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Wolfgang Herkenrath ist ein sympathischer Träumer und zugleich ein nüchterner Realist. Und er hat Großes vor - er will ein Nordlicht zur Kölner Bucht locken. Für sein weiträumiges Projekt "Sky Art" bringt der ehemalige Ausstellungstechniker eines völkerkundlichen Museums die nötigen Voraussetzungen mit: konstruktiven Sachverstand, Beziehung zum Schamanentum und Nachwirkungen eines Kriegsjahres auf einem Wetterschiff vor Grönland. Zudem ist er die Ruhe in Person: Mit seiner Gelassenheit irritiert er seine Frau, erotisiert er die junge Claudia, von der er sich am Kölner Rheinufer zum Walzer…mehr

Produktbeschreibung
Wolfgang Herkenrath ist ein sympathischer Träumer und zugleich ein nüchterner Realist. Und er hat Großes vor - er will ein Nordlicht zur Kölner Bucht locken. Für sein weiträumiges Projekt "Sky Art" bringt der ehemalige Ausstellungstechniker eines völkerkundlichen Museums die nötigen Voraussetzungen mit: konstruktiven Sachverstand, Beziehung zum Schamanentum und Nachwirkungen eines Kriegsjahres auf einem Wetterschiff vor Grönland. Zudem ist er die Ruhe in Person: Mit seiner Gelassenheit irritiert er seine Frau, erotisiert er die junge Claudia, von der er sich am Kölner Rheinufer zum Walzer auffordern läßt. In Herkenraths innerer Ruhe entfaltet sich auch die künstlerische Vision, die er mit seinen beiden Freunden der "Tunu-Connection" realisieren möchte: das Polarlicht über Köln in der Stunde der Umstellung von Sommerzeit auf Winterzeit.
Autorenporträt
Dieter Kühn, geboren 1935 in Köln, starb 2015 in Brühl. Für seine Biographien, Romane, Erzählungen, Hörspiele und hoch gerühmten Übertragungen aus dem Mittelhochdeutschen (das 'Mittelalter-Quartett') erhielt er den Hermann-Hesse-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und zuletzt die Carl-Zuckmayer-Medaille. Zu seinen Werken gehören große Biographien (über Clara Schumann, Maria Sibylla Merian, Gertrud Kolmar sowie sein berühmtes Buch über Oswald von Wolkenstein), Romane ('Geheimagent Marlowe'), historisch-biographische Studien ('Schillers Schreibtisch in Buchenwald') und Erzählungsbände ('Ich war Hitlers Schutzengel'). Zuletzt erschienen die beiden autobiographischen Bände 'Das Magische Auge' und 'Die siebte Woge' sowie sein Theaterbuch 'Spätvorstellung'.Literaturpreise (Auswahl):Hermann-Hesse-PreisGroßer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen KünsteNominiert für den Deutschen Bücherpreis 2002Carl-Zuckmayer-Medaille 2014 2014
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.1997

Rheinischer Rabe im Nordlicht
Kunst beruhigt: Dieter Kühn am Eskimo-Flipper

Es ist kalt geworden. Außergewöhnliches Gespür für Schnee ist längst nicht mehr nötig, um die "neue Eiszeit" in der Gegenwartsliteratur auszumachen. Nun hat auch Dieter Kühn einen "Grönland"-Roman geschrieben. Zwar hat dieser Autor stets ein sensibles Gespür für Trends bewiesen (seine oft gerühmte Mittelalter-Trilogie etwa kam zur passenden Zeit), dennoch wäre es ungerecht, ihm jetzt zu unterstellen, er habe lediglich ein modisches Sujet aufgegriffen. Die Keimzelle des Romans "Der König von Grönland", eine zwanzigseitige Erzählung gleichen Titels, stammt bereits von 1984, aus demselben Jahr also, in dem Christoph Ransmayrs "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" für den ersten Temperatursturz sorgte. Seit je wurde die Imagination Dieter Kühns nicht nur durch zeitlich Entferntes, sondern auch durch räumliche Exotik herausgefordert. Die Erzählung "Und der Sultan von Oman" (1979) konfrontierte einen Geschäftsmann mit der arabischen Wüste, das Fabulierkunstwerk "Beethoven und der schwarze Geiger" (1990) schickte den Komponisten auf eine traumhafte Reise an die Westküste Afrikas.

Das neue Buch schreibt die Aufbrüche ins ganz andere mit dem Vorzeichen der Ironie fort. Wolfgang Herkenrath ist Ausstellungstechniker im Ruhestand. Ruhe will sich jedoch nicht einstellen. Seine Ehe kriselt, Köln ist laut und hektisch; Leben im Zeichen der Geschwindigkeit. Herkenrath versucht, dem etwas entgegenzusetzen. Er stellt seine Wahrnehmung ganz auf die "Rückseite" des Stadtlebens ein, wandert nachts durch die verlassenen Straßen, beobachtet am Tag jene Menschen, die sich der Beschleunigung zu entziehen scheinen: ein Taubstummenpaar, Akrobaten und Musiker vor dem Dom, Fixer am Rheinufer, die sich "ein anderes Zeitgefühl in die Venen drücken". Vor allem aber beobachtet er die Rheinschiffe: "Da entsteht Sog im Nachblicken: Offene See . . . Meer . . . Atlantik . . .!" Als junger Mann hatte Herkenrath ein prägendes Erlebnis: Während des Krieges hat er ein Jahr auf einem Wetterschiff vor Grönland verbracht. Diese Erfahrung einer Gegenwelt der Stille läßt ihn nicht mehr los. An der Volkshochschule hält er Vorträge über sein Thema, in der Stammkneipe hat es ihm bereits den Spitznamen "König von Grönland" eingetragen.

Und nun bereitet Herkenrath ein Großereignis vor, er nennt es "sky art": In der Stunde der Umstellung von Sommerzeit auf Winterzeit will er ein Nordlicht von Grönland her in die Kölner Bucht locken. Als ehemaliger Angestellter eines völkerkundlichen Museums kennt er sich aus mit magischen Praktiken. Auf dem Südturm der Kölner Rheinbrücke wird er eine aus dem Museumsmagazin entwendete, mit "guter Energie" aufgeladene Rabenstatuette aufstellen, Schnabel nordwärts. Am anderen Ende der so gebildeten Kraftlinie soll dann in telepathischer Abstimmung eine grönländische Schamanin dafür sorgen, daß das Nordlicht "auf die Reise geschickt" wird. Entlang der "mentalen Nordwest-Passage" wird man es herüberholen, ähnlich der "Bewegung einer Gardine unter einer Laufschiene". Gelegentlich überkommt Herkenrath allerdings Kleinmut. Um die Mitarbeit der Schamanin zu sichern, denkt er über Telepathie hinaus an handfeste Entführung und nimmt zu diesem Zweck Kontakt mit der Unterwelt auf. Aber auch damit ist der Rentner nicht ausgelastet. Er plant ein "virtuelles Grönland" in einer alten Industriehalle und arbeitet nebenbei an einem "Eskimo-Flipper" mit gedämpften Kugeln: anstatt des üblichen Lärms soll das Gerät Ruhe verbreiten.

Das alles ist, wie man sieht, nicht völlig ernst gemeint. Im Roman "Die Kammer des schwarzen Lichts" von 1984 schilderte Kühn eine psychotherapeutische Seelenerkundung; zugleich wurden die Betroffenheitsklischees solcher Selbsterfahrung parodiert. Ganz ähnlich wird hier Herkenraths verstiegenes Projekt einerseits liebevoll gezeichnet, andererseits der esotherische Zeitgeist der neunziger auf die Schippe genommen. Dementsprechend ist das Buch nicht aufgeteilt in Kapitel, sondern in "rituelle Passagen". Mit ritueller Langsamkeit schüttet Herkenrath einmal eine Fisch-Bouillabaisse ab, um "die innere Ruhe der Suppe nicht zu stören", seine junge Freundin begeistert sich für "Aura-Fotografie". Auch die Utopie der Stille wird ironisch unterlaufen: "Das wirkliche Grönland soll weiterhin enttäuschend sein, nach allem, was man hört und liest: reichlich Nebel, im Sommer Myriaden von Mücken, notorisch Müll in der Nähe von Häusern und Siedlungen, Inuit-Kids mit Gettoblastern."

Herkenraths Bemühungen um das Nordlicht sollen als metaphorische Erzählung über Kunst und Künstler gelesen werden. Aber der Untertitel "ein Künstlerroman" ist zweideutig, und diese Zweideutigkeit nimmt ihm das Pathetische. Denn nicht nur Herkenrath, buchstäblich jeder ist hier Künstler; durch den Roman weht der Geist von Joseph Beuys. Man meißelt, malt und musiziert; eine Bekannte Herkenraths träumt davon, Pflanzen zu zeichnen, "die es gar nicht gibt", ein Freund plant ein Konzert für Tuba, das "die Stationen seines Lebens hörbar macht". Und wer sich nicht selber an Kunst und Kunstgewerbe versucht, bietet zumindest in der Volkshochschule, im Milieu "zwischen Heimatkunde und Türkenrunde, zwischen Religion und Psychologie", Kurse über das Freisetzen kreativer Energien an.

Das Buch läßt sich über weite Strecken mit Vergnügen lesen. Die Formulierungskunst, der Sprachwitz Kühns verdienen Bewunderung. Aber kann das versponnene Nordlicht-Projekt einen Roman von über dreihundert Seiten tragen? Es wird wieder und wieder beschrieben mit der akribischen Allzugründlichkeit, die Kühn schon immer auf technische oder dokumentarische Details verwendet hat. Auf den letzten hundert Seiten mag man nicht mehr davon hören. Der reizvolle Blick auf die "Rückseite" des beschleunigten Lebens droht hier ins Abseitige zu entgleiten. WOLFGANG SCHNEIDER

Dieter Kühn: "Der König von Grönland". Ein Künstlerroman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997. 327 S., geb., 39,80 DM.

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