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Produktdetails
  • Verlag: Agon
  • Seitenzahl: 384
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 920g
  • ISBN-13: 9783897841765
  • Artikelnr.: 24081455
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2001

Im Land der begrenzten Möglichkeiten

Als René Tretschok noch auf dem Wäscheplatz der Plattenbausiedlung bolzte, hatte er einen Traum. Und zwar den gleichen Traum, dem auch Tausende von anderen Straßenkickern zwischen Stralsund und Karl-Marx-Stadt nachhingen: einmal in der Fußball-Bundesliga spielen. Wenn die Jungs früher gegen den Ball traten, eiferten sie nicht den ihnen wohlbekannten DDR-Oberligaspielern von HFC Chemie oder Dynamo Dresden nach, sondern den international gerühmten und gefeierten Profis jenseits der Grenze: Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Rudi Völler. Als später die Mauer fiel, bekamen plötzlich die mittlerweile vielen gut ausgebildeten Spieler aus Ostdeutschland die Möglichkeit, ihren Bundesligatraum zu leben. "Wir mußten eigentlich nur noch gut Fußball spielen und das abrufen, was wir uns in unserer Jugend selbst beibrachten und in unzähligen Trainingseinheiten erlernten", schreibt Tretschok im Vorwort zu Michael Peters umfassender Darstellung jener Fußballstars, die nach der Wiedervereinigung in der Bundesliga Fuß gefaßt haben.

"Der Weg in den Westen" - so könnte auch ein Hollywoodstreifen über die Besiedlung Amerikas heißen. So gefährlich und verheißungsvoll einst der Treck durch den Wilden Westen war, so unbekannt war für die ehemaligen DDR-Staatsamateure der Aufbruch ins Land der vermeintlich unbegrenzten Fußball-Möglichkeiten. Tretschok, der 1992 vom Halleschen FC zu Borussia Dortmund wechselte und nun bei Hertha BSC Berlin aktiv ist, gehört zu jenen 118 Spielern ostdeutscher Prägung, die bis Redaktionsschluß des Buches im Januar 2001 in westlich gelegenen Bundesligaklubs Fuß gefaßt haben und die der Autor mehr oder weniger ausführlich porträtiert. Eine Grenze hat er willkürlich, aber nachvollziehbar gezogen: Wer mehr als 60 Bundesligaspiele absolviert hat, wird in Wort, Bild und Statistik gewürdigt; wer seltener in der höchsten Spielklasse aktiv war, taucht im statistischen Teil auf.

So verschieden ihre Karrieren verliefen, so ähnlich sind ihre Ausgangspunkte: die Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) der DDR. Bei aller Wertschätzung, die der ostdeutschen Ausbildung nicht zuletzt dank ihrer erfolgreichen Folgen für die aktuelle Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes entgegengebracht wird - fünf Spieler aus der Mannschaft, die jüngst die Ukraine in der WM-Relegation 4:1 besiegte, haben im Osten das Kicken gelernt -, bleiben die Gescheiterten unerwähnt. Jene Jugendlichen, die sich an sechs Tagen in der Woche für den Sport aufopferten und dennoch nicht in Auswahlteams berücksichtigt wurden.

Mitunter lesen sich die Porträts - wie im Falle von Matthias Sammer, dem Weltstar aus dem Osten - wie Nacherzählungen des Karriereweges, die auf Sportberichten fußen. Wenn der Autor aber einen Spieler interviewt hat, entsteht eine persönliche Note. So berichtet Heiko Bonan freimütig, daß er das Angebot des Karlsruher SC über einen Einjahresvertrag deshalb nicht angenommen habe, damit seine Tochter "nicht vielleicht schon nach kurzer Zeit die Schule hätte wechseln müssen". Manchmal wird die Wirklichkeit wichtiger als der Traum.

THOMAS KLEMM

Besprochenes Buch: Michael Peter: Der Weg in den Westen. Ein Beitrag zum deutsch-deutschen (Fußball-)Verständnis; Agon-Verlag, Kassel, 384 Seiten, 36,97 Mark.

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