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Wie verliebt man sich? Eine interessante Frage, findet Helen, und faszinierend vor allem durch den Kontext, in dem sie gestellt wird: in einem veritablen Liebesbrief nämlich. Die Anrede lautet "Liebes Schaf", der Verfasser zeichnet "Für immer, Bock". Helen ist sich keineswegs sicher, dass dieser Brief an sie gerichtet ist. Und sie wäre sowieso keine geeignete Adressatin: attraktiv, intelligent, selbstsicher und glücklich geschieden, ist sie die geborene Verführerin und setzt ihren Charme zielstrebig ein - die Rolle der Verführten dagegen liegt ihr überhaupt nicht. Doch der Brief lässt sie…mehr

Produktbeschreibung
Wie verliebt man sich? Eine interessante Frage, findet Helen, und faszinierend vor allem durch den Kontext, in dem sie gestellt wird: in einem veritablen Liebesbrief nämlich. Die Anrede lautet "Liebes Schaf", der Verfasser zeichnet "Für immer, Bock". Helen ist sich keineswegs sicher, dass dieser Brief an sie gerichtet ist. Und sie wäre sowieso keine geeignete Adressatin: attraktiv, intelligent, selbstsicher und glücklich geschieden, ist sie die geborene Verführerin und setzt ihren Charme zielstrebig ein - die Rolle der Verführten dagegen liegt ihr überhaupt nicht. Doch der Brief lässt sie nicht los. Sie muss herausbekommen, wer ihn geschrieben hat. "Wie verliebt man sich?" fragt der Brief, und Helen findet es trotz heftiger Gegenwehr bald heraus.
Autorenporträt
Cathleen Schine, 1953 in Westport, Connecticut, geboren, arbeitet in New York als Journalistin für Vogue, Village Voice und The New Yorker.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.1996

Frechheit gratis
Cathleen Schines Liebesbrief Von Thomas Steinfeld

Im Wolkenkuckucksheim befinden sich alle Dinge an ihrem Platz. Da ist der Morgen süß und verworren, da schmeckt der Kaffee besonders gut, da steht ein weißes Haus mit Veranda auf einer Anhöhe unter Bäumen, und da fährt ein alter Jaguar, "aber wie ein neuer Jaguar hatte er regelmäßig Pannen". So sieht es aus im Wolkenkuckucksheim, wenn es Pequot heißen und in Connecticut oder Massachusetts am Meer liegen soll. Jenseits des Highway gibt es eine andere Welt, aber sie muß nicht interessieren. Diesseits der großen Straße leben Anwälte, Erbinnen, Ärzte, Makler und Psychiater, und allenfalls die Liebe stiftet Unruhe. Aber nur ein bißchen, denn bis zur Sorge schafft sie es nicht.

Pequot ist eine romantische Erfindung der amerikanischen Journalistin Cathleen Schine, die ihren zweiten ins Deutsche übersetzten Roman "Der Liebesbrief" nennt. Mitten in die neuenglische Idylle hat sie eine Prinzessin gesetzt, die Buchhändlerin Helen MacFarquhar, und die Bewohner von Pequot haben offenbar nur einen Auftrag: ihre Buchhändlerin zu lieben. "Alle dachten an Helen, sprachen über Helen, flüsterten, träumten, erinnerten sich, versuchten zu vergessen, zu entsagen, von, über, an: Helen." Den Grund für diese Bewunderungsorgie erfährt der Leser nicht. Helen muß ganz einfach die liebenswerteste Person der Welt sein: Anfang Vierzig, hübsch, "in einer beinahe absurd guten körperlichen Verfassung". Die wenigen Versuche der Autorin, diesen außergewöhnlich gelungenen Charakter anschaulich zu machen, enden läppisch, und die Übersetzung fügt manches Ungeschick hinzu: "Ihr Aufzug erweckte stets den Eindruck kraftvoller Bewegung." Will sagen: Jeans und weißes T-Shirt, oder Nylon-Jogginghosen unten mit Sport-Bustier oben, bei freiem Blick auf die Nabelpartie.

Die ganze Geschichte wäre eine Auseinandersetzung nicht wert, wenn es nicht gegenwärtig eine ganze Reihe von Romanen mit weiblichen Helden gäbe, deren dramaturgisches Prinzip der immer wieder aufs neue anschwellende Beifall für die Hauptdarstellerin wäre. Sie bedienen offenbar einen Tagtraum, in dem die törichte Forderung, man habe einen Menschen so zu lieben, "wie er ist", auf seinen eitlen Kern reduziert wird: Applaus, Applaus, Applaus, auch wenn es keinen Grund dafür gibt.

In die Idylle von Pequot flattert ein Brief. Er öffnet die Türen im Wartesaal der Empfindungen. "Wie verliebt man sich?" heißt es in diesem anonymen Schreiben. Das Motiv des Liebesbriefs, der von zu vielen gelesen wird, stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert. Es gab Anlaß zu unerhörten Verwicklungen, zum Spott auf den Mechanismus des Gefühls, zur Ironie gegen die Leidenschaften und zur Reflexion darüber, ob es so etwas wie Redlichkeit überhaupt gibt. Cathleen Schine spielt mit der Tradition dieses Motivs, doch es dient einem anderen Zweck: Der Liebesbrief ohne Absender und Empfänger ist ein magischer Appell. Jeder, der ihn liest, gehorcht diesem Aufruf zum Bruch der Konvention. Warum das so ist, erfährt der Leser nicht. Wie auf Bestellung findet die Buchhändlerin also einen zwanzig Jahre jüngeren Mann, den sie aufliest wie ein "herrenloses Tier". Auch dieses Motiv ist nicht das jüngste, aber möglicherweise gibt es in neuenglischen Badeorten noch Restbestände viktorianischer Moral. Im Sortiment von Helens Buchhandlung, das ansonsten mit Rilke, Nabokov und Flaubert prunkt, fehlt offenbar Françoise Sagans "Lieben Sie Brahms?" von 1959: eine andere Geschichte, in der es um die Liebe einer reifen Frau geht, die dem Drängen eines jungen Manns nachgibt. Ein Vergleich wäre allerdings interessant: Die ältere Französin hat alle Erwartungen an die Liebe suspendiert, die Amerikanerin aber frönt diesem Idealismus, als könne man die Jugend ohne Zugewinn an Wissen und Weisheit bis ins hohe Alter fortsetzen. Und so, wie der Leser nicht versteht, warum die Bevölkerung Pequots ihrer Buchhändlerin so viel Beifall spendet, bleibt völlig im dunkeln, was die Liebe vorantreibt - es sei denn "vögeln von morgens bis abends, und dann immer noch weitervögeln".

Cathleen Schines Roman vom "Liebesbrief" handelt von einer Emanzipation. Am Ende bekennt sich die Heldin auch öffentlich zu ihrem Liebhaber. Sie tut das im selben Sinne, wie die Besitzer eines Studios für Körperertüchtigung in Pequot keinen Hehl aus ihrer Homosexualität machen, wie Helens Mutter öffentlich zur Lesbierin wird und ihre Großmutter mit achtzig überlegt, ob sie sich tätowieren lassen soll. Ein jeder hat sein "coming out" und darf eine Karriere im Eigensinn verfolgen. Sie wird als Bruch der Konventionen inszeniert, aber sie kostet nichts und ist folgenlos. Sie ist Frechheit gratis.

"Werde, der du bist", schrieb Friedrich Nietzsche. Die Empfehlung huldigt einer falschen Vorstellung von Freiheit: als wenn die Entscheidung über Tun und Lassen eines Menschen schlicht in dessen eigenes Belieben fiele - ein psychologisches Problem, mehr nicht. "Du darfst", antwortet Cathleen Schine auf diesen Rat. Kein Wunder, daß dieser Satz auch ein Warenzeichen für Halbfettwaren ist.

Cathleen Schine: "Der Liebesbrief". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Giovanni Bandini und Ditte König. Carl Hanser Verlag, München und Wien 1996. 284 S., geb., 36,- DM.

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