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Autorenporträt
Botho Strauß, 1944 in Naumburg/Saale geboren, lebt in der Uckermark. Bei Hanser veröffentlichte er neben einer vierbändigen Werkausgabe seiner Stücke zuletzt die Prosabände Mikado (2006), Die Unbeholfenen (Bewußtseinsnovelle, 2007), Vom Aufenthalt (2009), Sie/Er (Erzählungen, 2012), Der Aufstand gegen die sekundäre Welt (Aufsätze, 2012), Die Fabeln von der Begegnung (2013), Kongress (Die Kette der Demütigungen, 2013), Allein mit allen (Gedankenbuch, 2014), Herkunft (2014), Oniritti Höhlenbilder (2016) und zu oft umsonst gelächelt (2019).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1999

Die Befreiung der Sehnsucht
Die gesammelten Pamphlete des Schamanen Botho Strauß /Von Friedmar Apel

In einem Bändchen der Edition Akzente legt Botho Strauß einige jener zumeist in dieser Zeitung zuerst erschienenen Attacken gegen die Zeitgenossenschaft vor, die für erstaunlich hysterische Reaktionen sorgten. 1994, nach "Anschwellender Bocksgesang", hat Strauß ein wesentliches Kennzeichen deutscher politischer Befangenheiten in der Unfähigkeit, Differenzen zu ertragen, gesehen. Seine Diagnose, daß an die Stelle einer freien Rede und Gegenrede hierzulande oft Symptome einer "krankhaften Reizbarkeit" träten, hat sich nicht nur in der Walser-Debatte auf breiter Front bestätigt. Strauß kokettiert, wie sein Vorbild Rudolf Borchardt, gern mit der Rolle des Don Quijote, und in der Tat scheinen seine Waffen einer vergangenen Epoche zuzugehören, die Übel, die er bekämpft, sind aber von heute.

Erst beim Wiederlesen im Zusammenhang wird deutlich, wie gezielt Strauß seine Einsprüche gegen den "Mythos der Jetztlebigkeit" als Probe darauf angelegt hat, wieviel gebildeten und herkunftsbewußten Nonkonformismus der gesellschaftliche Diskurs in Deutschland verträgt. Wenn man die Reaktionen auf diesen Lackmustest Revue passieren läßt, so lautet das Ergebnis: nicht viel. Daß gerade ein Autor, der weder der Form noch dem Inhalt nach Gefolgschaft einfordert, der vielmehr jenseits politischer Frontlinien das Recht als Unzeitgemäßheit und Einzelgängertum bestimmt, so vehement bekämpft wird, zeigt vor allem, daß dialektisches Denken trotz Hegel, Marx oder Adorno im gesellschaftlichen Leben nie heimisch geworden ist. Und es zeigt auch, daß der autoritäre Charakter dort überlebt, wo er angeblich am meisten bekämpft wird. Strauß' Beobachtung, daß sich die politisierte Gesellschaft in Form der politischen Korrektheit vornehmlich mit "korporierten Minderheiten" beschäftigt, während sie für den Einzelgänger keine Prägemuster bereitstellt, ist schwer abzuweisen. Dabei muß man sich gar nicht Strauß' evolutionär unterlegte Lehre vom Nutzen der Selbstbezüglichkeit und den Spott auf die angepaßte Persönlichkeit zu eigen machen. Es genügt die Einsicht, daß Gesellschaften mit älterer freiheitlicher Tradition dem Exzentriker mit Respekt begegneten. Daß "der Typus des Unpassenden, des Widersachers, des Wahnbesessenen" für "den Erhalt des Verständigungssystems" wichtig ist, mag man bei der Lektüre klassisch gewordener Werke einsehen, aber heute nicht, zumal nicht unter dem Diktat der Ökonomie.

Den Polemiker aus älterem Recht der Realitätsblindheit anzuklagen ist müßig, denn Strauß selbst singt das Lob der Wunderlichkeit, und sein Recht erfindet er im Gespräch mit den Toten. Er ist insofern - nach einem Diktum Stephen Greenblatts - ein Schamane und als solcher Virtuose des ausgehaltenen Widerspruchs. Seine Ästhetik des Widerstands hat auf Beistimmung per se keinen Anspruch. Sein symbolischer Aufstand gegen die sekundäre Welt zielt auf eine Wiedervereinigung durch den Feind hindurch. So teilt uns der, der ebendie Medienaskese zu predigen schien und den Kunstbegriff "auf Brennpunktgröße" verengen wollte, im nächsten Moment mit, daß er fast jeden Blödsinn kennt, der irgendwo als Kunst, Pop oder Trash Blasen geworfen hat, und daß er gern im Internet surft. Beisichsein begreift sich, das zeigt sich gestaltet in seinen Stücken, als gesteigerte Teilnahme eines Beobachters von höchster Rezeptivität. Die Verwerfung der verquasten und verquatschten Moderne wirkt dabei als vitalisierendes Tonikum, und irgendwann schleicht sich bei der Lektüre des Bändchens der Verdacht ein, daß der Enthusiast und Gegenaufklärer begabter für diese Epoche ist als der auf- und abgeklärte Zeitgenosse. Schließlich bringt Strauß ja den Medienwald zum Rauschen, wann immer er will. Das Wiederlesen seiner Pamphlete sollte der Leser am besten als Widerlesen betreiben. Kopfschütteln ist bei diesem Vergnügen inbegriffen und kann als geistige Befreiung erfahren werden.

Botho Strauß: "Der Aufstand gegen die sekundäre Welt. Bemerkungen zu einer Ästhetik der Anwesenheit". Carl Hanser Verlag, München und Wien 1999. 108 S., br., 24,- DM.

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