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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Christian Hartmann ist beeindruckt von diesem aus einer Dissertation hervorgegangenen Buch. Nicht nur der Lebenslauf des Autors sei ungewöhnlich im Vergleich zu den sonst eher geradlinigen Biografien deutscher Akademiker, auch die Dokumentation sei bemerkenswert, denn sie habe durch ihre Erkenntnisse die Schließung der Wehrmachtsausstellung erreicht. Der Rezensent preist das Buch, das sich mit dem Anteil der Zivilverwaltung an der Ermordung der Juden im polnischen Lublin beschäftigt, als "Glücksfall". Musial habe "sehr genau" die aktive Unterstützung der Zivilverwaltung, die sich neben überzeugten Nationalsozialisten auch und besonders aus" Vorbestraften, Drückebergern oder Abenteurern" zusammensetzte, herausgearbeitet. Der Rezensent lobt die Untersuchung als "ausgewogen" und weist darauf hin, wie wichtig deren Erkenntnisse seien, besonders angesichts der reibungslosen Karrieren, die viele Täter in der Bundesrepublik machen konnten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2000

Deutsche Gangsterverwaltung
Der organisierte Massenmord an Juden im Distrikt Lublin

Bogdan Musial: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939-1944. Quellen und Studien des Deutschen Historischen Instituts Warschau, Band 10. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1999. 435 Seiten, 58,- Mark.

Bogdan Musial ist kein ganz gewöhnlicher Doktorand. 1960 auf einem kleinen Bauernhof in Südpolen geboren, arbeitete er bis 1984 in den Steinkohlengruben in Kattowitz. Es war die Zeit von Solidarnosc, und Musial engagierte sich in dieser Gewerkschaftsbewegung. Das hatte Folgen. 1985 kam er in die Bundesrepublik, wurde als Asylant anerkannt, arbeitete als Mechaniker und erwarb in einem Abendkurs sein Abitur. Bis 1995 studierte er in Hannover und promovierte anschließend.

Lebensläufe dieser Art finden sich selten in der biographischen Eintönigkeit der deutschen Hochschulen. Noch ungewöhnlicher ist freilich, daß ausgerechnet ihm das glückte, was keinem gelungen war. Musials Dokumentation über die "Bilder einer Ausstellung", erschienen in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte, führte zur Schließung der Wehrmachtsausstellung.

Musials Dissertation beschäftigt sich mit der Zeit der deutschen Besatzung. Dabei konzentriert er sich auf die Zivilverwaltung des im Oktober 1939 errichteten Generalgouvernements. 1942 waren hier 14 500 Deutsche beschäftigt, für die Post arbeiteten weitere 3000 und bei der Bahn knapp 11 500 Reichs- und Volksdeutsche.

Der Begriff Zivilverwaltung klingt harmlos; dahinter verbarg sich ein Apparat, der nur ein Ziel kannte: die Reste Polens in ein koloniales Hinterland zu verwandeln und aus seinen Bewohnern Sklaven zu machen. Das Stichwort hatte Hitler im Oktober 1939 ausgegeben: "Die ,polnische Wirtschaft' muß zur Blüte kommen."

Die Folgen dieser Politik untersucht Musial am Beispiel des Distrikts Lublin, einem der vier (seit Juli 1941: fünf) Distrikte des Generalgouvernements. Dieses Gebiet, ungefähr vergleichbar mit einem Regierungsbezirk, wurde von deutschen Verwaltungsinstanzen überzogen. Auf der obersten Führungsebene, der des Gouverneurs, gab es traditionelle Verwaltungsressorts: Justiz, Finanzen, Wirtschaft, Arbeit, Ernährung und Landwirtschaft.

Trotzdem hatte dieser Apparat wenig zu tun mit der klassischen preußisch-deutschen Verwaltung. Der "Gangstergau" war der bevorzugte Tummelplatz für Vorbestrafte, Versager, Drückeberger oder Abenteurer. Doch auch hier kamen Spezialisten, Berufsanfänger und fanatische Nationalsozialisten zum Einsatz. Dieses bunt gemischte Personal, das häufig wechselte, besetzte die obersten Führungsinstanzen des Generalgouvernements. Polen wurden dagegen nur auf der untersten Verwaltungsebene eingesetzt. Sie hatten die Aufgabe, die Forderungen des deutschen Repressionsapparats an die einheimische Bevölkerung weiterzugeben.

Solche Strukturen waren ein Garant dafür, daß von den kriminellen Energien des NS-Regimes kaum etwas in den Instanzen des deutschen Besatzungsapparats versickerte - im Gegenteil: In einem Klima, das hochgradig geprägt war von Rassismus und Selbstherrlichkeit, Bestechlichkeit und Dilettantismus, sorgten die kleinen Provinzfürsten dafür, daß nicht allein die deutschen Interessen befriedigt wurden.

Am härtesten war hiervon der jüdische Teil der polnischen Bevölkerung betroffen. Im agrarisch geprägten Lubliner Distrikt lebten 1941 320 000 Juden, meist kleine Händler und Handwerker, die sich vor allem auf die Städte konzentrierten. Bereits im Herbst 1939 waren sie die bevorzugten Opfer der Einsatzgruppen und des Volksdeutschen Selbstschutzes, nicht aber - wie Musial betont - der Wehrmacht. Danach gelang es den Instanzen der Zivilverwaltung, alle Kompetenzen in der antijüdischen Politik erst einmal an sich zu ziehen. Für die polnischen Juden hieß das, daß sie entrechtet, isoliert und aus der Wirtschaft ausgeschaltet wurden. Jede nur denkbare deutsche Dienststelle konnte sie zur Zwangsarbeit anfordern.

Es verdient Beachtung, wie die Täter damit Rahmenbedingungen schufen, die ihr Feindbild zu bestätigen schienen: Die Juden wurden enteignet und beraubt und belasteten deshalb zunehmend das wirtschaftliche und soziale System. Die Juden mußten unter katastrophalen hygienischen Bedingungen vegetieren, so daß sich ihre Gettos zunehmend zu Seuchenherden entwickelten. Den Juden wurde jede Nahrung verweigert; deshalb blieb ihnen nur noch der Schwarzmarkt. So entstand ein Teufelskreis.

Vor diesem Hintergrund erkennt Musial im Generalgouverneur Hans Frank eine der treibenden Kräfte bei der Entscheidung zum organisierten Massenmord. Dessen Verantwortung ist nicht zu bestreiten. Doch ist die schon lang währende Diskussion um die wirklich ausschlaggebende Initiative für den Holocaust damit wohl noch nicht beendet. Es war immerhin ein "besonderer Auftrag des Führers", auf den sich Frank bei der entscheidenden Besprechung in Lublin im Oktober 1941 berief. Die im März 1942 einsetzende Deportation in die Vernichtungslager hatte zur Folge, daß der SS- und Polizeiapparat den schon lange schwelenden Machtkampf mit der deutschen Zivilverwaltung zu seinen Gunsten entschied. Nun waren es Himmlers Stellvertreter, die den Ton im besetzten Polen angaben. Eine der übelsten Figuren war hier zweifellos Odilo Globocnik, der den Distrikt Lublin zu einem der Zentren für den Genozid an den polnischen Juden machte. Mit Belzec und Sobibór lagen zwei der sechs Vernichtungslager in diesem Distrikt. Von Lublin aus wurde die "Aktion Reinhardt" geleitet, der bis Herbst 1943 etwa 1,75 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Sehr genau hat Musial herausgearbeitet, daß diese großangelegten "Aussiedlungsaktionen", so der offizielle deutsche Terminus, ohne die Unterstützung der deutschen Zivilverwaltung nicht möglich gewesen wären. Es waren die Kreishauptleute, die entschieden, welche Juden als "kriegswichtig" und welche als "unnütze Esser" zu gelten hatten. Sie organisierten Jagden auf entflohene Opfer, versuchten den Massenmord propagandistisch zu begründen und hatten keine Skrupel, sich am Besitz der Ermordeten zu bereichern. Zweifel oder Distanz zeigten nur wenige, noch seltener waren die Fälle, wo man den Juden zu helfen suchte; die Arbeitsverwaltung scheint eine gewisse Ausnahme gewesen zu sein.

Nur noch 4553 Juden lebten im Januar 1946 in der Wojewodschaft Lublin. Um so empörender ist es, wie wenige aus dem Apparat der deutschen Zivilverwaltung für ihre Beteiligung am Holocaust zur Rechenschaft gezogen wurden. Selbst in den höheren Führungsetagen blieben Todesstrafen die Ausnahme. Von den schätzungsweise 120 amtierenden Stadt- und Kreishauptleuten wurden nur sieben nach Polen ausgeliefert, kein einziger aber dort hingerichtet. Um so größer war aber die Zahl derer, die nach 1945 erstaunliche Karrieren in der Bundesrepublik machen konnten. Sogar ein loser "Freundeskreis der ehemaligen GG-Beamten" konnte sich in den fünfziger Jahren formieren.

Schon allein das dürfte verdeutlichen, wie wichtig die stets ausgewogene Untersuchung Musials ist. Daß sie von einem Autor geschrieben wurde, der sowohl in der polnischen wie auch der deutschen Kultur zu Hause ist, ist ein Glücksfall. Auch in seiner Doktorarbeit hat Musial bestätigt, daß es sich bei ihm um keinen ganz gewöhnlichen Doktoranden handelt.

CHRISTIAN HARTMANN

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