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Auch so kann eine Liebe beginnen: Eine Frau sucht Zuflucht im Kino, und der Kartenabreißer gewährt sie ihr sofort. Maria sieht in diesem Kartenabreißer Juan ihren Traum von einem einfachen Alltagsleben verwirklicht: eine kleine Wohnung, ein bescheidener Job, mittags ein warmes Essen auf dem Tisch. Sie wäscht seine Hemden, kocht für ihn Paella, leiht ihm ihre dürftigen Ersparnisse. Doch das Leben geht seinen eigenen seltsamen Gang, und am Ende steht ein unerhörtes Verbrechen ... Tomeos spannendster Roman, ein Psychothriller, in dem jede Geste aus der Traumwelt des Kinos zu kommen scheint und…mehr

Produktbeschreibung
Auch so kann eine Liebe beginnen: Eine Frau sucht Zuflucht im Kino, und der Kartenabreißer gewährt sie ihr sofort. Maria sieht in diesem Kartenabreißer Juan ihren Traum von einem einfachen Alltagsleben verwirklicht: eine kleine Wohnung, ein bescheidener Job, mittags ein warmes Essen auf dem Tisch. Sie wäscht seine Hemden, kocht für ihn Paella, leiht ihm ihre dürftigen Ersparnisse. Doch das Leben geht seinen eigenen seltsamen Gang, und am Ende steht ein unerhörtes Verbrechen ... Tomeos spannendster Roman, ein Psychothriller, in dem jede Geste aus der Traumwelt des Kinos zu kommen scheint und doch reale Folgen hat, auch fatale. In dem Träume über Leben und Tod entscheiden.
Autorenporträt
Javier Tomeo, geboren am 9. September 1932 in Quicena (Aragon), lebt als freier Schriftsteller in Barcelona. Er ist einer der meistübersetzten Autoren der spanischen Gegenwartsliteratur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.1996

Gulasch vom Stier
Deftig: Bei Flavier Tomeo sind Kino und Leben eins

In Woody Allens "The purple rose of Cairo" steigt der Kinoheld von der Leinwand herab, umarmt seine Verehrerin, die sich abendelang nach ihm verzehrt hatte, und brennt mit ihr ins wirkliche Leben durch. Der Schulterschluß zwischen dem Phantastischen und Realen scheint zu glücken, wenigstens für eine kurze, selige Weile.

Der phantastische Zufall führt auch in Javier Tomeos Roman "Das Verbrechen im Orientkino" Regie. Als die Prostituierte Maria nicht mehr weiß wohin mit ihrem verpfuschten Leben, bleibt ihr als letzter Zufluchtsort das Kino. Mit knapper Not und einem blauen Auge ist sie ihrem prügelnden Liebhaber entkommen, und während sie sich von einem Liebesfilm verzaubern läßt, trifft sie die Liebe wie ein Blitzschlag: in Gestalt des mickrigen, hinkenden Türstehers und Platzanweisers Juan. Ganz gefangen von ihrer sexuellen Aura bietet er ihr seine schäbige Wohnung über dem Orientkino als gemeinsames Zuhause an. Ihr kommt das Ganze wie ein Traum vor: "Einmal ein Zuhause zu haben, wie es Gott gefällt, und sei es mit Schrott eingerichtet, das war es, was ich mir immer schon gewünscht hatte." Der Film greift ins tatsächliche Leben ein, er setzt die Geschichte des ungleichen Paars in Gang. Und jeder neue Film, der gespielt wird, hat unmittelbare Folgen für die beiden Bewohner des Kinos.

Javier Tomeo erzählt nicht selber, er läßt die Vorgänge, die innerhalb von nur acht Tagen auf ein rasantes Finale zusteuern, von Maria erzählen. Sie ist Anfang Vierzig, ein derbes, sinnliches Geschöpf mit offenkundig starkem Geschlechtstrieb (dem der kümmerliche Juan beileibe nicht gewachsen ist) und einer tyrannischen Sehnsucht nach Glück. Aber das Glück will sich einfach nicht einstellen, obwohl Maria alle erdenklichen Anstrengungen unternimmt. Sie kocht für Juan Gulasch vom Stier (ohne den gewünschten Erfolg), wäscht seine Hemden (was er kaum wahrnimmt) und schmückt die heruntergekommene Wohnung mit Margeriten (die er in einem Anfall von Wut verschlingt). Genauso wie in dem ziemlich deprimierenden Film, der inzwischen läuft, sind Erwartung und Alltag offenbar zwei ganz verschiedene Dinge.

Der Ahnung, daß Juan einfach nicht normal sei, leistet sie entschlossen Widerstand. Sie will nicht wahrhaben, daß er ein hemmungsloser Säufer und gieriger Spanner ist, der in Filzpantoffeln Jagd auf die handarbeitenden Pärchen im Kino macht und sein sexuelles Versagen mit obszönen Sprüchen kompensiert. Lieber betrachtet sie alte Familienfotos und bittet die Toten, ihr einen guten Rat aus dem Jenseits zu geben. Je unerträglicher die alltägliche Monotonie mit einem versoffenen und erotisch unattraktiven Liebhaber für sie wird, desto mehr nimmt die Unwirklichkeit zu.

Und damit das diffuse Vorgefühl einer Katastrophe, das beide beherrscht. Es spiegelt sich in den Gegenständen und Landschaften, Topologien des Grauens: Die Glühbirne an der Zimmerdecke sieht aus "wie ein Mann mit brennenden Kutteln", der Mond hinter den Friedhofszypressen ist "knallrot wie eine Tomate", im schwarzen Wasser unter der Brücke flitzen Ratten umher. Weil Maria und Juan zu zweit einsamer sind als allein, führt jeder ein Doppelleben. Er sucht nachts eine Dirne auf, um seiner durch das Trinken erlahmten Männlichkeit Auftrieb zu geben, und sie läßt sich vom Pförtner der gegenüberliegenden Fabrik wenigstens aus der Entfernung mit Blicken und Pfiffen begehren.

Während sie in ihrer armseligen Behausung den Kinogeschichten zuhört (von der Leinwand trennen sie nur ein paar Meter), halluziniert sie sich in das laufende Geschehen, eine deftige Horrorstory, hinein. Sie entfremdet sich vom Gewöhnlichen, und da sie Phantasie von Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden kann, verwandelt sie Phantastisches in etwas Wirkliches. In unfreiwilliger Komplizenschaft handelt sie wie jene Frau im Film, die einen Mann mit einem Werwolf verwechselt. Damit nimmt ihre und Juans Existenz die grelle, jämmerliche Wende eines entsetzlichen Dramas.

Der Roman ist mit makabrem Witz, Tempo und Spannung erzählt. Seine Sprache ist milieugesättigt, kraftvoll, derb und unverstellt. Wie in seinen früheren Büchern - im "Marquis" (1984), in "Mütter und Söhne" (1986) oder der "Taubenstadt" (1991) - variiert der 1932 geborene spanische Romancier, fast obsessiv, sein Hauptthema: daß Vorstellungen, Bilder, Phantasien eine enorme, fatalistische Kraft des Faktischen besitzen. Nichts ist wirklicher als das Unwirkliche, nichts stiftet mehr Realität als das Imaginäre, das ist Tomeos schriftstellerisches Programm und das Gesetz, unter dem er seine Figuren leben läßt. BEATE PINKERNEIL

Javier Tomeo: "Das Verbrechen im Orientkino". Roman. Aus dem Spanischen von Heinrich v. Berenberg, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1996, 152 Seiten, geb., 36,- DM.

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