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Eine Kulturgeschichte des Nagels? des Knotens? Das hört sich nach einem Buch für Liebhaber und Spezialisten an. Aber hier geht es nicht um Kuriositäten, hier geht es ums Ganze. Denn Sofri kann zeigen, daß damit eine Unterscheidung auf dem Spiel steht, die ebenso fundamental ist wie die vertrauten Gegensätze weiblich/männlich oder rechts/links. Es handelt sich um uralte, tief in der Geschichte der Menschheit verwurzelte Figuren. Und es stellt sich heraus, daß beide Erfindungen, die der Klinge und die der Schlinge, aufs engste mit dem Kampf der Geschlechter und mit dem Unterschied zwischen der…mehr

Produktbeschreibung
Eine Kulturgeschichte des Nagels? des Knotens? Das hört sich nach einem Buch für Liebhaber und Spezialisten an. Aber hier geht es nicht um Kuriositäten, hier geht es ums Ganze. Denn Sofri kann zeigen, daß damit eine Unterscheidung auf dem Spiel steht, die ebenso fundamental ist wie die vertrauten Gegensätze weiblich/männlich oder rechts/links. Es handelt sich um uralte, tief in der Geschichte der Menschheit verwurzelte Figuren. Und es stellt sich heraus, daß beide Erfindungen, die der Klinge und die der Schlinge, aufs engste mit dem Kampf der Geschlechter und mit dem Unterschied zwischen der linken und der rechten Seite zusammenhängen. Kein Wunder also, daß Sofris Buch auch eine politische Dimension eröffnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1998

Mit links geschrieben
Adriano Sofris amüsanter Versuch einer politischen Anthropologie

In diesem "Fall" muß ausnahmsweise zuerst vom Verfasser die Rede sein. Denn Adriano Sofri ist in Italien eine Berühmtheit. Die einen verbinden mit seinem Namen ein Verbrechen: Er soll als radikaler Studentenführer 1972 die Ermordung des Mailänder Polizeikommissars Calabresi organisiert haben. Die anderen, darunter berühmte Intellektuelle wie Dario Fo und Carlo Ginzburg, halten ihn für ein Justizopfer: Sofri ist 1997 nach neun Prozessen zu zweiundzwanzig Jahren Haft verurteilt worden und sitzt in Pisa im Gefängnis.

Das vorliegende Buch, von Walter Kögler vorzüglich übersetzt, ist 1995 in Palermo erschienen; es verleugnet die Lebensgeschichte des Autors nicht. Es enthält die Selbstreflexion eines Führers der Linken, der über den Unterschied von rechts und links nachdenkt und es nicht bei der historischen Information bewenden läßt, diese Unterscheidung schreibe sich von der Sitzordnung im Parlament her. Es gab Heilige, die sich geweigert haben, an der linken Brust ihrer Mutter zu trinken; der rechte Schächer am Kreuz wurde gerettet, der linke verdammt. Früher hatten Linkshänder unter ihren Lehrern viel zu leiden, und wenn jemand keinen Nagel in die Wand schlagen kann, sagen die Deutschen von ihm, er habe zwei linke Hände. Links ist schlecht, und rechts ist gut, und Sofri will wissen, ob solche dualistischen Schemata vermeidbar sind oder nicht und was es für die Linken bedeutet hat, daß sie sich selbst innerhalb eines solchen Gegensatzes definiert haben. Er entdeckt, zusammen mit Carlo Ginzburg, Konstanten der menschlichen Natur; er will sie nicht den "Rechten" überlassen. Vor allem aber bedenkt er die Niederlagen der "Linken" zwischen 1970 und 1995.

Dabei geht es nicht nur um den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums oder nur um das Ende des "wissenschaftlichen" Anspruchs des Kommunismus; Sofri fragt, wieso die "Linken" nicht erkannt hätten, daß nach dem Abwurf der ersten Atombombe klar war, daß die Natur vor dem Menschen geschützt werden muß; er untersucht, warum der Proletarier, wenn er am Abend zu seiner Frau nach Hause kam, sich wie ein "Bourgeois" verhalten hat. Die feministische Bewegung habe eine charakteristische Schwäche der Linken aufgedeckt; diese hätten weder für die Homosexualität noch für den Nord-Süd-Gegensatz offene Augen gehabt; sie hätten sich als Macher und Beherrscher der Natur gefühlt, nicht als deren Protektoren. Sie wollten eher Nagel sein als Knoten. Sofri untersucht all das im vieldeutigen metaphorischen Umfeld von Knoten und Knüpfen, Stricken und Verstricktsein, Binden und Lösen, Nagel und Penetranz, Pfeil und Phallus. Ohne wissenschaftlichen Panzer entfaltet er beträchtliche Gelehrsamkeit, um den Gegensatz von Knoten und Nagel, aber auch ihr Zusammenwirken, zum Beispiel beim Bergsteigen, phänomenologisch zu beschreiben.

Das Buch ist leicht gehalten; in kleinen Skizzen, Erzählungen, Zitaten und Meditationen entwirft es eine philosophisch-historische Anthropologie, die insbesondere den Geschlechtergegensatz zum Thema hat: Der Mensch, der sich zu lange als Nagler verstanden und Eindringling benommen hat, erfährt hier, daß er das Tier ist, das Knoten machen kann. Das Buch ist keine Rechtfertigung des Terrorismus; es ist eine Mythologie- und Literargeschichte der verschlungenen Motive von Nagel und Knoten. Dabei kommt die italienische Sprache dem Autor zu Hilfe: Chiodo (Nagel) und Nodo (Knoten) sind seit Dante klassische Reimworte.

Das Buch hat seine eigene literarische und auch typographische Form: ein Nagel nach jedem Abschnitt. Es verwundert, aber es verwirrt nicht. Den verlorenen Häufchen deutscher Linker empfiehlt sich Sofris Plädoyer für den Griechisch-Unterricht in Schulen. Andere Leser freuen sich des freien Gedankenspiels. Dieses Buch hätte Walter Benjamin geschrieben haben können - aber erst nach dem Untergang des marxistischen Dogmatismus und erst nachdem er in Pisa eine neue Art strenger Philologie und bei Carlo Ginzburg eine neue Art historischer Forschung studiert hätte. KURT FLASCH

Adriano Sofri: "Der Knoten und der Nagel". Ein Buch zur linken Hand. Mit einem biographischen Essay von Carlo Ginzburg. Aus dem Italienischen von Walter Kögler. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1998. 321 S., geb., 49,50 DM.

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