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  • Verlag: Heyne, W
  • ISBN-13: 9783453873735
  • Artikelnr.: 23963524
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2002

Eine Fülle düsterer Geheimnisse

Am 26. Februar 1904, zwischen 12 und 13 Uhr, wird in seinem Geschäft an der Zeil der Klavierhändler Hermann Lichtenstein erschlagen. Der brutale Raubmord an dem angesehenen Frankfurter Geschäftsmann erschüttert die Stadt und sorgt im Polizeipräsidium für hektische Betriebsamkeit. Ein blutiger Fingerabdruck am Kragen des Toten und die Spur eines Damenschuhs deuten darauf hin, daß eine Frau an der Tat beteiligt war. Außerdem keimt der Verdacht auf, daß es Zusammenhänge zwischen dem Mord und den mysteriösen Drohbriefen gibt, die der ermittelnde Kommissar Richard Biddling seit Jahren erhält.

Als Einstieg in ihren zweiten Kriminalroman hat sich Nikola Hahn einen authentischen Fall ausgewählt. Die Mörder des Pianohändlers Lichtenstein wurden schon wenige Tage nach der Tat gefaßt und noch im selben Jahr hingerichtet. Doch die in Rödermark lebende und als Hauptkommissarin bei der Kriminalpolizei in Offenbach tätige Autorin spinnt ihre packende Geschichte von unerfüllten Sehnsüchten, Rachegelüsten und sexuellen Obsessionen, von tragischen Liebesbeziehungen und Toten, die den Lebenden keine Ruhe lassen, weit über die historischen Tatsachen hinaus. Dabei präsentiert die Neunundreißigjährige ein vermutlich recht authentisches Panorama Frankfurts und seiner Klassengesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Mit ihrem neuen Buch knüpft Hahn an Handlung und Personal ihres ersten Romans "Die Detektivin" (1998) an. Victoria Biddling, die Protagonistin ihres 1882 spielenden Debütromans, ist inzwischen aber nur noch eine unter vielen Handelnden. Virtuos geht die Autorin mit einer ganzen Schar von Verdächtigen und Wahrheitssuchenden um. Nichts ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, und so mancher der vermeintlich unbescholtenen Ehrenbürger birgt ein düsteres Geheimnis. Zudem ist der Roman bevölkert mit bekannten Namen, von Oberbürgermeister Franz Adickes über den Arzt Alois Alzheimer, Paul Ehrlich, Bertha Pappenheim und Leopold Sonnemann bis zur Fallschirmspringerin "Käthchen" Paulus. Schauplätze sind eine großbürgerliche Villa am Untermainkai, das Polizeipräsidium an der Zeil, die engen Gassen und erbärmlichen Behausungen in der Altstadt, ein Bordell im Bahnhofsviertel und das ländliche Niederhöchstadt.

Den Kapiteln vorangestellt hat Hahn Meldungen und Anzeigen aus der "Frankfurter Zeitung" des Jahres 1904, die Handlung ist gespickt mit Anspielungen auf Arthur Conan Doyle und Sherlock Holmes sowie mit Zitaten aus der Weltliteratur. Aber all das wirkt nur gelegentlich bemüht und aufgesetzt. Nikola Hahn hat ausgezeichnet recherchiert und kann gut genug fabulieren, um ihren Lesern quasi nebenbei eine Fülle von Informationen über die Stadt Frankfurt an der Schwelle zur Moderne und über die Anfänge der Kriminalistik zu geben.

RALF EULER

Nikola Hahn: Die Farbe von Kristall. Ein historischer Kriminalroman. Marion von Schröder Verlag, München 2002, ISBN 3-547-71003-0, 816 Seiten, 24 Euro.

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