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Ein geistvoll-witziges Buch, das gerade auch jungen Leuten einen unkonventionellen Zugang zum Werk unseres großen Dichters ermöglicht.

Produktbeschreibung
Ein geistvoll-witziges Buch, das gerade auch jungen Leuten einen unkonventionellen Zugang zum Werk unseres großen Dichters ermöglicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.1999

Wie es damals üblich war
Otto A. Böhmers Roman "Der junge Herr Goethe"

Schon oft hat man versucht, Goethes Leben belletristisch beizukommen. In vielen Fällen handelt es sich um "heitere" Liebesgeschichten - ob mit Friederike, mit Lotte, mit Christiane, mit Marianne oder wie die Mädels alle hießen. In Werken mit höheren literarischen Ansprüchen gilt fast ausnahmslos das Prinzip der Indirektheit. In Thomas Manns "Lotte in Weimar" erblicken wir den Dichterfürsten durch die Augen der zugereisten Frau Hofrätin Charlotte Kestner, geborene Buff, und von deren Besuchern im Gasthof "Zum Elephanten". In dem Bühnenmonolog "Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" von Peter Hacks entnehmen wir den untreuen "Grobian" und "Flegel" nur aus den ambivalenten Worten seiner verlassenen Mentorin. In Hanns-Josef Ortheils Roman "Faustinas Küsse" werden Goethes römische Abenteuer aus der Perspektive eines ahnungslosen jungen Italieners beobachtet, der sich dem Fremden als Faktotum aufdrängt. Und in den vielen "Eckermanniaden" (wie etwa Martin Walsers "In Goethes Hand" oder Jens Sparschuhs "Der große Coup") blitzen Fragmente Goethes nur in der Brechung seines ergeben-verbitterten Zuhörers auf.

Diese Autoren hatten guten Grund, einen dezentrierten Standort einzunehmen. Wer Goethes Leben von der Mitte aus erzählen will, muß sich mit "Dichtung und Wahrheit" messen. Die Biographen haben es sich zu ihrer Aufgabe gemacht, mit wissenschaftlicher Akribie die Wahrheit der Dichtung herauszuarbeiten. Was aber bleibt dem Schriftsteller übrig, der sich vornimmt, das Leben eines Dichters, das der Dichter selbst in Autobiographien, Briefen und Dichtungen ausführlich protokollierte, romanhaft darzustellen? Wir erwarten zwar keine biographische Genauigkeit, aber eine originelle Einstellung, die uns einen Einblick in den Charakter ermöglicht, eine neue Wahrheit.

Otto A. Böhmer, der sich an Nietzsches Leben ("Der Hammer des Herrn") versucht und mit einem Essay über Goethe in Weimar 1776 bis 1780 (in "Zeit des schönen Scheins") seine Finger geübt hat, widmet sich vor allem dem jungen Goethe. Zehn von seinen dreizehn Kapiteln befassen sich mit den in "Dichtung und Wahrheit" und in den sechs Bänden von Max Morris' "Der junge Goethe" erschöpfend dokumentierten Jahren bis zu Goethes Abreise nach Weimar im Jahre 1775. Die letzten Kapitel skizzieren sprunghaft die übrigen 57 Jahre: ein Kapitel für Karl August und "das tätige Leben" in Weimar; ein Kapitel für Wieland und Frau von Stein; dann in rascher Folge acht Seiten Italien, zwei Seiten Christiane und eine Seite Napoleonisches Zeitalter. Schiller wird in zwei Sätzen abgefertigt.

Böhmer erzählt, wie in der Belletristik üblich, die Liebesgeschichten: Die Episoden reihen sich vom Frankfurter Gretchen und Leipziger Käthchen über die Straßburger Tanzlehrers Töchter und die Sesenheimer Friederike bis hin zu den "Heiligen Damen" in Darmstadt, dem "pausbackigen" Lottchen in Wetzlar, Lili Schönemann in Frankfurt und Frau von Stein. Unkonventionell ist dabei höchstens die Hervorhebung der unangenehmen oder herabsetzenden Eigenschaften der Gestalten, die den jungen Goethe umgeben: die schwulen "Trunkenbolde" Stolberg, der "launenhafte Nörgler" Herder, "die Erfinderin der schlechten Laune" Charlotte von Stein, das "putzige Männchen" Lavater, die "trinkfreudige Durchlaucht" Karl August.

Diese Tendenz wird auf Goethe übertragen, der sich geckenhaft im Spiegel betrachtet, der sich "wie ein Arsch" benimmt, der sich für "ein Stück Hundescheiße auf der Straße des Lebens" hält, der "wie ein Schwein schwitzt", dessen Prometheus "den Göttern in die Suppe spuckt", der sein Theaterstück "Hanswursts Hochzeit" bei drei Gläsern Wein "hinrotzt". Selbstverständlich war dieser "Hans Arsch von Goethe" kein Tugendlamm. Was aber bei dieser deprimierenden Akzentuierung fehlt, ist gerade das, worauf es uns doch letzten Endes ankommt: das geistige Leben Goethes, die Kultur der Zeit, die künstlerischen Leistungen.

Der Roman, der auffallend wenig Dialog enthält, ist weniger szenische oder erzählerische Darstellung als essayistische Beschreibung, die sich mit vielen langen Zitaten hilft. Anstatt uns in das Leben des achtzehnten Jahrhunderts einzuführen, übersetzt der Verfasser alles in die vereinfachenden Begriffe der Gegenwart: So liegt Darmstadt anachronistisch "knappe dreißig Kilometer von Frankfurt entfernt", die Episoden werden wie in einem Nachschlagewerk nach der Jahreszahl datiert, Erklärungen von Personen und Begriffen wie "Physiognomik" werden lexikonartig geboten, und immer wieder ist alles so, "wie es damals üblich war". Zu dieser erzählerischen Distanz gehört die Erfindung eines grinsenden Professors, der in Goethes Träumen auftaucht, um in böser Verzerrung das Goethe-Bild unserer Gegenwart zu karikieren. Die Literaturanalyse hält sich zurück: Werther "ersäuft am Übermaß des Gefühls, das ihm zugemutet wird". Die Subtilität der Motivierung, die Goethe nach Weimar lockte, erschöpft sich in der Vermutung: "Vielleicht war die Idee, dort regelrechte Amts-, ja Staatsgeschäfte zu übernehmen, doch nicht so abwegig."

Böhmer hat uns in burschikos dozierendem Ton einen zeitgemäßen Goethe zurechtgelegt, der sich bei der Love-Parade wohlfühlen würde. Der junge Leser, der zum 250. Geburtstag dem Verfasser von "Prometheus", "Werther" und "Faust" begegnen möchte, wäre besser dran, sich in "Dichtung und Wahrheit" zu vertiefen. THEODORE ZIOLKOWSKI

Otto A. Böhmer: "Der junge Herr Goethe". Roman. Albrecht Knaus Verlag, München 1999. 334 S., geb. 36,90 DM.

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