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EINE HOCHAKTUELLE WIEDERENTDECKUNG
"Kennzeichnend für uns ist nicht, dass unser Leben durch ein (unentrinnbares) Intermezzo eine Unterbrechung erfahren hat, sondern dass die Zerfällung unseres Lebens in mehrere Leben endgültig geworden ist; und das heißt, dass das zweite Leben im Winkel vom ersten absteht, und das dritte wieder vom zweiten, dass jedesmal eine "Wegbiegung" stattgefunden hat, eine Knickung, die den Rückblick - beinahe hätte ich geschrieben: physisch - unmöglich macht." Günther Anders
Jede Emigration ist ein fundamentaler Bruch im Leben. Sie entwurzelt den Menschen, macht
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Produktbeschreibung
EINE HOCHAKTUELLE WIEDERENTDECKUNG

"Kennzeichnend für uns ist nicht, dass unser Leben durch ein (unentrinnbares) Intermezzo eine Unterbrechung erfahren hat, sondern dass die Zerfällung unseres Lebens in mehrere Leben endgültig geworden ist; und das heißt, dass das zweite Leben im Winkel vom ersten absteht, und das dritte wieder vom zweiten, dass jedesmal eine "Wegbiegung" stattgefunden hat, eine Knickung, die den Rückblick - beinahe hätte ich geschrieben: physisch - unmöglich macht."
Günther Anders

Jede Emigration ist ein fundamentaler Bruch im Leben. Sie entwurzelt den Menschen, macht ihn sprachlos, einsam und unsichtbar. In schonungsloser Ehrlichkeit berichtet Günther Anders von der Scham und Schande, die seine eigene Existenz als Geflüchteter mit sich gebracht hat. Sein fulminanter Essay wirft neues Licht auf die "moralische Hauptmisere" des 20. Jahrhunderts und behandelt zugleich das politische und gesellschaftliche Reizthema unserer Zeit.

Eine kleine Philosophie der Heimatlosigkeit Wiederentdeckung eines Klassikers Für alle Leser:innen von Hannah Arendt, "Die Freiheit, frei zu sein"
Autorenporträt
Günther Anders (1902 - 1992, hier gezeichnet von Jeffrey Postma) zählt zu den bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Im deutschen Sprachraum ist seine geistige wie politische Radikalität ohne Beispiel. Sein Hauptwerk ist "Die Antiquiertheit des Menschen" (C.H.Beck 2018). Florian Grosser, geboren 1980, lehrt Philosophie an der University of California, Berkeley und am California College of the Arts, San Francisco.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.10.2021

Deprimierend
aktuell
Günther Anders’
Philosophie der Emigration
Es ist auch eine Philosophie des Schmerzes, die sich Günther Anders von der Seele schreibt. Erst nach und nach wird dem Schriftsteller und Philosophen („Die Antiquiertheit des Menschen“) dabei etwas leichter, aber ganz verschwindet der Schmerz nie. Anders leistet harte Trauerarbeit, nicht nur für sich, nicht einmal nur für die Opfer, sondern im Grunde auch hilfestellend für die Täter. Es ist das Herausgerissensein nicht nur aus vertrauter Umgebung, sondern, wie Anders es zuspitzt, die Verweigerung der Lebenseinheit, die den Emgiranten – so der Titel des nun wiederaufgelegten Essays aus dem Jahr 1962 – in die Unsichtbarkeit stürzt, seine Existenz zerrüttet. Denn wenn die Lebensgeschichte solche Haken schlägt wie bei dem, der „von Umwelt zu Umwelt gestoßen“ ist, dann versagt auch die Erinnerung. Dann bleibt von dem Lebensabschnitt in der Fremde nur ein blinder Fleck, keine Erfahrung, die Teil des eigenen Lebens wäre.
Dieser Zeitabschnitt ist dann nicht mehr in direkter Linie sichtbar, die man zurückverfolgen könnte, sondern steht in einem spitzen Winkel davon ab. „Denn wenn ein Lebenslauf, gleich ob durch ein Damaskus oder durch eine Kristallnacht, abreißt, und wenn das weitergehende Leben genötigt wird, sich mit völlig neuen Inhalten anzufüllen, mit Inhalten, die auf die Zeit ‚ante‘ nicht verweisen, dann wird dieses mit neuen Inhalten saturierte Zeitstück nicht mehr als eine Verlängerung der diesem vorangehenden Zeit aufgefasst, sondern als ein vom bisherigen Wege in mehr oder minder spitzen Winkel abbiegender neuer Weg, wenn nicht sogar als ein, gewissermaßen durch ‚Teilung‘ entstandener, neuer Organismus mit eigenem Kopf und eigenem Schwanz.“
An Paris, schreibt Anders, konnte er sich nur noch unzulänglich erinnern, nachdem er die nächste Station, New York, erreicht hatte, und seit er in Wien lebe, seien ihm die gewohnten Orte in Los Angeles „im tiefen Dunkel“. Keiner der Menschen, mit denen er dort gearbeitet hatte, sei ihm noch namentlich bekannt, die Gesichter allesamt vergessen. „Der Blick um die Zeit-Ecke ist noch weniger durchführbar als der um die Raum-Ecke; Zeitperiskope sind noch nicht erfunden.“
Letztlich ist das Exil eine Art Entkoppelung des Individuums von sich selbst. Denn dieses Selbst bedarf einer Umwelt, die als Konstante wahrgenommen werden kann. Zu dieser Umwelt gehören natürlich auch Menschen, und so müsste der im Leben faktisch geltende Seinsbeweis nicht das Cartesische „Cogito ergo sum“ sein, sondern ein „Cogitor ergo sum“ – man denkt an mich, also bin ich. Dieser Satz jedoch sei so selbstverständlich, dass er nie ausgesprochen werde.
In konsequenter Verzweiflung verweist Anders in diesem Zusammenhang darauf, dass die Verfolgung – in der Heimat, müsste man ergänzen – zwar eine infernalische Variante dieses Seinsbeweises sei, aber auch aus dem „Man ist hinter mir her“ ergäbe sich ja noch ein letztes „Also bin ich“. Der Verfolger denkt an den Verfolgten, wenn auch nur, damit es den Verfolgten nicht mehr gebe. Aber auch dieses „skandalöse Minimum an Bestätigung“ ging verloren, denn bald wandelten die Verfolgten in Nazi-Deutschland zwischen „Millionen, die uns als Luft behandelten“. Und so wurden sie Luft.
Anders entwirft es noch anschaulicher, beschreibt, wie man an irgendeiner Ecke der Stadt stehen bleibt und auf einmal merkt, dass die Rufe und Geräusche dieser Stadt für andere gedacht sind. Dass man selber gar nicht mehr dabei ist und folglich gar nicht mehr da ist. Die Emigrations-Suizide haben diesen Existenzverlust nur besiegelt. Sie seien „an Weltlosigkeit und Sozialhunger eingegangen“, schreibt Anders.
Es ist viel poetisch kondensierte Wut und Trauer in diesem Text, aber auch beinahe zynischer Scharfsinn. Etwa in der Begutachtung der „Berufsemigranten“, die den Zustand des Emigranten-Seins auch dann gewählt hätten, wenn sie in der Fremde mit offenen Armen in Empfang genommen worden wären, und jener, die sich in der Fremde sofort assimlierten. Anders äußert zwar Verständnis für sie, die diese soziale Geborgenheit suchten, denn keiner hält es lange aus, überflüssig zu sein. Aber dieses Verstehen verdeckt kaum seine Verachtung für diese „Kleinbürger und Kleinstädter unter uns, die sich reservelos der Fremde an den Hals warfen, die sich nach vierzehn Tagen als alte Pariser aufspielten oder als geborene New Yorker“. Und ist es nicht verblüffend aktuell genau das, was wir von Einwanderern fordern, dann aber so doch nicht gemeint haben wollen?
HELMUT MAURÓ
„Cogitor ergo sum“ –
man denkt an mich,
also bin ich
Günther Anders:
Der Emigrant.
C.H.Beck, München 2021. 86 Seiten, 10 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Helmut Mauró liest diesen wiederaufgelegten Essay aus dem Jahr 1962 mit Bedrückung. Der Schriftsteller Günter Anders verarbeitete darin seine Erfahrung in der Emigration, wie Mauró erklärt, die Vertreibung aus der Heimat, den Verlust seiner selbst in der Fremde, das Abreißen der Lebenskonstante. Der Rezensent erkennt in dieser Philosophie der Emigration  "kondensierte Wut und Trauer", aber auch einen kalten Scharfsinn, der ans Verächtliche grenzt, wenn er die Kleinbürger verhöhnt, die sich für ein bisschen soziale Geborgenheit "der Fremde an den Hals" werfen.

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"Es ist auch eine Philosophie des Schmerzes, die sich Günther Anders von der Seele schreibt. ... Es ist viel poetisch kondensierte Wut und Trauer in diesem Text, aber auch beinahe zynischer Scharfsinn."
Süddeutsche Zeitung, Helmut Mauró

"Ein Buch der Stunde, noch auf lange Zeit."
Der Tagesspiegel, Peter von Becker

"Nach wie vor lesenswert."
Soziopolis.de, Max Beck

"Illusionslos, hart und genau kann man in Anders' Text von Satz zu Satz im Verständnis dessen voranschreiten, welche existenzielle Verfassung sich hinter dem aseptischen Gerede von 'Migrationsund Fluchtbewegungen' auch heute noch verbirgt." (Stephan Steiner)

"Günther Andres schildert in seinem neu angelegten Essay eindringlich und subtil die Lebens- und Überlebensmuster aus Sicht eines Exilanten, die ihn selbst und viele seiner Leidensgenossen prägten."
der blaue reiter, Siegfried Reusch