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1988 erregte Landolf Scherzer Aufsehen mit seiner Reportage, "Der Erste". Vier Wochen lang hatte er die Möglichkeit, den ersten SED-Kreissekretär von Bad Salzungen bei seiner Arbeit zu beobachten und danach lieferte er eine sensationelle Innenansicht aus dem DDR-Parteiapparat. Fünf Jahre später heftet er sich erneut an die Fersen eines Kommunalpolitikers im Osten, schildert die Probleme, mit der sich der Landrat, ein ehemaliger hoher Bundeswehroffizier konfrontiert sieht: Schließung oder Verkauf von Betrieben, Auseinandersetzungen um die Landkreisreform, Grundstücksspekulationen, Parteienklüngelei und scheindemokratische Manöver. …mehr

Produktbeschreibung
1988 erregte Landolf Scherzer Aufsehen mit seiner Reportage, "Der Erste". Vier Wochen lang hatte er die Möglichkeit, den ersten SED-Kreissekretär von Bad Salzungen bei seiner Arbeit zu beobachten und danach lieferte er eine sensationelle Innenansicht aus dem DDR-Parteiapparat. Fünf Jahre später heftet er sich erneut an die Fersen eines Kommunalpolitikers im Osten, schildert die Probleme, mit der sich der Landrat, ein ehemaliger hoher Bundeswehroffizier konfrontiert sieht: Schließung oder Verkauf von Betrieben, Auseinandersetzungen um die Landkreisreform, Grundstücksspekulationen, Parteienklüngelei und scheindemokratische Manöver.
Autorenporträt
Landolf Scherzer, 1941 in Dresden geboren, lebt als freier Schriftsteller in Thüringen. Er wurde durch Reportagen wie "Der Erste", "Der Zweite" und "Der Letzte" bekannt.Im Aufbau Taschenbuch sind ebenfalls seine Bücher "Der Grenzgänger", "Immer geradeaus. Zu Fuß durch Europas Osten", "Urlaub für rote Engel. Reportagen", "Fänger & Gefangene. 2386 Stunden vor Labrador und anderswo", "Madame Zhou und der Fahrradfriseur. Auf den Spuren des chinesischen Wunders", "Stürzt die Götter vom Olymp. Das andere Griechenland", "Der Rote. Macht und Ohnmacht des Regierens" und "Buenos días, Kuba. Reise durch ein Land im Umbruch" lieferbar. Zuletzt erschien bei Aufbau "Weltraum der Provinzen. Ein Reporterleben" (zusammen mit Hans-Dieter Schütt).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.1997

Neureich und neuarm dicht beieinander
Landolf Scherzers Reportage aus dem Südwestzipfel Thüringens

Landolf Scherzer: Der Zweite. Aufbau-Verlag, Berlin 1997. 270 Seiten, 29,90 Mark.

Bei meinen Wanderungen durch märkische und andere ostdeutsche Dichterstuben in den letzten Jahren traf ich zu oft auf Verzagtheit und fehlenden Schwung. Das alte Weltbild war untergegangen, Manuskripte mußten als verstaubt angesehen werden, Neues wurde nicht geschrieben - keine Stoffe, keine Lektoren, unwillige oder keine Verlage.

Dort und überall sollte eine Reportage Aufsehen erregen: "Der Zweite" von Landolf Scherzer aus Bad Salzungen im Südwestzipfel Thüringens. Als der DDR-Staat in die Knie ging, fiel Scherzer mit einem Bericht über den Ersten Kreissekretär der SED auf, dem er, selber Genosse "der Partei", vier Wochen lang auf den Fersen geblieben war: "Der Erste". Beim Zerbröseln der Diktatur war manches an Offenheit möglich, das vorher der Rotstift getilgt hätte. Dennoch waren die Widrigkeiten groß gewesen. Scherzers Bericht damals bedeutete für manche ein Hoffnungszeichen, für mich einen Abgesang.

Aus meinen DDR-Zeiten, die 1981 endeten, kannte ich Scherzer ein bißchen von weitem. Ich traf ihn 1995 wieder, da mußte der thüringische Vorsitzende des Schriftstellerverbandes zurücktreten, er war Stasi-Spitzel gewesen, hatte das bis zuletzt abgestritten und seine Freunde, die ihm beispringen wollten, brüskiert. Alles in Scherben. Da war Scherzer zum Vorsitz bereit. Seitdem leitet er den Landesverband mit Umsicht, Nachsicht und Heiterkeit. Gemeinsam wandern die Dichter bisweilen durchs Land und stimmen in Buchhandlungen und Gemeindesälen links und rechts des Rennsteigs ihre Lieder an.

Von diesem wetterfesten Holz ist der Graukopf, der vom November 1992 an den CDU-Landrat - Westimport und ehemaliger Offizier der Bundeswehr - einige Zeit begleitete. "Endlich hat sich jemand gebückt und den Stoff aufgegriffen, über den man nicht nur in den neuen Bundesländern täglich stolpert", heißt es zu Recht in einer Verlagsankündigung. Scherzer hat seine Steine keineswegs wahllos aufgeklaubt, er ordnet bewußt und kaum merklich. Ehe er dem Landrat begegnet, laufen ihm drei Obdachlose über den Weg, die immer wieder aufkreuzen und mit denen es kein gutes Ende nimmt. Dem Landrat nähert er sich in spähenden Bögen, denn so einer ist ihm fremder als fremd, der stammt von einem anderen Stern. So greift der Autor zum Stilmittel, ihm Monologe zuzubilligen: Das ist der einzige Punkt, an dem ich die Gestaltungsmethode in Frage stellen möchte. Gesinnung kommt so bisweilen zu direkt daher. Verblüffend schnörkellos aber auch. Über die NVA-Offiziere sinniert der ehemalige Nato-Soldat, sie hätten erzählt: "Die Kapitalisten kommen morgen, überfallen die DDR und nehmen uns die Errungenschaften des Sozialismus weg. Na welche denn?" Schroffer können östliches und westliches Denken nicht aufeinanderprallen als in den letzten drei Wochen.

Unter den 1001 Geschichten ist die vom Schicksal der Kali-Grube von Merkers die wichtigste. Dieses thüringische Bergwerk dicht an der Grenze wird von der BASF gekauft, nach einigen verschleiernden Schüben geschlossen, die Arbeiter werden entlassen, ihre Proteste verhallen. Im nahen Hessen aber drehen sich alle Räder weiter, und schließlich wird das gute Kali Thüringens von Hessen aus abgebaut. Vielleicht erwirbt ein kanadischer Konzern nun das Ganze, verhökert es weiter oder macht alles dicht? Das internationale Kapital mahlt über ein paar tausend Thüringer hinweg. Herr Landrat, wäre hier Antwort möglich, als Sie nach DDR-Errungenschaften fragten? "Na welche denn?" Diese da.

Scherzer kennt sich aus in den alten Verhältnissen. Ehemalige DDR-treue Funktionäre der Ost-CDU findet er auf frischen Posten, sie waren damals Sieger der Geschichte und sind es heute wieder. Ein Stasi-Offizier ist mit einer erfolgreichen Ärztin verheiratet und verdient bei einer Westfirma nicht schlecht. Ihre Villa kann sich sehen lassen. Fern von jeder Reue erklärt der Altgenosse Geheimdienstarbeit zur normalsten Sache der Welt. Schneidig wirkt er noch immer. Nur seinen Namen verlangt er zu verschweigen; Offenlegung könnte ihm bei seinen westlichen Partnern schaden. Scherzer gesteht es ihm zu.

Er wertet und urteilt nicht, sondern zeigt, Neureich und Neuarm wohnen dicht beieinander. Mit den protestierenden Kali-Kumpeln fährt er nach Bonn. Ein Pfarrer ist nicht mitgekommen - die Arbeiter hätten ihn 1989 bei seinem Aufbegehren auch nicht unterstützt. Der Landrat ist dabei. Polizei. Gitter, kleiner Tumult. Überprüfung wird versprochen - damit ist alles Pulver verschossen, es geht weiter bergab. Vor der Rückfahrt wird noch einmal unter Polizeischutz kräftig auf eine Wiese geschifft.

Detailverliebt und -treu ist Scherzer, nie verliert er sich in Belanglosigkeit. Ein ehemaliger FDJ-Kulturfunktionär handelt jetzt mit Sexereien. Ein Großmaul, angeblich aus den Vereinigten Staaten, mit jüdischer Frau und Weltverbindungen, verspricht Wahnsinnsinvestitionen und verschwindet leise; seine riesigen Mineralwasserfabriken werden umgebaut. Unter den Wiesen liegt Kies - welches Bodenrecht gilt? Wird aus der Kaligrube ein gewaltiger Müll-Entsorgungspark? Vielleicht irgendwann oder nie.

Dann besucht er Fritschler, den Ersten von damals. Der ist heute PDS-Mann und organisiert den Wahlkampf in Thüringen. Lange nach der Wende war er arbeitslos, seine Frau ist es noch. "Eigentlich gibt es keine Wendehälse", sagt er. "Denn niemand hat seinen Charakter nach 89 verändert. Was zuvor Speichellecker waren, sind Speichellecker geblieben, und die zuvor nicht an die Gemeinschaft dachten, sondern nur in die eigene Tasche wirtschafteten, die tun das - allerdings sehr viel gewinnbringender - heute wieder." Es fällt ihm nicht leicht, für alle angreifbar am Info-Stand der PDS zu sitzen. Er gesteht seine Schuld ein und weiß, daß das niemandem hilft, der in auswegloser Lage ist.

Gemeinden und Kreise werden zusammengelegt, CDU führt Wahlkampf gegen CDU. Der Landrat mittendrin. Und Scherzer hebt seine Steine auf, wendet sie und fügt sie in sein Mosaik. Bad Salzungen ist überall. Diese Reportage hätte auch in Ribnitz-Dammgarten, Hoyerswerda, Mittweida oder Wernigerode geschrieben werden können. Meine Kollegen dort aber sahen die Steine nicht, über die sie täglich stolpern. ERICH LOEST

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