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Immer in der gleichen Juninacht trifft sich der burgundische Winzer Sobran Jodeau ein halbes Jahrhundert lang mit einem Engel. Die beiden tauschen sich aus über Diesseits und Jenseits, den Wein und die Frauen, den Sinn des Lebens und die Liebe, und beide haben sich mehr zu geben, als sie zunächst glaubten: eine Liebesgeschichte, nicht ganz von dieser Welt.

Produktbeschreibung
Immer in der gleichen Juninacht trifft sich der burgundische Winzer Sobran Jodeau ein halbes Jahrhundert lang mit einem Engel. Die beiden tauschen sich aus über Diesseits und Jenseits, den Wein und die Frauen, den Sinn des Lebens und die Liebe, und beide haben sich mehr zu geben, als sie zunächst glaubten: eine Liebesgeschichte, nicht ganz von dieser Welt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2000

Himmlischer Maskenreigen
Liebe, Tod und Teufel: Elizabeth Knox erzählt vom Engeldasein

Nikos Kazantzakis und Thomas Mann waren die letzten Literaten, die uns ohne Peinlichkeit von Engeln erzählen konnten. Sie beabsichtigten dasselbe, sie erreichten es auf entgegengesetzten Wegen: Kazantzakis schickte dem sterbenden Jesus einen schönen Engelsjüngling, einen Cicerone der Liebe mit Seele und Leib, dem gelingt, was alle Versuchungen Satans nicht vollbracht hatten - Jesus verweigert für eine Sekunde, die sich zum erfüllten Leben dehnt, den keuschen Opfertod.

Auch Thomas Manns Engel in der Josephslegende ist nichts Menschliches fremd. Er aber, gestaltet wie ein höchst anmutiges, elegantes ägyptisches Blaublut, windet sich vor Prüderie, wenn Joseph die Rede auf jene Fleischeslust zwischen Engeln und Menschenkindern bringt, die als irreguläre Vermischung im Allgemeinen und gleichgeschlechtliche Verirrung im Besonderen zum Himmelssturz von Samael und den Seinen geführt hatte. Thomas Mann lässt den höchst gesitteten Cherubim und widerwilligen Retter Josephs gelegentlich schielen unter der Anstrengung, den hübschen frechen Hebräer nicht allzu genau anzusehen. Aber obwohl der Dichter über die Bigotterie des himmlischen Wesens spottet, gibt er ihm doch Recht - alles läuft im Josephsroman darauf hinaus, dass die Dinge nur ihren geordneten Gang gehen, wenn die Geschlechtlichkeit an der Kandare gehalten wird.

Seit diesen beiden Romanen überließ die Kunst Engel weitgehend dem Film. Robert Montgomery war in den dreißiger Jahren in "Heaven can wait" ein rührend weltlicher Engel, in den Siebzigern wiederholt von Warren Beatty. Die blutjunge Romy Schneider schenkte den fünfziger Jahren jenen belanglosen "Engel auf Erden", den sie verdienten. Aus Hollywood kam 1970 ein "Engel namens Levine", schlecht verfilmt nach der guten Kurzgeschichte von Bernard Malamud. 1989 endlich stiegen Bruno Ganz und Otto Sander zu unser aller Freude aus Berlins Himmel hinab ins schräge Milieu der Potsdamer Straße. Dann, 1998, ließ Anne Rice in einem ihrer weniger schaurigen Romane Asrael, den "Engel der Verdammten", auf Erden und durch die Jahrhunderte wandeln.

Jetzt sendet die junge Elizabeth Knox ihren "Engel mit den dunklen Flügeln" in die Welt. Er betritt sie in einer Vollmondnacht, eine Woche nach der Sommersonnenwende im Frankreich des Jahres 1808. Eher müsste man schreiben, er stiehlt sich in das Geschehen. Denn die Sturzflüge, mit denen er im Lauf der Handlung seinen Freund, den Winzer Sobran Jodeau, immer wieder überrascht, stehen den beiden noch bevor. Nicht nur Sturzflüge im buchstäblichen, sondern auch im metaphorischen Sinn. Denn die beiden, nachdem sie beschlossen haben, sich jährlich in der gleichen Juninacht zu treffen, werden einander Vertraute, Freunde, Kumpane und Versucher. Beide akzeptieren nur die Kandare der Zeit, erzählen sich ihr Leben, teilen es gelegentlich, vertrauen und täuschen sich, sind einer vom andern entsetzt und entzückt. "Die Jugend und Schönheit des Engels waren wie eine Maske, äußerlich, und alles, was Sobran sehen konnte. Und auf der Maske eine weitere Maske, nämlich fürsorgliche Geduld." Es dauert das Leben des Sobran, bis am Ende Masken und Gesichter eins sind.

Alles, was Menschen und Romane spannend macht, taucht auf: Liebe, Tod und Teufel, Berechnung und Selbstlosigkeit, bedingungslose Leidenschaften und kleinkrämerisches Glück im Winkel, fanatischer Glaube, Aufklärung und erbarmende Gelassenheit. Sobrans Sippe erscheint, Person für Person, die Nachbarn, der trotz Revolution weiter das Regiment führende Landadel. Charaktere treten auf, oft nur skizziert, aber immer stimmig, weil sie - Masken wechselnd auch sie - widersprüchlich und unberechenbar handeln. Auch die große Geschichte spielt mit. Das Schlachten der napoleonischen Kriege, das Ende Napoleons, die Bürgerkönige, die Julirevolution - dafür genügen Elizabeth Knox meist drei, vier Sätze, allenfalls eine knappe Episode. Aber selten ist sie dabei oberflächlich, und nie verfällt sie der langweilenden Pedanterie jener Historienschreiber, die lieber dem Leser eine weitere langatmige Seite zumuten, als dass sie ein wichtiges Datum der Welthistorie ausließen.

Ein Epos aus Skizzen, umfassend die Jahre 1808 bis 1863, hat Knox geschrieben. Es ist unterlegt mit unaufdringlichen Metaphern, die die farbige Geschichte zum respektablen Gleichnis weiten: Das Fliegen als kryptische Sehnsucht nach innerer und äußerer Freiheit, längst zum Schlagerthema verkommen, wird so diskret eingestreut, dass es beinahe die alte Ikarus-Höhe wiedergewinnt. Wein als christologisches Symbol, als Metapher extremer Verwandlungen, als Droge und als Heilmittel durchzieht die Erzählung, Ossi-Metamorphosen scheinen auf, wenn Aurora, die Comtesse und dritte, erst allmählich nach vorn kommende Hauptfigur, von ihren wissenschaftlichen Experimenten erzählt.

Alles aber ist Beiwerk für das Vexierspiel, mit dem Sofabein und der Engel Xsara die Aufmerksamkeit wach halten. Ihre geheimsten Regungen werden offenbar - und doch bleiben ihnen, voreinander und vor dem Leser, Geheimnisse, reagieren sie unerklärlich, gerade wenn man glaubt, sie erkannt zu haben: Xas, der so unvoreingenommen, so ewig neugierig und im Gemeinsten noch unberührt mit den Menschen umgeht, wie wir es brennend gerne möchten. Und Sobran, der sich so hilflos und doch gezielt in Lebenshöhen und -tiefen stürzt wie wir alle.

"Ich mußte dich haben - jemanden, den ich für immer verlieren konnte." So erklärt sich der Engel Sobran gegen Ende des Romans. Längst weiß man, dass es darin um die Zeit, um die Begrenztheit des Lebens geht, um die Gnade und den entsetzlichen Schrecken, der darin liegt. Eine Simone de Beauvoir ist Elizabeth Knox ganz gewiss nicht. Aber sie ersetzt den Tiefsinn, den die Philosophin in ihrem "Alle Menschen sind sterblich" aufwandte, mit einer Fabulierlust, die alle Engelspeinlichkeit umschifft. Wem doch Skrupel aufsteigen, er habe es mit einer literarisch raffinierteren Anne Rice zu tun, den könnte das Ende beruhigen. Es fährt mit einem einzigen letzten Wort durch alle Fabelgespinste: "Unmöglich."

DIETER BARTETZKO

Elizabeth Knox: "Der Engel mit den dunklen Flügeln". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Dorothee Asendorf. Limes Verlag, München 2000. 381 S., geb., 39,80 DM.

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