
Ein deutscher Offizier nimmt während der Besetzung in Frankreich bei einem alten Mann und seiner Nichte Quartier. Während der Deutsche allabendlich über die deutsch-französische Freundschaft monologisiert, schweigen seine Quartiersgeber - wie das Meer. Sein Respekt diesem Schweigen gegenüber und seine späte Einsicht in den Zynismus der Politik Hitlers machen die Erzählung zu einem eindringlichen Dokument französischen Selbstbewusstseins unter der deutschen Okkupation. Die Erzählung mit dem Essay von Ludwig Harig ist ein Schlüsselbuch zur deutschen Vergangenheit und ein einfühlsames ...
Ein deutscher Offizier nimmt während der Besetzung in Frankreich bei einem alten Mann und seiner Nichte Quartier. Während der Deutsche allabendlich über die deutsch-französische Freundschaft monologisiert, schweigen seine Quartiersgeber - wie das Meer. Sein Respekt diesem Schweigen gegenüber und seine späte Einsicht in den Zynismus der Politik Hitlers machen die Erzählung zu einem eindringlichen Dokument französischen Selbstbewusstseins unter der deutschen Okkupation. Die Erzählung mit dem Essay von Ludwig Harig ist ein Schlüsselbuch zur deutschen Vergangenheit und ein einfühlsames Dokument der Einzigartigkeit menschlicher Begegnung in einer dunklen Zeit.
Vercors, eigentlich Jean Marcel Bruller, wurde 1902 in Paris geboren. Nach seinem Ingenieurstudium arbeitete er als Karikaturist und kämpfte in der Résistance gegen die deutsche Besatzung. Später war er einer der prominentesten kommunistisch orientierten Intellektuellen Frankreichs, distanzierte sich jedoch nach dem Aufstand in Ungarn vom Kommunismus. 1991 starb er in Paris, wo er auf dem Cimetière du Montparnasse begraben wurde.
Produktdetails
- detebe
- Verlag: Diogenes
- Originaltitel: La silence de la mer
- Artikelnr. des Verlages: 562/23315
- 09. Aufl.
- Seitenzahl: 144
- Erscheinungstermin: 3. Januar 2002
- Deutsch
- Abmessung: 180mm x 113mm x 17mm
- Gewicht: 162g
- ISBN-13: 9783257233155
- ISBN-10: 3257233159
- Artikelnr.: 09758087
Herstellerkennzeichnung
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Ferner, fremder, dumpfer
Und noch leiser: "Das Schweigen des Meeres" von Vercors
Sechzig Jahre nach der Niederschrift des Buchs, vierzig Jahre nach den Anfängen deutsch-französischer Aussöhnung schweigt Vercors' Meer anders: ferner, fremder, dumpfer. Der Pfeife rauchende Erzähler qualmt heute auch Reminiszenzen von Vichy ins Zimmer. Seine strickende Nichte wird als Mutter mit ihren Kindern wohl eines Tages die Bundesrepublik oder die DDR besucht und als Großmutter dann von der Wiedervereinigung Deutschlands gehört haben.
Der deutsche Besatzungsoffizier von Ebrennac, der das Kriegsende an der Ostfront wahrscheinlich nicht mehr erlebte, hat mit seinen langen Monologen abends vor dem Kamin den zwei oder drei
Und noch leiser: "Das Schweigen des Meeres" von Vercors
Sechzig Jahre nach der Niederschrift des Buchs, vierzig Jahre nach den Anfängen deutsch-französischer Aussöhnung schweigt Vercors' Meer anders: ferner, fremder, dumpfer. Der Pfeife rauchende Erzähler qualmt heute auch Reminiszenzen von Vichy ins Zimmer. Seine strickende Nichte wird als Mutter mit ihren Kindern wohl eines Tages die Bundesrepublik oder die DDR besucht und als Großmutter dann von der Wiedervereinigung Deutschlands gehört haben.
Der deutsche Besatzungsoffizier von Ebrennac, der das Kriegsende an der Ostfront wahrscheinlich nicht mehr erlebte, hat mit seinen langen Monologen abends vor dem Kamin den zwei oder drei
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Generationen nach ihm das intellektuelle Schema der deutsch-französischen Verständigung geliefert. Die Denkbilder von der stolzen Schönen aus dem Märchen, die sich durch das ungelenke, im Grunde aber nicht ungute deutsche Tier schließlich einnehmen lässt, oder von der ans Inhumane grenzenden Genialität eines Johann Sebastian Bach, die als Komplement das welsche Menschenmaß braucht, haben sich im europäischen Pragmatismus allmählich verflüchtigt. Sie als kulturelles Projekt vor dem Hintergrund des schon absehbaren Resultats her wieder zu lesen ist immer noch reizvoll.
Die seriöse Arbeit von Karin Krieger vermag den vorangegangenen Übersetzungen nichts wesentlich Neues hinzuzufügen. Die den Offizier befremdende, faszinierende "musique inhumaine" von Bach klingt als "nichtmenschliche Musik" so brachial wie eh und je. Das Deutsche ist nun einmal unfähig, die zwischen Negation und Absenz diskret schillernde Bedeutung der französischen Vorsilbe "in-" adäquat wiederzugeben. Doch kann die Übersetzung das sich durch die ganze Erzählung ziehende, sie in einer Art innerer Echolosigkeit aufzehrende Motiv des Schweigens mehr oder weniger glücklich auf seine diversen Register verteilen. Das Schweigen, in dessen Tiefe schon am ersten Abend das "S'il vous plaît" des eintretenden Offiziers klanglos "fällt", das sich dann wie "Morgennebel" ausbreitet und zugleich "bleierne Last" wird, ergibt die dumpfe Grundresonanz, über der wie Obertöne die Ahnung vom Besiegen und Brechen dieses Schweigens über alle Vokalfarben des "bricht", "brach", "gebrochen" mitschwingt.
Mit der Ferne dieses zum Zeitzeugnis gewordenen Klangs mag es zusammenhängen, dass Ludwig Harig in seinem Begleitessay das Buch auf die Distanz seiner eigenen Biografie setzt. Er hatte die Erzählung von Jean Bruller alias Vercors zweiundzwanzigjährig als Deutschassistent in Lyon erstmals gelesen und war schon damals befremdet von der Wirkung dieser "deutschen Schicksalswörter", die von "Gott", "Natur" bis hin zum "Menschenmaß" im Mund des Offiziers alles verhärten. Harig kommt aber nicht umhin, mit dem immerfort Austern schlürfenden Monsieur Botrand, der ihn auf Vercors' Buch brachte, in der Erinnerung selbst solche Denkschemata aufzubauen. Der moralischen Muffköpfigkeit der Grübler stellt er da etwa die lebenszugewandte Sachbezogenheit des "mittelmeerischen Denkens" gegenüber. Denn Monsieur Botrand hatte dem jungen Deutschassistenten nicht nur Vercors, sondern auch Montaigne in die Hand gelegt. Von dessen spielerischer Gedankenführung des nie Stabilisierbaren angeregt, sucht Harig die Figur des Werner von Ebrennac aus dem verkrusteten Schema des "guten" gegen die "bösen" Deutschen zu befreien und auf Montaignes Schaukel zu heben: ein schwieriges Unterfangen, das von dem heute wieder beliebten Gedenktourismus der gefühlsschweren Betroffenheit und suggestiven Sprachlosigkeit nicht gerade befördert wird. Ein Grund mehr also, einschlägige literarische Texte wie diesen wieder zu lesen.
JOSEPH HANIMANN
Vercors: "Das Schweigen des Meeres". Aus dem Französischen übersetzt von Karin Krieger. Mit einem Essay von Ludwig Harig und einem Nachwort von Yves Beigbeder. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 137 S., geb., 26,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die seriöse Arbeit von Karin Krieger vermag den vorangegangenen Übersetzungen nichts wesentlich Neues hinzuzufügen. Die den Offizier befremdende, faszinierende "musique inhumaine" von Bach klingt als "nichtmenschliche Musik" so brachial wie eh und je. Das Deutsche ist nun einmal unfähig, die zwischen Negation und Absenz diskret schillernde Bedeutung der französischen Vorsilbe "in-" adäquat wiederzugeben. Doch kann die Übersetzung das sich durch die ganze Erzählung ziehende, sie in einer Art innerer Echolosigkeit aufzehrende Motiv des Schweigens mehr oder weniger glücklich auf seine diversen Register verteilen. Das Schweigen, in dessen Tiefe schon am ersten Abend das "S'il vous plaît" des eintretenden Offiziers klanglos "fällt", das sich dann wie "Morgennebel" ausbreitet und zugleich "bleierne Last" wird, ergibt die dumpfe Grundresonanz, über der wie Obertöne die Ahnung vom Besiegen und Brechen dieses Schweigens über alle Vokalfarben des "bricht", "brach", "gebrochen" mitschwingt.
Mit der Ferne dieses zum Zeitzeugnis gewordenen Klangs mag es zusammenhängen, dass Ludwig Harig in seinem Begleitessay das Buch auf die Distanz seiner eigenen Biografie setzt. Er hatte die Erzählung von Jean Bruller alias Vercors zweiundzwanzigjährig als Deutschassistent in Lyon erstmals gelesen und war schon damals befremdet von der Wirkung dieser "deutschen Schicksalswörter", die von "Gott", "Natur" bis hin zum "Menschenmaß" im Mund des Offiziers alles verhärten. Harig kommt aber nicht umhin, mit dem immerfort Austern schlürfenden Monsieur Botrand, der ihn auf Vercors' Buch brachte, in der Erinnerung selbst solche Denkschemata aufzubauen. Der moralischen Muffköpfigkeit der Grübler stellt er da etwa die lebenszugewandte Sachbezogenheit des "mittelmeerischen Denkens" gegenüber. Denn Monsieur Botrand hatte dem jungen Deutschassistenten nicht nur Vercors, sondern auch Montaigne in die Hand gelegt. Von dessen spielerischer Gedankenführung des nie Stabilisierbaren angeregt, sucht Harig die Figur des Werner von Ebrennac aus dem verkrusteten Schema des "guten" gegen die "bösen" Deutschen zu befreien und auf Montaignes Schaukel zu heben: ein schwieriges Unterfangen, das von dem heute wieder beliebten Gedenktourismus der gefühlsschweren Betroffenheit und suggestiven Sprachlosigkeit nicht gerade befördert wird. Ein Grund mehr also, einschlägige literarische Texte wie diesen wieder zu lesen.
JOSEPH HANIMANN
Vercors: "Das Schweigen des Meeres". Aus dem Französischen übersetzt von Karin Krieger. Mit einem Essay von Ludwig Harig und einem Nachwort von Yves Beigbeder. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 137 S., geb., 26,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Der französische Schriftsteller Vercors (1902-1991), eigentlich Jean Bruller, hatte sich vor dem Zweiten Weltkrieg als Grafiker und Buchillustrator einen Namen gemacht. Während der Résistance gründete er die „Editions de Minuit“, den illegalen Verlag der …
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Der französische Schriftsteller Vercors (1902-1991), eigentlich Jean Bruller, hatte sich vor dem Zweiten Weltkrieg als Grafiker und Buchillustrator einen Namen gemacht. Während der Résistance gründete er die „Editions de Minuit“, den illegalen Verlag der französischen Widerstandsbewegung. Hier erschien 1942 als erste Veröffentlichung seine Erzählung „Das Schweigen des Meeres“. Später war Vercors einer der prominentesten kommunistisch orientierten Intellektuellen Frankreichs, distanzierte sich aber nach dem Aufstand in Ungarn 1956 vom Kommunismus.
Die Novelle erzählt die Geschichte des deutschen Wehrmacht-Offiziers Werner von Ebrennac, der während der deutschen Besatzung Frankreichs bei einem alten Mann und seiner Nichte einquartiert ist. Während der charismatische und durchaus sympathische Deutsche von der französischen Kultur schwärmt, schweigen seine französischen Quartiergeber. Onkel und Nichte sprechen kein Wort in seiner Gegenwart.
So hält Werner von Ebrennac lange Monologe über seine Liebe zu Frankreich und die guten Absichten der Deutschen. Eine Verbrüderung der beiden Länder wäre für ihn ein anstrebenswertes Ideal. Doch das „Schweigen des Meeres“ ist der stumme Widerstand gegen das Liebeswerben des deutschen Offiziers.
Bei einem Besuch in Paris, wo er mehrere deutsche Offiziere trifft, muss von Ebrennac jedoch erkennen, dass seine Ideale nur Illusionen sind. Das faschistische Deutschland will die französische Nation und Kultur beherrschen, ja zerstören. Als Demonstration französischen Selbstbewusstseins unter der deutschen Okkupation und als Zeichen der Hoffnung mitten im Krieg hat die Novelle Weltruhm erlangt.
Im Diogenes Verlag ist eine ungekürzte Lesung (2 CDs, 125 Min.) dieser meisterhaften Erzählung erschienen. Dafür konnte der bekannte Schauspieler und Sprecher Hans Korte gewonnen werden. Mit seiner ruhigen und doch ausdrucksstarken Stimme gelingt es ihm, wunderbar und einfühlsam die Spannungen zwischen dem Besatzer und den beiden Quartiergebern und deren Innenleben hörbar zu machen. Dabei kommt ihm zugute, dass die Figur des Onkels die erzählende Person ist.
Komplettiert wird das Diogenes-Hörbuch durch ein Essay von Ludwig Harig „Stimmen aus dem Leib des Fisches“, das von Gert Heidenreich gelesen wird. Zudem bringt das Booklet einen Textauszug aus einem Nachwort von Yves Beigbeder über die Entstehung der Novelle.
Fazit: Ein bemerkenswertes Hörbuch aus drei Gründen: eine spannende und nachdenkliche Geschichte, ein brillanter Sprecher und viele zusätzliche Informationen.
Manfred Orlick
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