Diwan". Die Idee, die dahintersteckt, ist zum Glück origineller als der Name. Zwar sehen sich deutsche und orientalische Autoren auch auf Literaturfestivals, aber die Berührung bleibt oberflächlich, kaum einer kennt das Werk des anderen, geschweige denn seine Heimat und seinen kulturellen Hintergrund. Hier setzt der "West-östliche Diwan" an, indem er einen deutschen und einen orientalischen Schriftsteller wechselseitig mehrere Wochen in die Heimat und unter die Obhut des anderen schickt. Die deutschen Autoren, denen man gerne Erfahrungsarmut vorwirft, sollen einen kräftigen Schuß orientalischer Wirklichkeit injiziert bekommen, die orientalischen erhalten ein Forum der besonderen Art und lernen das literarische Deutschland kennen. Bei Kleeberg, der mit Beydoun die erste Begegnung dieser Art durchführte, ist ein ganzes Buch aus dieser Begegnung geworden, mit diesem von Plinius entlehnten Titel: Natürlich ist das Tier, das weint, kein anderes als der Mensch. Außer in Beirut.
Die Reise in den Libanon beginnt für Kleeberg als Begegnung mit den eigenen Vorurteilen. Zur normalen Flugangst tritt die vor den Mitreisenden mit ihren "Terroristengesichtern". Eine Schwangere wird zu einer Selbstmordattentäterin mit Sprengstoffgürtel. Doch die Angstphantasien sind nur Lampenfieber, und schon der erste Tag im milden Beiruter Winter weckt die Erinnerung an einen Aufenthalt zwanzig Jahre zuvor in Rom. Wenn sich in Beirut die gleiche Empfänglichkeit wiederherstellen oder zumindest simulieren ließe wie in Rom, könnte der Aufenthalt glücken, sagt sich der in die Fremde geworfene Schriftsteller.
Doch die Frische, mit der einst der junge Mann Rom sah, ist bei dem zwanzig Jahre älteren Familienvater von einem herben Schuß Reife getrübt. Man merkt es daran, daß sich in die Wahrnehmung Beiruts immer wieder ganz andere, fremde Elemente hineinschieben. Erinnerungen, Träume, ausführliche cineastische Abschweifungen, die sich nett lesen, deren Notwendigkeit in diesem Text sich jedoch kaum erschließt, oder Szenen mit der dreijährigen Tochter, die ebensogut an jedem anderen Ort hätten spielen können, wo man Kriegsversehrte oder verwahrloste Straßenkatzen sieht (also ungefähr auf dem halben Erdball).
Zwingender sind die Schilderungen, die sich mit den Erlebnissen in Beirut direkt auseinandersetzen, insbesondere mit den Menschen, denen der Autor begegnet. Da ist zunächst sein "Partner" Abbas Beydoun, der ebenso liebevoll wie treffend geschildert wird. Nicht nur für den Blick des Europäers, auch in seiner eigenen Kultur ist er, wie Kleeberg genau erfaßt, ein Unikum, einer der kritischsten Journalisten und besten Dichter seiner Generation. Bei Kleeberg begegnet er uns vor allem als Mensch. Nicht ganz so sympathisch, aber dafür ein gutes Stück geheimnisvoller tritt uns der Romancier Rachid al-Daif entgegen, ein Freund von Beydoun, der Kleeberg ebenfalls unter seine Fittiche nimmt. Die dritte und vielleicht rührendste der Figuren, deren Schilderungen die Qualität des Buchs ausmachen, ist Jussuf Assaf, ein libanesischer Christ, der während des Bürgerkriegs auf eigene Initiative und eigenes Risiko das Beiruter Goethe-Institut betrieben hat. In der Biographie Assafs und seiner deutschen Frau wittert Kleeberg den Stoff zu einem Roman. Auf magische Weise scheinen in diesem Paar die deutsche und die libanesische Geschichte verflochten, und sie strahlen eine rare Mischung aus Einfalt und Größe aus.
Dieser Assaf ist der Gegenpol zu den mondänen, mit allen Wassern der Postmoderne gewaschenen Bewohnern der transnationalen République des Lettres, mit denen Kleeberg sonst in Beirut zu tun hat und die die Sprachen mit einer Leichtigkeit wechseln wie andere die Kleider. Der geistige Horizont des Westens scheint ziemlich genau auch der dieser Araber zu sein, außer vielleicht mit dem Unterschied, daß sie, anders als Kleeberg, Heidegger ziemlich unkritisch sehen. Man könnte Kleeberg jetzt vorwerfen, er habe sich zuwenig bemüht, hinter diesem intellektuellen Weltbürgertum die autochthonen Prägungen und kulturellen Wurzeln zu entdecken. Aber darin, dies gar nicht erst zu versuchen, liegt eine gewisse Weisheit. Es wäre kaum möglich gewesen in den kurzen drei Wochen dieses Aufenthalts.
Und dies dürfte auch der Grund sein, warum Kleeberg immer wieder ausweicht auf andere, unverfängliche Felder, die sich leichter erschließen, etwa die weinenden Beiruter Katzen. "Aber die sollen nicht traurig sein", sagt die dreijährige Tochter Paula, und in diesem Wunsch findet Kleeberg das Urmotiv seines "Schriftstellerns": "Ja, um genau das gleiche umständlicher, weitschweifiger, kunstvoller zu sagen, schreibe ich: Es soll aber nicht so sein ..." Anders als die Menschen, fährt Kleeberg fort, haben die Tiere in ihrem Leiden "eine Würde jenseits aller Heilshoffnung. Eine Würde, die ich nicht besitze, von der ich nicht weiß, ob ich sie je erlangen kann." War der Aufenthalt in Beirut nur der Auslöser für eine Reise ins eigene Innere?
Michael Kleeberg hat ein interessantes Buch geschrieben. Aber in seinem Schwanken zwischen Beirut-Schilderung und Selbstbefragung wirkt es ein wenig inkonsequent. Es ähnelt den libanesischen Vorspeisetellern: Man weiß, das Hauptgericht wird noch kommen, aber wenn man nicht aufpaßt, hat man sich schon vorher satt gegessen.
STEFAN WEIDNER
Michael Kleeberg: "Das Tier, das weint". Libanesisches Reisetagebuch. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004. 174 S., geb. 17,90 [Euro].
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