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Wie kaum ein zweiter Photograph seiner Zeit hat Albert Renger-Patzsch die Bildsprache des 20. Jahrhunderts geprägt. Renger fand für die technische Moderne Bilder, die nicht zuletzt aufgrund ihrer strengen Kompositionen zu regelrechten Emblemen der Gegenwart wurden. Rengers Aufsätze aus über vier Jahrzehnten begleiten und ergänzen seine epochalen photographischen Arbeiten. Dabei widmen sie sich höchst unterschiedlichen Fragen: ob Photographie Kunst sein könne, wie man am besten Ersatzteile photographiert, ob die Photographie einen Typus wiedergeben könne oder welche Verantwortung der Photograph…mehr

Produktbeschreibung
Wie kaum ein zweiter Photograph seiner Zeit hat Albert Renger-Patzsch die Bildsprache des 20. Jahrhunderts geprägt. Renger fand für die technische Moderne Bilder, die nicht zuletzt aufgrund ihrer strengen Kompositionen zu regelrechten Emblemen der Gegenwart wurden. Rengers Aufsätze aus über vier Jahrzehnten begleiten und ergänzen seine epochalen photographischen Arbeiten. Dabei widmen sie sich höchst unterschiedlichen Fragen: ob Photographie Kunst sein könne, wie man am besten Ersatzteile photographiert, ob die Photographie einen Typus wiedergeben könne oder welche Verantwortung der Photograph habe. Neben sämtlichen zu Lebzeiten publizierten Texten enthält der Band auch eine Reihe von bisher unveröffentlichten Aufsätzen aus dem Nachlaß.
Autorenporträt
Bernd Stiegler, geb. 1964, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Tübingen, München, Paris, Berlin, Freiburg und Mannheim. Von 1999 bis 2007 arbeitete er als Programmleiter Wissenschaft im Suhrkamp Verlag. Seit Herbst 2007 ist er Professor für Neuere deutsche Literatur mit Schwerpunkt 20. Jahrhundert im medialen Kontext an der Universität Konstanz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2010

Dinge ordnen sich dem Blick
Vom Beitrag der Strickmaschinen zur Geburt moderner Bildästhetik: Albert Renger-Patzschs gesammelte Aufsätze zur Fotografie

An der Strickmaschine für Nylonstrümpfe schlug die Stunde des Fotografen. Denn was achtzehn Meter lang ist, stolze neunzehn Tonnen wiegt und aus nicht weniger als 250 000 Einzelteilen besteht, das wird, wenn überhaupt, nur für kurze Zeit störungsfrei seinen Dienst tun können. Albert Renger-Patzsch jedenfalls war sich, als er zum ersten Mal ein solches Ungetüm sah, nach eigener Auskunft sicher, dass "diese Maschine ein Irrtum sei".

Dem nüchternen Blick des Fotografen entging allerdings auch nicht, dass schon die Vielzahl der in einer solchen Anlage verbauten Einzelteile zu einem stolzen Katalog für Ersatzteile anschwellen würde und dass kein Zeichenstift fein genug sein würde, all die unterschiedlichen Maschinenteile akkurat abzubilden. Es ist daher die Fotografie, die hier dem Techniker in Form präziser Abbildungen zur Seite springt. Und umgekehrt ist es die Technik, die der Fotografie eine Idee von neusachlicher Ästhetik vermittelt.

Unverkennbar sitzt dem Fotografen Renger-Patzsch der Schalk im Nacken, wenn er im Rückblick die Geburt der fotografischen Moderne mit der Wartung von Strickmaschinen kurzschließt. Und doch sind es gerade Nylonstrümpfe und Schrauben, einfache Glaskolben und schließlich ganze Industrieanlagen, denen Renger-Patzsch seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit einer präzisen visuellen Handschrift zu Bildwürdigkeit verholfen hat. Es ist der nüchterne, zuweilen unterkühlte und stets auf das Wesentliche konzentrierte Duktus seiner Fotografien, der in folgenreicher Weise Kunstgeschichte schreiben sollte und dessen distanzierte Blicknahmen sich überaus gut in jenen Stil der "Neuen Sachlichkeit" fügten, von dem rasch und auch weit über diese Fotografien hinaus die Rede sein sollte.

Und doch bleibt es erstaunlich, dass Albert Renger-Patzsch an den hitzig geführten ästhetischen Debatten seiner Zeit publizistisch kaum aktiv Anteil nahm. Denn so kompromisslos der Fotograf fortlaufend an einer Bildsprache der Moderne formulierte, so wortkarg und beiläufig scheint jene literarische Produktion zu sein, an der Renger-Patzsch im Lauf von mehr als vier Jahrzehnten mehr nebenher schrieb. Meist sind es zufällige äußere Anstöße, die den Fotografen eher zum Schreiben drängen als einladen: hier ein kurzer Zeitschriftenkommentar, dort die Teilnahme an einer Umfrage; und mit zunehmendem Erfolg stellen sich schließlich auch kurze Ansprachen und einige wenige ausgearbeitete Vorträge ein.

Erstmals nun liegen all diese Texte, insgesamt mehr als fünfzig, in einem Buch gesammelt vor. Und bereits dies ist ein großes Verdienst: Denn die meisten von ihnen sind an entlegenen Stellen erschienen und heute nur noch mit Mühe aus dem Zeitschriftenfundus gut sortierter Bibliotheken zu fischen. Überdies werden zehn dieser Texte mit dieser Edition überhaupt zum ersten Mal zum Druck gebracht.

Hat man sich einmal auf den zurückhaltenden Tonfall all dieser Miniaturen eingelassen, dann wird rasch deutlich, dass die nüchterne Lakonik des Fotografen auch dem Autor Renger-Patzsch eigen ist. Und es ist der umsichtigen Arbeit der Herausgeber zu verdanken, dass sich ein solcher systematischer Vergleich zwischen Sehen und Lesen, zwischen Fotografien und Texten in diesem Buch entfalten kann.

Zugleich ist dies die beste Gelegenheit, den von Walter Benjamin mit scharfen Worten geäußerten Verdacht zu prüfen, wonach "das wahre Gesicht dieses photographischen Schöpfertums die Reklame" ist. Fraglos bezog Renger-Patzsch gerade aus solchen Aufträgen der Industrie für viele Jahre einen beträchtlichen Teil seiner Einkünfte. Aber ebenso klar tritt aus seinen kurzen schriftlichen Kommentaren ein Selbstverständnis hervor, das fotografische Bild gar nicht anders denn als Schlüsselfrage moderner Bildästhetik auffassen zu können.

Der kaum je ausgesprochene, aber stets in den Blick genommene Leitbegriff heißt "Qualität". Wie diese aber praktisch zu erlangen und zu bestimmen sei, gerade darüber hat Renger-Patzsch mehr als vierzig Jahre nicht allein mit der Kamera, sondern auch an der Schreibmaschine nachgedacht.

Man kann sich ein solches Bemühen fürs Erste gar nicht einfach genug denken: Auf dem Niveau handelsüblicher Amateur-Ratgeber werden Fragen des richtigen Gebrauchs von Kamera-Apparaturen und Fotoplatten, von Entwicklerbädern und Fotopapieren verhandelt. Es ist ein ausgeprägter Sinn für das Praktische, der sich hier Bahn bricht und zuweilen das Kuriose nicht allein streift.

So wird jenen, die "Winterphotographie und Schneeschuhsport" kombinieren wollen, empfohlen, die Ausrüstung im Rucksack so fest zu verpacken, "daß es nicht klappert". Überdies sollen noch unbenutzte Platten "durch Reservestrümpfe oder Handschuhe vor unmittelbaren Stößen geschützt" werden. Doch so anekdotisch sich diese Ratschläge ausnehmen mögen, in ihrer Summe arbeiten sie an einer Vorstellung von Fotografie, die von der ersten Idee bis zum fertigen Bild den höchsten Maßstab anlegt.

Es ist bemerkenswert, dass Renger-Patzsch von einer solchen Suche nach dem gelungenen Bild ausdrücklich niemanden ausschließt. Unter der Hand erzählen alle diese Texte eine Sozialgeschichte des Aufstiegs des Berufsstandes des Fotografen zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Und nicht zuletzt gehört hierher, dass das Bemühen um eine "fotografische Fotografie", wie es an einer Stelle mit vielsagendem Nachdruck heißt, den Unterschied zwischen Fachfotografen und Amateur nur so lange kennt, wie Letzterer noch nicht die professionelle Präzision erlangt hat. Ob aber Amateur oder Profi, dessen Blick sich an der Strickmaschine für Nylonstrümpfe entzünden mag: Die beiden gestellte Aufgabe bleibt aus der Sicht Renger-Patzschs stets das bestmögliche fotografische Bild.

STEFFEN SIEGEL

Albert Renger-Patzsch: "Die Freude am Gegenstand". Gesammelte Aufsätze zur Photographie. Hrsg. v. Bernd Stiegler, Ann und Jürgen Wilde. Wilhelm Fink Verlag München 2010. 329 S., Abb., br., 32,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erstmals liegen nun all die fast beiläufig geschriebenen und meist unveröffentlichten Texte vor, die Albert Renger-Patzsch neben seiner fotografischen Arbeit in mehr als vierzig Jahren verfasste, freut sich Rezensent Steffen Siegel. Große Mühe haben die Herausgeber Bernd Stiegler, Ann und Jürgen Wilde offenbar darauf verwandt, an den verschiedenen Orten die Schriftstücke aufzutreiben, die nun unter dem Titel "Die Freude am Gegenstand" erschienen sind. Gelohnt hat sich dies in den Augen des Kritikers. Denn die "nüchtern" lakonischen Texte seien durchaus mit Rengers auf das Wesentliche beschränkten Fotografie vergleichbar. Ebenso sachlich und distanziert, wie er Nylonstrümpfe oder Glaskolben fotografierte, erscheinen die Ratschläge, die er seinen Lesern gibt: Bei der Kombination von "Winterfotografie und Schneeschuhsport" müsse die Ausrüstung fest verpackt werden, damit "es nicht klappert". Neben solchen Kuriositäten, so der Rezensent, werde aber auch das fotografische Bild als "Schlüsselfrage moderner Bildästhetik" verhandelt.

© Perlentaucher Medien GmbH