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Produktdetails
  • Verlag: Klöpfer & Meyer Verlag
  • Überarb. u. erw. Neuausg.
  • Seitenzahl: 245
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 418g
  • ISBN-13: 9783931402501
  • ISBN-10: 3931402509
  • Artikelnr.: 24122930
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.03.2000

Wider alle Gewohnheit
Adolf Hitler entkommt der Höllenmaschine des Georg Elser, und Deutschland weint vor Glück
HELMUT ORTNER: Der Attentäter. Georg Elser – der Mann, der Hitler töten wollte. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 1999. 245 Seiten, 39,80 Mark.
„Noch härter, noch entschlossener und noch treuer als jemals zuvor ist nun das ganze Volk um den Führer geschart”, vermelden die Münchner Neuesten Nachrichten am 9.  November 1939, und im ganzen Reich wird in vielen Schulen „Nun danket alle Gott” gesungen. Am Abend zuvor war der Münchner Bürgerbräukeller in die Luft gesprengt worden. In der Säule hinter dem Rednerpult war eine penibel konstruierte Höllenmaschine detoniert, die Decke war auf den Saal herabgestürzt, acht Personen waren getötet worden. Allein der Führer hatte gegen alle Gewohnheit das Lokal kurz zuvor verlassen, und seine „wunderbare Errettung” lässt ihn nun endgültig in der Gloriole der Vorsehung erscheinen.
Allgemein wird das Attentat den Engländern (und, versteht sich, den Juden) zugerechnet. Dass der an der Schweizer Grenze verhaftete Attentäter, der schwäbische Schreiner Georg Elser, die NS-Führung auf eigene Faust beseitigen wollte, glauben auch im Ausland die Wenigsten. Den Nazis kam das fehlgeschlagene Attentat sehr zupass, wie man in den internen Sicherheitsdienst-Berichten nachlesen kann: „Die Liebe zum Führer ist noch mehr gewachsen, und auch die Einstellung zum Krieg ist infolge des Attentats noch positiver geworden. ”
Erst 30 Jahre später wird das Protokoll des Gestapo-Verhörs veröffentlicht, dem Elser unterzogen wurde; damit endet die Legendenbildung. Klar erkennbar ersteht darin die Gestalt des Schreinergesellen, Mitglied im Orchester des Trachtenvereins, bei den Naturfreunden und im Rotfrontkämpferbund, der viel zu eigensinnig und zu schlau ist, um sich mit anderen konspirativ zusammenzutun. Häufig wechselt er die Stelle, immer wieder ist er arbeitslos, mit den Unterhaltszahlungen für sein uneheliches Kind kommt er nicht nach. 1938 erkennt er, was jeder erkennen konnte: Dass Hitler den Krieg vorbereitet. Der leidenschaftliche Kunstschreiner, der immer KPD wählt und der während der monatelangen Attentatsvorbereitungen eine Kirche aufsucht, um sein Vaterunser zu beten, beschließt, Hitler zu töten.
Beim Aufrücken in die „Ehrengalerie des deutschen Widerstands” gerät Georg Elser 1997 sogar kurzfristig in den Berliner Bendlerblock, in die Gedenkstätte Deutscher Widerstand; ein Stockwerk unterhalb der weitläufigen Stauffenberg-Hommage wird ihm eine kleine Sonderausstellung gewidmet. Viele werten das als späte Genugtuung. Aber es ist fraglich, ob Elser in diese Räume mit den umlaufenden Hakenkreuzintarsien im Parkett gehört. Er hatte schließlich ein anderes Verständnis von Kunstschreinerei.
Seit Monaten tobt nun ein heftiger Streit um die Figur Elsers, ausgelöst durch einen drittklassigen Dresdner Soziologen. Der wies Georg Elser unter Hinweis auf die acht Toten „moralisches Versagen” nach und weigerte sich standhaft, „einer Person von der Kompetenz Elsers> die Berechtigung zuzubilligen, Gefahren, die sie sieht, auf eine Weise abzuwehren, die uns (!) notfalls in den Tod schickt”. Der Aufschrei des Entsetzens über diese These hallt bis heute nach.
Nun liegt aber neben Helmut Haasis’ neuer Elser-Biografie („Den Hitler jag ich in die Luft”, vergleiche SZ vom 6./7. 11. 1999) ein weiteres solides Werk zu Georg Elser in Neuauflage vor: Helmut Ortners historisch erzählende Abhandlung des Falls, wobei die Verlagsangabe „überarbeitete und erweiterte Neuauflage” so zu verstehen ist, dass das Nachwort modifiziert wurde – der Rest ist sowohl mit der 1989 unter dem Titel „Der Einzelgänger” erschienenen Originalausgabe als auch mit der Taschenbuchausgabe von 1993 („Der einsame Attentäter”) text- und seitengleich.
Ein attraktiver Mann
Den Kunstgriff hätte sich der Verlag sparen können, denn Ortners Buch besticht nach wie vor. Wer eine nichtwissenschaftliche, historisch aber verlässliche Darstellung des Bürgerbräuattentats sucht, ist hier genau richtig: Nicht nur der Lebenslauf Georg Elsers wird von Ortner sehr anschaulich entwickelt, auch die Zeitumstände lässt er geschickt einfließen. Im Anhang werden die Quellen angegeben, wobei es dem Leser nicht immer leicht gemacht wird: Da wird etwa als Quelle für die zitierten geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS das Münchner Institut für Zeitgeschichte genannt und nicht hinzugefügt, dass es sich dabei um die 1984 von Heinz Boberach in 17 Bänden edierten „Meldungen aus dem Reich” handelt.
Einziger Kritikpunkt an Ortners erzählender Rekonstruktion: Eine zuweilen unpassende Intimität, die auf Spekulationen beruht, vor allem bei der Behandlung verschiedener Frauen, mit denen Georg Elser zusammen ist. Elser, der „geflühlsblockierte, praktische Mensch” - das ist Psycho-Quatsch der neunziger Jahre, übertragen auf einen Mann der dreißiger Jahre, von dessen Innenleben nicht viel mehr als ein langes polizeiliches Verhörprotokoll zeugt. Allein die kaum bekannten Fotos von Elser, die ihn nicht als gefolterten und geschundenen Gestapo-Häftling, sondern beim Wanderausflug oder in der Tanzgruppe zeigen, sprechen eine andere Sprache: Das ist kein verklemmter Sonderling, sondern ein frei in die Kamera blickender, attraktiver junger Mann. Wenn es bei Ortner nach einem Elser-Zitat immer wieder heißt: „. . . äußerte er sich später”, dann ist natürlich das Gestapo-Verhörprotokoll gemeint. Und das ist das Gespenstische und auch das Vertrackte an der Sache: Dass es von diesem Georg Elser, der im April 1945 in Dachau ermordet wurde, keine anderen Äußerungen als eben die von der Gestapo herausgepressten gibt. Lothar Gruchmanns Edition des Verhörs ist und bleibt der grundlegende Text.
FLORIAN SENDTNER
Der Rezensent ist freier Journalist
in Regensburg.
Der Bürgerbräukeller nach dem Attentat von Georg Elser im November 1939. Hitler hatte den Raum kurz vor der Explosion verlassen.
Foto: SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.1999

Ohne Sonderzug
Der Hitler-Attentäter Georg Elser wird inzwischen meistens gebührend gewürdigt

Helmut Ortner: Der Attentäter. Georg Elser - der Mann, der Hitler töten wollte. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 1999. 256 Seiten, Abbildungen, 39,80 Mark.

Hellmut G. Haasis: "Den Hitler jag' ich in die Luft". Der Attentäter Georg Elser. Eine Biographie. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 1999. 271 Seiten, Abbildungen, 39,80 Mark.

Mehr als 40 Attentatsversuche auf Adolf Hitler wurden nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt. Lediglich zwei davon verfehlten ganz knapp das Ziel: am 8. November 1939 im Bürgerbräukeller in München-Haidhausen und am 20. Juli 1944 im "Führerhauptquartier Wolfsschanze" bei Rastenburg in Ostpreußen. Dieser beiden sichtbaren Zeichen dafür, dass beherzte Gegner des Nationalsozialismus dem Diktator nach dem Leben trachteten, wird in der Bundesrepublik unterschiedlich gedacht. Während die Tat des Obersten Claus Graf Schenk von Stauffenberg in höchstem Ansehen steht, ist die Tat des Möbelschreiners Johann Georg Elser über Jahrzehnte hinweg nahezu unbeachtet geblieben. Mittlerweile hat Elsers Widerstand Anerkennung gefunden, wenn es auch nicht an gelegentlichen Versuchen fehlt, ihn zum Terroristen abzustempeln.

Pünktlich zum 60. Jahrestag des Attentats sind zwei biographische Würdigungen erschienen. Helmut Ortner überarbeitete sein 1989 publiziertes Buch über Elser. Hart geht der Autor mit der Nachkriegsgeneration ins Gericht, die sich mit Helmut Kohls Bemerkung von der "Gnade der späten Geburt" identifiziere und beabsichtige, "endgültig einen Schlussstrich unter eine nicht allzu lang zurückliegende, belastende Vergangenheit zu ziehen". Leider ist Ortner entgangen, dass es ausgerechnet Kohl war, der in seiner Gedenkrede am 20. Juli 1994 nicht nur die Namen Stauffenberg, Beck, Moltke, Bonhoeffer, Goerdeler und vieler anderer Hitler-Gegner aufzählte, sondern explizit zum Ausdruck brachte: ". . . wir gedenken der Tat eines Einzelnen wie des Johann Georg Elser."

Schon nach dem Anschlag vom 8. November 1939 war die Alleintäterschaft Elsers, der sich unmittelbar vor der Münchener Explosion über die "grüne Grenze" in die Schweiz absetzen wollte und gegen 20.45 Uhr in Konstanz zwei deutschen Zollbeamten in die Hände fiel, bezweifelt worden. In nationalsozialistischer Perspektive handelte es sich bei Elsers Tat um eine Auftragsarbeit des britischen Geheimdienstes. Daher genoss der Sonderhäftling des "Führers" während der jahrelangen Einzelhaft sogar gewisse Privilegien: Er durfte schreinern, Zither spielen und Unmengen von Zigaretten konsumieren. Nach dem "Endsieg" sollte ihm im besetzten London ein Schauprozess gemacht werden. Die besonderen Haftbedingungen trugen dazu bei, dass manche Zeitgenossen und vor allem Hitler-Gegner aus bürgerlichen und militärischen Kreisen über Elsers Ermordung am 9. April 1945 und das Kriegsende hinaus das Vorurteil von einer Inszenierung der SS im Bürgerbräukeller pflegten, um den Glauben an den von der "Vorsehung" auserwählten und geretteten Adolf Hitler zu stärken.

1969 wurde der Fall Elser einer Neubewertung unterzogen. Anton Hoch, damals Archivleiter im Münchener Institut für Zeitgeschichte, veröffentlichte einen für die Elser-Forschung bis heute grundlegenden Aufsatz. Elser sei - so Hochs Fazit - "um die verdiente Anerkennung seiner Tat, ja bis heute um jeden Nachruhm gebracht" worden. Hochs Kollege Lothar Gruchmann publizierte 1970 unter dem Titel "Autobiographie eines Attentäters" die Protokolle der Verhöre in Berlin vom 19. bis 23. November 1939.

Alleintäterschaft und Lauterkeit der Motive Elsers standen seither außer Zweifel. Trotzdem artikulierte sich erst 1987 ein verstärktes Interesse daran, den Mann und seine einsame Tat der Vergessenheit zu entreißen. Ein Beschluss des Bezirksausschusses München-Haidhausen, ein Elser-Denkmal an der Stelle des ehemaligen Bürgerbräukellers zu errichten (schließlich kam es nur zu einer Bodenplatte im Kulturzentrum am Gasteig), führte immerhin zu einer von Ulrike Albrecht verantworteten Ausstellung. Zehn Jahre später zog dann die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin nach. Inzwischen war der Attentäter 1989 durch Klaus Maria Brandauers Spielfilm "Georg Elser - Einer aus Deutschland" einem breiten Publikum bekannt gemacht und 1994 durch Kohls Gedenkrede zum 20. Juli in die vorderste Reihe der deutschen Widerstandskämpfer aufgenommen worden.

Hellmut G. Haasis hat nun unter dem Titel "Den Hitler jag' ich in die Luft" sämtliches vorhandene und teilweise in den Ausstellungen gezeigte Quellenmaterial über Elser zu einer spannend lesbaren Lebensgeschichte verarbeitet. Der Gestapo-These vom "Sonderling" und der Historiker-These vom "Fanatiker" widerspricht er nachdrücklich und hebt hervor, dass die bei Elser im Sommer 1939 wahrgenommene Verschlossenheit lediglich der Vorbereitung des Attentats gedient habe. Haasis vergleicht Elsers Handeln mit der Militäropposition im Winter 1939/40: "Die hohen Militärs, die es nicht wagten, Hitler zu beseitigen, opferten dann ohne Skrupel ganze Divisionen. Elser dagegen hatte seine Entscheidung getroffen: einer statt vieler Millionen."

Natürlich hätte ein gelungenes Attentat nicht nur Hitler getötet, sondern auch unzählige andere Teilnehmer der jährlich am 8. November stattfindenden Traditionsfeier zur Erinnerung an den Hitler-Putsch von 1923. Weil Hitler den Bürgerbräukeller um 21.07 Uhr verließ, um im Münchener Hauptbahnhof den Sonderzug nach Berlin (Abfahrtszeit 21.31 Uhr) zu erreichen, löste sich die NS-Veranstaltung bereits auf, als die Bombe um 21.20 Uhr explodierte. Von den rund 160 noch anwesenden Personen (darunter viele Musiker und technische Helfer) wurden acht getötet und 63 verletzt. Daher habe das Nachkriegsdeutschland "lange Zeit die Berechtigung des Attentats nicht zugeben wollen und sich zur Selbstentlastung der acht ,unschuldigen Opfer' bedient".

Den Mitgefühl-Ansatz vertieft jetzt Lothar Fritze in der "Frankfurter Rundschau". Der um dreizehn Minuten verpassten Gelegenheit, den verbrecherischen Diktator loszuwerden, werde zu viel der Ehre zuteil, weil Elser den Tod von acht Menschen "schuldhaft verursacht" habe. Der Chemnitzer Privatdozent konzentriert sich nun auf den Tod der Aushilfskellnerin Maria Henle und auf die schweren bleibenden Verletzungen der Angestellten Maria Strobl: "Beide haben in jedem vernünftigen Sinne als unschuldig zu gelten - und von beiden kann nicht angenommen werden, dass sie die Tat nachträglich gebilligt hätten." Außerdem sei Elser nicht bereit gewesen, "das Risiko auf sich zu nehmen, dass es auch ihn treffen könnte". Fritze wirft Elser "moralisches Versagen" vor und legt an die Aktionen des Widerstands im "Dritten Reich" eine akademisch-weltfremde Messlatte an, mit der die meisten Attentatsversuche auf Hitler diskreditiert werden könnten. Nur einem mit Selbstopfer des Attentäters verbundenen Tyrannenmord wäre demnach Vorbildcharakter beizumessen. Angeregt durch Fritze, dürfte die künftige Elser-Forschung im wahrsten Sinne des Wortes um folgende Fragen kreisen: Warum versäumte es Elser, Hitler um eine Privataudienz oder wenigstens um eine Einladung zur Münchener Traditionsfeier zu bitten? Warum versäumte es Elser, am Eingang des Bürgerbräukellers eine Repräsentativumfrage unter den 2000 Anwesenden zu veranstalten und sie auf eventuelle Risiken und Nebenwirkungen wie Tod oder Verletzung hinzuweisen?

RAINER A. BLASIUS

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