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In der vorliegenden Arbeit wird ausführlich dargestellt, daß und wie christliche Wertvorstellungen in die Moral und das Recht der Aufklärung eingegangen sind. Die christliche Begründung von Moral und Recht hat zwar an Glaubwürdigkeit verloren, setzt sich aber hinter dem Rücken der in aufgeklärten Gesellschaften lebenden Menschen durch.

Produktbeschreibung
In der vorliegenden Arbeit wird ausführlich dargestellt, daß und wie christliche Wertvorstellungen in die Moral und das Recht der Aufklärung eingegangen sind. Die christliche Begründung von Moral und Recht hat zwar an Glaubwürdigkeit verloren, setzt sich aber hinter dem Rücken der in aufgeklärten Gesellschaften lebenden Menschen durch.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.1996

Wie weit fällt der Apfel?
Ohne Letztbegründung: Detlef Horster schlägt eine Brücke zwischen Moral und Weltethos

Robert Musil hat bereits vor sechsundsechzig Jahren gewußt: "Die These, daß der große Umsatz an Seife von großer Reinlichkeit zeugt, braucht nicht für die Moral zu gelten, wo der neuere Satz richtiger ist, daß ein ausgeprägter Waschzwang auf nicht ganz saubere innere Verhältnisse hindeutet." Jeder Problematik folgt deshalb die passende Ethik auf dem Fuße, und unser größtes Problem ist nunmehr seit Jahrhunderten die globale Verständigung.

Nicht erst seit Hans Küng nimmermüde sein "Projekt Weltethos" predigt, ist in den Moraldebatten der modernen Philosophie die Unterscheidung von Nah- und Fernethik gebräuchlich. Walter Schulz hat diesem Thema in seinen "Grundproblemen der Ethik" breiten Raum gewidmet und einer pragmatischen Sicht das Wort geredet, die dem moralischen Subjekt die Befähigung abspricht, Verantwortung für das Wohl aller Menschen des Erdkreises zu übernehmen.

Einen Vermittlungsversuch unternimmt jetzt Detlef Horster, allerdings teilweise abseits des eigentlichen Feldes der Ethik. Er differenziert in seinem neuen Buch zunächst Wertvorstellungen nach Moral und Recht und untersucht dann ihre jeweilige Genese. Gegen die populäre These von der Ablösung christlicher Werte durch die Aufklärung setzt er sein Verständnis einer auch heute noch durch das Christentum geprägten Moral- und Rechtskonzeption in Europa, die in der Aufklärung lediglich ihre moderne Ausformung, aber keinen wesentlich neuen Gehalt erhielt.

Denn Moral, so argumentiert Horster, bildet sich beim Individuum primär nicht durch einen Akt freier Wahl heraus, sondern resultiert aus frühkindlicher Sozialisation in der Familie und deren Umfeld. Um sich in die Gesellschaft der Väter einzugliedern, anerkennt ein Mensch dann in einem zweiten Schritt durch freie Wahl die ihm bereits vermittelten Basiswerte und kann sich danach bei Strafe der Ächtung keinen Verstoß mehr gegen sie leisten. Diese Gefahr der Selbstausgrenzung bei Nichtanerkennung führt zu einer Fortschreibung der tradierten Werte. Deshalb trägt Horsters Buch den banalen Titel "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm".

Im Gegensatz zur Moral erfordert die Ausbildung des Rechts keine individuelle Entscheidung jedes Bürgers. Es wird vielmehr von der dazu bevollmächtigten Instanz gegeben. Dadurch aber ist es auch leichter wandelbar als die Moral, da es sich als Konstrukt von den einstmals zugrunde liegenden Normen lösen kann. Der dem Eigenen des Menschen eingeschriebenen Moral muß dies versagt bleiben. Deshalb offeriert das Recht einen gangbaren Weg zur Weltgesellschaft, der sich den auf unterschiedlichen Religionen gegründeten Moralkonzeptionen mangels Übereinstimmung verschließt. Das Recht kann die Fernethik normieren, die dann aber auf die direkte Rückendeckung der Moral zu verzichten hat.

Dieser Optimismus bezüglich der Rolle des Rechts ist ein zentraler Punkt der Systemtheorie Niklas Luhmanns, die sich folglich auch Horsters höchster Wertschätzung erfreut. Ganz im Sinne des Bielefelder Soziologen verwirft Horster mit Habermas' und Apels Diskurstheorie den Versuch ethischer Letztbegründung, weil jede Moral für ihn Ausdruck älterer Moralkonzeptionen ist. Die Letztbegründung erhält ihren Platz im berühmten Münchhausen-Trilemma zugewiesen: Sie scheitert am infiniten Regreß. Allerdings führt auch Horsters eigener - und angesichts seiner Konstruktion erstaunlich beharrlicher - Verweis auf die Wichtigkeit des Christentums für unsere heutigen Werte nur zu einem anderen Punkt des Trilemmas, zum autoritären Abbruch des Diskurses. Denn das Christentum selbst ist schließlich nur eine Artikulationsform noch älterer Werte, falls Horster nicht auf göttlichen Ratschluß rekurrieren will.

Aber Moral ist nach seinem Verständnis nie das Werk eines Propheten oder Erlösers, sondern Ausdruck der Soziabilität, ist "Sozialethik", denn "Moral garantiert die Herstellung gesellschaftlicher Interaktion". Die "axiomata media" - diejenigen Prinzipien, die universale Geltung genießen wie etwa das Tötungsverbot - helfen dabei, die Komplexität eines Systems (einer regionalen wie einer universalen Gesellschaft) zu reduzieren, weil sie zwischen den moralischen Konzeptionen unterschiedlicher Provenienz Berührungspunkte schaffen.

Die Erläuterung des Nutzens "angewandter Ethik" ist deshalb der stärkste Teil von Horsters Buch. Für Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Medizin und Pädagogik entwickelt er pragmatische Modelle der Einbeziehung von Werten, die sich an der relativen Unabänderbarkeit der Moral der Entscheidungsträger orientieren. Es obliegt den "axiomata media" und den rechtlichen Regelungen, die Moralkonditionierungen - die Unternehmer zum Wettbewerb, Politiker zum Machterhalt oder Wissenschaftler zur unkritischen Forschung zwingen - abzulösen und Werte zur Geltung zu bringen, die die Folgen unreflektierter Tätigkeit regulieren. Dabei aber liegt die Gefahr auf der Hand, daß allein der common sense Maßstab der Bewertung wird, denn "die gesellschaftliche Akzeptanz" ist für Horster natürlich "ein Moralkriterium ersten Ranges".

Hier verfällt der Autor wieder der althergebrachten Deutung von "Gesellschaft" und läßt die Weltgemeinschaft links liegen. Aus der Sicht des christlich geprägten Abendländers mag es manches Problem mit der konfuzianischen Perspektive eines Morgenländers geben. Horster bringt uns da mit seiner Sozialethik nicht weiter, fruchtbar bleibt auf lange Sicht wohl nur das Recht. ANDREAS PLATTHAUS

Detlef Horster: "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm". Moral und Recht in der postchristlichen Moderne. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 276 S., br., 22,80 DM.

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