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'Wenn eine Gesellschaft vor ihrer literarischen Kultur keine Achtung mehr hat, wenn die Achtung nicht so beschaffen ist, daß sie es als achtenswert empfindet, über diese Kultur einigermaßen Bescheid zu wissen, wenn sie also das unaufhebbare Nichtbescheidwissen der Mehrheit - ihre Unbildung - nicht mehr als bedauerlichen Mangel empfindet, der nur durch die Bildung einer kulturellen Elite kompensiert werden kann, dann ist nichts mehr zu machen.' Jan Philipp Reemtsma
Warum studiert, warum lehrt man Literaturwissenschaften? Welche Bedeutung haben Literatur und Kunst für die Gesellschaft?
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Produktbeschreibung
'Wenn eine Gesellschaft vor ihrer literarischen Kultur keine Achtung mehr hat, wenn die Achtung nicht so beschaffen ist, daß sie es als achtenswert empfindet, über diese Kultur einigermaßen Bescheid zu wissen, wenn sie also das unaufhebbare Nichtbescheidwissen der Mehrheit - ihre Unbildung - nicht mehr als bedauerlichen Mangel empfindet, der nur durch die Bildung einer kulturellen Elite kompensiert werden kann, dann ist nichts mehr zu machen.' Jan Philipp Reemtsma
Warum studiert, warum lehrt man Literaturwissenschaften? Welche Bedeutung haben Literatur und Kunst für die Gesellschaft? Wieviel Tradition braucht das Theater und wie wenig Experiment ist bekömmlich? Wie soll man Klassiker inszenieren? Um solche Fragen kreist das neue Buch von Jan Philipp Reemtsma, das sechs Texte versammelt, denen allen eines gemeinsam ist: die Überzeugung, daß eine Gesellschaft, die keine Achtung mehr vor ihrer eigenen Kultur hat, der ihre eigene Unbildung gleichgültig geworden ist, nicht nur ernsthaft gefährdet, sondern im Grunde hoffnungslos ist. Wenn selbst die Bildung einer kulturellen Elite für überflüssig gehalten wird, weil man ihr Wertschöpfungspotential nicht zu beziffern vermag, dann hat der Ausverkauf der eigenen literarischen Tradition begonnen.

Sprachlich brillant, in der Zuspitzung der Argumente ebenso scharfsinnig wie un-bequem, präsentiert sich Reemtsma in diesen Aufsätzen nicht nur als leidenschaftlicher Anwalt des 'exquisiten Vergnügens zu lesen, was zu lesen sich lohnt', sondern auch als angriffslustiger Germanist, der all jenen Mut macht, die die Sache der Kultur noch nicht verloren geben wollen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2006

Wozu überhaupt Kunst?
O Schreck: Der Bürger Reemtsma verachtet die dumme Mehrheit

Als Christoph Martin Wieland sich 1803 zum Verkauf seines Anwesens in Oßmannstedt genötigt sah, giftete er in einem Brief an einen Bekannten, daß in Deutschland allen Autoren, die vom bloßen Buchmachen leben müssen oder wollen, der Hungertod drohe. Daß dieses Gut zwei Jahrhunderte später als Museum und Forschungsstelle eröffnet und der Acker gewissermaßen in den Bezirk der Kultur wieder eingemeindet werden konnte, ist nicht zuletzt dem Literaturwissenschaftler und Mäzen Jan Philipp Reemtsma zu verdanken.

"Irgendwo müssen wir ja hin mit unserm Dank", schreibt Reemtsma in einer seiner sechs Reden über Literatur und Kunst, "und darum wollen wir etwas tun für das Fortleben im Andenken der Nachwelt, der Nachwelt, die wir sind und die die sein werden, denen wir doch nicht durch unsere Versäumnisse die Chance nehmen wollen, dasselbe tun zu können."

Tatsächlich dürfte es nicht allein intellektuelle Affinität sein, durch die sich der Hamburger Patriziersohn dem Weimarer Prinzenerzieher verpflichtet fühlt. Auch den klammen Arno Schmidt hat Reemtsma zu Lebzeiten unterstützt und nach dessen Tod viel für die Verbreitung seines Werkes getan. Aber es griffe zu kurz, die Auswahl der von Reemtsma Geförderten nur dem individuellen Geschmack eines reichen Gönners zuzuschreiben.

Aus Reemtsmas Reden spricht ein geradezu altmodischer Kulturernst, der sich der Bewahrung und Verteidigung gerade des scheinbar Nutzlosen verpflichtet fühlt. Erst die Symbolisierungsfähigkeit der vermittelnden Kunst ermögliche der Gesellschaft eine Kommunikation zweiter Ordnung und damit Distanz gegenüber den Forderungen einer totalen, unmittelbaren Realität der Oberfläche, lautet Reemtsmas These, die er unter ausführlichem Rückgriff auf Metapherntheorien und sprachphilosophische Überlegungen gegen eine egalitäre Massenkultur ins Feld führt.

Man nimmt es dem Autor dabei kaum ab, wenn er sine ira et studio zu sprechen vorgibt, denn seine Reden sind in ihrem elitären Duktus und Gehalt nicht nur provozierend unzeitgemäß, sondern von einer bisweilen schneidenden Verachtung durchzogen, die sich gegen Massenkultur, Fernsehen und Spaßgesellschaft richtet, den "Mob, der sich in den Fernsehstudios ankeift, den Mob vor den Bildschirmen, der sich was Besseres dünkt". Damit kommt Reemtsma auf den klassischen, polemischen Gegensatz von Elite und Masse zurück. Dem von ihm diagnostizierten Kulturverfall kann er nur ein Achselzucken abgewinnen: Kultur ist Luxus, na und?

Solange es eine kulturelle Elite gebe, die das "unaufhebbare Nichtbescheidwissen der Mehrheit" kompensiere, sei noch nicht alles verloren. Sein wahrer Adressat ist eben diese kulturelle Elite, es sind die Studierenden, die Mitglieder von Kulturstiftungen und Fördervereinen, vor denen er seine Reden gehalten hat, eine Elite deshalb, weil sie als einzige gesellschaftliche Gruppe "ihre Identität durch einen weltanschauungsunabhängigen Kunstbezug" gewinne.

Reemtsmas Appell richtet sich allerdings, das mag den eindringlichen, strengen Ton seiner Reden erklären, an ein Publikum, dem ein ungezwungenes Selbstverständnis als Elite schon deshalb nicht mehr gegeben ist, weil es ihm einst von seinen Generationsgenossen ausgetrieben wurde. Eine Elite ohne Selbstbewußtsein aber wird auch ihrer kulturellen Verantwortung nicht mit der nötigen Tatkraft nachgehen. Privilegierte, die sich ihrer Privilegien schämen, schreibt Reemtsma, mögen ein erbaulicher Anblick sein. Aber ein Privilegierter, der seine Privilegien nicht nutzt, verdiene unsere Verachtung.

Nichts trauriger als einer, "der dieß alles hat, und vom Genießen Nichts versteht - ein roher grober Knoll", wie es in Wielands Fabel vom Garten heißt, der just dann verdorrt, als sein Besitzer den einzigen Singvogel darin zu Geld machen will. Zum Kunstgenuß gehören für Reemtsma Geschmack, Takt und Manieren, Maßstäbe und die Fähigkeit zu unterscheiden.

Seinen Studenten erklärt er: "Die akademische Ausbildung zu einem kompetenten Teilnehmer an ästhetischer Kommunikation ist eine auf Dauer gestellte Prüfung, in der es seitens des Sich-Ausbildenden um Vermeidung von Blamage und Mißbilligung geht, seitens des Ausbildenden um das freundliche Aufweisen von Risiken von Blamage und Mißbilligung." Das Bachelorstudium ein bürgerlicher Benimmkurs? Eher verbirgt sich hinter dem bildungsbürgerlichen Vokabular die Skepsis eines Einzelgängers.

Man mag die Selbstsicherheit wohlfeil nennen, mit der Reemtsma aus der sicheren Position eigener Unabhängigkeit die Autonomie der Kunst verteidigt. Doch sein Engagement trifft einen Nerv. Wenn ein ordentlicher Professor in Anzug und Weste heute solche Reden hält, dann ist das angesichts einer zunehmend ökonomisierten Hochschule und deren demoralisierten Insassen schon wieder radikaler, als auf die Straße zu rennen und gegen Studiengebühren zu demonstrieren. Fast scheint es nun, als sei Jan Philipp Reemtsma halb Bürgerschreck und halb erschrockener Bürger, wie es einmal von Erich Kästner hieß. Der könnte bald Gesellschaft bekommen.

MALTE HERWIG

Jan Philipp Reemtsma: "Das unaufhebbare Nichtbescheidwissen der Mehrheit". Sechs Reden über Literatur und Kunst. C. H. Beck Verlag, München 2005. 170 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2005

Das Verstummen verkaufter Singvögel
Ethos der Distanz: Jan Philipp Reemtsmas Reden über Literatur und Kunst
Seit Jahrzehnten werden die Grenzen zwischen der Kunst und dem Rest der Welt immer wieder von neuem niedergerissen, in den bildenden Künsten mit ihren Installationen und Aktionen ohnehin, aber auch in der Literatur, die erst Teil einer übergreifenden sozialen Kommunikation gewesen sein soll, um sich danach dekonstruktivistisch im mehr oder weniger opaken Fluss der Zeichen aufzulösen. Dass allerdings diese Grenzaufhebung auch beim tausendsten Mal immer noch als Umsturz daherkommt, lässt ahnen, dass vielleicht mit ihr etwas nicht stimmen kann.
Jan Philipp Reemtsmas Sammlung von Reden über Literatur und Kunst fügt sich in den neuerdings wachsenden Chor der Stimmen, die sich damit nicht mehr abfinden wollen. Die Ansprachen reklamieren für Kunstwerke die Eigenlogik, die sie erst interessant macht; und sie postulieren für sie eine separate Tradition und Rezeption, die auch Mühe und Arbeit, nämlich Unterweisung und Studium voraussetzen. Kunst ist diesem Redner auf abstraktester Ebene „die Bewältigung künstlicher Schwierigkeiten auf möglichst unangestrengte Weise”.
Zu solchen artifiziellen Erschwerungen zählt Reemtsma die Perspektive in der Malerei, den Kontrapunkt in der Musik, Reim und Metrum in der Dichtung. „Das Höchste ist erreicht, wenn die Schwierigkeiten so gemeistert werden, dass der Eindruck entsteht, die Sache selbst habe diese Anordnung erzwungen.” Also ist Kunstschönheit Komposition, selbstbezüglich, untauglich zur Kommunikation; tauglich aber zur Kommunikation über sie.
Diese Kommunikation zweiter Ordnung verteidigt der kühle Redner mit gebändigter Leidenschaft - die Frage, warum man Literaturwissenschaft lehrt, beantwortet er schlicht: „Um dafür zu sorgen, dass uns die Gesprächspartner nicht ausgehen.” Vielleicht kann man in hundert Jahren gar nicht mehr ahnen, wie viel Müll mit so einem Satz weggeräumt wird. Denn die Abgesondertheit der Kunst setzt natürlich Traditionsbildung, historisches Bewusstsein, und ja: einen Kanon voraus. Nur er sichert jene „kontinuierliche Kommunikation”, die auch eine überzogene Rezeptionsästhetik nicht zugeben will.
Die Selbstzweifel der Eliten
Aber das ist ja elitär! Ja, das ist es, aber schockierend kann man das nur finden, wenn man an die nicht elitären Alternativen denkt: grenzenlose Kunst als totale Dekoration, eine Gesellschaft im Dauergequassel einer unterschiedslosen Sprache. Auf diskrete Art verteidigt Reemtsma sein Ethos der Distanz; er lässt durchblicken, dass die Gesellschaft die komplexe Elitenkommunikation über Kunst sehr wohl zulassen und prämieren würde - als Kompensation eines unvermeidlichen Defizits der Mehrheit, deren Nichtbescheidwissen „unaufhebbar” ist -, wenn die Eliten ihre Lust daran nicht selbst in so viel Zweifel und schlechter Laune ersticken würden: „Für gruppeninterne Kommunikation ist man immer selbst verantwortlich. Und an ihrem Ruin selbst schuld.”
Reemtsmas Bild von einer Kommunikation auf zweiter Stufe - von ihm „Symbolisierungsfähigkeit” genannt -, findet er in einer graziösen Fabel Christoph Martin Wielands, die von einem bukolischen Garten handelt, der in dem Augenblick verdorrt, in dem sein Besitzer den dort wundervoll tirilierenden Vogel verkaufen und zu Geld machen will: der schöne Singvogel ist eben nicht austauschbar.
Kunst, so exponieren es zwei Reden zu den Problemen der Beutekunst, darf kein Schatz sein, ihr Anspruch ist elitär, aber nicht privilegiert, nämlich menschheitlich. Eigentlich muss man sie verschenken. Hinter der spröden Strenge des Kunstlehrers, der hier auftritt, ist also der Umriss eines fast scheu Liebenden zu erkennen, der seine Leidenschaft gern teilen würde - in einer Kommunikation voll Takt und Wissen. Sein Bestehen auf der äußeren Funktionslosigkeit der Kunst - bei innerer Höchstfunktionalität -, sollte man weniger als elitären Hochmut, denn als zivile Zurückhaltung auslegen: ich will euch nichts aufdrängen, aber wenn ihr doch Interesse habt, macht es euch nicht zu leicht!
Zumal er es sich selbst nicht leicht macht. Eigentlich verkündet Reemtsma sehr einfache Wahrheiten, die jedenfalls für den nichtbeamteten Kunstliebhaber nichts als Erfahrungstatsachen darstellen. Kritisch könnte man sogar sagen, es handele sich um Affekte. Aber Reemtsma zwingt sich und seine Zuhörer, diesen Wahrheiten über Umwege wie Luhmanns Systemtheorie und Rortys Metapherntheorie näher zu kommen. Ausführlich referiert er sprachphilosophische Positionen, die einen kategorialen Unterschied von metaphorischer und nicht metaphorischer Rede leugnen, um diesen Unterschied in der Differenz zwischen Kunst und dem Reden über sie doch wieder zu entdecken.
Unmittelbarkeit als Unkultur
Wichtiger bleiben Reemtsma kulturkritische Einwände gegen jene Unkultur der Unmittelbarkeit, in der sich ein Regietheater, das uns regelmäßig mit den Geschlechtsorganen der Schauspieler bekannt macht, mit den Nachmittagstalkshows trifft, in denen sich Nachbarn vor Nachbarn entblößen: „Es geht darum, ein paar Orte zu haben, an denen Unmittelbarkeit und Spontaneität nicht ihre narzisstischen und masturbatorischen Selbstfeiern des totalen Indikativs abhalten.” Es mag sein, dass genau darin das besteht, was man vorzeiten die „gesellschaftliche Funktion” der Künste nannte: der Gleichschaltung entgegenzuwirken, die heute als demokratische Direktheit daherkommt. Dieses Buch sollten vor allem Anfänger, Studierende, als Vademecum beim Weg durch die Institute mitnehmen. GUSTAV SEIBT
JAN PHILIPP REEMTSMA: Das unaufhebbare Nichtbescheidwissen der Mehrheit. Sechs Reden über Literatur und Kunst. Verlag C.H. Beck, München 2005. 170 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Band versammelt sechs Reden des Kulturtheoretikers Jan Philipp Reemtsma. Er zeigt den Autor, wie der Rezensent Martin Krumbholz in seiner kurzen Notiz findet, souverän auf dem Grat zwischen Faszination für die Moderne und dem Sinn für Bewahrung der Tradition wandelnd. So befasst sich Reemtsma mit neueren Theorien zur Art, in der Metaphern Bedeutung erzeugen - etwa mit den Philosophen Richard Rorty und Donald Davidson -, betont im Gegenzug aber die Notwendigkeit, weiterhin auf die bewährte Kraft von Symbol und Metapher zu bauen.

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