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Der Autor sieht das gespaltene Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nation und die Unsicherheit gegenüber einer nationalen Geschichte vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung. Die Wurzeln einer eigentümlichen Vielfalt einander oft widersprechender Traditionen mit ihren höchst unterschiedlichen Bildern von der Vergangenheit sind bereits im Mittelalter verankert. Die jeweils besondere Geschichte der Franken, Bayern, Sachsen, Alemannen setzt verpflichtende Normen für das politische Eigenleben dieser Völker; als feste Traditionen hinterließ sie den Bewohnern der später…mehr

Produktbeschreibung
Infotext:
Der Autor sieht das gespaltene Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nation und die Unsicherheit gegenüber einer nationalen Geschichte vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung. Die Wurzeln einer eigentümlichen Vielfalt einander oft widersprechender Traditionen mit ihren höchst unterschiedlichen Bildern von der Vergangenheit sind bereits im Mittelalter verankert. Die jeweils besondere Geschichte der Franken, Bayern, Sachsen, Alemannen setzt verpflichtende Normen für das politische Eigenleben dieser Völker; als feste Traditionen hinterließ sie den Bewohnern der später entstandenen Territorien ein je eigenes Staats- und Kulturbewusstsein. Einigendes Band dieser politischen und zivilisatorischen Vielfalt war bis 1806 das Römische Reich, während ein "über alles" gedachtes Deutschland als späte Konzeption der Moderne angehört. Das Buch führt an die mittelalterlichen Voraussetzungen dieser Entwicklung und zeigt ihre politischen und bewusstseinsgeschichtlichen Etappen von der ausgehenden Karolingerzeit bis zum Anfang des 12. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.1995

Degradiert in alle Ewigkeit
Als der Papst den Kaiser zum bloßen Herrscher Deutschlands machte

Joachim Ehlers, Historiker an der Freien Universität Berlin, demonstriert mit seinem ersten Satz, daß ihm die Formulierung des Buchtitels nicht recht behagt haben kann: "Die Rede vom deutschen Reich des Mittelalters ist ein Mythos." Man wird hinzufügen können: "Und ist geeignet, dem mit der Geschichte dieser Zeit nicht vertrauten Publikum den Blick auf die Realität von vornherein zu versperren." Denn das zehnte Jahrhundert, mit dem der Band sich vor allem befaßt, wurde, wie Ehlers zeigt, nur sehr marginal und erst an seinem Ende von dem Wort "diutisk" und dem damit gemeinten Sachverhalt geprägt. Maßgeblich für die Definition des Reiches als politischer Rahmen für Franken, Sachsen, Bayern und Schwaben waren vielmehr die Traditionen der Franken und des von Karl dem Großen im Westen wiederbelebten Römerreichs, denen sich dank der erfolgreichen Herrschaft der Ottonen noch die der Sachsen hinzugesellte, die sich aber nach dem Aussterben dieser Dynastie rasch wieder verflüchtigte.

Das deutsche Element im Selbstbewußtsein war gemäß der primären Bedeutung dieses Adjektivs die Sprache, die freilich zunächst nur von außen her als Gemeinsamkeit stiftendes Merkmal der im ostfränkischen Reich vereinigten Völker begriffen wurde. Es war Papst Gregor VII., der als erster in nennenswertem Umfang den selbständig gewordenen Osten des Frankenreichs von Karl dem Großen mit dem Namen eines Deutschen Reiches bezeichnete, um Heinrich IV. auf den Rang der anderen Könige herabzuwürdigen, die keinen Anspruch auf das universale römische Kaisertum zu erheben pflegten. Die Salier reagierten darauf, indem sie ihr einst fränkisch benanntes Königtum römisch definierten.

Einige später sehr einflußreiche Historiker hatten die Geschichte von der Entstehung des "Deutschen Reiches" vor 1945 anders konzipiert: Danach hatte sich 887 oder 919 ein schon vorher existierendes deutsches Volk unter der Führung von tüchtigen, dem verwelschten Frankenreich abholden Königen seinen Staat geschaffen. Dieser wurde später von auf Rom und Italien versessenen Kaisern in verderblichen Partikularismus gesteuert, aus dem ihn erst Bismarck wieder herauszuführen vermochte. Die heute auch nicht mehr ganz so jungen Mediävisten der folgenden Generation haben diesen - von den großen Meistern ihrer Zunft noch lange dominierten - Themenbereich oft zu vermeiden versucht.

Ehlers verweist auf einige Monographien, deren Autoren den von ihm ins Zentrum gestellten Sachverhalt lieber umgingen und sich mit handfesteren und harmloseren Dingen befaßten: mit Kirche und Adel, mit Bauern und Städtern, mit der Gesellschaft also, die damals nicht nur in ihrem Weltbild an die Stelle der als obsolet eingeschätzten Nation getreten war. Ergänzend hätte angemerkt werden können, daß auch der Verfasser des 1993 erschienenen Beitrags der "Enzyklopädie"zum Investiturstreit, Wilfried Hartmann, diese Linie einhielt und das gerade in jener Epoche sehr virulente Thema mit dürftigen sieben Zeilen abspeiste, wobei man sich fragt, ob der Autor den Zusammenhang zwischen der Terminologie Gregors VII. und dem Ausbruch seines Streits mit Heinrich IV. nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte.

In der "Enzyklopädie deutscher Geschichte" gehört Ehlers' Buch zu der Abteilung "Politik, Staat, Verfassung". Somit wurden einige Sachverhalte, wie zum Beispiel Adel, Kultur oder Alltag, die ebenfalls dazu beitrugen, das römisch-deutsche Reich zu einer Einheit werden zu lassen oder aber die regionale Vielfalt der deutschen Lande zu entwickeln, anderen Bänden der Reihe vorbehalten. Naturgemäß war es unmöglich, manche dieser Themen gänzlich zu übergehen, etwa das Zusammen- und Widerspiel von Königtum und Adel oder die Symbiose zwischen Königtum und Kirche in Gestalt ihrer Bischöfe. Das Mönchtum wird nur in dem sehr gelungenen Kapitel über Literatur und Sprache berücksichtigt. Die wichtige Rolle, die manche Äbtissinnen und Äbte in der Politik der Ottonen und früheren Salier spielten, und die Funktion der Klöster als Stabilisatoren der Königsherrschaft hätten wohl doch ein paar Anmerkungen verdient.

Davon und vom irreführenden Titel des Bandes abgesehen, kann diese Skizze zu den Anfängen der deutschen Geschichte als präzise, umsichtig, intelligent und dennoch gut lesbar, kurzum als kleines Meisterwerk bezeichnet werden. HEINZ THOMAS

Joachim Ehlers: "Die Entstehung des deutschen Reiches". (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 31.) Oldenbourg Verlag, München 1994. VIII, 152 S., br., 29,80 DM, geb., 68,- DM.

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