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Produktdetails
  • Verlag: C.H.Beck
  • ISBN-13: 9783406488726
  • ISBN-10: 3406488722
  • Artikelnr.: 25307785
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.1995

Schwache Präsidenten bevorzugt
Und dennoch bekommen die Amerikaner oft starke

Jürgen Heideking: Die amerikanischen Präsidenten. 41 historische Porträts von George Washington bis Bill Clinton. C. H. Beck Verlag, München 1995. 400 Seiten, 41 Abbildungen, 58,- Mark.

In den Führungspersönlichkeiten einer politischen Elite spiegeln sich Geist und Befinden eines Landes wider. Es gibt eine erstaunliche Korrespondenz zwischen Wahlvolk und gewählten Führern. Der Kölner Professor für anglo-amerikanische Geschichte Jürgen Heideking hat als Herausgeber und Mitautor die Biographien der amerikanischen Präsidenten von George Washington bis Bill Clinton in einem Band versammelt, Biographien, welche die bewegende Geschichte eines Landes erzählen. Sie beschreiben die Entwicklung der Vereinigten Staaten von einem ehemaligen Kolonialstaat bis zur Weltmacht und die beginnende Erosion der Vorherrschaft. Dies ist eine Geschichte von Mut und Aufbruch, Zaghaftigkeit und Ängstlichkeit, von Mittelmaß und Genialität, Versagen und triumphalen Erfolgen. Die Autoren sind deutsche Historiker und Politikwissenschaftler, Spezialisten der jeweiligen Epoche. Dem Herausgeber geht es um kritisch-deutende historische Porträts - jenseits der anekdotischen Lebensbilder und handbuchartigen Kurzbiographien. Der Leser findet außerordentliches Lesevergnügen. Er wird sich wohl zunächst den Persönlichkeiten zuwenden, die er zu kennen glaubt und die er interessant findet. Der unvergleichliche Thomas Jefferson (1801 bis 1809), sehr sachkundig porträtiert von Willi Paul Adams, hat als 33 Jahre alter Anwalt die Unabhängigkeitserklärung von 1776 formuliert. Jefferson, der letzte Präsident der Gründungsväter, war mit einer enormen Entschlußkraft ausgestattet und legte die Grundlagen eines modernen Staates. Aber er war Kind seiner Zeit und voller Widersprüche. So lehnte er die Privilegierung von Herrscherfamilien und Aristokraten in Europa ab, beschäftigte aber zeitlebens 200 Sklaven auf seiner Tabakplantage in Virginia. Er war gegen eine starke zentrale Bundesgewalt, aber erwarb 1803 Louisiana von Frankreich, eine Exekutiventscheidung, die der Senat erst nachträglich billigte.

Das bleibt übrigens ein fast durchgängiges Element in den Aufsätzen: die Widersprüchlichkeit des Menschen in Wort und Tat. Manchmal hat man den Eindruck, daß die großen Präsidenten Persönlichkeiten waren, bei denen Anspruch und Wirklichkeit besonders weit auseinanderklafften. Langeweile macht keinen Menschen groß - mit Ausnahme von Abraham Lincoln (1861 bis 1865), dem Einiger der Nation und Gründer eines modernen Nationalgefühls. Auch er bezog seine Autorität aus seiner Sprachgewalt, die aufgehoben ist in der berühmten "Gettysburg Address", welche nach dem entsetzlichen Bürgerkrieg die Nation einte und nach Abschaffung der Sklaverei den Weg zu einer freien Gesellschaft öffnete. Jörg Nadler beschreibt einfühlsam und mit analytischer Schärfe gleichermaßen das Herkommen und den Charakter eines einfachen Mannes, der auch wegen seines gewaltsamen Todes zum Mythos wurde.

Franklin Delano Roosevelt (1933 bis 1945) wird elegant von Detlef Junker als Visionär und Machtpolitiker dargestellt, der am Ende seines Lebens noch die große Koalition gegen den deutschen Nationalsozialismus und italienischen Faschismus schmiedete, um Europa von der Zwangsherrschaft zu befreien. Zwiespältig ist das Porträt (verfaßt von Peter Lösche) von Ronald Reagan (1981 bis 1989), dessen Präsidentschaft von extremen Widersprüchen gekennzeichnet war: vom strammen Antikommunismus zur Entspannungspolitik, von einer Entstaatlichungsideologie zur höchsten Staatsverschuldung in der Geschichte des Landes. Der politische Spielraum für seine Nachfolger wurde damit bis in unsere Tage eingeengt.

Schon unter Reagan begann die zunehmende Erosion einer Weltmacht, die aufzuhalten den beiden Übergangspräsidenten George Bush (1989 bis 1993) und Bill Clinton nicht gelungen ist. Die Geschichte der jüngeren Präsidentschaften seit Gerald R. Ford (1974 bis 1977) zeigt eine offenkundige Tendenz zur Mittelmäßigkeit. Die Präsidenten rekrutieren sich nicht mehr aus dem Kreis der starken Persönlichkeiten der Hauptstadt; es sind zunächst unbedeutende Regionalpolitiker, die ausreichend Zeit hatten, ihre Präsidentschaft vorzubereiten. Im Grunde mögen die Amerikaner schwache Präsidenten, weil damit ihre Freiheit nicht unnötig eingeschränkt wird.

Unter dem Stichwort "Krise der Autorität" beschreibt Detlev Felten den amtierenden Präsidenten Clinton mit scharfer Beobachtungsgabe. Dessen Ansehen ist zerfallen wegen seines fast krankhaften öffentlichen Redezwanges. Er kennt nicht das Geheimnis der Distanz und ist damit Spielball medialer Beliebigkeiten geworden. Sogar die Porträts der längst vergessenen Präsidenten sind aufschlußreich, weil sie uns eben auch das Werden der Vereinigten Staaten von Amerika entschlüsseln. Ein interessantes Buch. JOACHIM BECKER

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