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David Bohm
Buch
Der Dialog
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Produktdetails
- Verlag: Klett-Cotta
- ISBN-13: 9783608918571
- ISBN-10: 3608918574
- Artikelnr.: 07327221
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Der hört sich selber an wie ein Echo
Denken ohne Umweg: David Bohms Lehre vom Dialog ist ein Monolog / Von Christian Geyer
Das Wort "Dialog" geht heute nicht nur denen auf die Nerven, die paternalistische Rechthaber sind und lieber bis an ihr Lebensende ins Leere reden, als sich je von einem anderen etwas sagen zu lassen. Es nervt vielmehr gerade auch solche, die sich von Hamann und Buber inspirieren ließen und das Dialoggerede unserer Tage als entsetzliche Verflachung empfinden. Von Kirchen- und Wirtschaftskreisen gleichermaßen vereinnahmt, ist die philosophische Kunst des Zwiegesprächs zu einer Technik der Verkaufsrede verkommen.
Daß diese bisweilen in die frei gewordene Stelle der Utopie einrückt,
Denken ohne Umweg: David Bohms Lehre vom Dialog ist ein Monolog / Von Christian Geyer
Das Wort "Dialog" geht heute nicht nur denen auf die Nerven, die paternalistische Rechthaber sind und lieber bis an ihr Lebensende ins Leere reden, als sich je von einem anderen etwas sagen zu lassen. Es nervt vielmehr gerade auch solche, die sich von Hamann und Buber inspirieren ließen und das Dialoggerede unserer Tage als entsetzliche Verflachung empfinden. Von Kirchen- und Wirtschaftskreisen gleichermaßen vereinnahmt, ist die philosophische Kunst des Zwiegesprächs zu einer Technik der Verkaufsrede verkommen.
Daß diese bisweilen in die frei gewordene Stelle der Utopie einrückt,
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zeigt das Buch des Londoner Physikprofessors David Bohm. Der theoretische Anspruch, den der Titel verheißt, wird eingelöst. Es geht nicht um praktische Tips zum Thema "Schöner Reden", sondern um Erkenntnisse aus Bohms Grundlagenforschung. Jedes Tresen-Gespräch ist Buber näher als Bohm. So stellt sich Bohm das Miteinander der Menschen wie eine physikalische Versuchsanordnung vor: Zum besseren Funktionieren des Ganzen reicht es aus, die dysfunktionalen Faktoren gegen funktionale einzutauschen. Mit Sorge beobachtet Bohm, daß es in der pluralistischen Gesellschaft so viele verschiedene Überzeugungen gibt: "Die Gedanken heben sich gegenseitig auf. Aber wenn Menschen gemeinsam auf kohärente Weise dächten, hätten die Gedanken eine ungeheuerliche Macht." Bohm scheint die Gedanken als Vektoren in einem Kräfteparallelogramm zu begreifen, darstellbar in Pfeilen, deren Länge den Betrag und deren Spitze die Richtung angibt. Dabei geht es ihm um Energiebündelung nach Art eines magnetischen Flusses. Alles wäre in Ordnung, wenn die Gesellschaft lernen würde, "gemeinsam zu denken": "Ein Beispiel wäre, wenn jemand eine Idee hat, die ein anderer aufgreift, während ein dritter noch etwas hinzufügt. Das Denken würde fließen, anstatt daß da eine Menge verschiedener Leute sitzt und versucht, sich gegenseitig zu überreden und zu überzeugen."
Nun fließt das Denken in unserer Gesellschaft aber nicht nur in einem mainstream dahin. Gelegentlich stockt es, dümpelt eigenbrötlerisch vor sich hin und macht zeitraubende Umwege. Das müßte nicht sein. Bohm plant, die Welt mit einem Netz von "Dialoggruppen" zu überziehen. In ihnen ließe sich lernen, daß Überzeugungen nur "Annahmen" sind, mit denen wir uns zu Unrecht identifizieren. Wir würden einsehen, daß wir sie bloß "von unseren Lehrern, unserer Familie, aus Büchern oder sonstwoher" übernommen haben und daß sie daher grundsätzlich zur Disposition stehen: Wie gewonnen, so zerronnen. "Der Punkt ist: der Dialog muß all den Zwängen auf den Grund gehen, die hinter unseren Annahmen stehen." Zu Beginn sollte man diese Annahmen daher "weder akzeptieren noch ablehnen, sondern in der Schwebe lassen". Am Ende kann man sie dann wie störende Vektoren einfach "fallenlassen". Niemand braucht mehr um seinen heißen Brei herumzureden, weil es nur noch einen einzigen Brei gibt, und der ist kalt.
Wer da noch zweifelt, ob auf diese Weise die Welt zusammenwächst, muß sich von Bohm sagen lassen: "Heutzutage sind viele am Dialog interessiert. Die Zeit scheint reif zu sein für diese Idee." Auch auf den "höchsten Ebenen" wie im amerikanischen Außenministerium gebe es schon Leute, die mit ihr vertraut sind. Frau Albright als gute Hirtin des Dialogs: "Es ist wie bei dem biblischen Gleichnis von den Samenkörnern - ein Teil der Körner fällt auf felsigen Boden, und ein anderer Teil fällt auf guten Boden und bringt enorme Frucht."
Der messianische Anstrich kann nicht verdecken, daß Dialogisieren im Sinne Bohms nichts anderes heißt, als den Unernst zum Programm zu erheben. Aus der banalen Tatsache, daß menschliche Rede irrtumsanfällig ist, folgert Bohm, von vorneherein auf jeden Geltungsanspruch zu verzichten. Konsequenterweise hieße das, nur in Fragesätzen zu sprechen oder seine Rede mit scheppernden Floskeln wie "sag' ich jetzt mal" und "oder so" zu spicken. Aber auf diese Weise hätten weder die Wahrheit noch der Irrtum eine Chance, ans Licht zu kommen. Bohms Sprachkritik spielt die "Wirklichkeit" gegen das "Denken" aus, um den Schluß zu ziehen, daß unsere Meinungen doch "eigentlich gar nicht so furchtbar wichtig sind". Gewiß, im Angesicht der Ewigkeit mag alles in allem sein. In der Welt des Endlichen jedoch ist jeder Holismus, der die Reflexion aushebeln will, nichts als Ideologie.
Bohms Dialogkonzept unterläuft jede Verständigungsbereitschaft, weil nie klar wird, zwischen welchen Positionen eigentlich vermittelt werden soll. Nicht ob diese gelten, soll "der Punkt" sein, sondern woher sie stammen und ob sie sich für den globalen Dialog "brauchen" lassen. Bohm scheint sogar zu meinen: Wenn Ideen unter irgendeinem Einfluß zustande kamen und nicht etwa vom Himmel fielen, spricht das schon gegen ihre Geltung. Aber seit wann war die Tatsache, daß sich eine Meinung durch Lektüre oder Gespräche bildet, ein Argument gegen sie? Hier kommt ein antidialogischer Geist zum Vorschein.
Freilich fehlt der Vorstellung eines sauber entkernten Dialogs selbst jeder Kern. Bohm ist ein "Besserwisser" im Sinne von Wolf Lepenies: ein expert before experience. Daß man nicht so einfach aus seiner Haut herausschlüpfen kann, wie Bohm glauben macht, hätte er von Franz Werfel lernen können. Dessen letzter Roman "Der Stern der Ungeborenen" kreist um die Utopie der Abstraktion vom eigenen Selbst. Im Vorwort heißt es bedauernd: "Ich hätte es aus angeborener Unlust, in Schwierigkeiten zu geraten, lieber vermieden, auf diesen Blättern ich selbst zu sein, aber es war nicht nur der natürliche, sondern der einzige Weg, und ich konnte leider keinen ,Er' finden, der mir zulänglicherweise die Last des ,Ich' abgenommen hätte." Vielleicht sollte Bohm aufhören, Physikbücher über den Dialog zu schreiben. Dann stünde einem Gespräch nichts mehr im Wege.
David Bohm: "Der Dialog". Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1998. 175 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nun fließt das Denken in unserer Gesellschaft aber nicht nur in einem mainstream dahin. Gelegentlich stockt es, dümpelt eigenbrötlerisch vor sich hin und macht zeitraubende Umwege. Das müßte nicht sein. Bohm plant, die Welt mit einem Netz von "Dialoggruppen" zu überziehen. In ihnen ließe sich lernen, daß Überzeugungen nur "Annahmen" sind, mit denen wir uns zu Unrecht identifizieren. Wir würden einsehen, daß wir sie bloß "von unseren Lehrern, unserer Familie, aus Büchern oder sonstwoher" übernommen haben und daß sie daher grundsätzlich zur Disposition stehen: Wie gewonnen, so zerronnen. "Der Punkt ist: der Dialog muß all den Zwängen auf den Grund gehen, die hinter unseren Annahmen stehen." Zu Beginn sollte man diese Annahmen daher "weder akzeptieren noch ablehnen, sondern in der Schwebe lassen". Am Ende kann man sie dann wie störende Vektoren einfach "fallenlassen". Niemand braucht mehr um seinen heißen Brei herumzureden, weil es nur noch einen einzigen Brei gibt, und der ist kalt.
Wer da noch zweifelt, ob auf diese Weise die Welt zusammenwächst, muß sich von Bohm sagen lassen: "Heutzutage sind viele am Dialog interessiert. Die Zeit scheint reif zu sein für diese Idee." Auch auf den "höchsten Ebenen" wie im amerikanischen Außenministerium gebe es schon Leute, die mit ihr vertraut sind. Frau Albright als gute Hirtin des Dialogs: "Es ist wie bei dem biblischen Gleichnis von den Samenkörnern - ein Teil der Körner fällt auf felsigen Boden, und ein anderer Teil fällt auf guten Boden und bringt enorme Frucht."
Der messianische Anstrich kann nicht verdecken, daß Dialogisieren im Sinne Bohms nichts anderes heißt, als den Unernst zum Programm zu erheben. Aus der banalen Tatsache, daß menschliche Rede irrtumsanfällig ist, folgert Bohm, von vorneherein auf jeden Geltungsanspruch zu verzichten. Konsequenterweise hieße das, nur in Fragesätzen zu sprechen oder seine Rede mit scheppernden Floskeln wie "sag' ich jetzt mal" und "oder so" zu spicken. Aber auf diese Weise hätten weder die Wahrheit noch der Irrtum eine Chance, ans Licht zu kommen. Bohms Sprachkritik spielt die "Wirklichkeit" gegen das "Denken" aus, um den Schluß zu ziehen, daß unsere Meinungen doch "eigentlich gar nicht so furchtbar wichtig sind". Gewiß, im Angesicht der Ewigkeit mag alles in allem sein. In der Welt des Endlichen jedoch ist jeder Holismus, der die Reflexion aushebeln will, nichts als Ideologie.
Bohms Dialogkonzept unterläuft jede Verständigungsbereitschaft, weil nie klar wird, zwischen welchen Positionen eigentlich vermittelt werden soll. Nicht ob diese gelten, soll "der Punkt" sein, sondern woher sie stammen und ob sie sich für den globalen Dialog "brauchen" lassen. Bohm scheint sogar zu meinen: Wenn Ideen unter irgendeinem Einfluß zustande kamen und nicht etwa vom Himmel fielen, spricht das schon gegen ihre Geltung. Aber seit wann war die Tatsache, daß sich eine Meinung durch Lektüre oder Gespräche bildet, ein Argument gegen sie? Hier kommt ein antidialogischer Geist zum Vorschein.
Freilich fehlt der Vorstellung eines sauber entkernten Dialogs selbst jeder Kern. Bohm ist ein "Besserwisser" im Sinne von Wolf Lepenies: ein expert before experience. Daß man nicht so einfach aus seiner Haut herausschlüpfen kann, wie Bohm glauben macht, hätte er von Franz Werfel lernen können. Dessen letzter Roman "Der Stern der Ungeborenen" kreist um die Utopie der Abstraktion vom eigenen Selbst. Im Vorwort heißt es bedauernd: "Ich hätte es aus angeborener Unlust, in Schwierigkeiten zu geraten, lieber vermieden, auf diesen Blättern ich selbst zu sein, aber es war nicht nur der natürliche, sondern der einzige Weg, und ich konnte leider keinen ,Er' finden, der mir zulänglicherweise die Last des ,Ich' abgenommen hätte." Vielleicht sollte Bohm aufhören, Physikbücher über den Dialog zu schreiben. Dann stünde einem Gespräch nichts mehr im Wege.
David Bohm: "Der Dialog". Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1998. 175 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Grundlagen der offenen Kommunikation
David Bohm, Verfasser der „Impliziten Ordnung“, war Physiker und Philosoph. Er beschäftigte sich über viele Jahre mit dem Thema Kommunikation. Das von Lee Nichol herausgegebene Buch enthält Schriften aus dem Lebenswerk Bohms zum …
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Grundlagen der offenen Kommunikation
David Bohm, Verfasser der „Impliziten Ordnung“, war Physiker und Philosoph. Er beschäftigte sich über viele Jahre mit dem Thema Kommunikation. Das von Lee Nichol herausgegebene Buch enthält Schriften aus dem Lebenswerk Bohms zum Thema „Dialogisches Weltbild“.
Bohm thematisiert den Dialog als eine Kommunikationsform, bei der es keine Sieger und Besiegte gibt, sondern vorurteilsfrei und emotionslos Gedanken ausgetauscht werden und dadurch neue Ideen entstehen. Diese Form des Dialogs wird in vielen Rhetorikschulungen vermittelt. Bohm hat durch eine tiefgehende Ursachenforschung hierfür eine theoretische Grundlage geschaffen. Er beleuchtet die Fragmentierung (Schaffung von Denkkategorien) als selbsterschaffene Ursache für gesellschaftliche Probleme, beschreibt die Rolle des kollektiven Denkens und bietet einen Erklärungsansatz für kulturelle Mythen.
Probleme zu erkennen und zu lösen sind zweierlei. Bohm war nicht nur Theoretiker, sondern hat seine Thesen auch in Seminaren getestet. Für die Grenzen der Anwendung liefert er selbst Beispiele. So ist nicht nur die Religion ein Thema, bei dem Grenzen der Dialogfähigkeit erkennbar werden, sondern gleiches gilt auch für die Wissenschaft (deutlich gemacht am Verhältnis zwischen Bohr und Einstein).
Wenngleich die theoretischen Grundlagen gut herausgearbeitet wurden, mangelt es an Rezepten, wie denn das offene Gespräch erreicht werden kann. Wir sind „Gefangene unserer Denkstrukturen“, macht David Bohm im Kapitel „Problem und Paradox“ deutlich und neigen dazu, uns immer tiefer in unsere Probleme zu verstricken. Da, wo es am ehesten erforderlich wäre (Religion, Politik, Wissenschaft), ist der „Dialog“ kaum umsetzbar. Wer an das offene Gespräch glaubt, benötigt eine gehörige Portion Idealismus.
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