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Wer als Kind in der elterlichen Metzgerei Geige spielt und nachts mit den Schweinen spazierengeht, um ihnen etwas anderes zu zeigen als die Schlachtbank, dem steht ein Leben bevor, das nicht leicht zu meistern ist. Aber reicht diese sanfte Schrulligkeit aus, um freiwillig aus dem Leben zu scheiden? Nach dem angeblichen Freitod seines Cousins Günther fährt Elias in dessen Heimatdorf, um den Widersprüchen in Günthers Leben nachzuspüren.

Produktbeschreibung
Wer als Kind in der elterlichen Metzgerei Geige spielt und nachts mit den Schweinen spazierengeht, um ihnen etwas anderes zu zeigen als die Schlachtbank, dem steht ein Leben bevor, das nicht leicht zu meistern ist. Aber reicht diese sanfte Schrulligkeit aus, um freiwillig aus dem Leben zu scheiden? Nach dem angeblichen Freitod seines Cousins Günther fährt Elias in dessen Heimatdorf, um den Widersprüchen in Günthers Leben nachzuspüren.
Autorenporträt
Dirk Kurbjuweit, geboren 1962 in Wiesbaden, ist Journalist, lebt in Hamburg und arbeitet als Redakteur für Die Zeit

Egon-Erwin-Kisch-Preis 1998
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.1995

Nun iß doch
Dirk Kurbjuweit wagt sich in die Provinz · Von Karl-Markus Gauß

Auch das kann es geben: einen Roman, den man längst gelesen zu haben glaubt und in dem doch alles überrascht. Die Handlung und ihre Schauplätze, die Figuren und ihre Konflikte muten nur zu bekannt an, aber dem 1962 geborenen Dirk Kurbjuweit gelingt es in seinem Erstling, ein altes Thema mitsamt seinen bewährten Motiven ins Spannende zu wenden. Die Inhaltsangabe des Klappentextes ließe es nicht erahnen: "Die Einsamkeit der Krokodile", zugleich unerbittlich und mitfühlend, düster und humorvoll erzählt, ist ein origineller deutscher Provinzroman, der sich der wohlfeilen Kritik des Provinziellen enthält und kurzweilige Lektüre bietet.

Ein angehender Journalist, der es beruflich und privat zu nicht viel mehr als einer veritablen "Echolalie" gebracht hat, jener enervierenden Gewohnheit, die im Gespräch zuletzt vernommenen Worte sinnlos zu wiederholen, hört vom Selbstmord eines entfernten Verwandten. Er verläßt Hamburg und macht sich auf nach dem düsteren Dorf, in dem der junge Mann zugrunde gegangen ist; indem er das Leben dieses in den Tod Gehetzten recherchiert, kommt er auch sich selbst auf die Spur. Die Reise in die Provinz führt ihn zuvor jedoch durch eine Hölle der Wohlanständigkeit, in der die größten Gemeinheiten nicht hinterrücks verübt, sondern als ein nützlicher Dienst an der Gemeinschaft versehen werden.

Der Sonderling Günther hatte sich aus Familie und Dorf mit achtundzwanzig Jahren in den rettenden Tod verabschiedet. Todesursache, wie sie sich den Nachforschungen des Journalisten, der selbst schon fast in den Status eines Sonderlings gedrängt wird, enthüllt: "Mordselbstmord". Das einzige Kind eines fleißigen Metzgerehepaars war gnadenlos gedrillt worden, nirgendwo anzuecken und allen wohlgefällig zu sein. Früh war in ihm so das Talent gereift, Konflikte nicht zu lösen, sondern gewissenmaßen zu schlucken: "Und er mußte essen und erzählen, im Wechsel, denn wenn er aß, sagte seine Mutter, nun erzähl doch was, und hat er erzählt, dann hieß es, nun iß doch."

Die aggressive Fürsorgepflicht der Eltern läßt ein hochintelligentes Kind gedeihen, das sich nirgendwo so recht durchzusetzen weiß und vom Studium in der Stadt gebrochen nach Hause zurückkehrt. Und langsam wird aus dem Einzelgänger ein Fall, den es für die Dorfgemeinschaft zu erledigen gilt - Jagdzenen in Deutschland, wo es am saubersten ist. Den Delinquenten, der sich unbeabsichtigt der fortgesetzten Unangepaßtheit schuldig gemacht hat, ereilt das Ende just, als er nach seinem kleinen Glück zu greifen wagt.

Das alles klingt längst nicht so spannend, wie es Kurbjuweit literarisch darzutun weiß. Dabei hat er weder besondere erzähltechnische Raffinessen aufzubieten noch eine stilistisch irgendwie auffällige Sprache. Und doch entfaltet das Wechselspiel von verletztem Erzähler und tödlich verletztem Helden einen unerwarteten Sog. Wie sich jener in diesem spiegelt und über die Identifizierung selbst zu retten vermag, das hat Kurbjuweit mit Grimm, aber auch mit kauzigem Humor erzählt. Das Bildnis der Provinz gerät zwar angemessen düster, und wenn im Wirtshaus der schenkelschlagende Witz dröhnt, läßt der Wirt das Bier in die Gläser rauschen, "als würde jemand sein Wasser abschlagen". Doch Kurbjuweit macht es sich auch nicht in der Inszenierung einer Antiidylle, nicht im schwarzen Kitsch bequem: sein Dorf ist schäbig, aber vielschichtig, seine Provinz ist böse, aber auch verzweifelt. Kurz, dieser neue Autor bedient das Vorurteil nicht mit literarischer Illustration, sondern sucht eigensinnig eine Wirlichkeit, die hinter Klischees und Vorurteilen verborgen liegt.

Dirk Kurbjuweit: "Die Einsamkeit der Krokodile". Roman. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 238 S., br., 20,- DM.

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