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Die Demokratie an ihrem Abgrund: Hitlers versuchte »Machtergreifung« 1923Es ist die bis dahin größte Bedrohung für die Weimarer Republik: Mit roher Gewalt wagt Hitler von München aus den Umsturz - und scheitert. Die Demokratie hält stand. Sven Felix Kellerhoff richtet den Fokus auf bislang übersehene Zeugnisse und schildert die tatsächlichen Hintergründe des 8. und 9. November 1923.Das Vorhaben war so kühn wie radikal: Anfang November 1923 setzen Adolf Hitler und seine gewaltbereite Anhängerschaft alles auf eine Karte. Zuerst sollte in München und anschließend in ganz Deutschland...
Die Demokratie an ihrem Abgrund: Hitlers versuchte »Machtergreifung« 1923
Es ist die bis dahin größte Bedrohung für die Weimarer Republik: Mit roher Gewalt wagt Hitler von München aus den Umsturz - und scheitert. Die Demokratie hält stand. Sven Felix Kellerhoff richtet den Fokus auf bislang übersehene Zeugnisse und schildert die tatsächlichen Hintergründe des 8. und 9. November 1923.
Das Vorhaben war so kühn wie radikal: Anfang November 1923 setzen Adolf Hitler und seine gewaltbereite Anhängerschaft alles auf eine Karte. Zuerst sollte in München und anschließend in ganz Deutschland die Macht übernommen werden - mit kompromissloser Härte und roher Gewalt. Die Aktion scheiterte krachend, doch ihr wirkliches Gefahrenpotenzial wird bis heute unterschätzt. Gestützt auf bisher ignorierte Quellen schlüsselt Sven Felix Kellerhoff die Hintergründe des Handstreichs auf, der die Weimarer Republik existenziell gefährdete. Nur wer das Vorbild, Mussolinis »Marsch auf Rom« 1922, einbezieht und die geplante »Oktoberrevolution« aus Moskau gelenkter deutscher Kommunisten, kann die Handlungsweise der Hitler-Gegner in München und Berlin verstehen. Gestützt auf zahlreiche bisher ignorierte Quellen erzählt der Autor die Geschichte des Hitlerputsches völlig neu.
Es ist die bis dahin größte Bedrohung für die Weimarer Republik: Mit roher Gewalt wagt Hitler von München aus den Umsturz - und scheitert. Die Demokratie hält stand. Sven Felix Kellerhoff richtet den Fokus auf bislang übersehene Zeugnisse und schildert die tatsächlichen Hintergründe des 8. und 9. November 1923.
Das Vorhaben war so kühn wie radikal: Anfang November 1923 setzen Adolf Hitler und seine gewaltbereite Anhängerschaft alles auf eine Karte. Zuerst sollte in München und anschließend in ganz Deutschland die Macht übernommen werden - mit kompromissloser Härte und roher Gewalt. Die Aktion scheiterte krachend, doch ihr wirkliches Gefahrenpotenzial wird bis heute unterschätzt. Gestützt auf bisher ignorierte Quellen schlüsselt Sven Felix Kellerhoff die Hintergründe des Handstreichs auf, der die Weimarer Republik existenziell gefährdete. Nur wer das Vorbild, Mussolinis »Marsch auf Rom« 1922, einbezieht und die geplante »Oktoberrevolution« aus Moskau gelenkter deutscher Kommunisten, kann die Handlungsweise der Hitler-Gegner in München und Berlin verstehen. Gestützt auf zahlreiche bisher ignorierte Quellen erzählt der Autor die Geschichte des Hitlerputsches völlig neu.
Sven Felix Kellerhoff, geboren 1971 in Stuttgart, studierte Zeitgeschichte, Alte Geschichte und Medienrecht. Seit mehr als 20 Jahren ist er Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der Welt. Er ist Autor zahlreicher zeithistorischer Sachbücher, unter anderem über Hitlers "Mein Kampf" und über die NSDAP (beide erschienen bei Klett-Cotta).
Produktdetails
- Verlag: Klett-Cotta
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 368
- Erscheinungstermin: 18. März 2023
- Deutsch
- Abmessung: 209mm x 135mm x 32mm
- Gewicht: 456g
- ISBN-13: 9783608981889
- ISBN-10: 3608981888
- Artikelnr.: 66297547
Herstellerkennzeichnung
Klett-Cotta Verlag
Rotebühlstr. 77
70178 Stuttgart
produktsicherheit@klett-cotta.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Florian Keisinger erfährt viel über Hintergründe und Zusammenhänge in Sachen Hitlerputsch aus Sven Felix Kellerhoffs Arbeit. Die zeitliche Konzentration auf die Jahre 1922/23 wird durch den Blick über München hinaus Richtung Mussolinis Italien relativiert, erläutert Keisinger. Detailliert findet er die Ausführungen über das Scheitern des Putsches, nachvollziehbar Kellerhoffs Feststellung, dass Hitler nicht die "alleinig treibende Kraft" hinter den Ereignissen war.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Der geduldete Hochverräter
Von München aus die Weimarer Republik zerschlagen: Über zwei neue Darstellungen des gescheiterten Hitlerputsches im November 1923.
Am 13. Dezember 1922 hielt die noch weitgehend auf Bayern begrenzte Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) nicht weniger als zehn Veranstaltungen ab. Ihre Redner hetzten gegen die Republik und ließen an ihrer Entschlossenheit zum Umsturz keinen Zweifel. "Es kommt noch die Zeit, wo alles mit uns marschiert", prophezeite der Parteivorsitzende Adolf Hitler, denn "die Bewegung entwickelt sich dahin, dass sie einmal kategorisch erklärt: nun endlich Schluss! Die Nationalsozialisten haben den eisernen Willen und werden einen eisernen Besen binden,
Von München aus die Weimarer Republik zerschlagen: Über zwei neue Darstellungen des gescheiterten Hitlerputsches im November 1923.
Am 13. Dezember 1922 hielt die noch weitgehend auf Bayern begrenzte Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) nicht weniger als zehn Veranstaltungen ab. Ihre Redner hetzten gegen die Republik und ließen an ihrer Entschlossenheit zum Umsturz keinen Zweifel. "Es kommt noch die Zeit, wo alles mit uns marschiert", prophezeite der Parteivorsitzende Adolf Hitler, denn "die Bewegung entwickelt sich dahin, dass sie einmal kategorisch erklärt: nun endlich Schluss! Die Nationalsozialisten haben den eisernen Willen und werden einen eisernen Besen binden,
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endlich auszukehren." Solche Phrasen stießen bei den zahlreichen Zuhörern auf Zustimmung. "Tosender Beifall", vermerkte Joseph Zetlmeier, Polizeireferent im Bayerischen Staatsministerium des Innern, in seinem Bericht, den Max Schmalzl vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv aus Anlass des hundertsten Jahrestags des sogenannten Hitlerputsches unlängst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Polizeireferent Zetlmeier ließ es an eindeutigen Warnungen vor den Nationalsozialisten nicht fehlen. Die NSDAP gehe "einer revolutionären Bewegung entgegen", hielt er fest, und weiter: "Denn wohin soll sie sonst steuern? Parlamentarisch will sie sich nicht betätigen und das Reden allein hat keinen Wert. Die Bewegung ist daher ohne Zweifel eine Gefahr für den Staat, nicht nur für die derzeitige Staatsform, sondern für das Staatswesen überhaupt."
Diese Warnung wurde damals folgenlos zu den Akten gelegt. Knapp ein Jahr später wollten Adolf Hitler und seine Mitverschwörer die Macht im Staate gewaltsam an sich reißen. Ihr Putsch in München am 8. November 1923, der den Auftakt für einen dem Vorbild der italienischen Faschisten nachempfundenen "Marsch auf Berlin" bilden sollte, scheiterte allerdings am Tag darauf im Kugelhagel von Landespolizei und Reichswehrverbänden. Das hinderte die Nationalsozialisten später nicht daran, am Jahrestag mit einer pompösen Trauerfeier ihren "Märtyrern" zu huldigen.
Aus Anlass des hundertsten Jahrestags der Ereignisse besteht an neuen Büchern zum Thema kein Mangel. Während viele eine Gesamtschau auf das Jahr 1923 bieten, in dem sich mit der französischen Ruhrbesetzung und dem anschließenden "Ruhrkampf", der Hyperinflation und kommunistischen Aufstandsvorbereitungen in Sachsen und Thüringen Krise an Krise reihte, konzentrieren sich zwei Bücher vorrangig auf die politische Entwicklung in Bayern, vom Herbst 1922 bis zum sogenannten Hitlerputsch.
Sven Felix Kellerhoffs "Der Putsch. Hitlers erster Griff nach der Macht" steht in der Tradition der Arbeiten des "Spiegel"-Journalisten Heinz Höhne, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren mit Sachbüchern zur Geschichte des Nationalsozialismus sehr erfolgreich war. Kellerhoff, Redakteur der "Welt", erzählt lebendig und detailreich. Seine Chronik der Ereignisse ist eine Geschichte von Männern aus der ersten und zweiten Reihe der damaligen Politik, die mitunter den Sog eines Polit-Thrillers entfaltet. Eine Stärke des Buches ist die umfangreiche Auswertung zeitgenössischer deutscher und internationaler Tageszeitungen, mit deren Hilfe Kellerhoff die Atmosphäre der Zeit anschaulich schildert. Allerdings inszeniert er die politischen Ränkespiele in Bayern wie im Reich mitunter im luftleeren Raum. Warum in München der Antisemitismus so stark politisch wirksam wurde oder wie die Gewalt hier, im Ruhrgebiet, Sachsen und anderswo die politische Kultur des Jahres 1923 prägte, hätte stärker herausgearbeitet werden können.
Kellerhoff lässt keinen Zweifel daran, dass der in älteren Darstellungen vorherrschende Fokus auf Hitler mitunter verdeckt, dass dessen missglückte Aktion im November im Zusammenhang mit weiter ausgreifenden Umsturzplänen der nationalistischen Rechten gesehen werden muss. Von München aus sollte die Demokratie überwunden werden - im zweiten Versuch, nach dem gescheiterten Kapp-Putsch von 1920. Die treibende Kraft hinter den Umsturzplänen war nicht Hitler, sondern Gustav von Kahr, von März 1920 an zunächst Ministerpräsident und seit September 1923 Generalstaatskommissar in Bayern. Er arbeitete konsequent auf eine Beseitigung der Demokratie hin, um sie durch die Diktatur eines "Direktoriums" zu ersetzen. Auf diese Weise im völkischen Lager unter Zugzwang gesetzt, sah sich Hitler im "Wettlauf zum Hochverrat" (Kellerhoff) zum raschen und letztlich überstürzten Handeln genötigt.
Über die grundsätzliche Bewertung dieser Ereignisse herrscht seit Langem Einigkeit. Die neuen Darstellungen bestätigen den Forschungskonsens, setzen aber eigene Akzente. Schon der Untertitel des Buches "Der Hitlerputsch 1923. Geschichte eines Hochverrats" von Wolfgang Niess macht die Stoßrichtung seiner Argumentation deutlich. Während Kellerhoff die Republik von rechts wie links bedroht sah, fokussiert Niess in seiner engagiert geschriebenen und zeitlich breit ausgreifenden, die Jahre 1919 bis 1925 umfassenden Untersuchung ganz auf die nationalistische Rechte. Sie hatte, anders als die Kommunisten, eine realistische Chance auf die Erringung der Macht, nicht zuletzt wegen zahlreicher Unterstützer in Polizei, Militär und Justiz.
Die selbst ernannte "Ordnungszelle Bayern" war eigentlich eine "Unordnungszelle", ein Rückzugsraum für Republikfeinde aller Art, wie Niess anhand vieler, aus heutiger Sicht fast unglaublicher Belege eindrücklich vor Augen führt. Ohne die "helfenden Hände" der zahlreichen Monarchisten, reaktionären Ex-Militärs, völkischen Publizisten und politischen Terroristen in der bayerischen Metropole wäre der Aufstieg Hitlers bis 1923 unmöglich gewesen. Die eigentlichen Ermöglicher des Putsches sind auch bei Niess das Triumvirat von Generalstaatskommissar von Kahr, General von Lossow und Oberst von Seißer. Sie begingen im Herbst 1923 in Bayern den - so ein zeitgenössischer Beobachter - "offensten Verfassungsbruch, den die Reichsgeschichte seit 1871 kannte". In der Nacht vom 8. auf den 9. November setzten sie sich in letzter Minute von Hitler ab und taten danach alles dafür, das Ausmaß des geplanten Umsturzes wie auch ihre eigene Verantwortlichkeit herunterzuspielen.
Das juristische Nachspiel des Putsches, das Niess ausführlicher als Kellerhoff behandelt, machte deutlich, dass auch nach dessen Niederschlagung die Unterstützung für die Verschwörer in Bayern anhielt. Die Verhandlung wegen Hochverrats fand nicht vor dem zuständigen Staatsgerichtshof beim Reichsgericht in Leipzig statt, sondern vor dem Landgericht München. Die Reichsregierung unter Gustav Stresemann nahm dies trotz anfänglicher Proteste hin. Hitler und seine Mitverschwörer, unter ihnen Ludendorff und der spätere Stabschef der SA, Ernst Röhm, bekamen äußerst nachsichtige Richter, die ihnen mit dem Prozess bereitwillig eine öffentliche Bühne boten und im Urteilsspruch edle und selbstlose Motive zubilligten. Der "Weltkriegsheld" Ludendorff wurde sogar freigesprochen.
Der "Bayerische Kurier", keinesfalls ein Blatt der Linken, urteilte treffend, dass dieses Schauspiel von einer Gerichtsverhandlung oft nur den Namen getragen habe und "im Inhaltlichen einer völkischen Agitationsversammlung glich". Aus Sicht der maßgeblichen Verantwortlichen in Bayern, vor allem der Bayerischen Volkspartei als der dominierenden politischen Kraft, war das offenbar immer noch besser als eine partielle Abgabe von Souveränitätsrechten an das Reich, das man in den falschen Händen wähnte. Wenn es damals darum gegangen wäre, umfassend aufzuklären, dann hätten auch Männer wie Kahr, Lossow und Seißer auf die Anklagebank gehört. Dass mit dem fehlgeschlagenen Putsch die Demokratie gerettet war, sollte sich bald als "Stabilitätsillusion" (Peter Longerich) erweisen.
Niess' Buch endet mit wohlgemeinten geschichtspolitischen Überlegungen. So richtig es historisch ist, den Blick nicht auf Hitler und die NSDAP zu verengen, sondern die antidemokratischen Kräfte der konservativ-nationalen und nationalistischen Parteien wie die nicht immer zuverlässige Reichswehr breit einzubeziehen, so wenig überzeugt, wenn daraus umstandslos Handlungsanweisungen für die Gegenwart gemacht werden. Niess' Schlussfolgerung, dass nicht zu akzeptieren sei, wenn "Kernbestandteile der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auch nur vorübergehend oder in bestimmten Räumen außer Kraft gesetzt werden", mag man als geschichtspolitische Lehre des Jahres 1923 plausibel finden. Wenn er aber postuliert, dass es weiterhin "ein zentrales Element der Demokratiesicherung" sein müsse, "massive wirtschaftliche Erschütterungen durch kluge, langfristig orientierte Politik zu vermeiden und die Folgen wirtschaftlicher Krisen gegebenenfalls sozial abzusichern", dann wird die existenzielle Dynamik des Jahres 1923 auf ein allzu simples Maß bundesdeutscher Gegenwart zurechtgeschrumpft. DANIEL SIEMENS
Sven Felix Kellerhoff: "Der Putsch". Hitlers erster Griff nach der Macht.
Klett-Cotta Verlag, München 2023. 368 S., Abb., geb., 25,- Euro.
Wolfgang Niess: "Der Hitlerputsch 1923". Geschichte eines Hochverrats.
C. H. Beck Verlag, München 2023. 350 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diese Warnung wurde damals folgenlos zu den Akten gelegt. Knapp ein Jahr später wollten Adolf Hitler und seine Mitverschwörer die Macht im Staate gewaltsam an sich reißen. Ihr Putsch in München am 8. November 1923, der den Auftakt für einen dem Vorbild der italienischen Faschisten nachempfundenen "Marsch auf Berlin" bilden sollte, scheiterte allerdings am Tag darauf im Kugelhagel von Landespolizei und Reichswehrverbänden. Das hinderte die Nationalsozialisten später nicht daran, am Jahrestag mit einer pompösen Trauerfeier ihren "Märtyrern" zu huldigen.
Aus Anlass des hundertsten Jahrestags der Ereignisse besteht an neuen Büchern zum Thema kein Mangel. Während viele eine Gesamtschau auf das Jahr 1923 bieten, in dem sich mit der französischen Ruhrbesetzung und dem anschließenden "Ruhrkampf", der Hyperinflation und kommunistischen Aufstandsvorbereitungen in Sachsen und Thüringen Krise an Krise reihte, konzentrieren sich zwei Bücher vorrangig auf die politische Entwicklung in Bayern, vom Herbst 1922 bis zum sogenannten Hitlerputsch.
Sven Felix Kellerhoffs "Der Putsch. Hitlers erster Griff nach der Macht" steht in der Tradition der Arbeiten des "Spiegel"-Journalisten Heinz Höhne, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren mit Sachbüchern zur Geschichte des Nationalsozialismus sehr erfolgreich war. Kellerhoff, Redakteur der "Welt", erzählt lebendig und detailreich. Seine Chronik der Ereignisse ist eine Geschichte von Männern aus der ersten und zweiten Reihe der damaligen Politik, die mitunter den Sog eines Polit-Thrillers entfaltet. Eine Stärke des Buches ist die umfangreiche Auswertung zeitgenössischer deutscher und internationaler Tageszeitungen, mit deren Hilfe Kellerhoff die Atmosphäre der Zeit anschaulich schildert. Allerdings inszeniert er die politischen Ränkespiele in Bayern wie im Reich mitunter im luftleeren Raum. Warum in München der Antisemitismus so stark politisch wirksam wurde oder wie die Gewalt hier, im Ruhrgebiet, Sachsen und anderswo die politische Kultur des Jahres 1923 prägte, hätte stärker herausgearbeitet werden können.
Kellerhoff lässt keinen Zweifel daran, dass der in älteren Darstellungen vorherrschende Fokus auf Hitler mitunter verdeckt, dass dessen missglückte Aktion im November im Zusammenhang mit weiter ausgreifenden Umsturzplänen der nationalistischen Rechten gesehen werden muss. Von München aus sollte die Demokratie überwunden werden - im zweiten Versuch, nach dem gescheiterten Kapp-Putsch von 1920. Die treibende Kraft hinter den Umsturzplänen war nicht Hitler, sondern Gustav von Kahr, von März 1920 an zunächst Ministerpräsident und seit September 1923 Generalstaatskommissar in Bayern. Er arbeitete konsequent auf eine Beseitigung der Demokratie hin, um sie durch die Diktatur eines "Direktoriums" zu ersetzen. Auf diese Weise im völkischen Lager unter Zugzwang gesetzt, sah sich Hitler im "Wettlauf zum Hochverrat" (Kellerhoff) zum raschen und letztlich überstürzten Handeln genötigt.
Über die grundsätzliche Bewertung dieser Ereignisse herrscht seit Langem Einigkeit. Die neuen Darstellungen bestätigen den Forschungskonsens, setzen aber eigene Akzente. Schon der Untertitel des Buches "Der Hitlerputsch 1923. Geschichte eines Hochverrats" von Wolfgang Niess macht die Stoßrichtung seiner Argumentation deutlich. Während Kellerhoff die Republik von rechts wie links bedroht sah, fokussiert Niess in seiner engagiert geschriebenen und zeitlich breit ausgreifenden, die Jahre 1919 bis 1925 umfassenden Untersuchung ganz auf die nationalistische Rechte. Sie hatte, anders als die Kommunisten, eine realistische Chance auf die Erringung der Macht, nicht zuletzt wegen zahlreicher Unterstützer in Polizei, Militär und Justiz.
Die selbst ernannte "Ordnungszelle Bayern" war eigentlich eine "Unordnungszelle", ein Rückzugsraum für Republikfeinde aller Art, wie Niess anhand vieler, aus heutiger Sicht fast unglaublicher Belege eindrücklich vor Augen führt. Ohne die "helfenden Hände" der zahlreichen Monarchisten, reaktionären Ex-Militärs, völkischen Publizisten und politischen Terroristen in der bayerischen Metropole wäre der Aufstieg Hitlers bis 1923 unmöglich gewesen. Die eigentlichen Ermöglicher des Putsches sind auch bei Niess das Triumvirat von Generalstaatskommissar von Kahr, General von Lossow und Oberst von Seißer. Sie begingen im Herbst 1923 in Bayern den - so ein zeitgenössischer Beobachter - "offensten Verfassungsbruch, den die Reichsgeschichte seit 1871 kannte". In der Nacht vom 8. auf den 9. November setzten sie sich in letzter Minute von Hitler ab und taten danach alles dafür, das Ausmaß des geplanten Umsturzes wie auch ihre eigene Verantwortlichkeit herunterzuspielen.
Das juristische Nachspiel des Putsches, das Niess ausführlicher als Kellerhoff behandelt, machte deutlich, dass auch nach dessen Niederschlagung die Unterstützung für die Verschwörer in Bayern anhielt. Die Verhandlung wegen Hochverrats fand nicht vor dem zuständigen Staatsgerichtshof beim Reichsgericht in Leipzig statt, sondern vor dem Landgericht München. Die Reichsregierung unter Gustav Stresemann nahm dies trotz anfänglicher Proteste hin. Hitler und seine Mitverschwörer, unter ihnen Ludendorff und der spätere Stabschef der SA, Ernst Röhm, bekamen äußerst nachsichtige Richter, die ihnen mit dem Prozess bereitwillig eine öffentliche Bühne boten und im Urteilsspruch edle und selbstlose Motive zubilligten. Der "Weltkriegsheld" Ludendorff wurde sogar freigesprochen.
Der "Bayerische Kurier", keinesfalls ein Blatt der Linken, urteilte treffend, dass dieses Schauspiel von einer Gerichtsverhandlung oft nur den Namen getragen habe und "im Inhaltlichen einer völkischen Agitationsversammlung glich". Aus Sicht der maßgeblichen Verantwortlichen in Bayern, vor allem der Bayerischen Volkspartei als der dominierenden politischen Kraft, war das offenbar immer noch besser als eine partielle Abgabe von Souveränitätsrechten an das Reich, das man in den falschen Händen wähnte. Wenn es damals darum gegangen wäre, umfassend aufzuklären, dann hätten auch Männer wie Kahr, Lossow und Seißer auf die Anklagebank gehört. Dass mit dem fehlgeschlagenen Putsch die Demokratie gerettet war, sollte sich bald als "Stabilitätsillusion" (Peter Longerich) erweisen.
Niess' Buch endet mit wohlgemeinten geschichtspolitischen Überlegungen. So richtig es historisch ist, den Blick nicht auf Hitler und die NSDAP zu verengen, sondern die antidemokratischen Kräfte der konservativ-nationalen und nationalistischen Parteien wie die nicht immer zuverlässige Reichswehr breit einzubeziehen, so wenig überzeugt, wenn daraus umstandslos Handlungsanweisungen für die Gegenwart gemacht werden. Niess' Schlussfolgerung, dass nicht zu akzeptieren sei, wenn "Kernbestandteile der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auch nur vorübergehend oder in bestimmten Räumen außer Kraft gesetzt werden", mag man als geschichtspolitische Lehre des Jahres 1923 plausibel finden. Wenn er aber postuliert, dass es weiterhin "ein zentrales Element der Demokratiesicherung" sein müsse, "massive wirtschaftliche Erschütterungen durch kluge, langfristig orientierte Politik zu vermeiden und die Folgen wirtschaftlicher Krisen gegebenenfalls sozial abzusichern", dann wird die existenzielle Dynamik des Jahres 1923 auf ein allzu simples Maß bundesdeutscher Gegenwart zurechtgeschrumpft. DANIEL SIEMENS
Sven Felix Kellerhoff: "Der Putsch". Hitlers erster Griff nach der Macht.
Klett-Cotta Verlag, München 2023. 368 S., Abb., geb., 25,- Euro.
Wolfgang Niess: "Der Hitlerputsch 1923". Geschichte eines Hochverrats.
C. H. Beck Verlag, München 2023. 350 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Kellerhoff, Redakteur der 'Welt', erzählt lebendig und detailreich. Seine Chronik der Ereignisse ist eine Geschichte von Männern aus der ersten und zweiten Reihe der damaligen Politik, die mitunter den Sog eines Polit-Thrillers entfaltet. Eine Stärke des Buches ist die umfangreiche Auswertung zeitgenössischer deutscher und internationaler Tageszeitungen, mit deren Hilfe Kellerhoff die Atmosphäre der Zeit anschaulich schildert.« Daniel Siemens, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. März 2023 Daniel Siemens FAZ 20230324
eBook, ePUB
Autor und Historiker hat sich diesmal eines Themas angenommen, das im Jahr 2023 sein (unrühmliches) 100-Jahr-Jubiläum feiert: Der Hitler-Putsch im Jahr 1923. Ob es da wirklich etwas zu feiern gibt?
In seinen Analysen, die auf neuem, bislang unbekannten Material aufbauen, zeigt er, dass …
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Autor und Historiker hat sich diesmal eines Themas angenommen, das im Jahr 2023 sein (unrühmliches) 100-Jahr-Jubiläum feiert: Der Hitler-Putsch im Jahr 1923. Ob es da wirklich etwas zu feiern gibt?
In seinen Analysen, die auf neuem, bislang unbekannten Material aufbauen, zeigt er, dass der misslungene Putsch keineswegs so operettenhaft war, wie es manche so gerne gesehen haben (bzw. noch immer sehen).
In folgenden Kapiteln erläutert er die neuen Erkenntnisse:
Prolog
Ausgangslage
Vorbild
Anlauf
Volksfront
Sonderweg
Konfrontation
Entscheidung
Sturm
Scheitern
Epilog
Kellerhoff setzt das Geschehen sowohl in zeitlichem als auch in den geopolitischen Kontext. So finden die Ursachen (verlorener Krieg, Besetzung des Ruhrgebietes hohe Inflation etc.) genauso ihren Niederschlag wie die Sicht auf ein gelungenes Vorbild zur kompromisslosen Machtübernahme: Mussolinis Marsch auf Rom von 1922. Dennoch haben die zahlreichen Regierungen der Weimarer Republik die Gefahr von rechts sträflich unterschätzte, da sie von der Angst vor dem Kommunismus wie paralysiert waren, wie gleich zu Beginn des Kapitels „Ausgangslage“ der scharfsichtige Joseph Wirth zitiert wird:
„Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden seines Volkes träufelt. Da steht der Feind, und darüber ist kein Zweifel: Der Feind steht rechts.“
Und doch scheitert Hitlers Versuch mit so etwas wie einem „Marsch auf Berline“ von München aus, die Macht an sich zu reißen. Die Regierungsmitglieder in Berlin und in München lassen sich (vorerst)nicht in dieses Abenteuer ungewissen Ausgangs hineinziehen, obwohl (oder) weil sie alles anders als überzeugte Demokraten waren.
Genau diese Betrachtung der unterschiedlichen Sichtweisen zeichnet dieses Buch aus. Autor Kellerhoff bezieht das Zusammenwirken unterschiedlichster Kräfte und Strömungen mit ein. Ein interessanter Hinweis ist dann auch noch die Verurteilung Hitlers nach dem missglückten Putsch. Die vergleichsweise milde Strafe hat er einem Richter mit ähnlichem Gedankengut zu verdanken.
Wie wir es von Sven Felix Kellerhoff gewöhnt sind, schreibt er verständlich, manchmal pointiert und fesselnd.
Fazit:
Dieses Sachbuch richtet sich an Leser, die sich für Geschichte interessieren. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.
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