Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 24,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Primus
  • ISBN-13: 9783896780416
  • ISBN-10: 3896780417
  • Artikelnr.: 24605083
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.1997

Schlafend unter dem Kürbisbaum
Es herrscht Zwietracht unter den Exegeten christlicher Kunst: Josef Engemann wirft sich ins Getümmel

Wie kann es sein, daß in der Kirche S. Apollinare nuovo in Ravenna der gefallene Engel auch für moderne Betrachter wirklich schön aussieht, während der Engel Gottes dortselbst freudlos und ohne Charme ist? Auf solche Fragen antwortet eine Wissenschaft namens Christliche Archäologie. In diesem Falle ist die Antwort: Das Laster wird schon seit Xenophons Zeiten als wollüstig schön vorgestellt. In der Sprache dieser Wissenschaft: "Das ethische Plus konnte man nur in der Form des ästhetischen Minus denken."

Oder nehmen wir das Kuppelmosaik in der Taufkapelle der Griechisch-Orthodoxen in Ravenna - eine Zelebrität unter den Werken christlicher Kunst, ein Traum von Schönheit. Es stellt den Betrachter aber vor ein Problem: Sind die Figuren der zwölf Apostel vertikal oder horizontal einzuordnen? Die Kunstgeschichtler glauben, Bischof Neon, der das Mosaik im fünften Jahrhundert hat anlegen lassen, zeige hier "ganz sonderbare Verirrungen", "Ungenauigkeiten", stilistische Fehler. "Wie konnte Neon solche künstlerische Verstöße begehen?"

Die kollegiale Entgegnung auf so freche Äußerungen konnte nicht ausbleiben: Man sprach von der "eindrucksvollen geistigen Sperre einiger Theologen, die sich leider mit Kunstgeschichte beschäftigen". Dann fing es erst richtig an: "Scheinlogik", "willkürliche Verstandesakrobatik" und "dürftige Verständnislosigkeit" warf man einander vor. Resultat: Bischof Neon scheint fürs erste entlastet. Es wäre auch merkwürdig, wenn der Auftraggeber selbst schon nicht verstanden hätte, was er wollte. Aber rechnen muß man mit allem, zum Beispiel wenn Mosaizisten in Bilderzyklen die Szenen vertauschen.

Auch in der Christlichen Archäologie ("Archäologie und Kunstgeschichte der Spätantike und des Frühmittelalters") herrschen mithin liebevoll inszenierte Richtungskämpfe. Josef Engemann, emeritierter Bonner Christlicher Archäologe, einer der Großen seines Fachs, hat jetzt eine reich und schön bebilderte Summe seiner methodischen Zugänge zu den Denkmälern des christlichen Altertums publiziert. Das Buch ist geprägt vom Kontrast zwischen der schweigenden Erhabenheit der Kunstwerke und dem lauten Kampfgetümmel professoraler Sachverständiger dieses Jahrhunderts.

Engemann steht mitten darin und bekennt Position: Er plädiert dafür, historisch und nicht hermeneutisch zu interpretieren. Das leuchtet ein. Mit Panofsky unterscheidet er zwischen Form, Inhalt und Bedeutung eines Kunstwerks. Form - das ist die jeweilige Oberflächengestalt (hier wird zum Beispiel um Bildergänzungen gefochten). Inhalt - das ist das Thema, zum Beispiel ein unter dem Kürbisbaum schlafender Prophet Jona. Die Bedeutung ergibt sich vor allem aus dem jeweiligen Zusammenhang. Ist zum Beispiel ein solchermaßen schlafender Jona auf einem Sarg abgebildet, steht er für den Todesschlaf. Findet man ihn auf einer Gürtelschnalle mit Reliquienkammer, dann wird ein biblisches Rettungsbild schutzbringend wirksam, dann steht Jona für die Bewahrung vor Unheil. Schon in der Zeit der Entstehung muß man damit rechnen, daß die Bedeutung der Bildinhalte nicht verstanden wurde. Kritisch wendet sich Engemann gegen eine verbreitete Sucht älterer klerikaler Interpreten, die jeden Schafträger mit dem guten Hirten Jesus aus Johannes 10 gleichsetzten. Auch heute noch gibt es Theologen, die alle Schafe in und außerhalb der Bibel für das Gotteslamm halten.

Überhaupt hat das Christentum oft heidnische Inhalte übernommen, ohne daß sich besondere christliche Bedeutungen feststellen ließen. Bukolische Idyllik diente Christen und Heiden gemeinsam als Bild der Hoffnung über den Tod hinaus. Und Tiefsinn an der falschen Stelle kann peinlich sein. "Die Zeugnisse der Archäologie", schrieb ein Kollege von der Christlichen Archäologie, seien "eine reiche Rüstkammer zum Beweis und zur Verteidigung des christlichen Glaubens". Besonders die christlichen Kopten hatten darunter zu leiden, daß man Produkte aus heidnischen Grabbauten für ihre eigenen Erzeugnisse hielt und ihnen "Aberglaube", "Sexbesessenheit" nebst Vorliebe für Nacktes vorwarf und erklären konnte, koptische Kunst sei "die primitivste Stufe des Christlichen".

Nicht weniger problematisch war die Deutung der beiden Frauen, die im Apsismosaik der römischen Kirche S. Pudenziana Petrus und Paulus einen Kranz aufzusetzen im Begriff sind, als die beiden Heiligen Pudenziana und Praxedis. Engemann kann - mit anderen - zeigen, daß zur Zeit der Entstehung des Mosaiks im frühen fünften Jahrhundert diese beiden Heiligen "überhaupt noch nicht erfunden" waren. Denn erst im sechsten Jahrhundert hatte man aus dem vormaligen Besitzer des Grundstücks, Pudens, einen Heiligen gemacht, und dann nahm die Legendenbildung ihren Lauf. Kurzum: Sein Buch ist über die Christliche Archäologie hinaus ein Kompendium über den rechten, vorsichtigen Umgang mit historischen Daten.

Nützlich ist auch Engemanns Widerstand gegen den inflationär verwendeten Begriff des Symbols: Klassik und Romantik nahmen das Symbol als das, was "sakramental" das Übersinnliche selbst enthalte, und spielten es gegen die rationale Allegorie aus. Gerade für das angeblich Symbolische gilt aber: Nicht was möglich ist, sondern was als notwendig begründbar ist, kann Bedeutung sein.

Die Anfänge christlicher Kunst liegen vollständig im Dunkeln. Erst Ende des dritten Jahrhunderts finden wir erste Zeugnisse für die Beziehung zwischen alt-und neutestamentlichen Berichten. Christus- und Heiligenbilder folgen erst im vierten Jahrhundert. Was war vorher? Engemann hilft sich mit Bibelsprüchen: Laut Johannes 4,24 sei die christliche Religion "Anbetung im Geist und in der Wahrheit" und schlösse deshalb christliche Kunst eigentlich aus. Aus dieser Bibelstelle kann man aber nichts dergleichen herleiten. Es geht vielmehr darum, daß alle Anbetung Gottes exklusiv in Gemeinschaft mit Jesus Christus geschehen solle. Gegen Kunst sagt die Stelle nichts.

Mein Vorschlag wäre, zu warten, bis die ersten Zeugnisse christlicher Kunst aus dem ersten und zweiten Jahrhundert ans Licht treten. Oder hängt der bisherige Mangel mit dem judenchristlichen Charakter der Anfänge zusammen? Mit der sozialen Schichtung? Mit der Anzahl der Christen? Mit der Konzentration auf die größere Eindeutigkeit von Schriftlichem?

Das Buch von Josef Engemann ist eine konzise, materialreiche, sehr genaue und entschiedene Darstellung der wichtigsten Zugänge zur altchristlichen Kunst. Es verzichtet auf jede Popularisierung, Zitate werden allerdings oft übersetzt. Wer nicht gerade Christlicher Archäologe ist, muß sich, weiß Gott wie, selbst darüber informieren, was ein Bemaquadrat ist oder Konsulardiptychen oder enkaustische Malerei. Da wir in einer Zeit leben, in der dank einer rasanten Abfolge von Abbrüchen allerorten die Zeichensprache der christlichen Kunst kaum noch verstanden wird, ist es nützlich, dieses Buch zu haben. Die Figurensprache der alten Christen ist ein so faszinierender, reicher und bereichernder Gegenstand, daß er jede Anstrengung einer differenzierten und strengen modernen Wissenschaft verdient. Das Niveau des Gegenstandes und die Intensität der Zuwendung entsprechen hier einander auf glückliche Weise. KLAUS BERGER

Josef Engemann: "Deutung und Bedeutung frühchristlicher Bildwerke". Primus Verlag, Darmstadt 1997. 185 S., 138 Abb., geb., 78,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr