlich dem "Was" Tribut gezollt, jedenfalls auf den ersten Blick. Sein "Vanitasstilleben" von 1630 versammelt einen repräsentativen Querschnitt von dem, was Malern und Mahnern bisher an Todessymbolen und Vergänglichkeitsallegorien eingefallen war: die zerbrechliche Glaskugel, den beinernen Schädel, die geöffnete Taschenuhr, das umgestürzte Trinkglas, die weggeworfene Schreibfeder und die beiseite gelegte Geige. Vorbei ist die Musike - doch gibt es eine Kunst, die dem Vergehen wehrt. Ausgerechnet in der Glaskugel, Schwester der Seifenblase und Sinnbild des Homo bulla, der vergänglichen Menschen, spiegelt sich nicht wie auf anderen Vanitasbildern menschlicher Tand, Krone und Zepter beispielsweise, sondern der an seiner Staffelei sitzende Maler, der mit diesem Selbstporträt "die Fähigkeit der Malerei unterstreicht, die Vergänglichkeit und damit den Tod aufzuheben".

Auch den des Stillebens? Das Vanitas-stilleben jedenfalls ging dahin, richtiger, es ging im normalen Stilleben auf, da ja bei Licht betrachtet jedwede Blume und jeder beliebige Gegenstand die Endlichkeit von Natur und Menschenwerk bezeugt. Nachdem Maler wie de Heem sich Mitte des siebzehnten Jahrhunderts damit begnügt hatten, ihren Prunkstilleben durch beiläufig herumliegende Taschenuhren einen Vanitas-Touch zu geben, waren die Grenzen Anfang des achtzehnten Jahrhunderts bereits derart fließend, daß Ebert-Schifferer beim Italiener Cristoforo Minari "eine Mischung aus Vanitasbild und Dessertstilleben" konstatiert, auf dem statt des Totenkopfs eine angeschnittene Melone ein so appetitliches wie mäßig mahnendes Memento signalisiert.

Rund hundert Jahre später aber spielt das "Was" in der europäischen Stillebenmalerei überhaupt keine Rolle mehr. "Vom Triumph des Wie" schreibt die Autorin, vom "Sieg der Rübe", der gutgemalten versteht sich, über die Madonna, vom Zusammenbruch der bis dato geltenden Gattungshierarchien: "Mit ihrem Fall endete ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auch die Rolle des Stillebenspezialisten." Die weitere Geschichte der Stillebenmalerei sei daher "untrennbar mit der komplexen Geschichte der modernen Avantgarden verbunden".

Die aber gingen mit dem Illusionismus noch härter ins Gericht als irgendein mittelalterlicher Kleriker, die dachten vom selbstgenügsamen, nicht radikalsten Idealen verpflichteten Kleinmeister noch geringer als die Kunsttheoretiker des achtzehnten Jahrhunderts, die strebten nach dem "Geistigen in der Kunst" und kapitulierten vor dem Material: "Das Bild war nur noch ein flaches Objekt für sich."

Im vergleichbar flachen Mainstream der Kunstgeschichte dieses Jahrhunderts bewegen sich denn auch die restlichen siebzig Seiten des Buches. Ebenso gewissenhaft wie weitgehend überraschungsfrei werden alle wichtigen Leuchtfeuer der Moderne passiert und illustriert, vom "Blauen Reiter" bis zur "Neuen Figuration "; keiner Abbildung, sondern lediglich eines Halbsatzes dagegen würdigt Ebert-Schifferer Einzelgänger wie Rudolf Levy und Hans Purrmann, die " als Stillebenmaler herausragen, ohne der Gattung neue Impulse zu geben".

Mit diesem Verdikt aber wechselt die Autorin merkwürdig ungerührt die Fronten. Nicht länger verteidigt sie das Stilleben gegen die Kunstrichter, sie stellt selber eine Regel auf, der die Gattung vorgeblich zu genügen hat. 1678 hatte der holländische Maler und Kunsttheoretiker Samuel van Hoogstraten die Stillebenmaler zu "gemeinen Soldaten im Heer der Künstler" erklärt, da sie, anders als die Feldherrn Historienmaler, nicht zur inventio, der Erfindung, fähig seien. Heute hingegen wird den Malern innovatio, die Erneuerung, abverlangt, als bewiese nicht gerade die Geschichte des Stillebens die Fragwürdigkeit solcher Postulate. Zeuge: van Hoogstraten persönlich. Um 1650 hatte der einen folgenreichen Stillebentyp erfunden, das "Steckbrett": Hinter Bändern, an eine Holzwand genagelt, stecken die unterschiedlichsten Objekte, vom Brief bis zur Goldmedaille, die Kaiser Ferdinand III. dem Maler dafür verliehen hatte, daß es seiner Kunst gelungen war, selbst einen Kaiser zu täuschen, was van Hoogstraten in den Augen gelehrter Zeitgenossen noch über den Tiertäuscher Zeuxis und den Zeuxistäuscher Parrhasios stellte. Zweihundertfünfzig Jahre lang haben Maler aller Länder van Hoogstratens Anregung aufgegriffen, der Franzose Vaillant, der Schwede Klopper, der Amerikaner Peto schließlich, der das Motiv bis ins erste Jahrzehnt unseres Jahrhunderts variierte, damals ein erfolgloser Einzelgänger, der sich als Hornbläser seiner Gemeinde über Wasser hielt, heute der hochgerühmte Schöpfer hochbezahlter Trompe-l'oeils. Wurde mit ihm auch das Steckbrett begraben, oder sollte es seinen Geist auf dem Streckbett der Innovationsfolter ausgehaucht haben?

Ein Freund habe Jasper Johns Anfang der sechziger Jahre eine Reproduktion eines Bildes von Peto geschenkt, das eine illusionistisch vor der Wandfläche schwebende Tasse mit einem Wortspiel verband, schreibt Ebert-Schifferer. "Als reale Tasse taucht sie in mehreren Werken Johns' wieder auf", fährt sie fort und bildet ein "Öl auf Leinwand mit Objekten" des Amerikaners ab: Ein echter Besen und ein echte Tasse hängen da vor blauem Fond und tiefblauen Inschriften; "broom" sagt die eine, "cup" die andere, und diese ebenso grundehrlichen wie brummend eindeutigen Tautologien markieren nun in der Tat das Ende einer Kunst, die so lange durch Zweideutigkeit zu täuschen, zu bezaubern und zu erbosen gewußt hatte, bis hin zu Magrittes paradoxalem Ölbild "Das ist keine Pfeife", welches konsequenterweise eine fein säuberlich gemalte Pfeife zeigt.

Ein Bild, das, wie der ganze Magritte, in Ebert-Schifferers Buch fehlt; ein Fehlen, das die Frage aufwirft, ob die Fahrtroute durch die Stillebengeschichte unseres Jahrhunderts nicht auch auf weniger befahrenen Seitenarmen hätte stattfinden können, zumal während der letzten fünfzig Jahre.

Klaus Fußmann, Horst Janssen, Dieter Krieg, Peter Nagel, Hans Peter Reuter, Malte Sartorius - wären nicht auch sie mögliche Etappen im deutschen Malraum gewesen? Andrew Wyeth im amerikanischen? Marco Fidolini im italienischen? Hätte eine solche Fahrt der "MS Stilleben" nicht ein anderes Ende genommen, irgendwo im Ungewissen statt im letzten Hafen?

Aber Fidolini - ist der nicht zu unbekannt, Krieg zu speziell, Wyeth zu fragwürdig? Als ob sie das nicht seit jeher gewesen wären, die Stillebenmaler! Fragwürdig wie die bedriegertjes eines Frans Cuyck van Meyerop, gemalte tote Vögel, die den Betrachter dadurch narren, daß sie an gemalten Bilderrahmen befestigt sind und kopfüber vor gemalten, monochrom hellen, leicht angestoßenen und wie zum Hohn signierten Bildflächen hängen. Spezialisiert wie Juan Sanchez Cotán und seine durchweg in Steinischen präsentierten spanischen Grundnahrungsmittel, speziell die nur von diesem Maler immer wieder wuchtig ins Bild gesetzte Kardone. Unbekannt - zumindest mir bis dato unbekannt - wie Giovan Battista Recco, jener neapolitanische Fischmaler, der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts scheinbar vollkommen unbefangen da weitermachte, wo sein Kollege aus dem nahen Pompeji 79 n. Chr. abrupt hatte aufhören müssen: Aus umgestürzten Körben fallen Fische und Tintenfische auf treppenartige Stufen, zum Ekeln glitschig, zum Fressen schön und zum Niederknien gut gemalt. Zur gleichen Zeit und im gleichen Neapel eiferte Salvator Rosa gegen jene Maler, "die den ganzen Tag Kürbisse und Schinken malen", sie seien der wahren Malerei unwürdig. Heute zeigt eine Leistungsschau der bildenden Kunst wie die "documenta" so gut wie keine Tafelbilder und schon gar keine Stilleben mehr - vorbei ist das Gemale?

"Das geht nicht", sagte der Theoretiker einst. "Nichts geht mehr", sagt er heute. "Wie geht das?" fragte sich Praktiker aller Zeiten, und vielleicht denkt mancher heutige irgendwo: "Stilleben geht weiter" und handelt danach. Wer liegt nun richtig? Die Kunsthistorikerin hat der Gattung einen prächtigen Totenschein ausgestellt. Dem Kunstfreund jedoch bleibt die ebenfalls nicht ganz grundlose Hoffnung, daß es sich abermals um einen Scheintod handelt.

Sybille Ebert-Schifferer: "Die Geschichte des Stillebens". Hirmer Verlag, München 1998. 420 S., 342 Abb., geb., 258,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2001

Zentaur
und Cupido
Dass die Schönheit, die Liebe im Auge des Betrachters liegen, kommt nirgends so intensiv zum Ausdruck wie im Photo-Stillleben. Meisterwerke des Genres versammelt der neue Schwarzweiß-Fotokurs von Terry Hope ( Stilleben, deutsch von Susanne Ochs, Laterna magica im Callwey Verlag, München, 144 S., 49,90 Mark): Seamus Ryan, Kenro Izu, Edward Steichen .. . Die Bilder sind Geheimnisse, und die Bildermacher erzählen, wie sie sie schufen – gehen vom Technischen aus, ohne beim Tiefgründigen zu landen. Lesen, schauen, reflektieren, zum Beispiel mit Eric Howard und seinem Zentauren. „Ein Antiquitätenhändler in der Stadt Sherborne in Dorset, wo ich lebe, kaufte diese wundervolle kleine Statue eines Zentaurs ... Sie stammt etwa aus dem siebten Jahrhundert vor Christus und wurde in den 30er Jahren in Griechenland von zwei Frauen ausgegraben, die sie nach England brachten. Die Statue ist nur etwa 10 cm hoch und besteht aus Massivgold. ... Meine Frau Debra setzte sich etwa anderthalb Meter hinter der Statue in Position, und ich bat sie, den Kopf zu neigen ... Mir gefällt der Gedanke, dass im Hintergrund ein verliebtes Mädchen sitzt, das eine Art Cupido-Figur im Vordergrund anschaut.”
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