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Produktdetails
  • Verlag: Kehayoff
  • Seitenzahl: 143
  • Abmessung: 290mm
  • Gewicht: 990g
  • ISBN-13: 9783929078268
  • Artikelnr.: 24361712
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.1995

In der Welt gegen die Welt: Aus dem Leben der Chassidim in New York

Eine chassidische Legende erzählt, daß der Baal Schem Tow in schwerer Zeit zu einer bestimmten Stelle im Wald ging, dort ein Feuer anzündete und sich ins Gebet versenkte. Und was er sich vorgenommen hatte, geschah. In der nächsten Generation ging der Maggid von Meseritsch, sein Schüler, zur selben Stelle im Wald. Er konnte zwar kein Feuer mehr machen, aber immer noch die Gebete sprechen. Und was er sich vorgenommen hatte, geschah ebenso. Reb Mosche Leib von Sassow aus der nächsten Generation kannte auch die Gebete nicht mehr. Doch er wußte von der Stelle im Wald, und das war genug. Noch ein Lebensalter später gestand der Rabbi Israel von Rischin ein, daß er und die Mitglieder seiner Gemeinde weder Feuer machen noch die Gebete sprechen konnten und auch die Stelle im Wald nicht mehr fanden: "Aber wir können die Geschichte erzählen, wie alles gewesen ist." Und die Erzählung hatte die gleiche Wirkung wie der Ritus, von dem sie berichtete.

Jerome R. Mintz, der den informativen Begleittext zu mehr als achtzig Fotografien aus dem zeitgenössischen Leben der Satmarer Chassidim in New York verfaßt hat, beschreibt ein Zusammentreffen der Chassidim mit weniger strengen und mit gänzlich unreligiösen Juden in der modernen Synagoge an der New Yorker Fifth Avenue. Dort erzählte einer der chassidischen Ältesten die bekannte Legende. Doch anders, als seine Zuhörer vermuteten, die zum Teil ohne Kaftan erschienen waren und nichts dabei fanden, daß Männer und Frauen nebeneinander saßen, war dies kein Angebot zur Versöhnung. Sondern eine harsche Klage über den Niedergang der Tradition und den Verrat der Lehre.

Jede einzelne Fotografie des Bandes belegt, daß es den Chassidim, die heute mitten in New York völlig isoliert vom Großstadtleben in Williamsburg, Crown Heights oder Borough Park in Brooklyn leben, nicht genügt, sich vom Feuer zu erzählen und von den Gebeten im Wald. In weitestmöglicher Distanz zum Alltag der modernen Welt - die chassidischen Gemeinden unterhalten eigene Schulen, kaufen in den Läden anderer Gemeindemitglieder, haben Banken und vom Staat unabhängige Sozialprogramme - leben sie nach dem strikten Regelwerk der Frömmigkeit. Ihre täglich aufs neue in stundenlangen Talmudstudien erneuerte Hoffnung ist es, ihren Schöpfer niemals zu verraten, damit dieser den Bund mit ihnen aufrechterhalte. Ihr Anti-Zionismus ist von ebensolcher Inbrunst wie ihre Gottesfurcht.

Im Gegensatz zu den Fotografien von Roman Vishniac, der zwischen 1935 und 1939 zu den Schtetl in Ost- und Mitteleuropa reiste, um kurz vor der Vernichtung durch die Nazis das traditionelle Leben der orthodoxen Juden zu dokumentieren, ist in den Bildern von Maud B. Weiss und Michel Neumeister der Holocaust kaum mehr zu ahnen. Die Chassidim, die niemals ohne Kopfbedeckung die Straße betreten und deren Kinder mit zahllosen Hutschachteln für Spodik und Schtreimel ins Ferienlager aufbrechen, wirken nicht wie Entkommene. Die Bilder dieses Bandes stellen nicht den Widerstand gegen den Tod, sondern den Widerstand gegen die Welt dar. Unsere Abbildung zeigt, wie am Purim-Fest die Flagge des Staates Israel verbrannt wird. VERENA LUEKEN

Maud B. Weiss/Michel Neumeister: "Die Frommen in New York." Die Welt der Satmar-Chassidim. Mit einem Text von Jerome R. Mintz. Deutsche Überarbeitung von Richard Chaim Schneider. Gina Kehayoff Verlag, München 1995. 144 S., 81 Abb., geb., 68,- DM.

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