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Drei Frauen und sieben Männer aus München und Umgebung entschließen sich, mitten im Wüten eines neuen Virus, der draußen im Frühjahr 2020 um sich geht, ein Krisenbuch für Kulturinteressierte zu schreiben. Was sie alle vereint, ist ihre jeweilige häusliche Isolation und ihre phänomenologische Sicht auf das gemeinsame Thema: In zehn Essays, die sich zahlenmäßig an Giovanni Boccaccios 'Zehn-Tage-Werk' Decamerone von 1349/53 orientieren, knüpfen sie an die aktuelle 'Corona-Krise' an und beleuchten damit zusammenhängende Erscheinungen. Die aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen…mehr

Produktbeschreibung
Drei Frauen und sieben Männer aus München und Umgebung entschließen sich, mitten im Wüten eines neuen Virus, der draußen im Frühjahr 2020 um sich geht, ein Krisenbuch für Kulturinteressierte zu schreiben. Was sie alle vereint, ist ihre jeweilige häusliche Isolation und ihre phänomenologische Sicht auf das gemeinsame Thema: In zehn Essays, die sich zahlenmäßig an Giovanni Boccaccios 'Zehn-Tage-Werk' Decamerone von 1349/53 orientieren, knüpfen sie an die aktuelle 'Corona-Krise' an und beleuchten damit zusammenhängende Erscheinungen. Die aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen stammenden Beiträge widmen sich der pandemischen Erkrankung und ihrer Ausläufer innerhalb des Spektrums von Philosophie, Religion, Literatur, Film, Geschichte und Gesellschaft - angefangen vom alten Pesttraktat im Mittelalter bis hin zum modernen Virenausbruchsfilm im 20. Jahrhundert. Mit Beiträgen von Peter Czoik, Ursula Haas, Martin Hielscher, Krisha Kops, Uwe Kullnick, Franz-Josef Rigo, Stephan Seidelmann, Gunna Wendt, Sophie Wiederroth und Klaus Wolf. Mit einer Einführung des Herausgebers.
Autorenporträt
Dr. Peter Czoik ist Literaturwissenschaftler und Redaktionsleiter beim Literaturportal Bayern an der Bayerischen Staatsbibliothek. Verfasser von Texten zur bayerischen Literatur. Mitherausgeber von 50 Jahre '68. 'Blumenkinder' und 'Revoluzzer' in Kunst, Literatur und Medien des 20. Jahrhunderts (K&N, 2020) und Das Blaue vom Himmel. Bayerns Literatur in Essays (Allitera, 2020).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.04.2021

Frei zu sein, bedarf es vieles
Führt der Lockdown geradewegs zur Erleuchtung und Heisenberg in die Irre? Das „Dekameron 21.0“ mit Texten zur Pest von heute
München – Werner Heisenberg, zum Beispiel, entrann der Spanischen Grippe nur knapp. Der spätere Physik-Nobelpreisträger wurde 1918 als 16-Jähriger zum Hilfsdienst eingezogen: Der Münchner Schüler wurde als Erntehelfer auf einen Hof bei Miesbach geschickt – und lag dort bald krank im Bett. Seiner Mutter gegenüber wiegelte er allerdings ab, als er in einem Brief von seiner „Spanischen Krankheit“ berichtete: „Du brauchst aber nicht zu meinen, ich sei schwer krank, ich habe nur etwas Kopfweh, Husten“.
Heisenberg ist ein besonders prominentes Beispiel für die zunächst rätselhafte Seuche, die vor 100 Jahren auch das Voralpenland heimsuchte. Er selbst war tatsächlich bald wieder genesen. In vielen anderen Fällen aber, von Kreuth bis Miesbach, starben zuvor kerngesunde junge Menschen binnen weniger Tage. Es sind wenig beachtete Schicksale, von denen der Historiker Franz-Josef Rigo einige rekonstruiert hat. Seine lokale Studie ist einer von zehn höchst unterschiedlichen Beiträgen des Bands „Dekameron 21.0“.
Dieses „Krisenbuch für Kulturinteressierte“, herausgegeben vom Literaturwissenschaftler Peter Czoik, wirft Schlaglichter auf das Phänomen Pandemie. Die aus München und Umgebung stammenden Autoren, von Martin Hielscher bis Ursula Haas, decken ein breites Spektrum geisteswissenschaftlicher Disziplinen ab – von der Geschichte bis zum Film, von der Literatur bis zu Religion und Soziologie. Sie alle eint jedenfalls „ihre jeweilige häusliche Isolation und ihre phänomenologische Sicht auf das gemeinsame Thema“, wie Czoik schreibt.
Dass es genau zehn Autoren sind, ist kein Zufall: Die Zahl orientiert sich an Giovanni Boccaccios berühmter Pest-Novellensammlung „Decamerone“, die zehn Geschichten aus zehn Tagen präsentierte. Der seit Beginn der Corona-Pandemie viel zitierte Boccaccio dient in den Essays entsprechend immer wieder als Referenz. Nicht nur darin ist unverkennbar, dass die Texte in der Isolation des vergangenen Jahres entstanden sind; damals erschien vieles aufregend neu, was nach einem Jahr Pandemie selbstverständlich oder auserzählt wirkt. Als Standort-Bestimmungen samt manch origineller Beobachtung sind diese Essays jedoch von bleibendem Interesse. Und dass sie, nebenbei, im Herbst von einem zweiten Band ergänzt werden sollen, in dem sieben Autoren ihre Gedanken anhand von Margarete von Navarras „Heptameron“ weiterentwickeln, ist folgerichtig. Die Lage bleibt eben dynamisch, um es im Politiker-Sprech zu formulieren.
Zum Beispiel, was die Liebe und die Rollen von Frauen während der Pandemie angeht. Sophie Wiederroth beschreibt, „wie sehr die Situation ein Zurückfallen in alte Beziehungsmuster nicht nur ermöglicht, sondern geradezu als logische Konsequenz erfordert“. Insgesamt wertet sie die Pandemie als „Lackmustest für Liberalität in unserer Gesellschaft“. Die Frage nach der „Freiheit in Isolation“ wiederum umkreist der Philosoph Krisha Kops originell aus spiritueller Sicht. Führt der Lockdown-Weg der Erleuchtung übers Eremitentum? So anspruchsvoll die Ideen einer qualitativen statt quantitativen Freiheit auch sind, die Kops entwickelt, so konkret bindet er sie ans Hier und Jetzt an. In seiner eigenen „Zwei-Zimmer-Höhle am Münchner Goethe-Platz“ habe er zwar durch Meditation erkannt, dass „die Freiheit des Mehr nicht immer die beste ist“, schreibt er. Sein Ziel ist beruhigenderweise allerdings keineswegs, dass wir „in völliger Askese den Rest unseres Lebens fristen“ sollen.
Neben solchen eher gesellschaftlich orientierten Essays – es gibt sogar einen von Stephan Seidelmann, der das Hamstern von Toilettenpapier mit den Wertvorstellungen von Menschen in Bezug setzt – kommt auch die Fiktion nicht zu kurz. Sehr schräg ist ein Essay von Peter Czoik über die Virus-Darstellung in John Carpenters Seuchenfilm „The Thing“. Gunna Wendt erinnert unter anderem an das visionäre Hörspiel „Bericht über die Pest in London“ des Münchner Schriftstellers Gert Hofmann von 1968. Martin Hielscher wiederum stellt das utopisch angereicherte „Decamerone“ der wenig optimistischen „Pest“ von Camus gegenüber. Und wünscht sich, bezogen auf Literatur über unsere heutige Pandemie, eine Art Abstandsgebot, „ein bedachtes Erzählen aus der Ferne“.
Wie nah in dieser Hinsicht selbst das ferne Mittelalter wirken kann, macht Klaus Wolf deutlich. Er beschreibt, unter anderem anhand eines Pesttraktats des Schwaben Jakob Engelin, den Erfolg solcher Schriften für das Volk im 14. und 15. Jahrhundert. Damals sei aus Angst vor der Pest ein „regelrechter Literaturboom an Prosatraktaten“ entstanden. Der Boom an Covid-Literatur, so lässt sich folgern, hat gerade erst begonnen.
ANTJE WEBER
Peter Czoik (Hrsg.): Dekameron 21.0. Zehn Schlaglichter auf eine Krise. Königshausen & Neumann, Würzburg 2021, 145 S., 19,80 Euro
Hängt das Hamstern von
Toilettenpapier mit speziellen
Wertvorstellungen zusammen?
„Liebe verlangt uns mehr ab als in der Zeit vor Corona“, schreibt Sophie Wiederroth in einem Essay des Bandes.
Foto: „Dekameron 21.0“/ Pixabay
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