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Niroz Malek lebt in Aleppo. Trotz allem. Und er schreibt davon, wie es ist, trotz allem in Aleppo zu leben. Das Ergebnis sind kurze Texte, Miniaturen nicht nur über den Alltag in einer Stadt, auf die Bomben fallen, sondern auch Träume, Phantasien, Texte zu Musik und Literatur, Erinnerungen an gestorbene Freunde und Weggefährten. 55 Miniaturen sind in diesem Buch versammelt, die meisten hat Niroz Malek zuerst auf Facebook veröffentlicht, bis heute schreibt er dort in unregelmäßigen Abständen sehr kurze Texte. An eine Publikation in Syrien war und ist nicht zu denken.Niroz Malek ist alles andere…mehr

Produktbeschreibung
Niroz Malek lebt in Aleppo. Trotz allem. Und er schreibt davon, wie es ist, trotz allem in Aleppo zu leben. Das Ergebnis sind kurze Texte, Miniaturen nicht nur über den Alltag in einer Stadt, auf die Bomben fallen, sondern auch Träume, Phantasien, Texte zu Musik und Literatur, Erinnerungen an gestorbene Freunde und Weggefährten. 55 Miniaturen sind in diesem Buch versammelt, die meisten hat Niroz Malek zuerst auf Facebook veröffentlicht, bis heute schreibt er dort in unregelmäßigen Abständen sehr kurze Texte. An eine Publikation in Syrien war und ist nicht zu denken.Niroz Malek ist alles andere als ein Reporter des Schreckens, er ist der Intellektuelle, der Schriftsteller, dessen Welt Jahrhunderte an Kultur umfaßt. In dieser Welt lebt er, mit seinen Büchern, Bildern und Schallplatten, und diese Welt kann und will er nicht verlassen. Er streift durch Aleppo, durch die Trümmer und Ruinen, umgeht Straßensperren, versucht vergeblich, einen Soldaten daran zu hindern, einen Jungen mit Down-Syndrom zu erschießen, bloß weil das Kind nicht erfaßt, daß es stehenbleiben soll. Er liest die Namen der Getöteten an den Hauswänden, während er in sein Stammcafé geht, um seinem Alltag einen Anschein von Normalität zu geben. Und er schreibt, weil ihn das am Leben hält. Neben all dem geschilderten Elend ist dieses Buch gleichzeitig auch ein Zeugnis für die Kraft der Kultur, die hilft, auch in der schlimmsten Barbarei die menschliche Würde zu bewahren.»DER SPAZIERGÄNGER VON ALEPPO ist ein heilsamer Gang über einen Weg aus Asche, der poetische Atem eines Wesens, das aus seinem Inneren leuchtet.« Le monde diplomatique
Autorenporträt
Niroz Malek wurde 1946 in Aleppo geboren. Er hat bislang acht Bände Erzählungen und sechs Romane veröffentlicht. DER SPAZIERGÄNGER VON ALEPPO erschien zuerst auf französisch bei Le serpent à plumes. Das Buch wurde mit dem Prix Lorientales 2016 ausgezeichnet und inzwischen auch ins Schwedische übersetzt. Die Übersetzerin, Larissa Bender, ist u.a. Herausgeberin des Bandes INNENANSICHTEN AUS SYRIEN. Sie lebt und arbeitet in Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2017

Was soll die Todesanzeige an meinem Haus?
In der Julikälte: Niroz Maleks Miniaturen aus dem kriegszerstörten Aleppo

Wer mitten im Krieg danach fragt, was vom bisherigen Alltag noch übrig bleibt, der kann an Ritualen festhalten, dem täglichen Briefeschreiben etwa, an Büchern und Schallplatten, an den Begegnungen mit vertrauten Gebäuden oder den Freunden. Er kann sich zurückziehen und hoffen, dass die Welt einen selbst in Ruhe lässt, wenn man sich umgekehrt nicht um sie schert, oder er kann versuchen, die erzwungene äußere Untätigkeit, das abgerissene soziale Leben als Möglichkeit zu begreifen, endlich mit einer größeren Arbeit voranzukommen.

Wie wenig weit das trägt in einer Stadt, deren Gebäude bombardiert, deren Bewohner von Scharfschützen aufs Korn genommen werden und deren Kommunikation gezielt unterbunden wird, davon erzählt der Syrer Niroz Malek. Geboren 1946 in Aleppo, ist der Schriftsteller und Künstler in der zerstörten Stadt geblieben. Seine Miniaturen, die davon berichten, sind ursprünglich auf Facebook erschienen. 2015 wurde eine Auswahl davon in französischer Übersetzung publiziert.

Die deutsche Fassung zeigt einen Autor, der den Blick auf das Geschehen mühelos weitet, indem neben die Realität eine tiefere Wahrheit dieses Krieges tritt und ins Bild rückt, was in den brüllend gegenwärtigen Ereignissen nur allzu schnell vergessen wird. Tote zum Beispiel, Verwandte und Bekannte, die plötzlich auftauchen, "nackt und trotz der Julihitze vor Kälte zitternd", weil sie es in der Leichenkammer des Krankenhauses nicht mehr aushalten. Sie sind, dies ist ein erdrückend trauriges Stilmittel des Erzählers, durch den Tod keineswegs geläutert, weniger hilflos oder gar weiser als diejenigen, die zurückgeblieben sind - sie irren durch die Straßen, als ließe sie das, was sie ums Leben gebracht hat, auch danach nicht mehr los, ein ewiger Krieg ohne Grabesruhe. Manche wissen nicht einmal um ihren Zustand, bis sie auf ihrem bizarren Weg vor dem eigenen Haus angekommen sind und eine Todesanzeige lesen, die ihnen selbst gilt. Und müssen sich dann beeilen, um sicher über den Checkpoint zu kommen, der zwischen ihnen und dem Friedhof liegt.

Maleks Erzähler flicht Wunsch- und Albträume in seine Erzählung und spricht mit unverwechselbarer Stimme zu uns. Er hält sein Bewusstsein und seine Wahrnehmung gegen das Chaos, das ihn umgibt, fast als hinge es von ihm allein ab, einen Rest von Normalität für ganz Aleppo zu bewahren. Daran als Leser teilzuhaben, ist mitunter, so paradox das klingt, beglückend.

spre.

Niroz Malek: "Der Spaziergänger von Aleppo". Miniaturen.

Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Weidle Verlag, Bonn 2017. 144 S., br., 17,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.07.2017

Der schwarze Schirm des Freundes
Der syrische Autor Niroz Malek versammelt in dem Band „Der Spaziergänger von Aleppo“
Prosaskizzen über das Leben in einer Stadt, die zum Kriegsschauplatz geworden ist
VON KERSTEN KNIPP
Wenn Bomben fallen, bleibt nur die Kunst ungerührt. Die Waffen haben verheerende Wirkung, aber die gleißende Sonne, die Zypressen und die sie umfliegenden Vögel strahlen auf der Leinwand ungerührt die Ruhe eines Sommernachmittags aus, der in seiner mediterranen Leichtigkeit wie aus der Zeit gefallen erscheint. Ganz anders die wirkliche Welt. Nach dem Einschlag der Granaten in einen Park von Aleppo flattern dort die Raben auseinander, kollidieren in ihrem nervösen Flug fast miteinander. Gleichzeitig springen – „fallen“ schreibt der Erzähler – die Kinder von den Schaukeln und Rutschen und laufen zu ihren Müttern. Panik und Todesfurcht sind in den Park eingefallen, aber das Gemälde van Goghs, das dem Erzähler vor Augen steht, bleibt vom Schrecken des Krieges unberührt.
Den Einwirkungen der Kämpfe auf das menschliche Empfinden spürt der syrische Autor Niroz Malek in seinen poetischen Miniaturen über Aleppo im sechsten Jahr des Krieges nach. Die nicht endende Gewalt hat die Menschen verändert, hat vor allem ihre Wahrnehmung aus dem gewohnten Muster gebracht. Die Kämpfe haben Verbindungen zwischen den Menschen gekappt, oft ist nicht klar, wer noch lebt, wer gestorben oder geflohen ist. Die üblichen Kommunikationsnetze bestehen nicht mehr, Informationen über Nachbarn und Freunde sind auf Spekulationen und Mutmaßungen angewiesen – ein Gemisch, in dem der Realitätssinn einen schweren Stand hat. Das mag in manchen Momenten, wenn etwa ein Kunstwerk vom kaum auszuhaltenden Schrecken des Krieges ablenkt, helfen, die Realität zu ertragen. Aber insgesamt, zeigen Maleks Texte, zerfällt neben der äußeren auch die innere Wirklichkeit. Die Attacken auf die Physis sind immer auch solche auf die Psyche.
Die Spaziergänge, auf die Malek seine Leser mitnimmt, werden so in Teilen zu surrealistischen Unternehmungen, die zwischen Innen- und Außenwelt, realem und imaginiertem Leben keinen durchgehenden Unterschied mehr machen. Die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Wahrnehmung, Erinnerung und Einbildung zerfließen, bilden ein ungesundes Zwischenreich hart am Rande des Wahns. Etwa, wenn der Erzähler mitten im Juli seinen Freund Ahmad Schukri in voller Winterausstattung und mit einem schwarzen Schirm in der Hand zu sehen meint. Ob er denn nicht wisse, dass Schwarz die Sonne zusätzlich anziehe, will der Erzähler von ihm wissen. Doch statt zu antworten, dreht der Angesprochene sich stumm um sich selbst. „Da merkte ich, wie dumm meine Bemerkung gewesen war, denn mir fiel wieder ein, dass Ahmad Schukri im letzten Winter bei einer Studentendemonstration gestorben war.“
Szenen wie diese legen es nahe: Es wäre klüger wegzugehen. Aber, fragt Niroz Maelk schon auf der ersten Seite seines Büchleins: Kann man Jahrzehnte seines Lebens einfach so aufgeben? „Glaubst du wirklich“, fragt er in einem Brief an eine Freundin, „dass ich meine Wohnung verlasse? Dass ich meinen Tisch zurücklasse, an dem ich gearbeitet und meine Geschichten und Romane geschrieben habe? An dem ich Cover für meine Werke entwarf und Hunderte und Aberhunderte Bücher las?“
Nein, erklärt der Erzähler, seine Wohnung kann er nicht verlassen. Sie ist die Summe seines Lebens. Dort stehen die kleinen Statuen von Puschkin und Gogol die Fotografien von Tschechow und Hemingway, die Schallplatten von Beethoven, Tschaikowsky und Rachmaninow, kurzum: In dieser Wohnung sammelt sich, was den Erzähler über Jahrzehnte zu dem gemacht hat, der er ist. Aus Aleppo wegzugehen ist darum unmöglich. „Nein, ich lasse meine Seele nicht zurück.“
Die persönliche Biografie, untrennbar verwachsen mit einem Ort, hier mit der Stadt Aleppo: Das ist eine fast vormodern anmutende Auffassung individueller Existenz, die kaum zum modischen Wort vom globalen Nomadentum passt, der Vorstellung, der Mensch sei im transnationalen Raum mühelos und wie selbstverständlich zu Hause. Maleks Miniaturen geben etwas anderes zu verstehen: dass Kontinuität, auch physische Kontinuität, dem Menschen viel mehr entspricht als die Rede von der entgrenzten Welt es nahelegt.
Allerdings kann auch der Spaziergänger von Aleppo nicht behaupten, er trage seine Identität unbeschadet durch die Trümmerfelder. Das zeigt sich etwa in jenem Moment, in dem er die Gesichter eines Paares beobachtet – „und ich in dem Gesicht des Mannes etwas wahrnahm, was mir ähnlich war ... nein, das war ich!“ Zerschlissene Identitäten, aller Grenzen ungewiss: Das ist der Preis des Verharrens, des Willens, im längst falsch gewordenen Leben immer noch ein richtiges führen zu wollen.
Nein, erklärt der Erzähler, seine
Wohnung kann er nicht verlassen.
Sie ist die Summe seines Lebens
Der Krieg kappt die Verbindungen zwischen den Menschen, verändert ihre Wahrnehmung. Vor einem Restaurant in West-Aleppo, 2016.
Foto: Hassan Ammar, ap
Niroz Malek: Der Spaziergänger von Aleppo.
Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Weidle Verlag, Bonn 2017.
139 Seiten, 17 Euro.
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