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Vor mehr als 50 Jahren ist die bedeutende historisch-kritische Trakl-Ausgabe von Walther Killy und Hans Szklenar erschienen. Mittlerweile ist die zweibändige HKA vergriffen, ebenso die Taschenbuch-Ausgabe des ersten Bandes, was nicht nur bei Trakl-Freunden als Mangel empfunden wird. Vorliegende Neuausgabe der "Dichtungen und Briefe" von Georg Trakl macht erstmals völlig unbekannte Texte des Lyrikers zugänglich, die in letzter Zeit gefunden wurden. Dazu zählen 15 Gedichte der "Sammlung Richard Buhlig", die Marty Bax (Amsterdam) im Archiv der California State University Long Beach bei Recherchen…mehr

Produktbeschreibung
Vor mehr als 50 Jahren ist die bedeutende historisch-kritische Trakl-Ausgabe von Walther Killy und Hans Szklenar erschienen. Mittlerweile ist die zweibändige HKA vergriffen, ebenso die Taschenbuch-Ausgabe des ersten Bandes, was nicht nur bei Trakl-Freunden als Mangel empfunden wird. Vorliegende Neuausgabe der "Dichtungen und Briefe" von Georg Trakl macht erstmals völlig unbekannte Texte des Lyrikers zugänglich, die in letzter Zeit gefunden wurden. Dazu zählen 15 Gedichte der "Sammlung Richard Buhlig", die Marty Bax (Amsterdam) im Archiv der California State University Long Beach bei Recherchen entdeckt hat, oder das Gedicht "Hölderlin", das von einem Wiener Antiquariat angeboten wurde. Literarische Texte, die erst nach dem Erscheinen der ersten Taschenbuchausgabe veröffentlicht worden sind, werden ebenfalls in diesen Band aufgenommen. Dass Trakl sich auch mit dem literarischen Leben seiner Zeit beschäftigt hat, wird an der Rezension eines Gedichtbandes deutlich. Ein weiterer, bisher unbekannter Brief an Adolf Loos belegt das freundschaftliche Verhältnis zu dem Wiener Architekten. Mit dieser aktuellen Überarbeitung liegt nun eine repräsentative Ausgabe vor, die das dichterische Werk und die wichtigsten Briefe des großen Lyrikers des 20. Jahrhunderts in ansprechender Form vereint.
Autorenporträt
1887-1914 Einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des 20. Jahrhunderts. Nach Pharmazie-Studium und Militärdienst in Wien fand er eine entscheidende Förderung im Innsbrucker ¿Brenner¿-Kreis. Für den Militär-Apotheker führten 1914 in Galizien die Kriegsgräuel zu einem dramatischen Ende im Krakauer Garnisonsspital.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Lorenz Jäger schwelgt in dem von Hans Weichselbaum herausgegebenen Band mit Dichtungen und Briefen Georg Trakls. Der bleibende Eindruck beim Lesen der Gedichte ist für den Rezensenten der eines sehr genauen und um den richtigen Ausdruck bemühten "arbeitenden" und verantwortungsvollen Dichters. Wie genau das im Austausch mit seinem Herausgeber vonstatten ging, kann Jäger anhand der Briefe gut nachvollziehen. Die Gedichte selbst vermitteln ihm die "herzzerreißende", für Trakl typische Stimmung, intensive Trauer, Feierlichkeit sowie immer wieder die inzestuöse Beziehung zur Schwester, dem einzigen Gegenüber in den Texten und Ebenbürtige, wie Jäger feststellt und zitiert: "Leise der Flug der Vögel tönt, / Die Schwermut über deinen Augenbogen. / Dein schmales Lächeln tönt."

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2020

Er war immer traurig, wenn er glücklich war

Vor dem Goldgrund tiefer Seligkeit: Nicht Heine, sondern Hölderlin war der lyrische Ahnherr von Georg Trakl, wie die neue Werkausgabe zeigt.

Georg Trakl war ein arbeitender Dichter: Das ist der erste Eindruck, den man beim Blättern in dieser schönen Ausgabe bekommt. So wenig ihm in seinem kurzen Leben ein berufliches Fortkommen glückte - er war Apotheker -, so sorgsam und umsichtig sehen wir ihn seiner dichterischen Berufung folgen. Eine frühe Sammlung aus dem Jahr 1909 zog Trakl zurück, die eigene Stimme hatte noch zu sehr im Bann der Baudelaire- und Verlaine-Nachfolge gestanden. Oft sind von einem Gedicht mehrere Fassungen überliefert, und dabei verändert sich auch der Gehalt. Statt "ernsthaft" solle in dem Gedicht "Kaspar Hauser Lied" "wahrhaft" stehen, meldet er im Spätherbst 1913 an Ludwig von Ficker, den Herausgeber der Zeitschrift "Der Brenner". Im folgenden Brief kehrt er zu "ernsthaft" zurück, korrigiert aber die erste Zeile: "Er wahrlich liebte die Sonne, die purpurn den Hügel hinabstieg". Freunde wie Erhard Buschbeck nehmen an Korrekturen und Ordnungsversuchen teil; "nur nicht chronologisch" solle die Reihenfolge sein, mahnt der Dichter; fast hat man nach der Lektüre der Korrespondenz den Eindruck, als hätte er seine Sozialkontakte völlig vom Werk her gedacht.

In dieser Arbeit steckt ein Ethos, ein Bewusstsein der Verantwortung. "Du magst mir glauben", schreibt Trakl im Januar 1912 wiederum an Buschbeck, "dass es mir nicht leicht fällt und niemals leicht fallen wird, mich bedingungslos dem Darzustellenden unterzuordnen und ich werde mich immer wieder berichtigen müssen, um der Wahrheit zu geben, was der Wahrheit ist." Die äußere Gestalt will mitbedacht sein; von dem Verleger Kurt Wolff wünscht er sich im April 1913 einen Satz in "Fraktur oder älterer Antiqua". Auch hofft er, dass bei der Wahl des Formats "auf die den Gedichten eigene Struktur möglichst Rücksicht genommen wird". Gerade in dieser Hinsicht wird man auch dem Verlag Otto Müller bei der Gestaltung der neuen Ausgabe großes Lob zollen. Der einzige Wermutstropfen in diesem Band: Mit Ausnahme der Briefe ist nichts datiert, so dass man mit dem Versuch einer chronologischen Lektüre schnell an Grenzen stößt.

Ein Apotheker hat es mit Schmerzen zu tun, nur auf sie ist er bezogen. "Schmerz" gehört zu den Grundworten des Dichters Trakl. "Wanderer tritt still herein; / Schmerz versteinerte die Schwelle. / Da erglänzt in reiner Helle / Auf dem Tische Brot und Wein." So schließt das Gedicht "Winterabend". Man sieht in das Innere einer Kirche, alles ist für die segenbringende Eucharistie bereitet. Aber der Schmerz markiert noch einmal deutlich die Trennung von innen und außen. Schmerzmittel-Missbrauch begleitete Trakls Lebensweg: "Um über die nachträgliche Abspannung der Nerven hinwegzukommen habe ich leider wieder zum Chloroform meine Zuflucht genommen", schreibt der Achtzehnjährige an Karl von Kalmár: "Die Wirkung war furchtbar. Seit acht Tagen leide ich daran - meine Nerven sind zum Zerreißen." Im Januar 1913 hatte ihm Veronal "einigen Schlaf vergönnt". Ein knappes Jahr darauf berichtet er an Ludwig von Ficker, nach zwei durchschlafenen Tagen und Nächten noch "eine recht arge Veronalvergiftung" zu empfinden.

Trakl wurde wie Georg Heym und Jacob van Hoddis 1887 geboren, Alfred Lichtenstein war zwei Jahre jünger. Sie alle gingen früh davon, durch Unfall oder Krieg, oder in den Wahnsinn. Anders als bei den genannten Berliner Dichtern ist Trakls Krisenschauplatz nicht die Stadt, sondern das Land: "Verstreute Dörfer, Sumpf und Weiher." Und gerade hier, wo sie sicher scheint, gerät die Welt vollends aus den Fugen: "Traumhaft erschüttern des Wildbachs / Dunkle Geister das Herz, / Finsternis, / Die über die Schluchten hereinbricht!" In dem Prosastück "Traumland" lebt ein Knabe im Sommer bei seinem Onkel. Im gleichen Haus wohnt die todkranke kleine Maria, der er Rosen bringt. Dann stirbt sie. "Deine Seele geht nach dem Leiden, mein Junge", sagt ihm der alte Onkel, der Knabe aber denkt an diese Wochen zurück als ein "wundersames, glücklich verbrachtes Leben". Das ist eine Szene, an der man die eigentümlich herzzerreißende Trakl-Stimmung sofort erkennt.

Er steigert die Trauer in eine bis dahin nicht gekannte Intensität, indem er sie auf dem Goldgrund tiefer Seligkeit malt: "Zu dunkler Träne / Schmolz ein großer Schmerz, / O Schwester! / So stille endet der goldne Tag." Früh war ihm dieses Gesetz deutlich geworden, seiner Schwester Maria schrieb er 1903: "O Menschenherz, was ist dein Glück? / Ein räthselhaft geborener / Und, kaum gegrüßt, verlorener / Unwiederholter Augenblick." 1908 spricht er vom Zauber Wiens: einem "Zauber, der einem das Herz traurig vor übergroßem Glücke macht! Ich bin immer traurig, wenn ich glücklich bin! Ist das nicht merkwürdig!"

Trakl ist mit einer gewissen Notwendigkeit immer feierlich, niemals hört man jenes Gekicher, das für van Hoddis - "Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut" - so typisch ist. Nicht Heine ist Trakls dichterischer Vorfahr, sondern Hölderlin, den er in einem erst kürzlich ans Tageslicht gekommenen Gedicht als Schutzgeist seines eigenen Werks anruft: "So ward ein edles Haupt verdüstert / In seiner Schönheit Glanz und Trauer / Von Wahnsinn, den ein frommer Schauer / Am Abend durch die Kräuter flüstert."

Die Schwester ist in den Gedichten die einzige angeredete Person, und in Trakls Briefen gibt es mit der Ausnahme seiner Schwestern nur einen anderen erwähnten Frauennamen. Seine Schwester Margarethe war vier Jahre jünger als er, von der Ausbildung her Pianistin, und immer, wenn wir in Trakls Gedichten von Klaviersonaten hören, die hereinklingen, wird man an sie denken müssen. Sie ist es, die er in dem Gedicht "An die Schwester" als Ebenbürtige im ernsten Spiel des Trauerglücks anerkennt: "Leise der Flug der Vögel tönt, / Die Schwermut über deinen Augenbogen. / Dein schmales Lächeln tönt."

"Traum und Umnachtung" ist der Titel eines Stückes dichterischer Prosa, das den Band "Sebastian im Traum" abschließt. Es lebt aus dem Doppelsinn des Wortes "Geschlecht", das die Verwandten und die Sexualität meint. Im dritten Satz kommt eine Schwester ins Spiel: "Aus blauem Spiegel trat die schmale Gestalt der Schwester und er stürzte wie tot ins Dunkel." Später, draußen in der Nacht, erscheint sie ihm, "ein flammender Dämon". Das Geschlecht kann sich nicht mehr fortsetzen: "Ein Wolf zerreißt das Erstgeborene."

Das war ein für Trakl zentraler Gedanke, den er schon in einem Dramenfragment ausgesprochen hatte: "Rotes Gestern, da ein Wolf mein Erstgeborenes zerriss. Fluch, Fluch durch finstere Jahre." Und das Gedicht "Helian" sagt: "Erschütternd ist der Untergang des Geschlechts." Der Schluss von "Traum und Umnachtung" zieht die Konsequenz aus dem Doppelsinn: "Purpurne Wolke umwölkte sein Haupt, dass er schweigend über sein eigenes Blut und Bildnis herfiel, ein mondenes Antlitz; steinern ins Leere hinsank, da in zerbrochenem Spiegel, ein sterbender Jüngling, die Schwester erschien; die Nacht das verfluchte Geschlecht verschlang." Wie immer es mit dem Realitätsgehalt solcher Texte auch bestellt sein mag - dichterisch war Trakl inzestuös; es gibt schlechterdings keine weibliche Figur, die sich neben der immer wieder besungenen Schwester in den Gedichten behaupten könnte.

Am 6. März 1914 schickt er Kurt Wolff aus Innsbruck das Manuskript von "Sebastian im Traum", das mit dem "verfluchten Geschlecht" endete; zwei Wochen später ist er in Berlin, wo seine geliebte Schwester eine Fehlgeburt erlitten hatte. Im Juni kann er noch einen Korrekturabzug an Adolf Loos senden. Ludwig Wittgenstein hat ihm 20 000 Kronen zukommen lassen, die ihm nichts mehr nützen. Im September kommt er mit dem Heer nach Galizien und erlebt die Schlacht um Gródek mit, der sein letztes Gedicht gilt; es schließt mit den Zeilen "Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz, / Die ungebornen Enkel".

Im Oktober ist er im Krakauer Garnisons-Spital zur Beobachtung seines Geisteszustands: "Meine Gesundheit ist wohl etwas angegriffen", schreibt er an Ludwig von Ficker. Dieser besucht ihn, in seinem Dankesbrief bekundet Trakl: "Ich fühle mich schon fast jenseits der Welt." Sein letzter Brief enthielt die überarbeitete Version eines Gedichts und eine Korrektur, mit ungeheurer Disziplin hatte er sich in seinem eigensten Arbeitsgesetz gehalten. Am 3. November 1914 starb Georg Trakl an einer Herzlähmung "als Folge einer Kokainvergiftung", wie der Herausgeber mitteilt.

LORENZ JÄGER

Georg Trakl: "Dichtungen und Briefe".

Hrsg. von Hans Weichselbaum. Otto Müller Verlag, Salzburg 2020. 600 S., geb., 39,- [Euro].

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