Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2003Lesen!
Bücher, die der Bundeskanzler braucht
Gerhard Schröder macht Ferien zu Hause - da bleibt viel Zeit zum Lesen. Im vergangenen Jahr war seine Urlaubslektüre ein "Buch über die Geschichte Polens". Die Leseliste für dieses Jahr, so hat der Kanzler dem "SZ-Magazin" verraten, müsse er noch "zusammenstellen". Ein paar Tips.
"Zeno Cosini" von Italo Svevo. Die Zeit im Triest des Italo Svevo vergeht fast so zäh, wie sie in der sogenannten Berliner Republik vergeht, was allerdings Zeno Cosini wenig stört: Der zeigt selbst als Fremdgänger und Ehebrecher eine gewisse Beständigkeit, und seinem Lebensziel, sich das Rauchen abzugewöhnen, kommt er mit jeder Zigarette näher: Er raucht sie, als ob sie seine letzte wäre. (Rowohlt, 9,90 Euro)
"Ein Kampf um Rom" von Felix Dahn. Die leichte Lektüre für richtig heiße Tage: Wie die Germanen schon in der Spätantike nach Italien kamen. Wie sie dort Anstoß erregten wegen ihrer derben Manieren. Und wie sie schließlich vernichtend geschlagen wurden. (Karl-May-Verlag, 12,90 Euro)
"Der Leopard" von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Ein schmaler Roman für eher melancholische Stunden. Der Wind der Geschichte fährt durch das träge Sizilien, und über den berühmtesten Satz des Buches läßt sich bei ein paar Gläsern Rotwein bis tief in die Nacht meditieren: "Wenn alles bleiben soll, wie es ist, dann muß sich alles ändern." (Piper Taschenbuch, 9,90 Euro)
"I, Claudius" von Robert von Ranke-Graves. Das muß er leider im englischen Original lesen, weil es auf deutsch nur eine verstümmelte Digestausgabe gibt. Der Kanzler kann hier lernen, daß die Römer mindestens tausend Jahre mehr Erfahrung im Intrigieren haben; daß Augustus' Herrschaft dadurch so stabil blieb, daß der Kaiser niemals ein Machtwort sprach; und daß die Bewohner Niedersachsens den Bewohnern Roms auch schon vor 2000 Jahren ganz gewaltig auf den Geist gingen. (Penguin Books, 12,34 Euro)
"De oratore / Über den Redner" von Cicero. Das etwas zeitintensivere Studium lohnt sich - bessere Tips zur Gestaltung einer überzeugenden Rede findet man bis heute nicht. (Reclam, 12,60 Euro)
"Die nackten Masken" von Luigi Malerba. Aus diesem großen Sittengemälde aus der Spätrenaissance läßt sich manches erfahren über Korruption und Intrigen. Nach dem Tod des Medici-Papstes Leo X. bangen Künstler, Huren und Kardinäle um ihre Pfründen, und wenn man lange genug hinschaut, dann fallen auch irgendwann die historischen Masken und Kostüme. (Wagenbach Verlag, 20,50 Euro)
"Der Fürst" von Niccolò Machiavelli. Undenkbar, daß der Kanzler diesen Klassiker der politischen Theorie noch nicht gelesen hat. Vermutlich liegt er griffbereit auf dem Nachtschränkchen in Hannover wie im Kanzleramt, weil man natürlich nie genug darüber nachdenken kann, "was das oberste politischen Amt sei, wie viele Arten es davon gibt, wie und wann man es behält, und wie und wann man es verliert". (Insel Verlag, 8 Euro)
"Selbstbetrachtungen" von Mark Aurel. Täglich eine Seite vorm Zubettgehen, das ist die ideale Lektüre-Dosis für die Aphorismensammlung des philosophierenden römischen Kaisers. Der Band gehört schon seit Helmut Schmidts Zeiten zur Bibliothek des Kanzleramts. Und eine Einübung in die stoische Lebenshaltung kann in Zeiten wie diesen nie schaden. (Reclam Verlag, 4,60 Euro)
Zusammengestellt von Peter Körte und Claudius Seidl.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bücher, die der Bundeskanzler braucht
Gerhard Schröder macht Ferien zu Hause - da bleibt viel Zeit zum Lesen. Im vergangenen Jahr war seine Urlaubslektüre ein "Buch über die Geschichte Polens". Die Leseliste für dieses Jahr, so hat der Kanzler dem "SZ-Magazin" verraten, müsse er noch "zusammenstellen". Ein paar Tips.
"Zeno Cosini" von Italo Svevo. Die Zeit im Triest des Italo Svevo vergeht fast so zäh, wie sie in der sogenannten Berliner Republik vergeht, was allerdings Zeno Cosini wenig stört: Der zeigt selbst als Fremdgänger und Ehebrecher eine gewisse Beständigkeit, und seinem Lebensziel, sich das Rauchen abzugewöhnen, kommt er mit jeder Zigarette näher: Er raucht sie, als ob sie seine letzte wäre. (Rowohlt, 9,90 Euro)
"Ein Kampf um Rom" von Felix Dahn. Die leichte Lektüre für richtig heiße Tage: Wie die Germanen schon in der Spätantike nach Italien kamen. Wie sie dort Anstoß erregten wegen ihrer derben Manieren. Und wie sie schließlich vernichtend geschlagen wurden. (Karl-May-Verlag, 12,90 Euro)
"Der Leopard" von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Ein schmaler Roman für eher melancholische Stunden. Der Wind der Geschichte fährt durch das träge Sizilien, und über den berühmtesten Satz des Buches läßt sich bei ein paar Gläsern Rotwein bis tief in die Nacht meditieren: "Wenn alles bleiben soll, wie es ist, dann muß sich alles ändern." (Piper Taschenbuch, 9,90 Euro)
"I, Claudius" von Robert von Ranke-Graves. Das muß er leider im englischen Original lesen, weil es auf deutsch nur eine verstümmelte Digestausgabe gibt. Der Kanzler kann hier lernen, daß die Römer mindestens tausend Jahre mehr Erfahrung im Intrigieren haben; daß Augustus' Herrschaft dadurch so stabil blieb, daß der Kaiser niemals ein Machtwort sprach; und daß die Bewohner Niedersachsens den Bewohnern Roms auch schon vor 2000 Jahren ganz gewaltig auf den Geist gingen. (Penguin Books, 12,34 Euro)
"De oratore / Über den Redner" von Cicero. Das etwas zeitintensivere Studium lohnt sich - bessere Tips zur Gestaltung einer überzeugenden Rede findet man bis heute nicht. (Reclam, 12,60 Euro)
"Die nackten Masken" von Luigi Malerba. Aus diesem großen Sittengemälde aus der Spätrenaissance läßt sich manches erfahren über Korruption und Intrigen. Nach dem Tod des Medici-Papstes Leo X. bangen Künstler, Huren und Kardinäle um ihre Pfründen, und wenn man lange genug hinschaut, dann fallen auch irgendwann die historischen Masken und Kostüme. (Wagenbach Verlag, 20,50 Euro)
"Der Fürst" von Niccolò Machiavelli. Undenkbar, daß der Kanzler diesen Klassiker der politischen Theorie noch nicht gelesen hat. Vermutlich liegt er griffbereit auf dem Nachtschränkchen in Hannover wie im Kanzleramt, weil man natürlich nie genug darüber nachdenken kann, "was das oberste politischen Amt sei, wie viele Arten es davon gibt, wie und wann man es behält, und wie und wann man es verliert". (Insel Verlag, 8 Euro)
"Selbstbetrachtungen" von Mark Aurel. Täglich eine Seite vorm Zubettgehen, das ist die ideale Lektüre-Dosis für die Aphorismensammlung des philosophierenden römischen Kaisers. Der Band gehört schon seit Helmut Schmidts Zeiten zur Bibliothek des Kanzleramts. Und eine Einübung in die stoische Lebenshaltung kann in Zeiten wie diesen nie schaden. (Reclam Verlag, 4,60 Euro)
Zusammengestellt von Peter Körte und Claudius Seidl.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2019Königliches
Sprachkleid
Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Der Leopard“
in der Neuübersetzung von Burkhart Kroeber
VON MAIKE ALBATH
Es ist ein großer Moment: Don Fabrizio Salina führt Angelica, die strahlende Verlobte seines Neffen Tancredi, in die palermitanische Gesellschaft ein. In den prachtvollen Sälen des Palazzo Ponteleone wird das Familienoberhaupt plötzlich von Schwermut ergriffen. Das alte Sizilien? Verloren! Die glanzvolle Haushaltsführung? Nichts als Theater! Seit der nationalen Einigung 1861 im Vorjahr versinkt die Welt, der er sich zugehörig fühlte, und der Fürst spürt Todesnähe. Doch als ihn seine zukünftige Nichte zum Walzer auffordert und er mit ihr das Parkett betritt, fallen mit jeder Drehung Jahrzehnte von seinen Schultern. Don Fabrizio sticht noch einmal seinen Neffen aus, umfasst mit seinen „Pranken“ die Taille Angelicas und bewegt seinen mächtigen Körper, ganz wie der stolze Leopard auf seinem Wappen, mit kraftvoller Eleganz. Die Gäste weichen bewundernd zur Seite.
Es ist dieser weit ausgreifende Walzertakt, den auch die Neuübersetzung von Burkhart Kroeber in sich trägt. Zum ersten Mal entfaltet Tomasi di Lampedusas Roman „Der Leopard“ über den Epochenbruch nach Garibaldis Eroberung der Insel den Schwung des Originals und die vibrierende untergründige Ironie. Das liegt an der Präzision auf lexikalischer Ebene, dem Sensorium für Soziolekte und vor allem an der Sorgfalt im Satzbau. Kroeber setzt Akzente, variiert die Verbstellung, arbeitet mit Inversionen, retardiert oder rafft, wodurch das Gefüge einen eigenen Rhythmus gewinnt. Denn die großartigen Tableaus Tomasis, die auf acht Kapitel verteilt sind und die Zeit zwischen 1860 und 1910 umfassen, werden mit dem erzählerischen Gestus des 19. Jahrhunderts entworfen. Zugleich durchlöchern innere Monologe immer wieder die Allwissenheit des Erzählers. Manchmal sind es Nuancen. Der näselnde Tancredi, der sich Garibaldi anschließen will, besäße eben einen jugendlichen Elan, heißt es, „überrascht zu sein war jedoch wohl erlaubt“ endet der Satz, und urplötzlich landen wir im Kopf Don Fabrizios. Kroeber arbeitet das Formvollendete an Tomasis Schreibweise heraus: „Um vier Uhr nachmittags ließ der Fürst Chevalley ausrichten, er erwarte ihn nun im Arbeitszimmer. Es war dies ein vergleichsweise kleiner Raum …“ Ungleich hölzerner die Version von Giò Waeckerlin Induni, die 2004 erschienen war: „Um vier Uhr nachmittags ließ der Fürst Chevalley bestellen, dass er ihn im Arbeitszimmer erwarte. Es war ein kleiner Raum …“
Bei der Unterredung wird Don Fabrizio dem piemontesischen Abgesandten Chevalley, der ihm ein Amt anträgt und den Fürsten für den Wandel Italiens gewinnen will, eine Absage erteilen. Sizilien sei nicht zu retten, stellt er fest und empfiehlt ausgerechnet Angelicas Vater für den neuen Senat. Dieser Mann, ein Emporkömmling und Prototyp eines Mafioso, soll das Vakuum füllen, das seine eigene, passive Gesellschaftsklasse hinterlassen hat. Obwohl „Der Leopard“ mit Tancredis sprichwörtlichem Ausruf „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern“ beginnt, erzählt Tomasi di Lampedusa vor allem vom Wandel. Der Opportunist Tancredi heiratet die schwerreiche Angelica mit ihrer appetitlichen Sahnehaut und sichert sich dadurch seine Position. Don Fabrizios eigene Tochter Concetta, die sehr viel standesgemäßer gewesen wäre, endet als alte Jungfer und Reliquiensammlerin.
Liebesgeschichte, ätzendes Gesellschaftsporträt, eine politische Analyse mit Anklängen an Machiavelli – Tomasi di Lampedusa, der seinen Roman kurz vor seinem Tod 1957 beendete und die Veröffentlichung im Jahr darauf nicht mehr erlebte, hat viel zu bieten. Dass sein Hauptwerk nun zum dritten Mal auf Deutsch erscheint, ist mehr als gerechtfertigt. Die erste, durchaus angemessene Übersetzung von Charlotte Birnbaum aus dem Jahr 1959 ist in die Jahre gekommen. Wer sie liest, fühlt sich wie in der staubigen, überladenen Wohnstube einer Großtante. Bei Birnbaum heißt es „Gesumm“, wenn von mehreren Stimmen die Rede ist, was bei Kroeber zu „Gemurmel“ wird. Frauen sind „füllig“ statt „üppig“, die Sonne „beglänzt“ den Fürsten, statt einfach nur zu scheinen.
Bei Waeckerlin Induni „leuchtet“ sie gar.
Während Don Fabrizio bei Kroeber sich die Wange anschaulich „schabt“, „rasiert“ er sich bei Birnbaum nur. Waeckerlin Induni, deren Syntax insgesamt ungeordneter wirkt, verfehlt häufig das Register. Bei ihr ist anbiedernd von „Nackedeis“ oder von „Gspusi“ die Rede, dann aber bei schlichten Eukalyptusbäumen steif von „Eukalypten“ und von „Gestade“, wenn „Küste“ gereicht hätte.
Besonders schön sind bei Kroeber die Wechsel zwischen wohlerzogenem Geplauder, den frivolen Bemerkungen Tancredis, den salbungsvollen Formeln des Paters und dem politischen Pathos der Einheit. Wie Walter Benjamin in seinem Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“ feststellte, altert die Sprache einer Übersetzung anders und schneller als die des Originals. Mit beeindruckender philologischer Genauigkeit bildet Burkhart Kroeber Tomasi di Lampedusas sinnliche Schilderungen und kraftvollen Bilder im Deutschen nach. Er legt dem Klassiker einen neuen Königsmantel aus Sprache um, ganz wie es einem Leoparden gebührt.
Die Übersetzung entfaltet den
Schwung des Originals und seine
vibrierende untergründige Ironie
Giuseppe Tomasi
di Lampedusa:
Der Leopard.
Roman. Aus dem
Italienischen von
Burkhart Kroeber.
Piper Verlag,
München 2019.
400 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sprachkleid
Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Der Leopard“
in der Neuübersetzung von Burkhart Kroeber
VON MAIKE ALBATH
Es ist ein großer Moment: Don Fabrizio Salina führt Angelica, die strahlende Verlobte seines Neffen Tancredi, in die palermitanische Gesellschaft ein. In den prachtvollen Sälen des Palazzo Ponteleone wird das Familienoberhaupt plötzlich von Schwermut ergriffen. Das alte Sizilien? Verloren! Die glanzvolle Haushaltsführung? Nichts als Theater! Seit der nationalen Einigung 1861 im Vorjahr versinkt die Welt, der er sich zugehörig fühlte, und der Fürst spürt Todesnähe. Doch als ihn seine zukünftige Nichte zum Walzer auffordert und er mit ihr das Parkett betritt, fallen mit jeder Drehung Jahrzehnte von seinen Schultern. Don Fabrizio sticht noch einmal seinen Neffen aus, umfasst mit seinen „Pranken“ die Taille Angelicas und bewegt seinen mächtigen Körper, ganz wie der stolze Leopard auf seinem Wappen, mit kraftvoller Eleganz. Die Gäste weichen bewundernd zur Seite.
Es ist dieser weit ausgreifende Walzertakt, den auch die Neuübersetzung von Burkhart Kroeber in sich trägt. Zum ersten Mal entfaltet Tomasi di Lampedusas Roman „Der Leopard“ über den Epochenbruch nach Garibaldis Eroberung der Insel den Schwung des Originals und die vibrierende untergründige Ironie. Das liegt an der Präzision auf lexikalischer Ebene, dem Sensorium für Soziolekte und vor allem an der Sorgfalt im Satzbau. Kroeber setzt Akzente, variiert die Verbstellung, arbeitet mit Inversionen, retardiert oder rafft, wodurch das Gefüge einen eigenen Rhythmus gewinnt. Denn die großartigen Tableaus Tomasis, die auf acht Kapitel verteilt sind und die Zeit zwischen 1860 und 1910 umfassen, werden mit dem erzählerischen Gestus des 19. Jahrhunderts entworfen. Zugleich durchlöchern innere Monologe immer wieder die Allwissenheit des Erzählers. Manchmal sind es Nuancen. Der näselnde Tancredi, der sich Garibaldi anschließen will, besäße eben einen jugendlichen Elan, heißt es, „überrascht zu sein war jedoch wohl erlaubt“ endet der Satz, und urplötzlich landen wir im Kopf Don Fabrizios. Kroeber arbeitet das Formvollendete an Tomasis Schreibweise heraus: „Um vier Uhr nachmittags ließ der Fürst Chevalley ausrichten, er erwarte ihn nun im Arbeitszimmer. Es war dies ein vergleichsweise kleiner Raum …“ Ungleich hölzerner die Version von Giò Waeckerlin Induni, die 2004 erschienen war: „Um vier Uhr nachmittags ließ der Fürst Chevalley bestellen, dass er ihn im Arbeitszimmer erwarte. Es war ein kleiner Raum …“
Bei der Unterredung wird Don Fabrizio dem piemontesischen Abgesandten Chevalley, der ihm ein Amt anträgt und den Fürsten für den Wandel Italiens gewinnen will, eine Absage erteilen. Sizilien sei nicht zu retten, stellt er fest und empfiehlt ausgerechnet Angelicas Vater für den neuen Senat. Dieser Mann, ein Emporkömmling und Prototyp eines Mafioso, soll das Vakuum füllen, das seine eigene, passive Gesellschaftsklasse hinterlassen hat. Obwohl „Der Leopard“ mit Tancredis sprichwörtlichem Ausruf „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern“ beginnt, erzählt Tomasi di Lampedusa vor allem vom Wandel. Der Opportunist Tancredi heiratet die schwerreiche Angelica mit ihrer appetitlichen Sahnehaut und sichert sich dadurch seine Position. Don Fabrizios eigene Tochter Concetta, die sehr viel standesgemäßer gewesen wäre, endet als alte Jungfer und Reliquiensammlerin.
Liebesgeschichte, ätzendes Gesellschaftsporträt, eine politische Analyse mit Anklängen an Machiavelli – Tomasi di Lampedusa, der seinen Roman kurz vor seinem Tod 1957 beendete und die Veröffentlichung im Jahr darauf nicht mehr erlebte, hat viel zu bieten. Dass sein Hauptwerk nun zum dritten Mal auf Deutsch erscheint, ist mehr als gerechtfertigt. Die erste, durchaus angemessene Übersetzung von Charlotte Birnbaum aus dem Jahr 1959 ist in die Jahre gekommen. Wer sie liest, fühlt sich wie in der staubigen, überladenen Wohnstube einer Großtante. Bei Birnbaum heißt es „Gesumm“, wenn von mehreren Stimmen die Rede ist, was bei Kroeber zu „Gemurmel“ wird. Frauen sind „füllig“ statt „üppig“, die Sonne „beglänzt“ den Fürsten, statt einfach nur zu scheinen.
Bei Waeckerlin Induni „leuchtet“ sie gar.
Während Don Fabrizio bei Kroeber sich die Wange anschaulich „schabt“, „rasiert“ er sich bei Birnbaum nur. Waeckerlin Induni, deren Syntax insgesamt ungeordneter wirkt, verfehlt häufig das Register. Bei ihr ist anbiedernd von „Nackedeis“ oder von „Gspusi“ die Rede, dann aber bei schlichten Eukalyptusbäumen steif von „Eukalypten“ und von „Gestade“, wenn „Küste“ gereicht hätte.
Besonders schön sind bei Kroeber die Wechsel zwischen wohlerzogenem Geplauder, den frivolen Bemerkungen Tancredis, den salbungsvollen Formeln des Paters und dem politischen Pathos der Einheit. Wie Walter Benjamin in seinem Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“ feststellte, altert die Sprache einer Übersetzung anders und schneller als die des Originals. Mit beeindruckender philologischer Genauigkeit bildet Burkhart Kroeber Tomasi di Lampedusas sinnliche Schilderungen und kraftvollen Bilder im Deutschen nach. Er legt dem Klassiker einen neuen Königsmantel aus Sprache um, ganz wie es einem Leoparden gebührt.
Die Übersetzung entfaltet den
Schwung des Originals und seine
vibrierende untergründige Ironie
Giuseppe Tomasi
di Lampedusa:
Der Leopard.
Roman. Aus dem
Italienischen von
Burkhart Kroeber.
Piper Verlag,
München 2019.
400 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Dass Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman mehr als nur die Vorlage zu Luchino Viscontis Film ist, wird Rainer Moritz mit dieser Übersetzung von Burkhart Kroeber klar. Hier kann er endlich den literarischen Rang erkennen, der in diesem - eigentlich unbestrittenen - Großwerk der Weltliteratur - steckt. Moritz schwärmt von der betörenden Sinnlichkeit, der historischen Komplexität und der Vergeblichkeit, mit der Tomasi die Geschichte um ein sizialianisches Adelsgeschlecht erzählt, das zur Zeit der italienischen Einigung gegen seinen Niedergang kämpft. Ohne direkt in den Vergleich mit anderen Übersetzungen zu gehen, preist er Kroebers Übersetzerleistung überschwänglich. Nicht ganz einverstanden ist Moritz damit, dass Kroeber wieder Passagen in den Roman einfügt, die Tomasi bereits gestrichen hatte. Aber mit großer Dankbarkeit verzeichnet er, dass er von der unglücklichen Entscheidung Abstand genommen hat, dem Roman den deutsch-italienischen Zwitter-Titel "Der Gattopardo" zu geben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Wie Tomasi die Sprachregister wechselt, über welchen Anspielungsreichtum er verfügt und zu welch mitunter kühnen Metaphern er greift, das alles lässt sich in der neuen Übersetzung nun nachvollziehen und gibt Tomasis 'Leopard' eine erstaunliche Frische und Brillanz.« Deutschlandfunk "Büchermarkt" 20200315