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Die Legende erzählt von einem afrikanischen Königreich, wo der König getötet wurde, wenn die Sterne am Himmel bestimmte Positionen erreicht hatten. Dort traf eines Tages ein Fremder ein, der berauschende Geschichten erzählte. Die Priester, die ihm lauschten, vergaßen, auf den Himmel zu achten. Mit der Ankunft von Far-li-mas nahm der Untergang der alten Ordnung von Kasch, die auf dem Opfer beruhte, ihren Anfang. Aber auch die neue Ordnung, aus der die rituelle Tötung des Königs verbannt worden war, ging bald unter. Es blieben nur Geschichten. Mit seinem wichtigsten und bekanntesten Buch legt…mehr

Produktbeschreibung
Die Legende erzählt von einem afrikanischen Königreich, wo der König getötet wurde, wenn die Sterne am Himmel bestimmte Positionen erreicht hatten. Dort traf eines Tages ein Fremder ein, der berauschende Geschichten erzählte. Die Priester, die ihm lauschten, vergaßen, auf den Himmel zu achten. Mit der Ankunft von Far-li-mas nahm der Untergang der alten Ordnung von Kasch, die auf dem Opfer beruhte, ihren Anfang. Aber auch die neue Ordnung, aus der die rituelle Tötung des Königs verbannt worden war, ging bald unter. Es blieben nur Geschichten.
Mit seinem wichtigsten und bekanntesten Buch legt Roberto Calasso eine Kritik der Moderne vor, die sich nicht in Form der Kritik, dieser Gestalt der Moderne, sondern in Geschichten äußert: Das Zeitalter der Revolutionen erzählt, wie es Schiffbruch erlitt.
Autorenporträt
Roberto Calasso, 1941 geboren, studierte englische Literatur in Rom und arbeitet seitdem als Schriftsteller, Verleger und Publizist. Mit "Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia" gelang ihm ein internationaler Erfolg. Das Buch wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997

Schwarze Messe in der Universalbibliothek
Abschied vom Zeitalter der Revolutionen: Roberto Calassos "Der Untergang von Kasch" / Von Lothar Müller

Als "Der Untergang von Kasch" in der italienischen Originalausgabe im Frühjahr 1983 erschien, war der Fall der Mauer noch nicht abzusehen. Die Zweihundertjahrfeiern zur Französischen Revolution von 1789 kündigten sich erst von ferne an. An der Spitze der italienischen Kommunisten stand Enrico Berlinguer. In Moskau war Jurij Andropow Generalsekretär der kommunistischen Partei. Im Fernsehen und in den Zeitungen waren Bilder aus den Dschungeln zwischen Thailand und Kambodscha mit den von Pol Pot und seinen "Roten Khmer" angelegten Massengräbern zu sehen. Das Buch beginnt im Salon des Fürsten Talleyrand. Aber schon nach wenigen Seiten tauchen die kambodschanischen Gräber auf: "Die Schichtenfolge dieser Toten faßt unsere Kanonischen Phasen zusammen: in der untersten Schicht weisen die Leichen Säume bunter Gewänder auf, es sind Anhänger von Lon Nol (l'Ancien Régime); weiter oben kommen dann die buddhistischen Bonzen (die widerspenstigen Priester); anschließend ein paar Polizisten ohne besondere Kennzeichen (die Wohlfahrtspolizei stellt jedem nach); schließlich die dunklen Lumpen der Roten Khmer (die wahren Jakobiner, die wahren Bolschewiken, Verschwörer und Renegaten). Die Totengräber häuften Berge von Schädeln in den gleichen Formen auf, in denen die kambodschanischen Bauern seit Urzeiten ihre Jahresernte an Ananas stapeln. Vor den Massengräbern wird die Geschichte wieder zur Naturgeschichte."

Roberto Calasso, geboren im Jahre 1941, ist Verleger und Schriftsteller. Er hat bei Mario Praz in Rom studiert, in Englischer Literatur promoviert und ist Leiter des Adelphi Verlages in Mailand. Die Gründung des Verlages in den frühen sechziger Jahren war ein Akt der kulturellen Sezession, sein erstes Großprojekt die kritische Gesamtausgabe Nietzsches, die sich im Verlag Einaudi nicht hatte durchsetzen lassen. Das Adelphi-Programm - von Artaud über die phantastische Literatur bis zur tibetanischen Mystik - entstand gegen die Allianz zwischen der neorealistischen Literaturtradition und der politischen Linken.

In den siebenundvierzig Kapiteln, die der Italiener Calasso in diesem Buch der Ursprungskonstellation der modernen europäischen Welt widmet, spielt Italien keine nennenswerte Rolle. Im Zentrum steht die französische Geschichte und Kultur zwischen 1780 und 1830. Die Schlüsselfigur der Darstellung ist jedoch kein Revolutionär, sondern Charles Maurice de Talleyrand: ein Mann des Ancien Régime, der die Revolutionen überlebte und die Geschichte Europas bestimmte, indem er sich ihr nicht widersetzte. Außer der Jakobinerherrschaft stand er allen Regierungen seit 1789 zu Diensten bis hinein in die Ära des Bürgerkönigs Louis Philippe, als der Citoyen längst zum Bourgeois geworden war. Der Nachwelt als Virtuose des Opportunismus und Verrats in Erinnerung, wird Talleyrand für Calasso zum taoistischen Weisen moderner, mit Fiktionen von "Legitimität" hantierender Politik. Statt Projekte einer künftigen Welt zu entwerfen, sucht er hartnäckig zu vermeiden, daß die gegenwärtige die schlimmstmögliche Entwicklung nimmt.

Calasso fügt das Porträt Talleyrands aus einem Kaleidoskop von Details zusammen, ohne an die literarische Biographie auf der einen, die historische Epochendarstellung auf der anderen Seite Zugeständnisse zu machen. An die Stelle des chronologischen Nacheinander setzt er das Nebeneinander der Analogien, Parallelen, der aus oft entlegenen Quellen herbeizitierten Szenen. So entsteht das Stimmengewirr eines Salons, in dem nicht alle, die reden, Zeitgenossen sind, das Gleiten durch die Zimmerfluchten eines Palais, in dem mehrere Zeitstile sich überlagern. Der Pavillon auf der Rheininsel nahe Straßburg, in dem Maria Antonietta ihre österreichischen Kleider ablegt und wie für einen Opfergang die aus Versailles geschickten Stoffe anlegt, scheint unmittelbar neben den Hütten der amerikanischen Holzfäller und Fischer in den Wäldern von Connecticut zu stehen, die Talleyrand im Rückblick auf seine Emigration nach Amerika in den Jahren zwischen 1792 und 1797 beschreibt.

Die literarische Miniatur macht in diesem wie in vielen Büchern der achtziger Jahre der aufs Ganze gehenden Historiographie erfolgreich Konkurrenz. Wie die Charakteristik und das Porträt gehört die Anekdote zu den bevorzugten Genres. Aus Calassos Treue zum treulosen Talleyrand, der alles zu verraten imstande ist außer seinen Stil, geht die Mimikry mit der Kunst der Anspielung, der Andeutung und des Zitats in Konversation und Memoirenliteratur des Ancien Régime hervor. Der Zufall der späten Übersetzung will es, daß der deutsche Leser in der jüngst erschienenen Monographie von Wolf Lepenies dem zweiten großen Gewährsmann für Calassos Verfahren gerade begegnen kann: dem Kritiker Sainte-euve. Er ist in diesem Buch die Komplementärfigur zu Talleyrand, dem Meister der politischen Metamorphose.

In seinen Montag für Montag erscheinenden "Causeries" wie in seinen Büchern über Port-Royal oder Chateaubriand schreibt Sainte-Beuve im Schutz seines biederen Grundsatzes, die Autoren von ihren Werken nicht zu trennen, den Fortsetzungsroman der Epoche über die Lebenszeit Talleyrands hinaus. Er ist zudem der skeptische Chronist des sich in der Romantik ankündigenden Absolutismus der Poesie. Instinktsicher spürt er die geheime Verwandtschaft zwischen der Verselbständigung und der Industrialisierung des Wortes in der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. In der über das gesamte Buch verstreuten Charakteristik Sainte-Beuves, der von den Salons und Konversationen die Brücke zu Balzac und zur modernen Druckerpresse schlägt, gelingt Calasso ein Kabinettstück der Geschichtsschreibung literarischer Formen. Beiläufig plaudert darin Sainte-Beuve eines der Geheimnisse seiner Literaturkritik aus: "daß ich aufgrund der Notwendigkeit, in Zeitschriften zu publizieren, ein Verfahren gefunden und in gewisser Weise erfunden habe, um in leicht getarnter Form weiterhin Romane und Elegien zu schreiben".

Im Zitat der Stilfiguren und Genres der alteuropäischen Aristokratie folgt Calasso einer Tradition, die seit dem neunzehnten Jahrhundert zur Figur des modernen Dandys gehört: der ostentativen Apologie des Anachronistischen. Ihre Kehrseite ist die ironische Vernichtung jeder Idolatrie des Fortschritts. Baudelaire griff dafür auf die Erbsündenlehre zurück. Calasso setzt an ihre Stelle eine weit ausholende Theorie des Menschenopfers. Wie die Französische Revolution das historische ist sie das theoretische Zentrum des Buches. Sie fügt der Welt Talleyrands die Welt des Marquis de Sade hinzu und reißt den Vorhang der Etiketten und der dynastischen Ordnung des Ancien Régime auf, um dahinter den Prospekt der archaischen Welt des Rituals und der ewigen Wiederkehr des Gleichen sichtbar werden zu lassen. Und sie fügt den Miniaturen vom Wiener Kongreß den Ausblick auf die Welt jenseits der Julirevolution von 1830 hinzu, auf den Mahlstrom des entfesselten Kapitals, auf den Kommunismus und die Katastrophenlandschaften des zwanzigsten Jahrhunderts bis hin zu den kambodschanischen Gräbern.

Mit seiner von ihrem Gegenstand eigentümlich faszinierten Lehre vom Opfer ist es Calasso bitterernst. Schon in den ersten Kapiteln des Buches läßt er Joseph de Maistre den zynischen Gedanken formulieren, man müsse "Gemetzel-Tabellen von der Art unserer meteorologischen Aufzeichnungen" anlegen, um dem einzigen konstanten Faktum der Menschengeschichte, der Gesetzmäßigkeit der Massaker auf die Spur zu kommen.

Das Herzstück der zur Theorie der Geschichte geadelten Lehre vom Opfer ist die Legende "Der Untergang von Kasch", die dem Buch den Titel gibt. Sie ist im Jahre 1912 im östlichen Afrika von dem deutschen Forschungsreisenden Leo Frobenius aufgezeichnet worden. Er will sie von einem Kameltreiber gehört haben und hat sie in eines seiner zahlreichen ethnographischen Bücher zur Kulturgeschichte Afrikas übernommen. Die Legende erzählt von dem Königreich Naphta in Kordofan, in dem die Priester jahraus, jahrein die Sterne beobachten mußten, um schließlich jene Konstellation zu erkennen, die besagte, daß der König des Landes den Göttern geopfert werden müsse. Als aber in dem Land ein Fremder eintrifft, der berauschende Geschichten zu erzählen weiß, vergessen die Priester ihr Sternenamt und bleiben nach dem dramatischen Höhepunkt der Erzählung leblos zurück. Der König darf weiterleben, der Erzähler wird sein Nachfolger, die auf Menschenopfer gegründete Ordnung ist aufgehoben. Am Ende wird das immer reicher gewordene Land von neidischen Nachbarn erobert und zerstört, bis nichts mehr von ihm übrig ist als die Erzählungen, die der Fremde einst mitgebracht hatte.

Beide Ordnungen, die des Opfers wie die der Opferlosigkeit, sind in dieser Geschichte zum Untergang verurteilt. Nur das Erzählen selbst überdauert alle Untergänge. Die Geschichte vom Ursprung der Literatur aber, die in der Legende enthalten ist, deutet Calasso nur an. Dem zivilisationsfreundlichen Gedanken, daß im Distanzgewinn des Erzählens der erste, unumkehrbare Schritt heraus aus der Opferordnung getan wird, kann er wenig abgewinnen. Sein Kerngedanke ist strikt pessimistisch: daß es aus der Durchdringung von gesellschaftlicher Ordnung und Opfer nur scheinhafte Auswege gibt. "Sobald das Opfer in Vergessenheit gerät, ergibt sich als erste Konsequenz die rückhaltlose, schrankenlose Benutzung der Welt . . . Ist das Opfer abgeschafft, wird die ganze Welt wieder, ohne es zu merken, zu einer riesigen Opferwerkstatt."

Über weite Strecken hält Calasso ein leidenschaftliches Plädoyer gegen den Satz Émile Durkheims, das Religiöse sei "nichts anderes als das Soziale". Sein wichtigster Kronzeuge dabei sind die Schriften des selbst aus der Durkheim-Schule stammenden Franzosen René Girard über das Heilige, die Gewalt und das Sündenbockritual. In gelegentlich ermüdenden Variationen umkreist Calasso den Gedanken, eine Gesellschaft, die "nichts anderes als gesellschaftlich" ist, müsse gegen ihre Eigenlogik dem nur rhetorisch verbannten Opfer Tribut zollen. Den "Bocksgesang", der hierzulande erst zehn Jahre später erklang, stimmte er damit schon in den frühen achtziger Jahren an. Vor allem in der Polemik gegen Lévi-Strauss wird der Ton schrill. Der Autor der "Mythologica" wird zum "trockenen Priester", in dessen Anthropologie das Opfer als stets unwillkommener Gast durch die kunstvollen Gitter der Taxonomie aus der Kultur ausgeschlossen werde. Als allzu "trocken" erscheint Lévi-Strauss nicht von ungefähr. Er rückt hier an die Seite Sigmund Freuds, der die wünschenswerte Landnahme des Ich in den Regionen des Es mit der "Trockenlegung der Zuidersee" verglich. Doch ist bei aller Polemik gegen die psychoanalytische Aufklärung und Religionskritik unverkennbar, wie viel Calasso Freud und der Lehre von der unvermeidlichen Wiederkehr des Verdrängten verdankt. Für die gelingende Integration von Opfer und Kultur beruft er sich freilich stets auf die außereuropäischen Zeugen der indischen Mythologie. Die Nacherzählung alter Mythen ist die einzige Form, die Calasso nach der Verabschiedung von Soziologie und Psychoanalyse als Reflexionsform im Umgang mit der Welt der Opfer noch verbleibt. Sein Bestseller "Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia" (1988, deutsch 1990) zieht daraus für die griechische, das ebenfalls Paraphrase und Theorie mischende Buch "Ka" (1996) für die indische Mythologie die Konsequenz.

"Die zentrale Rolle, die in den archaischen Gesellschaften das Opfer gespielt hatte, wird nun vom Experiment übernommen." Das ist der Kernsatz aller Kapitel, die Calasso der Moderne als Welt der schrankenlosen Produktion widmet. Vom Experiment ist dabei eher metaphorisch als im terminologischen Sinne der Naturwissenschaften die Rede. Gemeint ist die Behandlung der Welt insgesamt als Material. David Ricardo, Adam Smith und Jeremy Bentham haben in diesen Regionen des Buches, in denen Talleyrand ausgespielt hat, ihre Auftritte. Die als Überbietung de Sades gelesene Walschlachtung in "Moby Dick" wird zur Allegorie der Welt als Material. Calassos Kronzeuge aber ist Karl Marx. Die ihm gewidmeten Lektüren gehören zu den spannendsten Passagen des Buches. Der Autor des "Kapitals" und der "Grundrisse" erscheint dabei als in sich gespaltene Doppelgängerfigur. Er ist zum einen der von der Obsession der Schrankenlosigkeit geleitete, seinem Gegenstand ebenso geblendet wie hellsichtig verbundene Dämonologe der Akkumulation und Entgrenzung. Im Fetischcharakter der Ware spürt er den Zauber der nur scheinbar entzauberten Gesellschaft auf. Und er ist zugleich der rücksichtslose Anwalt der Überbietung des Kapitals durch eine "höhere" Gesellschaft, in deren Namen die Menschen zum Material der Geschichte werden.

Zwei Passagen bleiben vor allem haften. In der einen träumt Marx den Traum des Kapitals mit ebender Intensität, mit der Balzacs Rastignac auf dem Hügel des Père Lachaise davon träumt, das unter ihm liegende Paris in Besitz zu nehmen. In der anderen erhält die rückhaltlose Apologie der Schrankenlosigkeit ihre historische Signatur: "Für Marx ist Borniertheit das schlimmste aller Laster - schlimmer noch als die Leere -, denn sie ist die immerwährende Bedrohung, die feindselige Erinnerung ans Ghetto."

Es fällt auf, daß die Deutschen in diesem Buch dem rücksichtslosen Gesellen gleichen, der in Heines "Wintermärchen" auch die unreifen Gedanken als ihr blinder Knecht begleitet. Als "neuer, wilder Kontinent im Inneren Europas" taucht das von romantischen Nebelmeeren bedeckte Deutschland zu Beginn auf. Spätestens um 1840 wird es das Land, in dem die russischen Revolutionäre und Terroristen ihre Universitätsstudien absolvieren. Wie die französische Kultur sich bei Calasso in Talleyrand verdichtet, so die deutsche in Max Stirner, dem entlaufenen Hegelianer und Autor von "Der Einzige und sein Eigentum" (1844). Er steht im Mittelpunkt des negativen Bildungsromans, den Calasso dem "Wahn des Übergangs zum ,Handeln'" widmet. Er ist der Schatten, den Marx und Engels trotz aller Polemik nicht vertreiben können, weil in ihm die erst von Dostojewski beschriebene Zukunft Gestalt gewinnt: "die finstere Menge der fieberhaften Autodidakten", die sich aus der Hegellektüre die theoretischen Sprengsätze des willkürlichen Terrors bastelt. Die Spione und Geheimagenten des zwanzigsten Jahrhunderts erscheinen als Früchte seiner Saat. "Er ist der Mann aus dem Kellerloch, der die Metaphysik ausplündert." Stirner und die Unterwelt der Pariser Passagen gehören bei Calasso so zusammen wie Talleyrand und die Welt des Palais Royal im späten achtzehnten Jahrhundert, der eine der schönsten Miniaturen des Buches gewidmet ist.

Die Faszination, mit der sich Calasso über Stirner beugt, ist die des Dandys, der einem Lumpenproletarier des Geistes begegnet. Der Raum, in dem die Begegnung stattfindet, ist die Universalbibliothek. Das Raffinement, mit dem der Autor darin die Weltgeschichte als Lesedrama aufführt, ist freilich kein purer Ästhetizismus. Trotz mancher prätentiösen Geste und mancher allzu erlesenen Ausstellung der eigenen Gelehrsamkeit ist das Buch in seinem polemisch-diagnostischen Kern, der Verschränkung von Revolutionsrückblick und Opfertheorie, auch in dieser verspäteten Übersetzung noch von Interesse. Seine Exerzitien der Desillusionierung treffen nun auf die neuesten Schwarzbücher, in denen die Historiker die Opfer der Epoche möglichst vollzählig versammeln wollen. Die beiden Abgründe unter dem schmalen Grat, auf dem Calasso balanciert, können dem heutigen Leser nicht entgehen: die Koketterie des Dandys mit der Gewalt und die Remythisierung der Geschichte.

Roberto Calasso: "Der Untergang von Kasch". Aus dem Italienischen übersetzt von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 464 S., geb., 58,- DM.

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