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Mit dem dritten Band der Reihe "Der Bundestagsausschuss für Verteidigung und seine Vorläufer" präsentiert das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) Experten und Interessierten aus den Bereichen Politikwissenschaft, Militärgeschichte, Sozialwissenschaft, Zeitgeschichte und Biografieforschung einen beachtenswerten Quellenkorpus. Die dort abgedruckten Sitzungsprotokolle von September 1954 bis Juli 1955 dokumentieren wichtige Themen aus der Frühphase der Wiederbewaffnung wie z.B. Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO, Aufbau der künftigen Bundeswehr,…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem dritten Band der Reihe "Der Bundestagsausschuss für Verteidigung und seine Vorläufer" präsentiert das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) Experten und Interessierten aus den Bereichen Politikwissenschaft, Militärgeschichte, Sozialwissenschaft, Zeitgeschichte und Biografieforschung einen beachtenswerten Quellenkorpus. Die dort abgedruckten Sitzungsprotokolle von September 1954 bis Juli 1955 dokumentieren wichtige Themen aus der Frühphase der Wiederbewaffnung wie z.B. Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO, Aufbau der künftigen Bundeswehr, Innere Führung und Kriegsbilder. In diese Zeit fallen die ersten selbstständigen Entscheidungen von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag im Bereich Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
Autorenporträt
Oberst i.G. Dr. Burkhard Köster, geboren 1961 in Rheine/Westfalen, Historiker, 2009-2012 Leiter des Forschungsbereichs III "Militärgeschichte der Bundesrepublik Deutschland im Bündnis" und 2012/13 Leiter Abteilung Einsatz im Militärgeschichtlichen Forschungsamt bzw. Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, seit 2013 Referatsleiter Führung Streitkräfte II 4 "Innere Führung und Militärseelsorge" im Bundesministerium der Verteidigung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2015

Der Knobelbecher knallt doch viel besser
Aufbau der Bundeswehr: Wortprotokolle des Bundestagsausschusses 1954/1955

"Es musste alles neu gemacht werden", so hat Konrad Adenauer seine ersten Regierungsjahre resümiert. Neu aufgestellt werden musste auch eine Armee. Vielleicht war das sogar sein größtes und wichtigstes "Projekt" in jener Phase - galt es doch, über die im Lande zutiefst unpopuläre Wiederbewaffnung das Besatzungsstatut abzulösen und einen Großteil der 1945 vollständig verlorenen Souveränitätsrechte von den Westalliierten zurückzugewinnen. Die sorgfältig edierten Wortprotokolle des Bundestagsausschusses für Verteidigung - der damals "Ausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit" hieß, weil alles, was mit Wiederbewaffnung zu tun hatte, so harmlos wie möglich betitelt wurde - führen uns mitten hinein in diese Thematik. Sie setzen unmittelbar nach Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) in der französischen Nationalversammlung im Herbst 1954 ein, begleiten den Weg zu Deutschlandvertrag und Nato-Beitritt, zu eigenem Verteidigungsministerium und einer Armee mit 500 000 Mann und 12 Divisionen.

Der Zeitdruck ist hoch, das Tempo forsch, 43 vielstündige Sitzungen, dazwischen noch eine längere Reise wichtiger Ausschussmitglieder in die Vereinigten Staaten sprechen eine deutliche Sprache. Dass sich schon bald die Planungen und westdeutschen Zusagen als allzu optimistisch erweisen, Dienstzeiten von 18 Monaten zunächst nicht durchsetzbar sind und die Sollstärken erst viel später erreicht werden, zugleich der Kostenrahmen von 9 auf 51 Milliarden Mark steigt und Bundeskanzler Adenauer den ersten Verteidigungsminister Theodor Blank ob des Debakels schon 1956 durch den ehrgeizig-effizienten Franz-Josef Strauß ersetzen muss, ahnen die Akteure im Juli 1955 noch nicht, als der Band endet.

Da ist zumindest der Anfang gemacht, das vom Ausschuss intensiv vorbereitete "Freiwilligengesetz" verabschiedet, mit dem die ersten 6000 Militärs für den Neuaufbau, für die rasche Entsendung in Nato-Stäbe und Lehrgänge rekrutiert werden können. Sie sollen den mittlerweile rund 500 000 deutschen Beamten gleichgestellt werden - zunächst nur als Beamte auf Zeit. Da man, wie seit 1950 im "Amt Blank" - das offiziell "Dienststelle des Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen" hieß - auf Militärfachleute aus Hitlers Wehrmacht zurückgreifen muss, will man die Möglichkeit haben, jene, deren demokratische Verlässlichkeit zweifelhaft scheint, rasch wieder loszuwerden.

Und der Bundestag stellt, dem Ausschuss folgend, dem zunächst auf seine Organisationsgewalt pochenden Kanzler im Sommer 1955 einen Personalgutachterausschuss zur Seite, der in den nächsten knapp drei Jahren im Zusammenwirken mit dem Bundespräsidenten alle Führungsoffiziere vom Obersten aufwärts vor der Ernennung "begutachtet". Eine kleine zeitgeschichtliche Pointe: Die Gutachter werden von der Einstellung einiger bereits im "Amt Blank" tätigen Militärs abraten, nicht zuletzt auch bei Adolf Heusinger - vielleicht, weil er neben Hitler stand, als am 20. Juli 1944 Stauffenbergs Bombe explodierte. In diesem Fall setzte sich Adenauer allerdings über die Empfehlung hinweg: Heusinger konnte zum ersten Generalinspekteur der jungen Bundeswehr aufsteigen.

Im Ausschuss stehen neben Blank, der 18 Mal erscheint, auch Militärs aus seinem Amt wie Baudissin, Kielmannsegg, de Maizière und Speidel Rede und Antwort, allesamt ehemalige Wehrmachtsoffiziere - und Gründerväter der Bundeswehr. Zweifellos gehören Heusingers Vorträge aber zu den eindruckvollsten - und erschreckendsten. "Die Atomwaffenverwendung bei diesem US-Manöver in Süddeutschland war nicht so vorbereitet, es wurde ziemlich gekleckert", teilt er im Dezember 1954 lakonisch mit. Und in seinem Referat zur militärischen Bedrohungslage im Februar 1955 resümiert er, allein auf dem Gebiet der Atomrüstung sei der Westen "den Russen klar überlegen, zahlenmäßig sonst der Osten im Verhältnis 4:1". Schlussfolgerung: "Entscheidender Angelpunkt ist Westdeutschland. Wenn Westdeutschland verlorengeht, bricht die ganze westliche Front auseinander. Die Verteidigung Westeuropas ist ohne deutschen Beitrag nicht darzustellen, es sei denn, sie wird überhaupt nur mit Atomwaffen geführt [. . .]. Die Gefährdung durch Atomwaffen ist ungeheuer." Solche Sätze kann man nur mit Beklemmung lesen. Sie stehen am Beginn des "Strategiewechsels" hin zur "Vorwärtsverteidigung" mittels taktischer und strategischer Atomwaffen (Raketen) von Nato und Vereinigten Staaten. Dass am Ende der Sitzung die Abgeordneten aufgefordert werden, das Gehörte "absolut geheim" zu behandeln, erstaunt nicht.

Aber auch andere haben große Auftritte vor dem Ausschuss, etwa AA-Staatssekretär Walter Hallstein. Er spricht ganz im Sinne Adenauers: "Scheitern die Verträge, wird die Neigung der amerikanischen Politik zur Abwendung von Europa und von der atlantischen Verteidigungspolitik zunehmen [. . .]. Wir können für die Wiedervereinigung nur eintreten, wenn wir aus der Objektlage, in der sich Deutschland lange befunden hat, herauskommen und wir Mitsprachemöglichkeiten in internationalen wie nationalen Angelegenheiten erhalten." Ebenso bemerkenswert der Optimismus von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard angesichts fast zweistelliger Wachstumsraten, was die Finanzierung der neuen "Wehrmacht" anlangt. Denn so heißen die Streitkräfte im Ausschuss noch. Erst Anfang 1956 wird der umsichtige Ausschussvorsitzende Richard Jäger (CSU) die Weichen in Richtung "Bundeswehr" stellen.

Im Ausschuss wird offen diskutiert, ernsthaft, sachkundig, bisweilen frozzelnd - über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Der CDU-Abgeordnete Bausch bringt es auf den Punkt: "Wir sind uns einig, dass die Kontrolle des Parlaments und der Regierung über das Militär einwandfrei sichergestellt werden soll. Frage ist: Wie kriegen wir das hin?" Dabei wirkten auch die Sozialdemokraten mit, deren Partei im Plenum die Wehr-Gesetzgebung ablehnen wird. Ausschussmitglieder wie Fritz Erler, Carlo Schmid, Helmut Schmidt und Herbert Wehner sind aber von der Notwendigkeit des Armee-Aufbaus überzeugt. Allerdings geht der militärische Purismus von Carlo Schmid ziemlich weit - bis hin zur Ablehnung von Marschmusik und Großem Zapfenstreich: "Wir bauen hier kein männliches Ballett auf, das die Beine hochschmeißen kann. Machen Sie mal einen Parademarsch mit Gummisohlen! Dann müssen wir wieder Knobelbecher einführen, weil es sonst nicht knallt!"

Der Band versammelt viele handfest-anschauliche Aussagen über den "neuen" Soldaten als "Staatsbürger in Uniform", über Beschaffungs- und Ausrüstungsfragen - "im Vergleich mit der früheren Wehrmacht ist eigentlich kein Stück geblieben, nicht einmal die Wäsche", sagt Heusinger, als die neuen Uniformen vorgestellt werden. Über 20 Seiten erstreckt sich die Debatte, ob im Dienst jeder mit "Herr" angeredet werden müsse. Der Ausschuss ist dagegen, die Dienstgradbezeichnung soll genügen - wie bei der SS? Carlo Schmid: "Die hat auch manches Vernünftige gemacht. Ich sage das mit vollem Bewusstsein. Die waren moderner als manch andere, nicht bloß beim Vergasen." CDU-MdB Hellmuth Heye, früherer Vizeadmiral, korrigiert das bedächtig: "Die SS hat die Anrede von den Engländern übernommen [. . .]. Wenn es gut und zweckmäßig ist, können wir die Sache so machen - nicht, weil die SS es gemacht hat, sondern weil es zeitgemäß ist." Und das Fazit des spürbar erschöpften Ausschussvorsitzenden Jäger vor der Sommerpause 1955 trifft auch zu: "Überlassen wir jetzt das Urteil den Historikern. Die haben eine Fundgrube an unseren Beratungen."

DANIEL KOERFER

Der Ausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit - September 1954 bis Juli 1955. Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, herausgegeben von Burkhard Köster. Reihe: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung und seine Vorläufer, Band 3. Droste Verlag, Düsseldorf 2014. 1231 S., 59,80 [Euro].

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