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Am 17. Juni 1953 geriet das SED-Regime das erste Mal an den Rand des Zusammenbruchs. In mehr als 560 Orten wurde an diesem und den darauffolgenden Tagen gestreikt, demonstriert, oder es wurden gar die örtlichen Machtzentralen gestürmt. Woher kam dieser eruptive Ausbruch? Wer waren die sozialen Träger des Widerstandes? Was waren die Ziele der Demonstranten, ging es um eine veränderte DDR oder ein einheitliches Deutschland? Was geschah in den Städten und Dörfern nach der Niederschlagung der Aktionen durch die sowjetische Besatzungsmacht? Wie agierte und reagierte die Partei- und Staatsführung…mehr

Produktbeschreibung
Am 17. Juni 1953 geriet das SED-Regime das erste Mal an den Rand des Zusammenbruchs. In mehr als 560 Orten wurde an diesem und den darauffolgenden Tagen gestreikt, demonstriert, oder es wurden gar die örtlichen Machtzentralen gestürmt. Woher kam dieser eruptive Ausbruch? Wer waren die sozialen Träger des Widerstandes? Was waren die Ziele der Demonstranten, ging es um eine veränderte DDR oder ein einheitliches Deutschland? Was geschah in den Städten und Dörfern nach der Niederschlagung der Aktionen durch die sowjetische Besatzungsmacht? Wie agierte und reagierte die Partei- und Staatsführung der DDR? Neben den sozialen Hintergründen der gesellschaftlichen Krise in Ostdeutschland von 1952 bis 1954 behandelt der vorliegende Band auch deren politische Folgen. Die wichtigste war die "Innere Staatsgründung" der DDR. Dabei ging es im Kern um die radikale Reorganisation des Macht- und Disziplinierungsapparates zur Sicherung der Herrschaft aus eigener Kraft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.1995

Mit der flachen Hand
Die Niederschlagung des Juni-Aufstands als "innere Staatsgründung" der DDR

Ilko-Sascha Kowalczuk, Armin Mitter, Stefan Wolle (Herausgeber): Der Tag X - 17. Juni 1953. Die "innere Staatsgründung" der DDR als Ergebnis der Krise 1952/54. Ch. Links Verlag, Berlin 1995. 360 Seiten, 38,- Mark.

Als der Aufstand vom 17. Juni 1953 Gegenwart war, gab es kaum einen erwachsenen Deutschen, der nicht mit Hoffnung oder mit Angst auf die unerhörten Ereignisse zwischen Oder und Elbe reagierte. Während der Jahrzehnte, die folgten, verblaßte die Erinnerung. Den in der DDR heranwachsenden Generationen wurde das Wissen um die damaligen Ereignisse vorenthalten. In der Bundesrepublik verkam der Begriff "17. Juni" zum Kennwort für einen zusätzlichen Feiertag, den man als sozialen Besitzstand in Anspruch nahm, ohne über seinen Ursprung groß nachzudenken. 1990 schließlich verlor das Datum auch noch diese Bedeutung, es mußte seinen Rang an den 3. Oktober abtreten.

Schlechte Voraussetzungen also, um jetzt mit einer Arbeit über den 17. Juni auf den Markt zu gehen. Um so eindringlicher soll deshalb auf ein Buch hingewiesen werden, das im Berliner Ch. Links Verlag erschien und geeignet ist, unsere Kenntnisse über den Volksaufstand von 1953 nicht nur aufzufrischen, sondern auf die interessanteste Weise zu erweitern. Das Werk ist Teil der Verlagsreihe "Forschungen zur DDR-Geschichte", die in ihrer Gesamtheit eine Fundgrube für hauptberufliche wie für Hobbyhistoriker abzugeben vermag. Die Leute vom Fach, die hier als Herausgeber und als Autoren - oft in Personalunion - fungieren, sind in ihrer Mehrheit jung bis sehr jung und verstehen es, sich sowohl von alten Ressentiments wie von neuen Vorurteilen freizuhalten. Ihr Fleiß beim Erschließen von Quellen beeindruckt ebenso wie ihre ruhige Vorsicht beim Auswerten und Schlüsseziehen. Und selbstverständlich geben genaue Anmerkungen im Textteil sowie allerlei Informationen im Anhang dem Leser die Möglichkeit, nachzuprüfen, gegenzulesen, sich weiterzubilden.

Das Buch, das dem 17. Juni 1953 gewidmet ist, beschränkt sich durchaus nicht auf jene Erhebung. Sie gilt vielmehr den fünf Autoren als Peripetie einer Entwicklung, die lange vorher begann und noch andauerte, nachdem sowjetische Panzer eingegriffen hatten. Die Darstellung greift zurück bis zur II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 und reicht bis zum IV. SED-Parteitag im April 1954. Was bedeuteten diese beiden Daten für die DDR?

Im Juli 1952 verkündete Walter Ulbricht den "Aufbau der Grundlagen des Sozialismus", was nichts anderes hieß, als daß der Ostteil Deutschlands von nun an unbarmherzig stalinisiert werden sollte, und zwar mittels verschärften Klassenkampfes. Der traf dann, nach sowjetischem Vorbild, vor allem den unternehmenden Teil der Bevölkerung: Handwerker, Gewerbetreibende, selbständige Bauern. Existenzen zerbrachen, die westlichen Flüchtlingslager füllten sich, die ohnehin miserable Versorgung in der DDR kollabierte nahezu. Doch auch die Arbeiter, in deren Namen die SED zu kämpfen vorgab, gerieten unter Druck; die Devise für sie hieß: Erhöhung der Arbeitsnormen bei gleichem Lohn.

Der Topf war also längst am Kochen, als Stalin im März 1953 starb und die Moskauer Diadochenkämpfe eine straffe sowjetische DDR-Politik vorübergehend behinderten. Wieweit die SED damals von ihrer Vormacht allein gelassen wurde, läßt sich nicht eindeutig belegen. Nach Bekundung der Buchautoren gibt es auch im nachsowjetischen Rußland noch verschlossene Archive, können zur Aufklärung nötige Quellen bis heute nicht ausgewertet werden. Unbewiesen bleibt vorläufig auch die Legende, der zufolge Geheimdienstchef Berija sich die DDR für etliche Dollarmilliarden abkaufen lassen wollte, so daß sein Sturz Ende Juni 1953 zugleich die Rettung für das Ulbricht-Regime war.

So viel immerhin weiß man, daß die SED, als sie in ihrem "Neuen Kurs" vom 9. Juni 1953 die mörderischen Arbeitsnormen widerrief, sowjetischer Initiative gehorchte. Doch der Rückzieher kam zu spät, er wurde als Schwächezeichen verstanden, das geschundene Volk der DDR ging auf die Straße. Sehr schnell wichen die sozialkämpferischen Parolen nationalen Forderungen, dem Ruf nach freien Wahlen, nach deutscher Einheit.

Was dann kam, faßte der SED-Dichter Kuba in die Worte: "Als wenn man mit der flachen Hand ein wenig Staub vom Jackett putzt, fegte die Sowjetarmee die Stadt rein." Sie fegte die ganze DDR rein und ermöglichte dem Ulbricht-Regime, seine anfängliche Reuehaltung von sich zu tun und zur Hatz auf Feinde und Abweichler zu blasen. Die Säuberungswelle rollte lange über das Land. Im Frühjahr 1954 erst fühlte die SED sich stark genug, ihre vom Aufstand irritierte Stalinisierungspolitik neu und in ausgefeilterer Version zu verkünden. Das war die Botschaft ihres IV. Parteitages.

Alle Buchaufsätze laufen darauf hinaus, daß die DDR seit jenem April 1954 eine dramatische Änderung erfuhr. Die Autoren nennen, was geschah, eine "innere Staatsgründung", in deren Fortgang die DDR-Bürger lernten, sich als "anders" zu empfinden. Die Spaltung Deutschlands, in den ersten Jahren widerwillig ertragene Last, mutierte langsam, aber sicher zur Selbstverständlichkeit. Daraus resultiert eine politpsychologische Hypothek, die nach der Wende zu Buche schlug und mit deren Abtragung wir heute noch zu tun haben.

Das Buch bietet also nicht nur DDR-Historie, sondern den Hintergrund eines Stückes deutscher Gesamtgeschichte. Zudem ist es spannend, im Blick zurück Menschen zu begegnen, deren Meinungen und Handlungen in unsere Gegenwart hineinwirken. Sie werden uns äußerst lebendig vorgeführt: Städter und Bauern, Sozial-, Christ- und Liberaldemokraten, Pfarrer und Junge Gemeinde, tapfere und ängstliche Bürger - und natürlich ihrer aller Politbüttel. Manchmal mag man es kaum glauben, daß eine Staatsgewalt soviel Zeit, Energie und Geld aufwendet und am Ende doch nur ihr Herrschaftsgebiet weit unter das normalerweise erreichbare Niveau befördert. Auch hier gilt eben, daß die Götter mit Blindheit schlagen, wen sie verderben wollen. SABINE BRANDT

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"Interessant dabei ist die These, daß eigentlich erst der Volksaufstand zur "Inneren Staatsgründung" der DDR führte: Durch den Ausbau des Unterdrückungs- und Disziplinierungsapparates - eine direkte Folge des Volksaufstandes - stabilisierte die SED ihre Macht." (Berliner Zeitung) "Das Buch bietet nicht nur DDR-Historie, sondern den Hintergrund eines Stückes deutscher Gesamtgeschichte. Zudem ist es spannend, im Blick zurück Menschen zu begegnen, deren Meinungen und Handlungen in unsere Gegenwart hineinwirken." (FAZ) "Die Beiträge des Bandes stellen eine wichtige Ergänzung zum Forschungsstand dar." (Süddeutsche Zeitung)