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Vor allem am Beispiel der USA und Deutschlands hat der bedeutende Wirtschaftswissenschaftler die Ursachen von Stabilität und Krisen in modernen Industriestaaten beobachtet und analysiert.

Produktbeschreibung
Vor allem am Beispiel der USA und Deutschlands hat der bedeutende Wirtschaftswissenschaftler die Ursachen von Stabilität und Krisen in modernen Industriestaaten beobachtet und analysiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.1995

Noch einmal wichtige und berechtigte Fragen
Aber nur wenige überzeugende Antworten / Der neue Galbraith

John Kenneth Galbraith: Die Geschichte der Wirtschaft im 20. Jahrhundert. Ein Augenzeuge berichtet. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1995, 288 Seiten, 48 DM.

John Maynard Keynes ist der Säulenheilige von John Kenneth Galbraith, und Galbraith ist der Hohepriester vieler Kritiker der deutschen Wirtschaftspolitik. Manchen gilt er gar als einziger Gegenspieler des von ihnen nicht geliebten neoklassischen Mainstreams mit internationalem Renommee.

Der emeritierte Harvard-Professor hat in diesem Jahrhundert wie nur wenige andere Ökonomen politischen Einfluß ausgeübt. Über mehr als sechzig Jahre hat er Wirtschaftswissenschaft gelehrt, dabei ist er in der akademischen Zunft ein Außenseiter geblieben. Im und nach dem Zweiten Weltkrieg hat er in führenden Positionen in der amerikanischen Administration gearbeitet, später hat er die Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson beraten und sein Land als Botschafter in Indien vertreten. In vielen, oft polemisch zugespitzten Artikeln hat er die Wirtschaftspolitik kommentiert und zu einem weitgespannten Themenkreis unermüdlich Bücher publiziert. "Die Geschichte der Wirtschaft im 20. Jahrhundert" ist das dreißigste Buch des gebürtigen Kanadiers, der vor kurzem 87 Jahre alt geworden ist. In den Vereinigten Staaten ist es stark beachtet worden: gelobt in der "New York Times", verrissen in "Fortune" - in jener Zeitschrift also, die er in den vierziger Jahren selbst einmal herausgegeben hat.

Wer sich für Galbraith' wirtschaftstheoretische und -politische Auffassungen interessiert und mit seinem Werk schon vertraut ist, wer zum Beispiel "Gesellschaft im Überfluß" (1958), "Die moderne Industriegesellschaft" (1967) oder "Wirtschaft für Staat und Gesellschaft" (1973) kennt, der wird in seinem jüngsten Buch kaum Neues finden. Galbraith bemerkt mit dem ihm eigenen Humor, er habe mit seinen Büchern immer wieder "danach getrachtet, die Ansichten in Wirtschaft und Gesellschaft zu beeinflussen". Doch "einmal ist genug, und einige werden sogar denken, mehr als genug". Wer sich für seine farbige Biographie interessiert, sollte lieber zu seinen 1982 auf deutsch erschienenen Memoiren "Leben in entscheidender Zeit" greifen. Wer hingegen Freude an einem elegant geschriebenen, klar gegliederten und persönlich gefärbten Überblick über wichtige wirtschaftspolitische Ereignisse und Diskussionen in diesem Jahrhundert hat, dem kann sein neues Buch empfohlen werden. Der weniger anspruchsvolle Titel des Originals "A journey through economic time" charakterisiert es treffender als der biedere Titel der deutschen Ausgabe.

In fünfundzwanzig kurzen Kapiteln schlägt Galbraith den Bogen von den tiefgreifenden wirtschaftlichen Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg über den New Deal bis hin zu den Reagonomics und den Zusammenbruch in Osteuropa. Er verzichtet dabei weitgehend auf den Fachjargon und hält sich nicht lange mit Mitteilungen über den jeweiligen Forschungsstand auf. Die amerikanische Wirtschaft steht, nicht überraschend, im Vordergrund seines Interesses. Immer im Spiegel seiner persönlichen Erfahrungen analysiert er unter anderem die Wettbewerbspolitik in den zwanziger Jahren, die Weltwirtschaftskrise, die Wirtschaftspolitik im Zweiten Weltkrieg im Spannungsfeld zwischen militärischen Erfordernissen und inflatorischen Befürchtungen, die Gründe für den industriellen Wiederaufstieg Deutschlands, Italiens und Japans, den Nord-Süd-Konflikt und den wenig erfolgreichen Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten.

Galbraith räumt durchaus eigene Irrtümer und Fehleinschätzungen ein. So wäre es ihm "persönlich angenehm, sagen zu können, ich hätte das schließliche systembedingte Versagen der sowjetischen Konsumgüterindustrie und der Landwirtschaft vorausgesehen. Nun, ich habe es aber nicht." Doch je näher die Darstellung an die Gegenwart rückt, um so mehr verliert der Autor die kritische Distanz, um so ungenauer und willkürlicher wird der Umgang mit wirtschaftlichen Tatsachen.

Galbraith beschränkt sich in seinem Buch nicht auf ökonomische Themen. So diskutiert er unter anderem die nach seiner Überzeugung weithin überschätzte Bedeutung der Luftüberlegenheit in militärischen Konflikten, den negativen Einfluß des Feudalismus auf die Qualifikation der Staatselite und die Notwendigkeit, bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen die Souveränität von Nationalstaaten zeitlich befristet aufzuheben.

Der "durch den demokratischen Prozeß gemäßigte Kapitalismus" hat sich für ihn als ein "relativ gefestigtes Wirtschaftssystem" erwiesen. Der Sozialismus sei demgegenüber "kein lebensfähiges Konzept". Am schwersten sieht er das westliche Wirtschaftssystem durch die "ihm innewohnende Tendenz zur Ungleichheit bei der Einkommensverteilung" bedroht. Als zweite große Gefahr nennt er die periodisch auftretenden "Spekulationsexzesse", die nicht bloß "passive Reflexionen tieferer Trends" seien, sondern unabhängige, sich selbst verstärkende Prozesse. Doch die krassen Unterschiede zwischen Arm und Reich seien leider "kein zentrales Thema in den Wirtschaftswissenschaften". Auch in diesem Fall folgten die Ökonomen dem "starken Impuls, die schmutzigeren und hartnäckigeren Probleme in ihrem Fachgebiet zu verdrängen".

Galbraith meint es gut mit den Menschen. Sein gesellschaftspolitisches Engagement wirkt echt. Er stellt noch einmal wichtige und berechtigte Fragen. Aber seine Antworten überzeugen oftmals nicht. Galbraith wirft seinen Gegnern wirklichkeitsfernen Dogmatismus vor und trägt doch selbst die schlichten Prämissen seiner Argumentation wie unanfechtbare Glaubenssätze vor sich her. Sie sind ganz und gar den eigenen Erfahrungen in der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg verhaftet. Die keynesianische Revolution ist sein Damaskus: "Niemand, der diesen Umschwung gesehen und erlebt hat, hat jemals dieses Leuchten vergessen. Wir haben der Schöpfung beigewohnt." Aber solch pathetischen Erinnerungen sind, zum Glück, nicht charakteristisch für ein mit leichter Hand geschriebenes, geistreiches Buch: lesenswert auch für den, der die politischen Schlußfolgerungen nicht teilen mag. MATTHIAS SCHMOLZ

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