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"Ein warmer, sonniger, frühherbstlicher Tag. Die nicht gepflasterten Straßen meines Städtchens und der große Platz vor den Synagogen sind mit feinstem Staub bedeckt, der bei jeder Luftbewegung kleine Wolken hochwirbelt. Es ist Oktober des Jahres 1930, und bald wird der erste Herbstregen alles in eine morastige Pfütze verwandeln. An einigen Stellen sind schon schützende Bürgersteige angelegt. An vielen anderen sind Zementumrandungen zu sehen, die anzeigen, dass weitere geplant sind. Aber noch unterscheiden sich die zukünftigen Gehwege und die Straßen nur in der Größe der Pfützen, die nach einem…mehr

Produktbeschreibung
"Ein warmer, sonniger, frühherbstlicher Tag. Die nicht gepflasterten Straßen meines Städtchens und der große Platz vor den Synagogen sind mit feinstem Staub bedeckt, der bei jeder Luftbewegung kleine Wolken hochwirbelt. Es ist Oktober des Jahres 1930, und bald wird der erste Herbstregen alles in eine morastige Pfütze verwandeln. An einigen Stellen sind schon schützende Bürgersteige angelegt. An vielen anderen sind Zementumrandungen zu sehen, die anzeigen, dass weitere geplant sind. Aber noch unterscheiden sich die zukünftigen Gehwege und die Straßen nur in der Größe der Pfützen, die nach einem kräftigen Regen tagelang den Himmel widerspiegeln, und es ist einem beim Durchwandern des Städtchens so, als ob man zwischen einem unteren und einem oberen Himmel schwebt."

So schildert Anatol Gotfryd das Städtchen im alten polnischen Galizien, in dem er geboren wurde. Der Auftakt des Buches führt aber nicht nur die Welt seiner Kindheit vor Augen, sondern macht auch die Farbigkeit und Lebendigkeit deutlich, in der diese Geschichte eines Lebens zwischen Polen und dem Kurfürstendamm in Berlin erzählt wird. Wie Millionen Polen und Deutsche erlebt auch Gotfryd das Schicksal der Vertreibung. Aus der scheinbar sicheren und ländlich-idyllischen Welt Galiziens reißt ihn 1939 der Einmarsch der Roten Armee und zwei Jahre später die Besetzung durch die Deutschen. Vor der Deportation nach Auschwitz kann sich der Zwölfjährige nur durch den Sprung aus einem Güterwagon retten, und die nächsten Jahre bis 1945 lebt er als Illegaler auf ständiger Flucht. Nach der Befreiung durch die Sowjets schlägt sich Gotfryd in Lublin als Zigarettenverkäufer auf dem Schwarzmarkt durch und studiert dann Zahnmedizin in Breslau, das inzwischen Wroclaw heißt. Doch schon bald erlebt er dort die zunehmende Bedrückung der kommunistischen Herrschaft und flieht erneut, diesmal nach West-Berlin, eine Stadt, die ihn bald gegen seinen Willen gefangen nimmt. Er eröffnet eine Praxis am Kurfürstendamm und taucht in die faszinierende Welt der westlichen Avantgarde ein, wo er fast allen begegnet, die eine Rolle im künstlerischen Leben der Nachkriegszeit spielen - von Günter Grass und Samuel Beckett über Beuys, Baselitz und Lüpertz bis hin zu Zadek, Peter Stein und Georges Tabori.
Anatol Gotfryd erzählt von einem umhergeworfenen Leben, das, so meint der Autor, dennoch immer unter einem Glücksstern stand.
Autorenporträt
Anatol Gotfryd wurde 1930 in Jablonow in Ostpolen als Sohn jüdischer Eltern geboren. Dank der Hilfe polnischer Bauern überlebte er die Zeit der deutschen Besatzung und studierte nach dem Krieg Zahnmedizin in Breslau. 1958 siedelte er nach West-Berlin über, wo er einige Jahre später eine Praxis am Kurfürstendamm eröffnete.