Produktdetails
  • Verlag: Berlin Verlag
  • Seitenzahl: 127
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 240g
  • ISBN-13: 9783827002952
  • ISBN-10: 3827002958
  • Artikelnr.: 24414341
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.1998

Eroberung der Liebe und der Luft
Perikles Monioudis hebt ab zum "Deutschlandflug" · Von Lothar Müller

Zum "Flugpionier" gehören der Sturzhelm und die Riemen, die unter dem Kinn zusammengebunden sind, die Lederhandschuhe und die auf die Stirn gesetzte Fliegerbrille. Der griechischstämmige Schweizer Schriftsteller Perikles Monioudis, geboren 1966 und aufgewachsen in der abgelegenen Gebirgswelt des Kanton Glarus, setzt in seinem neuen Buch aus einer Fülle solcher Details und den Suggestionen technischer Terminologie vom "Horizontkreisel" bis zum "Variometer" eine Flugexpedition von Zürich nach Berlin zusammen. Sie ist in die Atmosphäre der zwanziger Jahre getaucht und findet doch zugleich in der eben erst vergangenen Gegenwart statt. Noch ist der Blick von oben auf eine Stadt etwas Unerhörtes, und man gibt Sonderbriefmarken für die Expedition aus. In Berlin aber stehen flutlichtbeschienene bunte Kräne um die Grundwasserseen am Potsdamer Platz.

Perikles Monioudis hat in seinem letzten Roman "Eis" (1997) einen jungen Mann erfunden, der Eisapparate nachzubauen versucht, wie sie auf der Weltausstellung des Jahres 1867 gezeigt wurden. Diesmal zitiert er in seinem Expeditionsleiter Heinz Seedorfer den Schweizer Flugpionier Walter Mittelholzer, der mit Büchern wie "Afrikaflug" und "Persienflug" die zeitgenössische Begeisterung für die Erschließung der Welt durch das Flugzeug schürte und 1937 bei einem Unfall in den Alpen ums Leben kam. Monioudis gibt ihm für seinen "Deutschlandflug" den Mechaniker Karl Grossmann, den mondänen Schriftsteller Albert Villars und den jungen Funker Karl Hornauer mit auf die Reise.

Seedorfer, der älteste der Crew, ist ein ganz in seinen Projekten aufgehender Mann der Tat und Propaganda, dem es reicht, daß er sein Flugzeug "Christine" nennt. Für seine Begleiter gilt das nicht, sie sind alle drei mindestens ebensosehr mit der Eroberung von Frauen beschäftigt wie mit der Eroberung der Luft. Der Mechaniker Grossmann kommt, hemmungslos verliebt, der Expedition schon in Stuttgart abhanden. Der elegante Schriftsteller, nach einem seiner Bordellbesuche zusammengeschlagen, bleibt in Frankfurt zurück. Nur der junge Funker schafft es mit Seedorfer bis Berlin. Er ist die eigentliche Hauptfigur.

Das Buch trägt den Untertitel "Ein Traum". Nur scheinbar ist damit auf den Traum vom Fliegen angespielt. Denn die Flugbilder - von Seedorfers Absturz über den Alpen im Vorspann bis zum Blick herab auf das nächtliche Berlin - sind nur eine sorgsam ausgepinselte Kulisse. Monioudis hat sie so zusammengesetzt, wie Träume aus den Tagesresten aufsteigen. Im heroischen Pathos nistet ein triviales Elend: die im Bewußtsein des jungen Funkers umherflatternden Reste einer Liebesgeschichte, die abrupt und ohne Erklärung in Berlin zu Ende ging. Der Flug ist das Phantasma einer grandiosen Rückkehr an den Ort der Niederlage. Die Kulissen der zwanziger Jahre lassen den jüngst erst liebeserkrankten Seedorfer-Leser Karl Hornauer an der Unwiderstehlichkeit teilhaben, die das Ich der Tagträume und die als Tenöre der Luft umschwärmten Flugpioniere gemeinsam haben. Bei Donatella, der Kellnerin am Zürichsee, wie bei Katja, der Reporterin in Frankfurt - auch sie Seedorfer-Leserin - ,wird er zum passiv-mühelosen Eroberer. Aber das Peilgerät der Erinnerung zeigt nach Berlin.

Alle Frauenfiguren in diesem Buch tragen Namen. Außer der wichtigsten, der verlorenen. Sie wohnt - deutlicher ließ sich der Kontrast zur Fliegerkulisse nicht akzentuieren - in einem Plattenbau in Hohenschönhausen. Dort blickt Hornauer, nach der Landung in Tempelhof von seiner Liebeskrankheit genesen, noch einmal zum erleuchteten Fenster hoch: "Das war's", sagte er, "fahren wir!" Die heimliche Sentimentalität dieser Geschichte eines Abschieds hat Monioudis durch seine betont sachliche, kühle Prosa elegant maskiert, aber nicht ganz zum Verschwinden gebracht.

Für die gelegentlichen Hohlgeräusche beim Aufeinanderprallen der Bauteile Flugexpedition und Liebesgeschichte entschädigen die erzählerischen Überschüsse, ebenso beiläufige wie dichte Miniaturen am Rande wie die einer nächtlichen Verfolgung durch einen Hund, der keine Allegorie der Begierde ist.

Perikles Monioudis: "Deutschlandflug. Ein Traum". Berlin Verlag, Berlin 1998. 128 S., geb., 29,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr