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«... hauptsächlich hasse und verachte ich das Tier, das man Mensch nennt, obwohl ich herzlich John, Peter, Thomas usw. liebe.» Unter diesem Credo von Jonathan Swift aus dem Jahr 1725 versammelt Hans Joachim Schädlich in seinem neuen Buch Texte, die wie in einem Kaleidoskop historisch genau recherchierte Verheerungen der letzten Jahrhunderte spiegeln.
Verbrechen der Nazizeit, des Stalinismus und totalitärer Systeme und Gewalttaten Einzelner, die an Rohheit kaum zu überbieten sind, werden konterkariert von skurrilen und sanfteren Texten. Voller Achtung vor schöpferischer Genialität, mit einer
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Produktbeschreibung
«... hauptsächlich hasse und verachte ich das Tier, das man Mensch nennt, obwohl ich herzlich John, Peter, Thomas usw. liebe.» Unter diesem Credo von Jonathan Swift aus dem Jahr 1725 versammelt Hans Joachim Schädlich in seinem neuen Buch Texte, die wie in einem Kaleidoskop historisch genau recherchierte Verheerungen der letzten Jahrhunderte spiegeln.

Verbrechen der Nazizeit, des Stalinismus und totalitärer Systeme und Gewalttaten Einzelner, die an Rohheit kaum zu überbieten sind, werden konterkariert von skurrilen und sanfteren Texten. Voller Achtung vor schöpferischer Genialität, mit einer fast liebevollen Hinwendung zu den kleinen, verzeihlichen menschlichen Schwächen besticht Hans Joachim Schädlich mit einer sprachlichen Knappheit, die Raum lässt für eigene Deutung.

Ein wichtiges Buch in einer Zeit, in der die Weltordnung wieder vom Sieg der Gewalt bedroht wird.
Autorenporträt
Hans Joachim Schädlich, 1935 in Reichenbach im Vogtland geboren, arbeitete an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin, bevor er 1977 in die Bundesrepublik übersiedelte. Für sein Werk bekam er viele Auszeichnungen, u. a. den Heinrich-Böll-Preis, Hans-Sahl-Preis, Kleist-Preis, Schiller-Gedächtnispreis, Lessing-Preis, Bremer Literaturpreis, Berliner Literaturpreis und Joseph-Breitbach-Preis. 2014 erhielt er für seine schriftstellerische Leistung und sein politisches Engagement das Bundesverdienstkreuz. Hans Joachim Schädlich lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dem Rezensenten Lothar Müller imponiert es, wie Hans Joachim Schädlich von der Tierhaftigkeit des Menschen erzählt, ohne zum Misanthropen zu werden. In knapp fünfzig Miniaturen kehre der 1935 geborene Autor zur ihm vertrauten kleinen Form zurück und erzähle dabei vorrangig von verschiedenen menschlichen "Untaten" vor allem aus dem 20. Jahrhundert, teils auch aus früherer Zeit oder der Gegenwart: Es geht etwa um Stalin und seinen Henker, um die Exilierung von Marta und Lion Feuchtwanger, um Hexenverbrennungen oder die zweite Karriere eines ehemaligen NS-Funktionärs in der DDR. Neben dem Eindruck, als hätte Schädlich hier nochmal seine "Lebensthemen" versammelt, findet Müller vor allem den "Sprachfilter" des Schriftstellers bemerkenswert, der alles Nahbare, sei es das anekdotisch "Anheimelnde" oder das Dokumentarische, aus seinen Texten ausstreiche. Übrig bleiben, so Müller, karge Prosastücke, am besten mit Pausen zu lesen, die sich weder in eine "Kette der Grausamkeiten" fügen - immer wieder blitze auch Zuversicht auf -, noch ein Triumphgefühl der moralischen Überlegenheit provozieren, analysiert der Kritiker. Er schätzt hier scheinbar die Wahrhaftigkeit in Schädlichs Blick auf den Menschen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2023

Liebe den Einzelnen
Hans Joachim Schädlich verkargt das grausame 20. Jahrhundert in fast 50 Miniaturen
Ein schwarzer Faden durchzieht die moderne Literatur. Jonathan Swift, der diesen Faden des abgrundtiefen Misstrauens gegen die Menschen mit eingewebt hat, musste sich sagen lassen, er sei ein Misanthrop. Das bestritt er nicht, machte aber in einem berühmt gewordenen Brief an seinen Schriftstellerkollegen Alexander Pope vom 29. September 1725 Gründe für sein Misstrauen geltend. Er hatte gerade seinen Roman „Gullivers Reisen“ beendet, nun wollte er den Begriff des Menschen als vernünftiges Lebewesen – „animal rationale“ – seiner Falschheit überführen: „hauptsächlich hasse und verachte ich das Tier, das man Mensch nennt, obwohl ich herzlich John, Peter, Thomas usw. liebe.“
Hans Joachim Schädlich hat diesen Satz Jonathan Swifts, in dem die Liebe zu einzelnen Individuen das Misstrauen gegen die Gattung nicht zähmen kann, zum Motto seines neuen Buches gemacht und „Das Tier, das man Mensch nennt“ in den Titel gesetzt. Fast fünfzig knappe Prosastücke sind in dem schmalen Band versammelt. Viele handeln von Untaten, die wie der Autor dem zwanzigsten Jahrhundert entstammen, manche reichen zurück in ältere Zeiten, in denen Frauen unter der Folter bekannten, Hexen zu sein, einmal gerät ein zerstreuter Herr in die jüngste Gegenwart, in eine Veranstaltung mit dem Gesundheitsminister und dem Leiter des Seucheninstituts, in der er die Maske aufsetzen muss und seinen Spazierstock verliert. Eine alte Frau verteidigt ihre letzte Liebe, einen jungen Marokkaner, gegen die Vorhaltungen ihrer Freundin.
Schädlich ist 1935 im Vogtland geboren, in der noch jungen DDR erwachsen geworden und hat als Linguist an der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften gearbeitet, ehe er Schriftsteller wurde. So wie Swift die freundlichen Menschenbilder seiner Zeit dementierte er durch sein Schreiben von Beginn an die selbstgewiss-zukunftsfrohe Rhetorik des Aufbruchs zum Sozialismus. Erst wanderte sein Debütband „Versuchte Nähe“ (1977) aus der DDR in die Bundesrepublik aus, kurz danach folgte der Autor. Er hat viel geschrieben seither, manchmal auch schmale Romane wie den über Friedrich den Großen und Voltaire („Sire, ich eile“), aber der kleinen Prosaform, die schon sein Debüt prägte, ist er immer treu geblieben.
Als 1937/38 die Moskauer Prozesse stattfanden, lebte er schon. Inzwischen geht er auf die neunzig zu. Dieses neue Buch wirkt, als sei er noch einmal durch seine Bestände gegangen, habe hier und da etwas aus den Schubladen gezogen, entlang an seinen Lebensthemen. Eine Totenliste, Opfer des „Pockennarbigen“, steht zu Beginn, in „Die Nacht der Poeten“ verschmelzen auf kaum mehr als zwei Seiten Stalin und sein Henker zu einer Terroreinheit. Aus wenigen Worten nur entsteht das Bild des Henkers. Grelles Licht fällt auf seine deutsche Walther-Pistole und seine lederne Metzgerschürze.
Schädlich besitzt einen Sprachfilter, der die Stoffe verkargt, den Dialogen alles Dokumentarische nimmt. So klingt im Jahr 1928 auf einer Abendgesellschaft die Sprache der Illusion: „Marta Feuchtwanger sagt: ,Die Rechten kommen und gehen. Antisemiten hat es in Deutschland schon immer gegeben.’ Lion Feuchtwanger: ,Wir wollen uns nächstens in Berlin ein Haus kaufen. ‚Marta Feuchtwanger: ,Am liebsten im Grunewald’.“ Es braucht nicht viele Zeilen bis zum Exil der Feuchtwangers.
Ein hoher Funktionär der nationalsozialistischen Kulturpolitik startet in der jungen DDR eine zweite Karriere. Der Dichter Daniil Charms geht im Stalinismus unter. Eine Kommunistin entkommt und bleibt Kommunistin. Eine Überlebende berichtet von der Selektion in einem Lager, der sie als einziges Familienmitglied entkam. Mohammed Amin al-Husseini, Großmufti von Jerusalem, lebt als Gast Hitlers in einem Kurort in der Lausitz und sucht den Schulterschluss mit der SS. Dem Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, fällt es nicht schwer, für eine kinderlose Bekannte einen Neugeborenen zu organisieren, den sie adoptieren kann. In Verbrecherfiguren aus Deutschland und Russland entfesselt die Lust am Töten sich selbst, ohne ideologischer Antriebe zu bedürfen. Manche Stoffe sind bekannt, ein knapper Anmerkungsteil gibt über die Quellen Auskunft. Schädlich prägt ihnen das Siegel seiner Prosa auf. In ihr verliert die Hohlform der Anekdote alles Anheimelnde. „Kalt wie eine Hundeschnauze“ ist der General von Trotha, der seinen Vernichtungsbefehl gegen die Hereros exekutiert. Hintereinander weg lassen sich diese Prosastücke nicht lesen. Sie brauchen einen gewissen Abstand. Eine Kette der Grausamkeiten bilden sie nicht. Auch fehlt ihnen alles Triumphale, die Untaten sammeln sie nicht als Trophäen, die Genugtuung des Moralisten über die Unmoral der Welt ist ihnen fremd. Künstlererzählungen, wie sie in dem Band „Vorbei“ (2007) enthalten waren, sind eingestreut. In ihnen gibt es neben Elend und Abhängigkeit der Künstler, darunter Beethoven, auch Glücksmomente des Gelingens, der Dankbarkeit, der Anerkennung. Schädlich fasst das Tier, das man Mensch nennt, ins Auge. Ein Misanthrop ist er nicht.
LOTHAR MÜLLER
Es gelingt ihm, trotzdem nicht
zum Misanthropen zu werden
Hans Joachim Schädlich: Das Tier, das man Mensch nennt. Rowohlt Verlag, Hamburg 2023.
160 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2023

Kaleidoskop der Untaten
Kurze Geschichten mit langer Wirkung: Hans Joachim Schädlichs Erzählband "Das Tier, das man Mensch nennt"

Beginnen wir mit einem Text, der zurzeit höchste Aktualität hat: Im Jahr 1944 fragt Frau Richter aus der Töpferstraße in Oybin in der sächsischen Lausitz ihre Nachbarn, wer denn wohl "der Kerl mit dem komischen weißen Hut" ist, der in der Schlesischen Versicherung mit seinen Leuten das ganze Haus bewohnt. Die Antwort: Es handelt sich um Mohammed Amin al-Husseini, "Großmufti von Jerusalem und Vorsitzender des Islamischen Rates im britischen Mandatsgebiet Palästina, geboren 1895 (. . .). Al-Husseini hasste Juden, und er hasste Briten. Husseinis große Zeit kam 1933." In dem knappen, konstatierenden und nicht bewertenden Stil, den wir von Hans Joachim Schädlich seit seinem Erstling "Versuchte Nähe" kennen, der aus gutem Grund in der DDR nicht erscheinen durfte, erzählt Schädlich die Geschichte zu Ende. Al-Husseini fliegt 1941 nach Berlin, spricht mit Ribbentrop, wird von Hitler empfangen und ersucht diesen um Hilfe beim Aufbau eines arabischen Staates in Palästina. Er erhält in Berlin eine Residenz "in einem Haus aus jüdischem Besitz", 90.000 Mark monatlich für seine propagandistische antisemitische Arbeit in Deutschland und, über einen speziellen Sender, in den arabischen Ländern. Ab 1944 lebt er als persönlicher Gast Hitlers in Oybin. Von Himmler wird er zum SS-Gruppenführer ernannt. Bei Kriegsende flieht er in die Schweiz, die ihn im Mai an Frankreich ausliefert, das ihn 1946 aus der Haft nach Ägypten entlässt. Al-Husseini stirbt 1947 in Beirut.

Diese "Report" betitelte Geschichte ist mit fünf Seiten eine der längsten in Schädlichs Buch, das seinen Titel aus einer Aussage Swifts in einem Brief an Pope im Jahr 1725 bezieht: ". . . hauptsächlich hasse und verachte ich das Tier, das man Mensch nennt, obwohl ich herzlich John, Peter, Thomas usw. liebe." Liebe deinen Nächsten, wenn er liebenswert ist, heißt das, aber schau dir die Gattung als ganze an, und du wirst meinen Hass und meinen Ekel teilen. Denn die Gattung schreibt vor allem Geschichte als Gewaltgeschichte, ist die implizite These, und das ist kaum zu bestreiten.

Es geht Schädlich jedoch nicht darum, eine These zu bestätigen. Es geht ihm um jede einzelne seiner Geschichten, von denen die kürzeren in ihrer Prägnanz sich manchmal lesen wie eine Meldung aus Kleists "Berliner Abendblättern". Schädlichs Interesse gilt nicht allein dem hinlänglich bekannten Zusammenhang von Politik und Verbrechen, auch wenn das Buch mit einem knappen Text über Stalin und seinen Henker Berija eröffnet, die beide nicht beim Namen genannt werden, sondern als "der Pockennarbige" und "die schweinsäugige Halbglatze" figurieren. Sein Interesse gilt auch monströsen Individuen wie dem Hannoveraner Massenmörder Fritz Haarmann und seinem sowjetrussischen Pendant Sukletin. Es fehlen auch Geschichten aus früheren Jahrhunderten nicht, die wie nebenher belegen, dass das Ausmaß an Brutalität und Barbarei keineswegs nachgelassen hat, eine Art Fortschritt zur Humanität also nicht nachweisbar ist. Das wäre auch angesichts der spätestens seit 1914 vielfach entwickelten Mittel der Zerstörung und Selbstzerstörung kaum denkbar.

Schädlichs Kaleidoskop der Untaten wäre dennoch auf Dauer ermüdend und sogar abstumpfend und könnte uns daran zweifeln lassen, dass wenigstens "John, Peter, Thomas usw." wert sind, geliebt zu werden, gäbe es nicht im Buch immer auch das Gegengewicht ganz anders gearteter Geschichten, etwa die von Frau Tesch, die nicht mehr aus dem Haus kann und bettlägrig ist und auf die Einkäufe ihres Mannes angewiesen. Da Herr Tesch am liebsten Pudding mag, gibt es morgens Vanillepudding, mittags Schokopudding und abends Kirschpudding, bis Herr Tesch einen Schlaganfall erleidet und stirbt, sodass Frau Tesch endlich keinen Pudding mehr zu essen braucht.

Ein aus dem ukrainischen Kolyma stammender Restaurantbesitzer in Montélimar erkennt nach dem Krieg in dem angeblichen bundesdeutschen Journalisten Peter Grubbe, der bei ihm einkehrt, den ehemaligen Besatzer Klaus Volkmann wieder, der in Kolyma die Deportation der ukrainischen Juden organisierte. Trotz Anklage 1963 ist Volkmann/Grubbe, später Propagandist der Demokratie in vornehmlich linksliberalen Blättern, nie verurteilt worden. Dem Koch und Restaurantbesitzer aus Kolyma aber bleibt die Genugtuung, als Grubbe bei ihm ein Bier bestellt, zu antworten: "Nicht von mir, Herr Kreishauptmann."

Die längste und tröstlichste Geschichte des Bandes ist eine Künstlernovelle und erzählt von dem Musiker Karl Ditters, der 1763 im Gefolge von Gluck auf einer Italienreise Triumphe feierte. Die Kunst, in diesem Fall die Musik, triumphiert über die Barbarei, auch wenn dieser Triumph immer nur flüchtig ist.

Eine Künstlernovelle ist in gewisser Hinsicht auch der Text über Daniil Charms. Diese Geschichte endet nun bekannterweise keineswegs tröstlich, sondern mit Charms' Tod im Februar 1942 in der Psychiatrie des Leningrader Gefängnisses Kresty. Tröstlich ist allein die Tatsache, dass seine Manuskripte wegen des Einsatzes des Freundes Jakov Druskin nicht verloren gingen. Wer Charms' Texte heute liest und Schädlichs unerhörte Begebenheiten parallel dazu, wird eine gewisse Verwandtschaft nicht übersehen können.

Am schönsten - wenn man in diesen Kontexten von Schönheit sprechen kann - ist die Geschichte vom Landrat H., Landrat in Oldenburg/Holstein seit 1928, 1933 von den Nazis entlassen, gegen Kriegsende mit der Familie nach Rügen verschlagen, von der sowjetischen Militärregierung auf der Suche nach unbelasteten Verwaltungsfachleuten zum Landrat gemacht und nach kurzer Zeit unersetzlich. Um ihn vor übereifrigen sowjetischen Patrouillen zu schützen, versieht ihn der Kommandant mit einer amtlichen Bescheinigung in russischer und deutscher Sprache, in der es lapidar heißt: "Landrat H. darf nie erschossen werden." JOCHEN SCHIMMANG

Hans Joachim Schädlich: "Das Tier, das man Mensch nennt".

Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 160 S., geb., 24,- Euro.

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Schädlich fasst das Tier, das man Mensch nennt, ins Auge. Ein Misanthrop ist er nicht. Lothar Müller Süddeutsche Zeitung 20230408