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Kein anderer Politiker hat bei seinen Fernsehauftritten so hohe Einschaltquoten erzielt, keiner verkauft so viele Bücher wie er. Und obwohl seine Kanzlerschaft (1974 - 1982) lange zurückliegt, blieb seine Meinung in Politik und Öffentlichkeit bis heute gefragt. Wenn Schmidt sprach, lauschte die Nation. Schmidt verkörpert die deutschen Tugenden und Untugenden wie kein anderer: Fleiß, Disziplin, Pflichtbewusstsein einerseits, Verdrängung von Schuld und Unterdrückung der Gefühle andererseits. Er war und ist der deutsche Kanzler schlechthin und den Deutschen nicht von ungefähr auch der liebste.…mehr

Produktbeschreibung
Kein anderer Politiker hat bei seinen Fernsehauftritten so hohe Einschaltquoten erzielt, keiner verkauft so viele Bücher wie er. Und obwohl seine Kanzlerschaft (1974 - 1982) lange zurückliegt, blieb seine Meinung in Politik und Öffentlichkeit bis heute gefragt. Wenn Schmidt sprach, lauschte die Nation.
Schmidt verkörpert die deutschen Tugenden und Untugenden wie kein anderer: Fleiß, Disziplin, Pflichtbewusstsein einerseits, Verdrängung von Schuld und Unterdrückung der Gefühle andererseits. Er war und ist der deutsche Kanzler schlechthin und den Deutschen nicht von ungefähr auch der liebste.
Martin Rupps fragt nach den Gründen, die Helmut Schmidt zum immerwährenden Lotsen der deutschen Politik werden ließen. Daraus entstanden ist nicht nur das Porträt eines ungewöhnlichen Mannes, sondern gleichzeitig das seiner Generation, der "Kriegsgeneration", die sich als die wirkmächtigste in der Geschichte der Bundesrepublik erweist und die mit Helmut Schmidts Tod ihren bedeutendsten Vertreter verloren hat.
Autorenporträt
Martin Rupps, Politikwissenschaftler, Historiker, Journalist, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Helmut Schmidt und hat mehrere Bücher über ihn vorgelegt. Er zählt heute zu den besten Kennern des Altbundeskanzlers.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2015

Ein Soldatenpolitiker?
Der Politologe und Journalist Martin Rupps lässt kein gutes Haar an Helmut Schmidt

In einer Forsa-Umfrage hielten die Deutschen 2014 Helmut Schmidt für den bedeutendsten Bundeskanzler nach 1945 - vor Konrad Adenauer und Willy Brandt. Er ist bis kurz vor seinem Tode am 10. November präsent gewesen durch Vorträge und Interviews, durch Zeitungsartikel und durch Bücher, in denen er Deutungsmacht über sein Leben und sein politisches Wirken zu gewinnen versucht hat.

Schmidt arbeite "am Denkmal seiner politischen Lebensarbeit und am Denkmal seiner Generation", schreibt Martin Rupps, der "vom spannungsreichen, wechselvollen, nicht immer harmonischen, aber beständigen Verhältnis zwischen Helmut Schmidt und den Deutschen" erzählen möchte und dazu einen generationengeschichtlichen Ansatz wählt. Er sieht in Schmidt einen "Mehrheitsdeutschen": "Dieselben Eigenschaften, die Helmut Schmidt in der eigenen Partei zum Außenseiter machen, heben ihn bei den Deutschen politisch aufs Schild. Denn er ist biographisch einer der Ihren: Er kommt aus einer Aufsteigerfamilie, er hat für das Vaterland gekämpft. Und er blickt - wie die meisten Deutschen - nach vorn." Man kann dem Autor noch folgen, wenn er Schmidt und seine Generation als nüchtern und pragmatisch, als technikbegeistert und fortschrittgläubig bezeichnet. In den Jahren der Großen Koalition von 1966 bis 1969 war Schmidt freilich nicht "Wachstumsminister", wie Rupps mit herablassendem Ton schreibt. Er hatte vielmehr als SPD-Fraktionsvorsitzender für den Zusammenhalt der Koalition zu sorgen.

Überaus fragwürdig ist es hingegen, wenn Rupps Schmidt das Etikett des "Soldatenkanzlers" verpasst, mit dem auch schon Sabine Pamperrien in der von ihr verfassten Biographie "Helmut Schmidt und der Scheißkrieg" den ehemaligen Bundeskanzler charakterisiert hat. Hatte Rupps in seiner 2002 erschienenen Schmidt-Biographie noch geschrieben, es sei "zu billig zu behaupten, Helmut Schmidt habe im Geiste nie seine Uniform abgestreift", so behauptet er jetzt: "Der Soldat streift die Uniform ab und wird zum Zivilisten, doch er behält soldatische Eigenschaften." Der Autor mag recht haben, dass Schmidts Prägung als Offizier im Zweiten Weltkrieg seinem Denken einen "autoritären Zug" verliehen hat, der ja in Schmidts ständiger Aufforderung an Willy Brandt, ein Machtwort zu sprechen, immer wieder zum Ausdruck kam. Falsch ist es jedoch, wenn der Autor Zweifel an der demokratischen Gesinnung der "Soldatenpolitiker" im Allgemeinen und Schmidts im Besonderen äußert: "Was die Soldatenpolitiker von früheren und späteren Politikergenerationen unterscheidet, ist ihr selbstherrliches Verhalten gegenüber demokratischen Institutionen und Feldern. In dieser Hinsicht sind sie die schlechtesten Demokraten der deutschen Nachkriegsgeschichte." Als Beweis hierfür dient dem Autor Schmidts - von vielen Politologen geteilte - Befürwortung des Mehrheitswahlrechts, mit dem er die FDP aus dem Bundestag katapultieren wollte.

An Niedertracht kaum mehr zu überbieten ist Rupps Unterstellung: "Helmut Schmidts Statements in der allabendlichen ,Tagesschau' sind Verkündigungen. Im Fernsehen würden er und die Seinen am liebsten so widerspruchslos schwadronieren wie der kommunistische Staatschef von Nordkorea." Wie kommt Rupps zu einer solchen Herabwürdigung? Schmidt suchte immer und vor allem in Ausnahmesituationen das Gespräch und ging Kontroversen nicht aus dem Weg, wenn auch seine Schroffheit manchmal verletzend wirken konnte. Dass er keine Entscheidungen "mithilfe intellektueller Diskurse" gefällt habe, ist einfach nicht zutreffend. Selbst im deutschen Herbst 1977, während der Entführung Hanns Martin Schleyers und der Kaperung der "Landshut" durch Terroristen einer Sondergruppe der palästinensischen PLFP, traf sich Schmidt mit einem kleinen Kreis bekannter Schriftsteller, um mit ihnen die Lage und die daraus erwachsende Verantwortung zu diskutieren.

Rupps geht es um eine Abrechnung mit Schmidt und seiner Generation. So höhnt er, im "Raumschiff Bonn" lebe ein "Männerbund von Flegeln zusammen, die sich im Bundestag für die Fernsehkameras und fürs Protokoll keilen, aber hinterher gemeinsam saufen und gemeinsam über ihre Ehebrüche schweigen". So mag sich Lieschen Müller Politik vorstellen - ein Politologe und Journalist, der sich so äußert, begeht eine kaum zu überbietende Gemeinheit. Rupps wirft Schmidt und seiner Generation vor, dass sie "besonders stur" an ihren Stühlen in der Politik geklebt habe, verschweigt freilich, dass Schmidt sich aus der politischen Verantwortung zurückzog, obwohl seine Partei ihn 1983 bekniet hatte, noch einmal als Kanzlerkandidat anzutreten.

Den Bruch mit der Generation Schmidts verkörpert für Rupps der 1943 geborene Oskar Lafontaine, der dem Bundeskanzler 1982 vorgeworfen hatte, über "Sekundärtugenden" zu verfügen, mit denen man "auch ein KZ betreiben" könne. Rupps bezeichnet Lafontaines Äußerung als "Ausdruck einer Generationendämmerung"; sie sei "zwar skandalisiert, aber nicht wirklich diskutiert" worden. Rupps, der vor nahezu 20 Jahren ein Buch über die geistigen Grundlagen der Politik Schmidts publiziert hat, hätte wissen müssen, dass dieser sein pragmatisches Handeln immer "als Handeln zu sittlichen Zwecken" verstand und Lafontaines böswillige Sätze deshalb nicht Grundlage für eine Diskussion sein konnten, sondern als Diffamierung gewertet werden mussten.

Warum genießt der Altkanzler nach dem Generationenbruch und dem eingetretenen Wertewandel noch immer große Verehrung? Rupps meint, auch hierfür eine Erklärung liefern zu können: "Eine ganze Generation von Westdeutschen, die geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1959 und 1964, durchlebt in den Siebzigern ihre Jugendzeit unter Bedingungen, die sie mit wachsendem Wohlstand und frei von Leistungsdruck groß werden lässt." Zu dieser Generation der Babyboomer, die während der Kanzlerschaft Schmidts erwachsen wird, zählt auch der Autor, bei dem aber ganz offensichtlich die Verehrung oder zumindest der Respekt für den "Lotsen" der Republik, den er in früheren Büchern noch geäußert hat, in Verachtung umgeschlagen ist. Über Schmidts Kanzlerschaft, seine späteren politischen Interventionen und Selbststilisierung lässt sich gewiss Kritisches sagen, aber eine solch unseriöse Abrechnung hat der Altkanzler nun wirklich nicht verdient.

PETRA WEBER

Martin Rupps: Der Lotse. Helmut Schmidt und die Deutschen. Orell Füssli Verlag, Zürich 2015. 368 S., 21,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bei aller Kritikwürdigkeit des Altkanzlers, dieses Buch, meint Petra Weber, hat Helmut Schmidt nicht verdient. Zu missfallen scheinen der Rezensentin an Martin Rupps' Abrechnung aber nicht nur der aggressive Ton und die Herabwürdigungen, die Schmidt zum "Soldatenpolitiker" degradieren, sondern auch die Weber auffallende Haltungsänderung des Autors, vom Respekt für Schmidt in früheren Büchern zur Verachtung. Der generationengeschichtliche Ansatz des Buches bringt so für Weber statt neuer Erkenntnisse bloß Niedertracht und eine Verzerrung der Tatsachen hervor, so wenn Schmidts politischer Stil als undemokratisch dargestellt wird.

© Perlentaucher Medien GmbH