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Sizilien, im Februar 1893: Im Zug nach Palermo wird Marchese Notarbatolo erstochen aufgefunden. In Sizilien wollte er illegale Machenschaften seiner ehemaligen Bank aufdecken. Mit dieser Tat beginnt der Terror der Mafia. Erst Jahre später fällt der Verdacht auf einen Parlamentarier und Möchtegernpoeten, genannt Il Cigno, der Schwan.

Produktbeschreibung
Sizilien, im Februar 1893: Im Zug nach Palermo wird Marchese Notarbatolo erstochen aufgefunden. In Sizilien wollte er illegale Machenschaften seiner ehemaligen Bank aufdecken. Mit dieser Tat beginnt der Terror der Mafia. Erst Jahre später fällt der Verdacht auf einen Parlamentarier und Möchtegernpoeten, genannt Il Cigno, der Schwan.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.1996

Schräger Vogel Schwan
Sebastiano Vassalli will eine abenteuerliche Geschichte erzählen

Die Begleitumstände des Verbrechens, das als der erste politische Mafia-Mord in die Geschichte Italiens einging, müßten jeden Thrillerregisseur entzücken: Am regnerischen 1. Februar des Jahres 1893 wurde, während der Dampfzug von Termini Imerese nach Palermo durch einen Tunnel raste, in einem Abteil des Erster-Klasse-Waggons der Marchese Emanuele Notarbartolo, ehemaliger Generaldirektor der Bank von Sizilien, mit zahlreichen Messerstichen getötet. Er war im Begriff gewesen, in Palermo illegale Machenschaften der Bank zu enthüllen, die mit dem gerade aufgedeckten Skandal um die Banca Romana zusammenhingen und in die der sizilianische Politiker Francesco Crispi, Ministerpräsident von 1887 bis 1891 sowie von 1893 bis 1896, tief verstrickt war.

Jahre später wurde offenbar, daß der Parlamentsabgeordnete Raffaele Palizzolo, Vorstandsmitglied der Bank von Sizilien und Anhänger Crispis, die Mörder beauftragt hatte. Der kleinwüchsige, kugelrunde Mann, dessen rhetorisches Talent und dichterische Ambitionen ihm den Beinamen "il cigno", "der Schwan", eingetragen hatten, obwohl er eher eine Kreuzung aus häßlichem Entlein und schrägem Vogel war, unterhielt enge Beziehungen zu der schon damals traditionsreichen kriminellen Organisation, die aus verschiedenen sizilianischen Geheimbünden bestand und deren etymologisch nicht eindeutig zu klärender Name "Mafia" nach dem Sieg Garibaldis über die Bourbonen 1860 aufgekommen sein soll.

Der Onorevole Palizzolo wurde nach zwei Prozessen in Mailand und Bologna zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt, nach einem dritten in Florenz jedoch wegen Beweismangels freigesprochen. Er kehrte als strahlender Held in seine Heimat Sizilien zurück, wo eine Massenbewegung entstanden war, die unabhängig von politischer Couleur und Mafia-Zugehörigkeit die Ehre der Insel gegen die vermeintliche Rufmord-Kampagne aus dem arroganten Norditalien verteidigen wollte. Aber schon kurz darauf ließ man den triumphal rehabilitierten Palizzolo wieder fallen. Er bekam keine Wählerstimmen mehr und endete als belächelter Möchtegern-Literat, der sich in seinen Memoiren zum Schmerzensmann hochstilisierte.

Eine Geschichte, die verdiente, "von einem großen Schriftsteller erzählt zu werden", wie Sebastiano Vassalli zwischen Koketterie und Selbstbescheidung anmerkt. Der italienische Bestsellerautor, Spezialist für aufwendige historische Recherchen und unaufwendiges, schnörkelloses Erzählen, veröffentlichte seinen Roman "Il cigno", als sich die Ermordung des Marchese Notarbartolo zum hundertsten Mal jährte. Der jetzt erschienenen deutschen Übersetzung fehlt der Jubiläumsbonus. Aber darauf kommt es hier weniger an als auf die ironisch vermittelte Erkenntnis, daß in Italien seit den Tagen des Schwans vieles beim alten geblieben ist.

Bei der halb dokumentarischen, halb spekulativen Rekonstruktion der Ereignisse, die den Auf- und Abstieg des gnomenhaften, redegewaltigen Palermitaners markierten, konnte Vassalli lauter Züge der italienischen und namentlich der sizilianischen Mentalität vorführen, von denen man annehmen darf, daß sie den Fortbestand mafioser Strukturen begünstigen: eleganten Opportunismus und moralische Biegsamkeit, fröhliche Bigotterie und pathetischen Patriotismus, die mühelose Umwandlung von Minderwertigkeitskomplexen in Größenwahn und die geschmeidige Eloquenz, die jede Lüge zur Dichtung adelt. Wie Raffaele Palizzolo hatte auch Francesco Crispi, dessen kurvenreiche Karriere als Rückschau des umnachteten Greises wie im Zeitraffer abgespult wird, einst die Poesie zu seinem Metier erkoren, bevor er auf die Politik umschwenkte.

Der Moralist Vassalli hat es nicht versäumt, die sozialen Bedingungen für die Entstehung der Mafia in die Handlung einzuarbeiten, den ewigen Nord-Süd-Konflikt von zwei Seiten zu betrachten und Randfiguren aus dem Volk, etwa Palizzolos bäuerliche Mätresse Filicetta, in ihrer unkorrumpierten Menschlichkeit darzustellen. Daneben zeigt er, daß er mit Krimi-Effekten umgehen kann. Aber das Bemühen um Ausgewogenheit, Verständlichkeit und Faktentreue hat ihn offensichtlich daran gehindert, seiner Phantasie und seiner Sprache jene Freiheiten zu gewähren, ohne die auch der spektakulärste Stoff nicht zu literarischem Leben erwacht. Als unterhaltsamer Geschichtsunterricht und psychologisch-politisches Lehrstück taugt der Roman allemal. Nur wird er seinen Autor gewiß nicht in die Galerie der "großen Schriftsteller" katapultieren. KRISTINA MAIDT-ZINKE

Sebastiano Vassalli: "Der Schwan". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Ragni Maria Gschwend. Piper Verlag, München 1996. 232 S., geb., 39,80 DM.

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