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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997

Glaube, Hiebe, Hoffnung
Nazis waren mehr als verirrte Theologen / Von Udo Bermbach

Daß totalitäre Diktaturen sich nicht nur durch Zwang und Gewalt, sondern auch durch eine ihnen je spezifische Vision zu behaupten suchen, ist bekannt. Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien, die den Versuch unternehmen, die großen totalitären Bewegungen dieses Jahrhunderts, Nationalsozialismus, Faschismus und Bolschewismus, mit quasitheologischen Begriffen zu untersuchen und dabei zu zeigen, daß die zugrunde liegenden Ideologien wie die im politischen Zentrum stehenden Führer sich durchaus in Analogie zu religiösen Bewegungen und deren Propheten begreifen lassen.

Als einer der ersten hat der Philosoph und Politikwissenschaftler Eric Voegelin, der 1938 zur Emigration aus Wien gezwungen wurde und von 1959 bis 1969 als einflußreicher Ordinarius für Politische Wissenschaft an der Münchner Universität wirkte, den Vorschlag gemacht, das Wesen des Nationalsozialismus als religiös bestimmt zu interpretieren. Belehrt durch eingehende religionsphilosophische Studien, hat er im Jahr seiner Vertreibung von der Wiener Universität in einer Studie über "Die politischen Religionen" seine Grundthese formuliert, alle modernen Totalitarismen seien innerweltliche Religionen, messianische Heilsversprechen, die an die Stelle der christlichen Offenbarung und Erlösungshoffnungen die Gewißheit irdischer Glücksverheißungen setzten.

Diese Grundüberzeugung Voegelins bildete den Ausgangspunkt eines im Mai 1995 in Wien veranstalteten Symposions, auf dem Wissenschaftler und Autoren unterschiedlicher Herkunft und Disziplinen jenen Teil des Nationalsozialismus zu erklären suchten, der - so die Herausgeber - "mit den üblichen Deutungen nicht zu erklären" ist. Was wohl heißen soll, daß die klassischen Bestimmungen totalitärer Herrschaft - verbindliche Ideologie, zentralisierte Einheitspartei, kontrollierte Meinungsmedien und terroristische Überwachung, geplante Wirtschaft und politisch fügsames Militär - nicht ausreichen, um die Faszination der Massen durch ein solches System und dessen ungeheure Wirksamkeit nachvollziehen zu können.

In drei Themenkomplexen suchen die Autoren sich dem Faschismus zu nähern. In einem ersten Teil werden die "apokalyptischen und gnostischen Elemente" behandelt, in einem zweiten dann der Nationalsozialismus als "religiöses Gesamtkunstwerk" interpretiert, in einem dritten schließlich als "säkulare Religion der Moderne" vorgestellt. Hinzu treten Aufsätze, die an einzelnen Beispielen der Literatur, Architektur und Malerei - hier an den erst 1990 gefundenen Graffiti eines SS-Malers im Führerbunker der Neuen Reichskanzlei - die zuvor gegebenen Ausdeutungen illustrieren.

Nahezu alle Beiträge wählen die These Voegelins als zentrales Erklärungsmodell. Michael Ley, zugleich einer der beiden Herausgeber, sieht den Ursprung der modernen "politischen Religionen" in der Offenbarung des Johannes, die - Ende des ersten Jahrhunderts verfaßt - in manichäischer Weise die Welt in Gut und Böse einteilt, die Vernichtung der Bösen und dadurch die Erlösung der Guten prophezeit. Dieser Dualismus der Weltbetrachtung führt im Christentum dann zur Stigmatisierung der Juden, weil sie Christi Kreuzigung bewirkt haben sollen - mit allen Folgen, die sich daraus ergeben, von der Ausgrenzung bis zur physischen Vernichtung. Die damit bezeichnete Linie eines sich ständig verschärfenden Vernichtungswillens führe, so die These, über Luther und viele Reformatoren, aber auch über die katholische Kirche, die politische Romantik und die aus ihr entstehenden völkischen Bewegungen hin zum Nationalsozialismus, der in Auschwitz vollendet, was die Apokalypse des Johannes einst prophezeite.

Solche ideenhistorische Kontinuitätskonstruktionen sind von ähnlicher Überzeugungskraft wie ihr genaues Gegenteil. Sie leben von assoziativ gefügten Strukturähnlichkeiten, die - gleichermaßen plausibel wie historisch unscharf - im Detail sogar unzutreffend sind. So unbestreitbar es einerseits eine lange Tradition eines gelegentlich auch außerordentlich scharf auftretenden Antisemitismus in der europäischen Geschichte gibt, sowenig ist es andererseits zulässig, vermeintlich ähnliche Argumentationsmuster aus der nachträglichen Perspektive des Holocaust zu interpretieren.

Natürlich überzeugt manches: so etwa Klaus Vondungs differenzierende Applikation des Begriffs der "politischen Religion" als "innerweltlicher Ekklesia" auf die Selbstinterpretation führender NS-Ideologen, die heilsgeschichtliche Selbststilisierung Hitlers oder Pipers Darstellung Alfred Rosenbergs und dessen über den Begriff des Mythos vermittelter Vorstellung vom starken religiösen Impuls des Nationalsozialismus. Oder François Bédaridas Analyse der chiliastischen Elemente und quasireligiösen Symbolik, die diese Art von Weltanschauung für ihre überzeugten Anhänger zu einer "Ersatzreligion" werden ließ. Anderes aber ist um so problematischer. Um ein besonders krasses Beispiel zu nennen: Daß Richard Wagner erneut zum direkten Wegbereiter des Holocaust gemacht wird, und dies in einer Weise, die bloße Behauptungen schon für Argumente hält - so der Beitrag von Gottfried Wagner -, ist nicht nur falsch. Es schafft auch jenen leichtes Schußfeld, die in alles beschönigender Weise Wagners Antisemitismus um jeden Preis verdrängen wollen.

Es ehrt die Herausgeber, daß sie die kritische Auseinandersetzung von Hans-Christof Kraus über Voegelins Grundthese aufgenommen haben. Zu Recht wird hier der leichte Umgang mit schwierigen Fragen moniert, wird festgehalten, daß ein "schnell denkender und vermutlich ebenso schnell formulierender Autor am Werk ist, der es sich zur Gewohnheit gemacht hat, unzweideutige, harte, konsequente - und daher im einzelnen auch nicht immer haltbare - Urteile zu fällen".

Das eben gilt auch für die meisten der hier versammelten Beiträge: Sie nehmen ein außerordentlich einfaches Interpretationsschema auf, dem sich die nationalsozialistische Weltanschauung zwanglos zu fügen scheint, weil alles, was sich darin nicht einpassen läßt, ganz einfach beiseite bleibt. Das soll indessen nicht heißen, daß die These von einer dualistisch konstruierten, politischen Religion völlig unbrauchbar ist. Sie kann im Gegenteil, wie Nike Wagner schreibt, "eine Perspektive des Begreifens für das Ungeheuerliche" eröffnen.

Sie läßt die Faszination jenes Wahnsystems ein wenig deutlicher werden, dem die Akteure wie deren Adressaten gleichermaßen verfallen waren. Aber sie blendet jene harten, konkreten Voraussetzungen aus, ohne die das NS-System sich gar nicht hätte etablieren können: die ganze Fülle der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme, mit denen die Weimarer Republik belastet war und die sie am Ende nicht mehr zu bewältigen vermochte. Doch erst unter solchen Krisenvoraussetzungen haben politische Religionen ihre Chancen, ohne sie wäre auch ein Hitler nicht an die Spitze der Machtpyramide aufgestiegen.

Michael Ley, Julius H. Schoeps (Hrsg.): "Der Nationalsozialismus als politische Religion". Studien zur Geistesgeschichte, Bd. 20. Philo Verlagsgesellschaft, Bodenheim bei Mainz 1997. 280 S., br., 48,- DM.

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