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Die Bibel - ein Debüt, mit dem sich Nádas in die ungarische Gegenwartsliteratur einschrieb.
Als 1965 dieser Erstling des damals 23-jährigen Péter Nádas in Ungarn erschien, erregte schon der Titel Aufmerksamkeit. Und das Thema, mit dem er späteres Opus magnum Buch der Erinnerung vorwegnahm, war nicht weniger skandalös: die Bewältigung einer Kindheit in der stalinistischen Rákosi-Ära. Ein Junge lebt mit seinen Eltern und Großeltern in einer Villa auf dem Hügel", einem privilegierten Stadtbezirk von Budapest. Für die Hausarbeit nimmt" man sich ein Mädchen vom Land. Die Eltern, hohe…mehr

Produktbeschreibung
Die Bibel - ein Debüt, mit dem sich Nádas in die ungarische Gegenwartsliteratur einschrieb.
Als 1965 dieser Erstling des damals 23-jährigen Péter Nádas in Ungarn erschien, erregte schon der Titel Aufmerksamkeit. Und das Thema, mit dem er späteres Opus magnum Buch der Erinnerung vorwegnahm, war nicht weniger skandalös: die Bewältigung einer Kindheit in der stalinistischen Rákosi-Ära. Ein Junge lebt mit seinen Eltern und Großeltern in einer Villa auf dem Hügel", einem privilegierten Stadtbezirk von Budapest. Für die Hausarbeit nimmt" man sich ein Mädchen vom Land. Die Eltern, hohe Funktionäre, haben wenig Zeit für ihren Sohn, unbeaufsichtigt kann er seine Umgebung erforschen und seine sadistischen Neigungen am neuen Dienstmädchen ausprobieren. An der Bibel, die er eines Tages im elterlichen Bücherschrank entdeckt und vor den Augen des gläubigen Mädchens zerreißt, um es zu provozieren, entzündet sich der Konflikt: Für das Bauernmädchen ist das Buch der Bücher ein Quell des Trostes und der moralischen Haltung und für die Mutter ein teures Andenken an die heroischen Zeiten des Widerstands, als sie Flugblätter in ihrem Korb mit dieser Bibel tarnte. Mit dieser fein gesponnenen Variante des uralten Themas von Herr und Knecht hat sich Péter Nádas mit einem Schlag in die erste Reihe der ungarischen Gegenwartsliteratur eingeschrieben.
Autorenporträt
Péter Nádas, geb. 1942 in Budapest, ist einer der bedeutendsten europäischen Erzähler. Er wurde u.a. mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur, dem französischen Prix du Meilleur Livre Étranger und dem Leipziger Bucpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet. Péter Nádas lebt in Budapest und Gombosszeg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2010

Rákosi gibt den Weihnachtsmann
Als Einstiegsdroge: Ein kleines Frühwerk des ungarischen Autors Péter Nádas

Kann man Literatur kondensieren? Eine solche Methode hätte durchaus praktische Folgen: Statt des unendlichen Menüs von Prousts "Recherche" nur einen Suppenwürfel davon. Oder Tolstois "Krieg und Frieden" als Kurzgeschichte? Schon die Beispiele zeigen, dass sich Tempo und Dichte großer Texte nicht beliebig verändern lassen. Immerhin gibt es hier und da die Möglichkeit eines "amuse gueule", eines Probierhäppchens. Péter Nádas hat ein solches geschaffen, als er 1965 seinen drei Jahre vorher geschriebenen Erstling unter Mühen in Budapest herausbringen konnte: "Die Bibel", der stolze Konkurrenztitel zum Buch der Bücher, verspricht ironischerweise eine ganze Kultur und eine Metaphysik dazu. Und dann sind es gerade einmal fünfundneunzig Seiten.

Die aber haben es in sich. Nádas erzählt scheinbar kalt und beiläufig die kargen Erlebnisse eines Heranwachsenden in einem Budapester Villenviertel: Der große Garten mit einem blasierten Nachbarsnymphchen, die herrschaftlichen Zimmer, die mittelmäßig bewältigten Hausaufgaben, die öde Abfolge der Tage mit der primitiven und herrschsüchtigen Großmutter, der stets zum Büro hin und her eilende Vater voller Flüchtigkeit; dazu die Mutter, die ihren Sohn zwar zärtlich zu lieben scheint, aber im Staatsapparat zu beschäftigt ist für eine wirkliche Erziehung. Nádas schildert hier keine späthabsburgische Idylle im Geiste Ferdinand von Saars, sondern den Alltag der "neuen Klasse", die nach der kommunistischen Machtübernahme in den alten Fabrikantenvillen auf den Hügeln der ungarischen Hauptstadt residierte und das Land nicht nur im stalinistischen Regime bis 1956 an den Abgrund manövrierte.

Provokant muss 1967 schon der Beginn gewirkt haben, in dem Nádas keinen kommunistischen Heldenspross, sondern einen unangenehmen und dazu noch feigen Sadisten schildert: Der Knabe prügelt den Familienhund mit einer Gartenhacke tot - aus Langeweile, aus allgemeiner Lieblosigkeit vielleicht auch. In der neu errungenen, recht eigentlich strindbergschen und streng von Ritualen geregelten Bürgerlichkeit engagiert sich die Funktionärsfamilie gegen den erbitterten Widerstand der praktischen Oma ein einfältiges, frommes Hausmädchen. In fortlaufend nüchternem und gefühlsarmem Tonfall, der bei aller Detailgenauigkeit sichtlich an Hemingway geschult ist, schildert der Autor das präpubertäre Verhalten des Sohns des Hauses: Er belauert die nackte Szidike im Bad, lässt sie von der Oma kujonieren und zerrupft als Provokation die Hausbibel, bis das fromme Mädchen eingreift und das dampfende Bügeleisen auf einem Nachthemd vergisst.

Damit ist sie einerseits gefeuert, andererseits hat sie dabei die Bibel der gottlosen Leute mitgehen lassen - und wusste nicht, dass unter ihr die Mutter einst unter Lebensgefahr kommunistische Kassiber versteckt hielt und darum ans verachtete Buch sentimental gebunden ist. Solche Details über Menschen, die von mutigen Widerständlern zu kalten Henkern mutierten, verleihen der Personenschilderung Glaubwürdigkeit. Genau wie die Erwähnung zweier höchst rarer Orangen, die - nach der Phantasie der Mutter - Genosse Rákosi dem Jungen wie ein neuer Weihnachtsmann geschenkt haben soll.

Am erbarmungslosen Ende ist die Familie der neuen Herren unfreiwillig zu echten Patrons mutiert, Szidike landet wieder in dreckiger Armut auf dem Land, und aus dem Erzähler kann wohl nichts anderes mehr werden als ein emotionsloser Widerling. Kein Wunder, dass Nádas durch diese Studie, die unmerklich Lebenslügen der kommunistischen Oberschicht bloßlegt, unliebsam auffiel. Die Bibel wird hier - ohne jede religiöse Konnotation - nicht zum überkommenen Symbol stumpfer Volksfrömmigkeit, wie das auch nach dem Aufstand von 1956 die staatliche Propaganda sah, sondern zum Inbegriff menschlicher Gefühle, für die im kalten Gehäuse der Ideologie kein Platz mehr ist.

Für die Leser ist die exakte und gebührend lakonische Übersetzung dieses Frühwerks ein Glücksfall, zeigt sie uns doch den damals zwanzigjährigen Schriftsteller als veritables Junggenie. Darüber hinaus hatte Nádas mit der detaillierten Schilderung von Alltagsgefühlen auch Stil und Thema für sein monumentales, nicht zu Unrecht mit Proust verglichenes "Buch der Erinnerung" gefunden. Wen diese kondensierte Minibibel fasziniert, der sollte getrost in den Kosmos von Péter Nádas eintauchen.

DIRK SCHÜMER

Péter Nádas: "Die Bibel". Erzählung. Aus dem Ungarischen von Ruth Futaky. Berlin Verlag, Berlin 2009. 95 S., geb., 18,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Jörg Plath begrüßt Peter Nadas' Erzähldebüt "Die Bibel" aus dem Jahr 1962, das nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt. Die kurze, aber intensive Erzählung zeigt in seinen Augen einen "unbekannten Nadas", einen Autor der "kühlen Grausamkeit". Die mit "harten Strichen" erzählte Geschichte um einen Heranwachsenden, der einen Hund erschlägt und dem Dienstmädchen seiner Eltern zusetzt, handelt für ihn von der Erniedrigung des Menschen im Sozialismus und von den Gepflogenheiten der privilegierten "neuen Klasse". Fast erstaunt zeigt er sich darüber, wie "direkt und ökonomisch" der Autor von dieser Zeit erzählt. Das Buch, das sich für Plath auch durch seine "ungeheure Wucht" auszeichnet, macht auch deutlich, welch weiten Weg Nadas seit damals zurückgelegt hat.

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