Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 1,99 €
  • Broschiertes Buch

Cees Nootebooms erste große Reise führte den damals Vierundzwanzigjährigen auf der »Gran Río« von Amsterdam über Lissabon in die Tropen, nach Trinidad, Britisch-Guyana und Surinam. Das Gefühl der Fremdheit, die unbekannten Laute und Gerüche, der Reichtum der Natur, die Armut der Menschen - all diese Eindrücke hat Nooteboom einfließen lassen in seine frühen Erzählungen von Sonderlingen, von schweren Verfehlungen und seltsamen Begegnungen.

Produktbeschreibung
Cees Nootebooms erste große Reise führte den damals Vierundzwanzigjährigen auf der »Gran Río« von Amsterdam über Lissabon in die Tropen, nach Trinidad, Britisch-Guyana und Surinam. Das Gefühl der Fremdheit, die unbekannten Laute und Gerüche, der Reichtum der Natur, die Armut der Menschen - all diese Eindrücke hat Nooteboom einfließen lassen in seine frühen Erzählungen von Sonderlingen, von schweren Verfehlungen und seltsamen Begegnungen.
Autorenporträt
Cees Nooteboom wurde am 31. Juli 1933 in Den Haag geboren. 1955 erschien sein erster Roman Philip en de anderen, der drei Jahre später auch in Deutschland unter dem Titel Das Paradies ist nebenan veröffentlicht wurde (und 2003 in der Neuübersetzung von Helga van Beuningen unter dem Titel Philip und die anderen erneut eine große Lesergemeinde fand). Nooteboom berichtete 1956 als junger Autor über den Ungarn-Aufstand, 1963 über den SED-Parteitag, und fünf Jahre später über die Studentenunruhen in Paris (gesammelt in dem Band Paris, Mai 1968). Seine inzwischen in mehreren Bänden gesammelten Reiseberichte, die weniger Reportagen als vielmehr von genauer Beobachtung getragene, reflektierende Betrachtungen sind, festigten Nootebooms Ruf als Reiseschriftsteller. 1980 fand Nooteboom zurück zur fiktionalen Prosa und erzielte mit dem inzwischen auch verfilmten Roman Rituale (Rituelen) große Erfolge. Sein umfangreiches Werk, das in viele Sprachen übersetzt ist, umfasst Erzählungen, Berichte, Gedichte und vor allem große Romane wie Allerseelen (Allerzielen). Die zehn Bände seiner Gesammelten Werke enthalten neben den bereits publizierten Büchern zahlreiche erstmals auf deutsch vorliegende Texte. Der Quarto-Band Romane und Erzählungen versammelt die gesamte fiktionale Prosa des Autors.
Cees Nooteboom lebt in Amsterdam und auf Menorca.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2006

Kerben des Kummers
Tropisches Frühwerk: Cees Nootebooms faszinierende Erzählungen

Der Kolonialismus, eine politische Sünde, hat die Literatur zweifellos bereichert. Und sei es nur um den Exotismus des Tropenkollers. In der "lähmenden Hitze" löst sich das kompakte abendländische Individuum auf in Sturzbächen von Schweiß, und mit ihm vergehen die Begriffe von Raum und Zeit. "Es kommt mir vor, als wären wir schon einen Monat hier, dabei sind es nur zwei Tage", berichtet der junge Surinam-Reisende in Cees Nootebooms Erzählung "Der verliebte Gefangene". Die Verstörung in den wuchernden Wäldern mag den an leere Landschaften und weite Himmel gewöhnten Niederländer verstärkt befallen haben. Wo man hinspuckt, keimt es. Geier hocken auf eingefallenen Dächern und starren hinüber zum "aufgeblähten Kadaver eines Hundes, der verlassen in einer kleinen Schlammpfütze" liegt. Namenlose Angst packt den Reisenden, seine Nächte unter Moskitonetzen sind schlaflos oder beherbergen Albträume "voller Sonnen und Schlangen".

Es ließe sich einwenden, dergleichen gehöre zum geläufigen Repertoire der Kolonialliteratur. Sei wieder einmal gegrüßt, du Herz der Finsternis. Aber Nootebooms Sätze haben einen unverbrauchten lyrischen Zauber: "Das Wasser tuschelte und intrigierte gegen die Holzpalisaden, der Wind raschelte in den harten, scharfen Blättern der Palmen, und alle anderen Rätselgeräusche, Grillen, Kröten, Vögel, jaulende Hunde, kerbten ihren Kummer in die unbegreifliche Nacht."

Viel Zeit nimmt sich diese Erzählung mit unheilsschwangerer Atmosphäre, um sich dann den Kerben des Kummers zu widmen. Beim Besuch einer ehemaligen Strafkolonie erzählt ein alter Mann eine wortkarge Liebesgeschichte von einem Mischlingsmädchen und einem Sträfling mit einer Eisenkugel am Bein. Da gab es einen Wärter, der zu höhnen und zu spotten liebte und das eines Tages mit dem Leben bezahlen mußte: Unsanft landete die Kugel des Sträflings an seinem Schädel. Abgerundet wird das Ganze mit einer perfekten Pointe wie aus dem Kurzgeschichtenlehrbuch.

Im Jahr 1957 reiste der vierundzwanzigjährige Cees Nooteboom, der gerade mit dem Roman "Philip und die anderen" seinen Durchbruch als Schriftsteller erlebt hatte, als Leichtmatrose nach Trinidad, Britisch-Guyana und Surinam. Aus diesen Erfahrungen entstanden die "tropischen Erzählungen". Sie bieten eine gute Portion Desillusionierung herkömmlicher Seefahrerromantik. Oft spielen sie unter Matrosen, in jenen knappen, gefährlichen Stunden des Landgangs, wenn sich die Männer nach eintönigen Wochen auf See geballte Lebensfreude erhoffen und deshalb für Frustrationen besonders empfänglich sind.

"Die Reise hatte zu lang gedauert", heißt es zu Beginn der Erzählung "Der Zwerg von Huelva", als der Frachter im Hafen einläuft. Sie sollen sich gefälligst am Riemen reißen, ruft der Kapitän zwei Matrosen hinterher, die sich auf Tour begeben. Aber als den beiden die trostlosen Hafenkneipen Huelvas außer schlechtem Kognak und Dosenoliven wenig zu bieten haben, kommt ihnen ein Opfer gerade recht - ein Zwerg, mit dem sie ihr sadistisches Spiel treiben. Auf einen Akt brutaler Gewalt läuft auch "Der Matrose ohne Lippen" hinaus. Die Geschichte erzählt von der Rache einer Prostituierten. Sie verliebt sich in einen unerfahrenen Kunden und möchte seine späteren Ausschweifungen mit anderen Frauen nicht dulden. Bei seiner Rückkehr begrüßt sie ihn mit heftigen Liebkosungen - allerdings hat sie eine Rasierklinge zwischen den Zähnen.

Lange wollte Cees Nooteboom keiner Neuauflage der Erzählungen zustimmen. Zu fremd war ihm der Autor geworden, der sie verfaßt hatte. Tatsächlich erstaunt es, in welchem Maß Nooteboom, der inzwischen längst den Habitus eines grandseigneuralen Globetrotters angenommen hat und die Weisheit des Weitgereisten einer eleganten, affektberuhigten Prosa anvertraut, in seinen frühen Jahren das Negative pflegte. Fast alle Geschichten erzählen von Heimtücke und Rache. So auch "Strafe für Boelie Sneeuw". Da trifft jemand zufällig einen alten Schulkameraden wieder. Gleich in der ersten Sekunde, als er ihn zu Gesicht bekommt, beleidigt er sein Gegenüber, als hätte dieser mit einer Elektrode eine schlummernde Hirnregion gereizt. Natürlich hat dieser Boelie Sneeuw inzwischen ein "Wahnsinnsmanagerlächeln im Gesicht" und neben sich eine Frau wie eine Trophäe. Zunächst erzählt er dem Mitschüler, der seinen Haß offenbar gut zu überspielen versteht, von geschäftlichen Erfolgen. Mit steigendem Alkoholpegel taut Boelie sentimentale Schulerinnerungen auf ("die verweste Welt der Spitznamen"). Und dann bekommt er es heimgezahlt. Man bewundert, wie Nooteboom am Anfang dieser Geschichte einen Faden auslegt, mit dem er am Ende den Knoten einer kleinen Rache schürzt. Auch dies ist schulmäßig, ohne epigonal zu sein.

Jene Geschichten, die nicht in den Tropen spielen, unternehmen Forschungsreisen in die Krokodilsümpfe der Kindheit. "Hula" beschreibt einen Jungen, der seinem Cousin beim Ertrinken in einem Teich zusieht, als wollte er die Verhaltenslehre der Kälte einüben. Auch "Kinderspiele", das längste Stück, bietet keine mild besonnten Erinnerungsgefilde. Ein Junge begleitet seine Mutter an einem heißen Sommertag zu einer Freundin; während die Damen reden, soll er mit dem Sohn des Hauses spielen: "Dort ist ein neuer Freund für dich, aber du mußt nett zu ihm sein, er ist krank." Nach scheinbar harmlosem Anfang entwickelt sich die Geschichte zusehends ins Rätselhafte, Absonderliche, Unheimliche. In dem kränklichen Knaben ersteht ein Diktator, ein König. Von Anhängern Nootebooms wird diese Novelle als zuwenig gewürdigtes Meisterwerk gehandelt; sie bietet eine fratzenhafte Kindheitswelt mit merkwürdigen Ritualen der Erniedrigung, die sich wie Verfremdungen erwachsener Verkehrsformen ausnehmen.

"Ich reise und reise, und was habe ich davon?" - mit dieser Frage setzt das Buch ein. Zumindest was den Autor betrifft, hat sie in den folgenden Jahren eine klare Antwort gefunden: Bevor er sich 1980 mit dem Roman "Rituale" als Erzähler zurückmeldete, verdiente Nooteboom zwei Jahrzehnte sein Geld als Reiseschriftsteller. Nicht erfundene Handlungen, sondern gefundene Landschaften wurden zu seiner Spezialität. Oft aber lesen sich seine Landschaftsbeschreibungen in ihrer geographisch-meteorologischen Dramatik wie Spannungsnovellistik. So heißt es in "Phantasma", der letzten Erzählung des Bandes, einer Zugabe aus dem Jahr 1972, die eine traumhafte Wanderung auf Gran Canaria schildert: "Dann wende ich dem Meer wieder den Rücken zu, gerade als in der Ferne ein schwelgender, blutiger Sonnenuntergang stattfindet, so schrecklich, daß es scheint, als würde die Sonne in den frostigen Hallen des Westens geschlachtet." Wer solche Sonnenuntergänge erlebt, was braucht der noch frustrierte Matrosen, perfide Kinder, zu allem entschlossene Sträflinge und rasierklingenbewehrte Huren?

WOLFGANG SCHNEIDER

Cees Nooteboom: "Der verliebte Gefangene". Tropische Erzählungen. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 112 S., geb., 16,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der späte Cees Nooteboom, weiß Dorothea Dieckmann, kann mit dem frühen Nooteboom nichts anfangen. Er muss sich wohl selbst als junger Wilder erscheinen, mutmaßt die Rezensentin, der "Schweiß, Schmutz, Schmerz" einer Welt empfunden hat, die ihm sinnlich nahe gerückt war und sich nicht durch "philosophische Sentenzen besänftigen" ließ. Nootebooms "Tropische Erzählungen" sind bereits 1958 erschienen, damals reiste der umtriebige Holländer nach Surinam, Guyana und Trinidad; ergänzt wird die tropische Sammlung um zwei weitere Erzählungen: "Phantasma" aus dem Jahr 1972 und "Kinderspiele" von 1968. Vor allem den frühen Erzählungen fehlt die Gelehrsamkeit des späten Nooteboom, was Dieckmann zu gefallen scheint. Sie machten das Grauen erfahrbar, das einen in der Fremde, in den Tropen, in dieser Schweiß treibenden Gleichgültigkeit alles Physischen packen könnte.

© Perlentaucher Medien GmbH