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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2019

NEUE TASCHENBÜCHER
Hinter der
Großen Gardine
Eine besondere Form von Wetterfühligkeit: Schlag Zwölf bläst ein „böser Wind“ in Zwirnegg die „gefährlichsten Ideen“ in die Köpfe der Bewohner. Haralds Mutter wirft ihren neuneinhalbjährigen Sohn kurzerhand hinaus: „Lass dich hier erst wieder blicken, wenn du ein Held geworden bist.“ In Sibylle Lewitscharoffs Geschichte zwischen Märchen und Nonsense-Literatur, 1999 erstmals erschienen und von der Sprachartistin selbst mit feinem Strich illustriert, muss Harald fortan hinter dem Seegebiet „Große Gardine“ Abenteuer zu Lande, zu Wasser und in der Luft bestehen. Verwandlung in ein Stück Papier, Folter, Zwangsverheiratung mit einem Halbfrosch inklusive. Es geht animalisch zu, die Tiere sind klüger als der Mensch. „Menschen besitzen bekanntlich einen sehr geringen Verstand“, piepst die Maus Sidonie-Grisaline. Weiter skandiert sie auch noch mit ihren Geschwistern: „Es lebe das Gute, das Schöne, das Wahre …“ Fast genauso hat Lewitscharoff später ihre Frankfurter und Zürcher Poetikvorlesungen betitelt, dort heißt es: „Was am Lesen entzückt? Schöpfungsspiele auf dem Papier zu verfolgen und nach Winken zu suchen, wie es im Grab und danach weitergehen könnte.“ FLORIAN WELLE
Sibylle Lewitscharoff: Der höfliche Harald. Illustriert von der
Autorin. Piper Verlag, München 2019.
120 Seiten, 11 Euro.
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