Yanis Varoufakis
Gebundenes Buch
Die ganze Geschichte
Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment
Übersetzung: Schäfer, Ursel; Emmert, Anne; Varrelmann, Claus
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In diesem geistreichen persönlichen Bericht beleuchtet Yanis Varoufakis das Establishment der Europäischen Union und deckt auf, was auf den europäischen Korridoren der Macht wirklich geschieht.Als griechischer Finanzminister löste Varoufakis eine der spektakulärsten und kontroversesten Auseinandersetzungen der jüngsten politischen Geschichte aus, als er versuchte, die Beziehung seines Landes mit der EU neu zu verhandeln. Trotz der massenhaften Unterstützung seitens der griechischen Bevölkerung und der bestechend einfachen Logik seiner Argumente - dass die gigantischen Kredite und die d...
In diesem geistreichen persönlichen Bericht beleuchtet Yanis Varoufakis das Establishment der Europäischen Union und deckt auf, was auf den europäischen Korridoren der Macht wirklich geschieht.Als griechischer Finanzminister löste Varoufakis eine der spektakulärsten und kontroversesten Auseinandersetzungen der jüngsten politischen Geschichte aus, als er versuchte, die Beziehung seines Landes mit der EU neu zu verhandeln. Trotz der massenhaften Unterstützung seitens der griechischen Bevölkerung und der bestechend einfachen Logik seiner Argumente - dass die gigantischen Kredite und die damit verbundene Sparpolitik, die seinem bankrotten Land aufgezwungen wurden, eine zerstörerische Wirkung haben - hatte Varoufakis nur in einem Erfolg: Europas politisches und mediales Establishment in Rage zu versetzen. Aber die wahre Geschichte der damaligen Geschehnisse ist beinahe unbekannt, weil so vieles in der EU hinter verschlossenen Türen stattfindet. In diesem couragierten Bericht deckt Varoufakis alles auf und erzählt die ganze Geschichte von waghalsiger Politik, von Heuchelei, Betrug und Verrat, die das Establishment in den Grundfesten erschüttern wird.Dieses Buch ist ein Weckruf, die europäische Demokratie zu erneuern, bevor es zu spät ist.
Yanis Varoufakis, geboren 1961, wurde 2015 Europas bekanntester Finanzminister, als er sich weigerte, für das bankrotte Griechenland neue Schulden aufzunehmen. Seit seinem Rücktritt wurde er zur Galionsfigur einer neuen Bewegung für eine Reform der Eurozone. Der international renommierte Wirtschaftswissenschaftler lehrte an Universitäten in England, Australien und den USA und an der Universität Athen. Im Verlag Antje Kunstmann erschienen Der globale Minotaurus (2012), Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise (mit J. Galbraith und Stuart Holland, 2015) und Das Euro-Paradox (2016).
Produktdetails
- Verlag: Verlag Antje Kunstmann
- Originaltitel: Adults in the Room
- Artikelnr. des Verlages: 14202
- 6. Aufl.
- Seitenzahl: 656
- Erscheinungstermin: 20. September 2017
- Deutsch
- Abmessung: 218mm x 149mm x 60mm
- Gewicht: 960g
- ISBN-13: 9783956142024
- ISBN-10: 3956142020
- Artikelnr.: 48037045
Herstellerkennzeichnung
Kunstmann Antje GmbH
Zweigstrasse 10
80336 München
Allein gegen die Troika
Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis erzählt seine Geschichte
Nein, die ganze Geschichte der Auseinandersetzung um die Griechenland-Hilfe im ersten Halbjahr 2015 ist das nicht, was Yanis Varoufakis, der erste Finanzminister der Regierung von Alexis Tsipras in diesem umfangreichen Memoirenwerk bietet. Es ist eine Abfolge von Gesprächen, zum Teil mit Wortlaut-Zitaten aus Mobiltelefonmitschnitten untermauert, aus denen zweierlei deutlich wird: die Konzeption, mit der Varoufakis Griechenland aus der Schuldenkrise herausführen wollte, und die unterschiedlichen Reaktionen seiner vielen Gesprächspartner auf seine Vorstöße.
Für Varoufakis war Griechenland seit 2010
Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis erzählt seine Geschichte
Nein, die ganze Geschichte der Auseinandersetzung um die Griechenland-Hilfe im ersten Halbjahr 2015 ist das nicht, was Yanis Varoufakis, der erste Finanzminister der Regierung von Alexis Tsipras in diesem umfangreichen Memoirenwerk bietet. Es ist eine Abfolge von Gesprächen, zum Teil mit Wortlaut-Zitaten aus Mobiltelefonmitschnitten untermauert, aus denen zweierlei deutlich wird: die Konzeption, mit der Varoufakis Griechenland aus der Schuldenkrise herausführen wollte, und die unterschiedlichen Reaktionen seiner vielen Gesprächspartner auf seine Vorstöße.
Für Varoufakis war Griechenland seit 2010
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bankrott. Die beiden Hilfspakete von 2010 und 2012 hatten diesen Bankrott nur verschleiert, und die Kürzungsauflagen, die damit verbunden waren, hatten den wirtschaftlichen Niedergang des Landes nur noch beschleunigt. Abhilfe sollte ein Paket von dreierlei Maßnahmen schaffen: nachhaltige Umschuldung durch neue Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit, deren Zinsen an die Wachstumsraten gekoppelt werden sollten und deren Rückzahlung erst bei anhaltendem Wachstum einsetzen würde; dazu eine "realistische Fiskalpolitik" und Reformen, die die griechische Oligarchie ins Visier nahmen.
Das war im Grundsatz ein realistischer Plan, und er fand auch die Unterstützung einer Reihe von Leuten, die etwas von der komplexen Verschuldungsproblematik verstanden, etwa von Jeffrey Sachs von der Columbia Universität oder, unter aktuellen Gesichtspunkten besonders interessant, vom damaligen französischen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Der Plan hatte nur einen Schwachpunkt: Die Überlegungen zur Zerschlagung des griechischen Privilegiensystems waren nicht genügend ausformuliert, um auf die Geldgeber letztlich überzeugend zu wirken. In den Erinnerungen scheinen sie auch nur sehr bruchstückhaft auf. Varoufakis berichtet, dass er auf Bitten von Angela Merkel einmal aufgeschrieben habe, was an dem Reformprogramm der Troika aus EZB, IWF und EU-Kommission geändert werden müsse; die Aufzeichnung selbst enthält er seinen Lesern allerdings vor.
Um den erwartbaren politischen Widerstand gegen eine Umschuldung zu überwinden, wollte Varoufakis der drohenden Bankenschließung mit der Androhung eines Haircuts bei den griechischen Staatsanleihen begegnen, die die EZB von privaten Investoren aufgekauft hatte, um den griechischen Staat flüssig halten zu können. Gleichzeitig dazu sollte ein paralleles Zahlungssystem vorbereitet werden, mit dem aktuelle und prospektive Steuerschulden zur Bezahlung von Rechnungen genutzt werden konnten. Das sollte es ermöglichen, den Zahlungsverkehr auch im Krisenfall aufrechtzuerhalten, und EZB-Präsident Mario Draghi gleichzeitig von Maßnahmen abhalten, die sein Anleiheprogramm für die schwächelnden Eurostaaten bedrohten.
Die Drohung mit dem Schuldenschnitt bei den griechischen Staatsanleihen stellte freilich insofern ein stumpfes Schwert dar, als Draghis Anleihekaufprogramm der Bundesregierung und der Bundesbank ohnehin nicht behagten; die Bundesbank hatte sogar dagegen geklagt. Es war also kein Wunder, dass Ministerpräsident Tsipras und selbst Varoufakis' Alter Ego Euklid Tsakalotos davon abrückten, die geplanten "Abschreckungsmittel" tatsächlich einzusetzen, als die Bankenschließung mit dem Auslaufen des zweiten Rettungsprogramms Ende Juni 2015 immer näher kam. Varoufakis sieht in diesem Zurückweichen die entscheidende Ursache für sein Scheitern, und er macht Tsipras' Hang zur Melancholie sowie Tsakalotos' Verwurzelung in der Syriza-Partei dafür verantwortlich.
Die Möglichkeit, dass seine beiden engsten Mitstreiter zu dem Schluss gekommen sein könnten, ein partielles Entgegenkommen der Gläubiger sei immer noch besser als ein erzwungenes Ausscheiden aus dem Euroraum, zieht er nicht in Betracht. Auch hat er im Unterschied zu ihnen nie an die Möglichkeit eines Rauswurfs aus der Eurozone geglaubt. Für den Fall eines Ausscheidens Griechenlands aus der Währungsunion sah er nicht nur Abschreibungen in Billionenhöhe voraus, sondern auch eine Kettenreaktion von Insolvenzen, die die Gläubiger nicht wirklich wollen konnten. Nach der Schließung der Banken musste er Tsipras gegenüber zugeben, dass das Vertrauen in das Eigeninteresse der Gläubiger nur für den Fall berechtigt war, dass sie rational entschieden. Aber das konnte ihn nicht dazu bewegen, seinen Kurs zu korrigieren.
Varoufakis' Vertrauen in die Stärke des Schwachen ist umso erstaunlicher, als er deutlich sah, dass Wolfgang Schäuble als einer seiner stärksten Gegenspieler mit voller Absicht auf den Grexit zusteuerte. Ein Ende mit Schrecken war dem deutschen Finanzminister lieber als ein Schrecken ohne Ende: Nur so würden sich die anderen Krisenländer der Eurozone auf einen Stabilitätskurs verpflichten lassen. Mit der Einschätzung, dass das Maßnahmenpaket nicht tragfähig war, das die Troika Ende Juni vorlegte, stimmte er ironischerweise mit Varoufakis überein. Nur zog er daraus eben den Schluss, dass Griechenland jetzt eine "Auszeit" von der Währungsunion nehmen müsse, während Varoufakis immer noch hoffte, dies verhindern zu können.
Bekanntlich hat die Bundeskanzlerin beim EU-Gipfeltreffen am 12./13. Juli 2015 gegen das Votum von Schäuble entschieden - für ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland als Gegenleistung für eine modifizierte Liste von Sparauflagen und Strukturreformen. Für Varoufakis war das eine "neue Verurteilung zum Verbleib im Schuldgefängnis", verhängt von einer Troika, die offensichtlich Gefallen daran gefunden hatte, "eine Nation von Schuldnern zu regieren". Die Troika und ihre Drahtzieher schlugen die "griechische Rebellion von 2015" gnadenlos nieder und stellten ihn als Anführer dieser Rebellion an den Pranger.
Tsipras und Tsakalotos werden das Ergebnis des Kräfteringens wohl eher als einen halben Sieg betrachtet haben. Sie haben zwar keine komplette Abschreibung der EU-Schulden erhalten, aber doch einen weiteren Milliardenkredit, den Merkel ursprünglich auf keinen Fall wollte, dazu das Zugeständnis, immerhin 25 Prozent der Erlöse von Privatisierungen des öffentlichen Eigentums für neue Investitionen nutzen zu können, eine Reduzierung des angestrebten Haushaltsüberschusses vor Zinszahlungen von 3,5 auf 1,5 Prozent für das laufende Jahr und die Zusage einer Überprüfung des Tilgungsaufschubs über das Jahr 2020 hinaus.
Nichts von alledem findet sich in Varoufakis' gewohnt kämpferischem Bericht. Stattdessen verharrt der ehemalige Finanzminister in der Opferrolle, die er gleich nach seinem Rücktritt eingenommen hatte. Er beschuldigt das europäische "Establishment", das griechische Volk für seinen wagemutigen Befreiungsversuch bestraft zu haben. Und er macht es auch für den Niedergang der spanischen Podemos-Bewegung verantwortlich, für den Brexit, den Wahlsieg Donald Trumps und die weltweite Hochkonjunktur eines fremdenfeindlichen Nationalismus.
Schade eigentlich. Varoufakis' enormer finanzpolitischer Sachverstand, der in dem Bericht auch aufscheint, sein Erfindungsreichtum und seine Energie im Kampf gegen griechische Oligarchen und griechischen Klientelismus könnten bei der Überwindung der griechischen Schuldenkrise immer noch hilfreich sein. Die Polemik, mit der er seinen Bericht umrahmt, disqualifiziert ihn freilich für eine solche Rolle.
WILFRIED LOTH
Yanis Varoufakis: Die ganze Geschichte. Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment.
Verlag Antje Kunstmann, München 2017. 661 S., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das war im Grundsatz ein realistischer Plan, und er fand auch die Unterstützung einer Reihe von Leuten, die etwas von der komplexen Verschuldungsproblematik verstanden, etwa von Jeffrey Sachs von der Columbia Universität oder, unter aktuellen Gesichtspunkten besonders interessant, vom damaligen französischen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Der Plan hatte nur einen Schwachpunkt: Die Überlegungen zur Zerschlagung des griechischen Privilegiensystems waren nicht genügend ausformuliert, um auf die Geldgeber letztlich überzeugend zu wirken. In den Erinnerungen scheinen sie auch nur sehr bruchstückhaft auf. Varoufakis berichtet, dass er auf Bitten von Angela Merkel einmal aufgeschrieben habe, was an dem Reformprogramm der Troika aus EZB, IWF und EU-Kommission geändert werden müsse; die Aufzeichnung selbst enthält er seinen Lesern allerdings vor.
Um den erwartbaren politischen Widerstand gegen eine Umschuldung zu überwinden, wollte Varoufakis der drohenden Bankenschließung mit der Androhung eines Haircuts bei den griechischen Staatsanleihen begegnen, die die EZB von privaten Investoren aufgekauft hatte, um den griechischen Staat flüssig halten zu können. Gleichzeitig dazu sollte ein paralleles Zahlungssystem vorbereitet werden, mit dem aktuelle und prospektive Steuerschulden zur Bezahlung von Rechnungen genutzt werden konnten. Das sollte es ermöglichen, den Zahlungsverkehr auch im Krisenfall aufrechtzuerhalten, und EZB-Präsident Mario Draghi gleichzeitig von Maßnahmen abhalten, die sein Anleiheprogramm für die schwächelnden Eurostaaten bedrohten.
Die Drohung mit dem Schuldenschnitt bei den griechischen Staatsanleihen stellte freilich insofern ein stumpfes Schwert dar, als Draghis Anleihekaufprogramm der Bundesregierung und der Bundesbank ohnehin nicht behagten; die Bundesbank hatte sogar dagegen geklagt. Es war also kein Wunder, dass Ministerpräsident Tsipras und selbst Varoufakis' Alter Ego Euklid Tsakalotos davon abrückten, die geplanten "Abschreckungsmittel" tatsächlich einzusetzen, als die Bankenschließung mit dem Auslaufen des zweiten Rettungsprogramms Ende Juni 2015 immer näher kam. Varoufakis sieht in diesem Zurückweichen die entscheidende Ursache für sein Scheitern, und er macht Tsipras' Hang zur Melancholie sowie Tsakalotos' Verwurzelung in der Syriza-Partei dafür verantwortlich.
Die Möglichkeit, dass seine beiden engsten Mitstreiter zu dem Schluss gekommen sein könnten, ein partielles Entgegenkommen der Gläubiger sei immer noch besser als ein erzwungenes Ausscheiden aus dem Euroraum, zieht er nicht in Betracht. Auch hat er im Unterschied zu ihnen nie an die Möglichkeit eines Rauswurfs aus der Eurozone geglaubt. Für den Fall eines Ausscheidens Griechenlands aus der Währungsunion sah er nicht nur Abschreibungen in Billionenhöhe voraus, sondern auch eine Kettenreaktion von Insolvenzen, die die Gläubiger nicht wirklich wollen konnten. Nach der Schließung der Banken musste er Tsipras gegenüber zugeben, dass das Vertrauen in das Eigeninteresse der Gläubiger nur für den Fall berechtigt war, dass sie rational entschieden. Aber das konnte ihn nicht dazu bewegen, seinen Kurs zu korrigieren.
Varoufakis' Vertrauen in die Stärke des Schwachen ist umso erstaunlicher, als er deutlich sah, dass Wolfgang Schäuble als einer seiner stärksten Gegenspieler mit voller Absicht auf den Grexit zusteuerte. Ein Ende mit Schrecken war dem deutschen Finanzminister lieber als ein Schrecken ohne Ende: Nur so würden sich die anderen Krisenländer der Eurozone auf einen Stabilitätskurs verpflichten lassen. Mit der Einschätzung, dass das Maßnahmenpaket nicht tragfähig war, das die Troika Ende Juni vorlegte, stimmte er ironischerweise mit Varoufakis überein. Nur zog er daraus eben den Schluss, dass Griechenland jetzt eine "Auszeit" von der Währungsunion nehmen müsse, während Varoufakis immer noch hoffte, dies verhindern zu können.
Bekanntlich hat die Bundeskanzlerin beim EU-Gipfeltreffen am 12./13. Juli 2015 gegen das Votum von Schäuble entschieden - für ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland als Gegenleistung für eine modifizierte Liste von Sparauflagen und Strukturreformen. Für Varoufakis war das eine "neue Verurteilung zum Verbleib im Schuldgefängnis", verhängt von einer Troika, die offensichtlich Gefallen daran gefunden hatte, "eine Nation von Schuldnern zu regieren". Die Troika und ihre Drahtzieher schlugen die "griechische Rebellion von 2015" gnadenlos nieder und stellten ihn als Anführer dieser Rebellion an den Pranger.
Tsipras und Tsakalotos werden das Ergebnis des Kräfteringens wohl eher als einen halben Sieg betrachtet haben. Sie haben zwar keine komplette Abschreibung der EU-Schulden erhalten, aber doch einen weiteren Milliardenkredit, den Merkel ursprünglich auf keinen Fall wollte, dazu das Zugeständnis, immerhin 25 Prozent der Erlöse von Privatisierungen des öffentlichen Eigentums für neue Investitionen nutzen zu können, eine Reduzierung des angestrebten Haushaltsüberschusses vor Zinszahlungen von 3,5 auf 1,5 Prozent für das laufende Jahr und die Zusage einer Überprüfung des Tilgungsaufschubs über das Jahr 2020 hinaus.
Nichts von alledem findet sich in Varoufakis' gewohnt kämpferischem Bericht. Stattdessen verharrt der ehemalige Finanzminister in der Opferrolle, die er gleich nach seinem Rücktritt eingenommen hatte. Er beschuldigt das europäische "Establishment", das griechische Volk für seinen wagemutigen Befreiungsversuch bestraft zu haben. Und er macht es auch für den Niedergang der spanischen Podemos-Bewegung verantwortlich, für den Brexit, den Wahlsieg Donald Trumps und die weltweite Hochkonjunktur eines fremdenfeindlichen Nationalismus.
Schade eigentlich. Varoufakis' enormer finanzpolitischer Sachverstand, der in dem Bericht auch aufscheint, sein Erfindungsreichtum und seine Energie im Kampf gegen griechische Oligarchen und griechischen Klientelismus könnten bei der Überwindung der griechischen Schuldenkrise immer noch hilfreich sein. Die Polemik, mit der er seinen Bericht umrahmt, disqualifiziert ihn freilich für eine solche Rolle.
WILFRIED LOTH
Yanis Varoufakis: Die ganze Geschichte. Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment.
Verlag Antje Kunstmann, München 2017. 661 S., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Arno Widmann erfährt endlich, wie es hinter den verschlossenen Türen internationaler Politik zugeht, mit Yanis Varoufakis' Buch. Tatsachen über die finanzpolitischen Ereignisse von 2015, das europäische Establishment und die wahren Beweggründe von Politikern und Wirtschaftsleuten liefert der Autor laut Widmann auf spannende, witzige, informative Weise. Was daran wahr ist, vermag der Rezensent naturgemäß nicht zu sagen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment. (Buchuntertitel)
Inhalt (Auszug von der Umschlaginnenseite):
Als griechischer Finanzminister löste Yanis Varoufakis eine der spektakulärsten und kontroversesten Auseinandersetzungen der jüngsten politischen Geschichte aus, als er …
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Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment. (Buchuntertitel)
Inhalt (Auszug von der Umschlaginnenseite):
Als griechischer Finanzminister löste Yanis Varoufakis eine der spektakulärsten und kontroversesten Auseinandersetzungen der jüngsten politischen Geschichte aus, als er versuchte, die Beziehungen seines Landes mit der EU neu zu verhandeln. Trotz der massenhaften Unterstützung seitens der griechischen Bevölkerung und der bestechend einfachen Logik seiner Argumente – dass die gigantischen Kredite und die damit verbundene Sparpolitik eine zerstörerische Wirkung haben – hatte Varoufakis nur in einem Erfolg: Europas politisches und mediales Establishment in Rage zu versetzten. Aber die wahre Geschichte der damaligen Geschehnisse ist beinahe unbekannt, weil so vieles in der EU hinter verschlossenen Türen stattfindet.
Hint:
Der Autor berichtet aufgrund von seinen Aufzeichnungen oder aus dem Gedächtnis über Meetings und Gespräche mit Politikern, Regierungsvertretern, Vertretern des Internationalem Währungsfonds oder anderen Organisationen.
Meine Meinung:
Ein Blick hinter die Kulissen der EU-Geldpolitik von IWF, EZB, Banken und Regierungen.
Es ist absolut erschreckend wie Politiker oder Vorstände hinter verschlossenen Türen sprechen und was der Öffentlichkeit präsentiert wird – nämlich etwas ganz anderes!
„Christine Lagarde griff meine Argumente auf und stimmte meinen Plädoyers für Schuldenerleichterung und niedrigere Steuersätze als Vorbedingung für die wirtschaftliche Erholung Griechenlands zu. […] „Du hast natürlich recht, Yanis. Die Ziele, auf denen sie beharren, können nicht funktionieren. Aber du musst verstehen, dass sie schon zu viel in dieses Programm investiert haben. Sie können nicht mehr zurück. [...]“ Da hatte ich es: Die Präsidentin des IWF sagte dem Finanzminister eines bankrotten Landes, dass die Politik, auf die man sein Land verpflichtet hatte, nicht funktionieren konnte. Nicht, dass es schwierig sein würde, sie umzusetzen. Nicht, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie funktionierte, gering war. Nein, sie gab rundheraus zu, dass sie nicht funktionieren konnten, komme, was da wolle.“ (S. 31)
Nicht staubtrocken, sondern mit angenehmer Erzählkunst erreicht der Autor seinen Leser:
„Um eine Vorstellung zu bekommen, wie clever zwei griechische Banker dieses Problem lösten, hilft ein Witz, den ich in einem Pub in Dublin gehört habe. Es geht darin um zwei einfallsreiche Trunkenbolde: Art und Conn haben beschlossen, dass sie etwas unternehmen müssen, um aus der Armut herauszukommen. Sie überredeten Olcan, den Wirt im Ort, ihnen ein Fass Whiskey zu leihen. Ihr Plan ist, das Fass auf der Straße in den nächsten Ort zu rollen, wo ein Fest stattfindet. Dort wollen sie den Whiskey glasweise verkaufen. Sie rollen das Fass die Straße entlang und machen unter einer großen Eiche eine Pause. Während sie unter dem Baum sitzen, findet Art einen Schilling in seiner Tasche. Er freut sich und fragt: „He, Conn, kriege ich ein Glas Whiskey, wenn ich dir einen Schilling gebe?“ „Na klar“ erwidert Conn und steckt den Schilling ein. Eine Minute später wird Conn klar, dass nun er einen Schilling hat. Er sagt zu seinem Kompagnon: „Art, was meinst du? Kriege ich auch ein Glas, wenn ich dir einen Schilling gebe?“ „Aber sicher, Conn.“ Art nimmt seinen Schilling wieder. Und so geht es weiter, der Schilling wechselt noch viele Male den Besitzer, bis Stunden später Art und Conn selig lächelnd und tief schlafend unter dem Baum liegen, neben ihnen das leere Whiskeyfass. Ich weiß nicht, ob dieser Witz jemals griechischen Bankern zu Ohren gekommen ist, aber ihre Lösung, um Kapital für ihre Banken aufzutreiben, glich verblüffend dem Verhalten von Art und Conn.“ Anschließend beschreibt er das Geldhin- und hergeschiebe zwischen Offshore-Gesellschaften. (S. 71)
In seinen Ausführungen und beschriebenen Lösungsansätzen halte ich Yanis Varoufakis für einen hochintelligenten Ökonomen, der der ganzen Situation gut getan hätte.
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Wer einmal einen Blick hinter die üblicherweise verschlossenen Türen der in Europa handelnden Personen werfen will, wer sehen will, mit welchen Lügen, Tricks und Brutalitäten das politische Geschehen abläuft, wer erleben will, wie Griechenland geopfert wird, nur um die …
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Wer einmal einen Blick hinter die üblicherweise verschlossenen Türen der in Europa handelnden Personen werfen will, wer sehen will, mit welchen Lügen, Tricks und Brutalitäten das politische Geschehen abläuft, wer erleben will, wie Griechenland geopfert wird, nur um die anderen EU Länder mit Finanzproblemen (Italien, Portugal, Spanien, Irland, Frankreich,….) einzuschüchtern und eine linke Regierung herabzuwürdigen, wer sehen will, wie Wolfgang Schäuble als Bundesfinanzminister der wirtschaftlich stärksten europäischen Macht brutal den anderen Staaten seinen Willen aufzwingt, wer das alles durch einen Augenzeugen, den ehemaligen Finanzminister Griechenlands und Autor dieses Buches, erfahren will, der sollte dieses Buch unbedingt lesen. Trotz seines Umfangs von 664 Seiten wird das Buch nie langatmig, trotz der akademischen Tätigkeit von Yanis Varoufakis ist das Buch nie schulmeisterlich arrogant oder aufdringlich, es bleibt bis zur letzten Seite erschütternd, erschreckend, man liest es und kann es kaum glauben, was sich hinter verschlossenen Türen in den 161 Amtstagen, in denen er Minister war, vom 27. Januar 2015 bis zum 6. Juli 2015, in den Verhandlungsräumen der EU abgespielt hat.
Ein wichtiger Teil des Buches beschreibt die Verhandlungen über die wirtschaftliche Lage Griechenlands in den unterschiedlichsten Gremien und EU Institutionen. Der Autor kritisiert immer wieder die undemokratischen Strukturen vieler dieser EU Gremien. Nur das EU Parlament mit seinen 751 Mitgliedern wird demokratisch gewählt. Die Europäische Kommission mit ihren 28 Kommissarinnen und Kommissaren (eine/r aus je einem EU Mitgliedsland) und der Rat der EU (die Regierungen der 28 EU Mitgliedsländer) haben kein demokratisches Mandat für Europa -allerhöchstens hat der Europa Rat ein nationales demokratisches Mandat. Diese Institutionen bilden eine Fülle weiterer Gremien, Arbeitsgruppen etc… die sich jeder demokratischen Kontrolle entziehen.
Jannis Varoufakis bezeichnete die bisherigen Hilfspakete die sog. Memoranden als „fiskalisches Waterboarding“. Warum solch harte Worte?
Ende 2017 (ich habe aktuelle Zahlen benutzt, im Buch werden die Zahlen von 2015 genannt) beliefen sich Griechenlands Staatsschulden auf 318,3 Milliarden Euro. Nach Berechnungen des Athener Finanzministeriums werden sie bis Ende 2018 auf 332 Milliarden steigen. Die Schuldenquote erhöht sich dadurch von 178 auf fast 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). (Nach den Maastricht Kriterien sind höchstens 60% erlaubt) D.h. Griechenland verfügt über ein BIP von ca. 180 Mrd Euro. Wenn man bedenkt, dass der Staatshaushalt nur ca. 45% des BIP beträgt- also etwa 81 Mrd € und trotz größter Sparmaßnahmen der Primärüberschuss (=Überschuss ohne Schuldendienst) nur 1,5 bis 2 % beträgt, dann sieht man, dass Griechenland höchstens 2 Mrd € Schulden zurückzahlen kann, das ist weniger als die Zinsen. Jeder , der 1+1=2 rechnen kann sieht, dass Griechenland seine enormen Schulden nie zurückzahlen kann.
Durch die bisherigen Hilfspakete des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) erhielt das Land seit 2010 fast 260 Milliarden Euro. Der Großteil der Milliarden an Hilfsgeldern floss zwar nach Griechenland, um dann aber sogleich wieder den Weg ins Ausland anzutreten, um Gläubigerforderungen zu erfüllen. Die Schulden wurden also nur umverteilt – von privaten Gläubigern wie Banken hin zu Staaten und Steuerzahlern. Die griechischen Schulden blieben unverändert.
. In Varoufakis Buch werden viele weitere Aspekte erwähnt. Sein Kampf gegen die Steuerflucht, der von Seiten der Troika sabotiert wurde. In Varoufakis Buch lernt man viel über die Arbeitsweise der Banken und über grundsätzliche wirtschaftliche Prozesse, er hat ein großes Talent, scheinbar komplizierte Vorgänge leicht verständlich zu erklären.
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