im späten siebzehnten Jahrhundert. Anschließend widmet sich Hämäläinen dem beständig indigenen Südosten, dem Kampf um das Herz des Kontinents sowie den amerikanischen Revolutionen, um mit dem Zeitalter der Reiterimperien, dem Thema seiner beiden früheren Bücher, im späten neunzehnten Jahrhundert zu enden.
Provokativ schreibt Hämäläinen eine Gegendarstellung zur Geschichte eines angeblich unvermeidlichen indigenen Niedergangs. Er betont, dass der nordamerikanische Kontinent bis ins neunzehnte Jahrhundert ein indigenes und nicht ein koloniales Amerika gewesen sei. Er möchte eine "lange Geschichte indigener Macht" erzählen, die er definiert als "Fähigkeit von Menschen und ihren Gemeinschaften, einen Raum und seine Ressourcen zu kontrollieren, die Handlungen und Wahrnehmungen anderer zu beeinflussen, sich Feinde vom Leib zu halten, übernatürliche Wesen aufzubieten und Veränderungen einzuleiten oder sich ihnen zu widersetzen".
Laut Hämäläinen widersetzte sich eine große Zahl indigener Nationen erfolgreich - zumeist in siegreichen Kriegen, aber auch durch Handel und Diplomatie - den Kolonisatoren. Der Autor fokussiert auf die zahlreichen Widerstandsbewegungen und mehr als 1600 offiziellen Gefechte in den Jahren 1776 bis 1877, aber auch auf Verschränkungen zwischen europäisch-amerikanischen und indigenen Imperien. Als Beispiele führt er etwa die Hohokam und die Mississippi-Kulturen an sowie die Konföderationen beziehungsweise "Reiche/Empires" von Powhatan, Wabanaki, Irokesen, Sioux, Caddo oder Comanchen, die sich auch gegenseitig bekämpften oder unterwarfen. Stets betont der Autor, dass ein Großteil des Kontinents nach wie vor von Indigenen beherrscht war, so 1800 noch die Hälfte des Territoriums. Er unterstreicht, wie knapp die euro-amerikanischen Imperien in Nordamerika immer wieder vor dem Scheitern standen. Für Hämäläinen war die europäisch-amerikanische Politik von Furcht vor der Macht der Indigenen geprägt, was sich in Massakern manifestierte, aber auch in der Stärkung der Bundesregierung oder den Hexenverfolgungen in Salem 1692. Die Franzosen hätten in ihrem Respekt vor den Sioux diese gar zu einer "indigenen Supermacht" gemacht.
Deutsche Leser werden eine ausführliche Schilderung der "klassischen" Indianerkriege im Westen der USA vermissen, aber viel über weniger bekannte indigene Nationen lernen, wie die Quapaw oder die Catawba. Hämäläinen betont die Diversität indigener Nationen, ihre stete Anpassung an Klima, Umwelt und die Gegenwart neuer potentieller Handelspartner sowie ihre Mobilität, die sie lange vor den Amerikanern nach Westen expandieren ließ. Er kombiniert die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Herkunft/Migration der Vorfahren der Indigenen nach Nordamerika mit den Schöpfungserzählungen von Nationen wie den Irokesen, Cherokee oder Sicangu Lakota/Brulé oder vergleicht die Gründung der USA 1776 mit der Gründung der Sioux-Nation durch die Definition der Black Hills als Mittelpunkt ihrer Welt. Fast zwei Drittel des Buches behandeln den nordamerikanischen Kontinent vor Gründung der USA.
Positiv hervorzuheben ist, dass Hämäläinen vom gerade in Deutschland verbreiteten Opfermythos der Indigenen abrückt und ihre Widerstands- und Anpassungsfähigkeit betont. Das hat ihm, gerade von indigener Seite, den Vorwurf eingebracht, euro-amerikanische Gräueltaten herunterzuspielen und in kulturellem Relativismus indigene Nationen zu Imperien zu machen (ohne im Übrigen den Unterschied zu Nationen zu erläutern). Hämäläinen spricht jedoch immer wieder von euro-amerikanischen ethnischen Säuberungen, Genoziden, Verbrechen und Rassismus und erwähnt etwa die Versklavung von Indigenen durch Indigene kaum. Er legt Wert darauf, für Indigene und Euro-Amerikaner dieselben Wörter zu benutzen, so Soldaten statt Krieger, Städte für sesshafte und Dörfer für nomadisch lebende Gruppen. Indigene werden mit ihrer Eigenbezeichnung benannt (außer die Irokesen). Das Buch beeindruckt durch die demonstrierte umfassende Kenntnis von Quellen und Literatur, die in ausführlichen Fußnoten aufgeführt werden. Zudem ist es reich illustriert.
Hämäläinen geht jedoch in seiner Gegendarstellung zu weit. Nur weil er Macht mit Raum und nicht mit Bevölkerungszahlen gleichsetzt, kann er behaupten, dass die indigene Herrschaft in Amerika erst vor 130 Jahren endete. So zählten die Comanchen, die den "Höhepunkt der indigenen Macht in Nordamerika" ausmachen sollen, nur 40.000 Personen. Für das neunzehnte Jahrhundert muss der Verfasser zugeben, dass die indigenen Nationen keinen Krieg mehr gewinnen, sondern nur noch durch jahrzehntelange Kämpfe kleinere indigene Nationen schützen konnten. Es ist wenig überzeugend, wenn die Kolonisten angeblich den Raum nicht beherrschten, aber indigene Nationen ins Hochland oder in Sümpfe auswichen. Wenn die europäischen Kolonien klein sind, stellt der Autor sie als schwach dar, Indigene im gleichen Fall hingegen als flexibel und dezentralisiert.
Auch wenn Hämäläinen eine alternative Geschichte schreiben wollte, folgt er letztlich den euro-amerikanischen Handels- und Siedlungsversuchen. Dementsprechend verschwinden Gebiete, in denen die "Weißen" die Oberhand gewinnen, aus seiner Geschichte. Sein Narrativ endet 1890 und könnte daher - trotz einiger kurzer Hinweise zum Fortbestand des indigenen Widerstandes - so gelesen werden, dass es ab Ende des neunzehnten Jahrhunderts keine Indigenen mehr gab. Der Verfasser erweckt zudem den Eindruck, dass seine Geschichte einzigartig sei, obwohl er in die Fußstapfen vieler anderer Historiker tritt. Dass die europäischen Eroberer von Indigenen weitergeschickt wurden, dass Indigene europäische Nationen gegeneinander ausspielten, dass sie die Neuankömmlinge zu Beginn zwangen, ihre kulturellen Gepflogenheiten in Interaktionen zu übernehmen, ist längst bekannt, auch wenn Hämäläinen mit seiner provokativen These weiter geht als andere. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf Kriegen, sodass Frauen, die aufgrund der Bedeutung von Verwandtschaftsverhältnissen eine wichtige Rolle spielten, einen verhältnismäßig kleinen Platz einnehmen, wenn der Autor auch weniger bekannte Anführerinnen erwähnt.
Die Übersetzung ist im Allgemeinen hervorragend gelungen ("crucible" ist nicht "Schmelztiegel", sondern "Bewährungsprobe", die Europäer sollten nicht "Entdecker" genannt werden) und hat die lebendige Sprache des Originals beibehalten. Die im Englischen benutzten Begriffe Indians, Native Americans, Native oder Indigenous wurden übersetzt mit Indianer, Indigene, gelegentlich Native American, dankenswerterweise nur dreimal mit dem statischen Begriff Ureinwohner, in den Fußnoten werden übersetzte Werke auf Deutsch angeführt. Es trägt dazu bei, das Buch zur lohnenden Lektüre zu machen. HEIKE BUNGERT
Pekka Hämäläinen: "Der indigene Kontinent". Eine andere Geschichte Amerikas.
Aus dem Englischen von H. Dierlamm u. W. Roller. Antje Kunstmann Verlag, München 2023. 655 S., Abb., geb., 48,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main