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Siegt wirklich immer nur das Böse? Hat der Egoist einen festen Platz auf der Sonnenseite des Lebens? Unterdrückt die Evolution das Gute und stempelt den Guten zum Verlierer? Matt Ridley, britischer Zoologe und Soziobiologe, überrascht in diesem Buch mit neuesten Erkenntnissen der Genforschung und der Verhaltensforschung, die beweisen, daß die Tugend in der Evolution eine wichtige Rolle spielt. "Das Prinzip des Guten zieht sich durch die gesamte Evolutionsgeschichte. Wir finden es bei Einzellern, Ameisen und Fledermäusen genauso wie bei Affen oder Delphinen, die alle ein spezifisches…mehr

Produktbeschreibung
Siegt wirklich immer nur das Böse? Hat der Egoist einen festen Platz auf der Sonnenseite des Lebens? Unterdrückt die Evolution das Gute und stempelt den Guten zum Verlierer? Matt Ridley, britischer Zoologe und Soziobiologe, überrascht in diesem Buch mit neuesten Erkenntnissen der Genforschung und der Verhaltensforschung, die beweisen, daß die Tugend in der Evolution eine wichtige Rolle spielt. "Das Prinzip des Guten zieht sich durch die gesamte Evolutionsgeschichte. Wir finden es bei Einzellern, Ameisen und Fledermäusen genauso wie bei Affen oder Delphinen, die alle ein spezifisches Gruppenverhalten etabliert haben, ohne das das Überleben ihrer Art nicht gewährleistet sein könnte."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.1997

Kratze einen Altruisten
Und siehe da, ein Heuchler blutet: Matt Ridley will uns zeigen, daß die Biologie der Tugend selbst gar keine hat

Den Krieg aller gegen alle malen die Medien nimmermüde aus. Glotzten wir einmal nicht durch ihr Vergrößerungsglas, sondern lehnten uns entspannt zurück, soweit das schlechte Gewissen es erlaubt, könnte eine Gegenwelt Gestalt gewinnen: Fast alle bremsen vor dem Zebrastreifen und berappen für das Müsli, statt den Ökoladen zu plündern, fast alle erschießen einander nicht. Ist also der "homo homini lupus" nur eine Horrorvision des englischen Philosophen Thomas Hobbes? Warum der Mensch dem Menschen zumindest nicht immer ein Wolf ist, erklärt dessen Landsmann Matt Ridley. Da er Journalist ist, drückt auch er uns eine Lupe in die Hand - allerdings fokussiert auf die Wurzeln friedvollen Miteinanders.

Ridley, in England ein bekannter Kolumnist vor allem in Wirtschaftsfragen, profiliert sich zudem gern als Hobby-Soziobiologe. Die Geistesverwandschaft kommt nicht von ungefähr: Soziobiologen erforschen die biologischen Grundlagen von Sozialverhalten, doch ihre Theorie wurde von Ökonomen inspiriert. Entsprechend rechnen Soziobiologen Kosten und Nutzen von Merkmalen in Körperbau oder Verhalten gegeneinander auf, um deren Entstehung nachzuvollziehen. In dem Sinne sind ihre Theorien also Kopfgeburten des kapitalistischen Zeitgeistes.

Ridleys neues Buch geht einem Paradoxon nach. Er nimmt eine radikale Metapher auf, die Richard Dawkins 1976 prägte: "Egoistische Gene" treiben das Verhalten ihrer Träger an, um möglichst viele Kopien ihrer selbst zu hinterlassen. Menschen sind aber zweifellos auch und vor allem soziale Tiere. Wie jedoch kann eingennütziges Streben nach Fortpflanzungserfolg Zusammenarbeit zeitigen? Frühere Verhaltensforscher hatten das Problem nicht, weil sie glaubten, die evolutionäre Auslese fördere der Arterhaltung dienliches Verhalten. Demnach legten Vögel bei Nahrungsknappheit um des Gemeinwohls willen weniger Eier. Daß uneigennütziger Verzicht nicht "evolutionär stabil" ist, zeigten Spieltheoretiker in den sechziger Jahren. Derlei soziale Systeme würden nämlich bald von Betrügern unterwandert. Kleinere Gelege kommen zustande, weil Vögel jeweils eigene Rechnungen aufmachen und beim Eierlegen unbewußt die zu erwartende Sterblichkeit ihrer Küken einkalkulieren. Das Ganze - verringerte Bevölkerungsdichte - entsteht aus der Summe egoistischen Verhaltens der Populationsmitglieder.

In dieser Umgebung von Eigennützlern gewähren einander vor allem Blutsverwandte Hilfe. Nach der Theorie des egoistischen Gens ist das zu erwarten, weil in ihnen nach Maßgabe der Verwandtschaft mehr oder weniger viele Kopien eigener Erbinformation stecken. Die deutlich markierten Grenzen der "natürlichen" Nächstenliebe fielen bereits dem Vater der Evolutionsbiologie auf. "Verschiedene instinktive Impulse beim Menschen", stellte Charles Darwin fest, "sind von unterschiedlicher Stärke. Eine junge, ängstliche Mutter wird ohne zu zögern sich im Interesse ihres Kindes der größten Gefahr aussetzen, aber keineswegs für irgendeinen Mitmenschen."

Solch doppelte Moral herrscht beispielsweise bei der Hautpflege in Affengesellschaften. Blutsverwandte reinigen einander geduldig von Lauseiern, Zecken und Schmutz. Von genetisch Fremden verlangen Pfleger hingegen rasch Revanche. Der Sozialvertrag "Kratzt du mir den Rücken, kratz' ich dir den Rücken" führt wegen des Rückzahlungsproblems zu zahlreichen Varianten - etwa abhängig davon, wie wahrscheinlich Partner einander wiederbegegnen. Evolutionsbiologen ließen dazu in Computer-Turnieren verschiedenste Strategien gegeneinander antreten. Ridley führt vor Augen, warum die ursprüngliche Spielart "Wie du mir, so ich dir" zuweilen den kürzeren zieht gegenüber Programmen wie "Betrüge immer" oder "Gewinnen - Fortfahren, Verlieren - Ändern". Besonders gut funktioniert übrigens "Streng, aber gerecht", das nicht nur Betrüger bestraft, sondern auch diejenigen, die versäumen, Betrügern einen auf den Deckel zu geben.

Nichtverwandte kooperieren vor allem, wenn sie allein schlechter abschnitten. So bieten Affen jene Körperstellen zur Pflege dar, die sie selbst nicht einsehen können - etwa Gesicht, Hinterkopf oder Rücken. Dauerhaft mit anderen zu leben geht aber mit beständiger Konkurrenz einher - um Nahrung oder sichere Ruheplätze. Gruppen bilden sich deshalb nur, wenn Vorteile die Nachteile aufwiegen. So kann sich die Gefahr verkleinern, von Raubfeinden gefressen zu werden, oder sich umgekehrt die Chance erhöhen, selbst Beute zu machen. Schimpansen stehen beispielsweise zusammen, um Leoparden Paroli zu bieten und nicht von Nachbargruppen ausgerottet zu werden; zugleich sind sie bei der Jagd auf andere Affen erfolgreicher, wenn sie statt allein waidzuwerkeln sich in Treiber und Fänger aufteilen. Daß Gruppenkonflikte und Arbeitsteilung die Fundamente auch früher Menschengesellschaften legten, zeichnet Ridley faktenreich nach.

Sein Opus spiegelt die mittlerweile traditionell zu nennende Sichtweise der Verhaltensbiologe. Dabei erliegt er glücklicherweise nicht der Versuchung des Berufsjournalisten, den für Laien ungenießbaren Faktenbrei zur faden Wassersuppe zu verdünnen. Was seine saft-, kraft- und geschmackvolle Diktion aber eigentlich empfehlenswert macht, ist Aktualität: Viele Beispiele gelten selbst in Fachzeitschriften als noch beinahe druckfrisch. Das betrifft vor allem die feine Analyse des Gleichgewichtes zwischen Kooperation und Konkurrenz. So gründen etwa Bienenstaaten auf Verwandtenunterstützung. Entgegen üblicher Annahme sind Arbeiterinnen aber nicht unfruchtbar - sie leben lediglich zölibatär. Am nächsten wären sie mit eigenem Nachwuchs verwandt. Legen sie jedoch selbst Eier, fressen andere Arbeiterinnen diese auf. Die Königin markiert ihre Eier geruchlich. Sie entgehen dem Kannibalismus, weil Arbeiterinnen mit royalistischer Brut zwar weniger als mit eigener verwandt sind, doch mehr als mit den Nachkommen anderer Arbeiterinnen. Die bienenfleißige Harmonie beruht mithin auf gegenseitiger Mißgunst und Kontrolle.

Ähnlich steht auch die auf den ersten Blick innige Vernetzung einer Schwangeren mit ihrem Ungeborenen unter Spannung. Ein Säugetierweibchen möchte weitere Kinder gebären, während der Fötus alles für sich will. Deshalb lösen Ungeborene die muskulösen Wände der Blutgefäße des Mutterkuchens, um ihre Nahrungsversorgung selbst kontrollieren zu können. Schwangerschaftskomplikationen wie hoher Blutdruck und Zucker lassen sich aus derlei vorgeburtlichen Konflikten herleiten.

Ridley ist allerdings kein Philosoph und verwandelt sich deshalb in den Dilettanten, wo er weltanschaulich wird. Tugend, das ist für Ridley alles nach dem Strickmuster "Der wahre Egoist kooperiert". Der Untertitel des Buches lautet entsprechend: "Warum es sich lohnt, gut zu sein." Ridley zeigt sich dabei genauso vom Kaufmannsgeist durchtränkt wie weiland Kirchenvater Ambrosius, der seine liebe Not hatte mit Jesu Gebot "Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen". Weil "Tugendeifer ohne Lohn erkalten würde", erinnert Ambrosius dezent an den vom Herrn versprochenen "himmlischen Lohn": "So übe denn Barmherzigkeit, um Gnade zu verdienen."

Auch Ridley verweigert sich dem Argument, daß wahrer Selbstlosigkeit nicht nur eine großzügige Tat zugrunde liegen muß, sondern auch ein großzügiges Motiv. "Wenn eine Mutter sich ihrem Nachwuchs gegenüber nur selbstlos verhält, weil ihre Gene egoistisch sind", behauptet Ridley, "dann bleibt sie trotz allem ein selbstloses Individuum." Statt also ein hehres Motiv zu suchen, befördert er alle niedrigen. Ein tiefer schürfender Tugendbold wie Friedrich Schiller hatte mehr Skrupel, gestand er doch zerknirscht ein, zwar diene er seinen Mitmenschen, doch leider "mit Neigung". Ridley setzt nonchalant persönlichen Nutzen durch Kooperation gleich mit wahrem Altruismus. Das befördert Bill Gates zum idealen Kandidaten für den Friedensnobelpreis und simultane Heiligsprechung.

Zugegeben, "Die Biologie der Zusammenarbeit" klänge als Buchtitel langweilig. Ridley hat aber zugleich die Chance verpaßt, wahre Selbstlosigkeit aus biologischer Perspektive zu untersuchen. Da die Kosten hier definitionsgemäß größer als der Nutzen sein müssen, wäre Altruismus nicht nur selbstlos, sondern selbstschädlich. Gibt es so etwas überhaupt? Der heilige Martin reicht nicht hin - dem Bettler einen halben Mantel abzuschneiden ist eher schäbig. Gandhi gilt gleichfalls nicht: Bevor der zum Asketen wurde, frönte er dem Artgeschäft auf Vorrat und zeugte mehrfach. Mutter Teresa wäre eine gediegene Anwärterin, wenn in Albanien verbliebene Blutsverwandte dank ihrer Popularität nicht irgendwelche Pfründe ergatterten, was noch kein Soziobiologe untersuchte. Auf dem Schutzumschlag des neuen Ridley kommt uns ein Barmherziger Samariter entgegen. Ob Ridley über ihn nachdachte, können wir leider in keinem Index nachschlagen, da das Buch nach 379 Seiten voll war. Um als wahrer Altruist durchzugehen, darf der Barmherzige nicht nur nicht mit seiner Heilstat geprahlt haben (was ihm eine Beförderung in der antiken Heilsarmee hätte eintragen können). Wir dürften zudem am besten gar nichts vom Samariter wissen - weil allein anonymes Wohltun jedwedem Egoismus die Hintertüre vor der Nase zuschlägt.

Altruisten müssen ihren Genen ein Schnippchen schlagen - weshalb sie nie den breiten Weg der Evolution beschreiten können. Da wahre Selbstlosigkeit den Filter der Auslese nicht passieren kann, bleibt sie auf persönliche Experimente beschränkt. Angesichts solcher Existenzen - die sich ganz "unnatürlich" verhalten - dürfen wir dann getrost von Heiligen reden. Die moderne Naturbetrachtung kommt damit ironischerweise zum umgekehrten Schluß wie Jean Jacques Rousseau. Der wollte die verderbte Menschheit mittels des Mantra "Zurück zur Natur!" retten. Daß Wölfe im Rudel jagen, macht sie aber nicht selbstlos und erst recht nicht, daß sie einander - ganz "natürlich" - die Kehle durchbeißen, was sie bisweilen tatsächlich tun. Der tugendhafte Härtetest heißt, sich hungrig zu den Lämmern zu legen. VOLKER SOMMER

Matt Ridley: "Die Biologie der Tugend". Warum es sich lohnt, gut zu sein. Aus dem Englischen von Angelus Johansen. Ullstein Verlag, Berlin 1997. 384 S., geb., 48,- DM.

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