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Als einen schweren und imposanten Mann hat der Enkel seinen Großvater kennengelernt, als eine beeindruckend schweigsame Person, die niemals das Haus verließ, ohne zuvor einen Filzhut aufzusetzen und einen Stock in die Hand zu nehmen. Schweigsam, das erfährt der Enkel später, war der Großvater immer gewesen, ein Mann, der ohne viele Worte zu verlieren seine Familie und am liebsten die ganze Schweiz wie geschmolzenes Eisen geformt hätte. Tatsächlich stammte dieser Mann aus ärmlichsten Verhältnissen. Mit nicht mehr als einem Glas eingeweckter Pflaumen als Proviant schickten ihn die Eltern in die…mehr

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Produktbeschreibung
Als einen schweren und imposanten Mann hat der Enkel seinen Großvater kennengelernt, als eine beeindruckend schweigsame Person, die niemals das Haus verließ, ohne zuvor einen Filzhut aufzusetzen und einen Stock in die Hand zu nehmen. Schweigsam, das erfährt der Enkel später, war der Großvater immer gewesen, ein Mann, der ohne viele Worte zu verlieren seine Familie und am liebsten die ganze Schweiz wie geschmolzenes Eisen geformt hätte. Tatsächlich stammte dieser Mann aus ärmlichsten Verhältnissen. Mit nicht mehr als einem Glas eingeweckter Pflaumen als Proviant schickten ihn die Eltern in die Lehre. Unter dem Prägestock der Fremdenlegion schwor er sich dann, es den gelackten Herren zu zeigen. Als ein Niemand kehrt er zurück, aber mit dem festen Willen, aus Wasserkraft Strom zu gewinnen und mit dem Strom Eisen für Werkzeuge, Maschinen und Waffen zu erzeugen und die Schweiz in eine sauber arbeitende Maschine umzubauen. Christian Haller hat die Geschichte eines Mannes geschrieben, der zu einer der prägenden Gestalten seines Landes wurde: ein Schweizer Unternehmer, für den nur Härte zählte und die Fähigkeit, sich durchzusetzen, und der am Ende seines Lebens eingeholt wird von der Erinnerung an seine "einfache" Herkunft und erleben muß, wie sein Traum vom Aufstieg der Familie zerbricht.

Autorenporträt
Christian Haller wurde 1943 in Brugg, Schweiz geboren, studierte Biologie und gehörte der Leitung des Gottlieb Duttweiler-Instituts bei Zürich an. Er wurde u. a. mit dem Aargauer Literaturpreis (2006), dem Schillerpreis (2007) und dem Kunstpreis des Kantons Aargau (2015) ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2005

Eisenherz mit Stahlseele
Christian Haller gibt der Schweiz eine düstere Geschichte
„Sein eigener Kampf war auch der seines Landes”, heißt es von Hans H., dem langjährigen Direktor der Maschinen- und Stahlwerke im schweizerischen A., und dieser unerbittliche Kriegsgewinnler Hans H., der mit seiner Kälte alle frösteln machte, der Frau und Kinder in sein gnadenloses Schweigen hineinzog, damit sie so „reibungslos funktionierten wie Maschinen der Eisen- und Stahlwerke”, dieser Mann mit der hellen Iris um einen „Abgrund, der bodenlos und beängstigend war, weil er in ein Nichts führte, in eine endlose Nacht” - dieser Hans H., geboren 1880, war der Großvater von Christian Haller, Jahrgang 1942, „und ich, sein Enkel, schreibe noch immer an der Lügengeschichte weiter”.
Wieder also, wie schon im Vorgänger „Die verschluckte Musik”, hat sich Christian Haller auf familiäre Spurensuche begeben, und abermals ist ein Sprachkunstwerk allerersten Ranges entstanden. Zuvor war es mit dem Bukarest der Jahrhundertwende die mütterliche Lebenswelt, nun wühlt sich der Erzähler tief hinein ins Herkommen des Großvaters väterlicherseits, will alles Lügnerische ihm entreißen. Jahrzehntelang und mit allen Mitteln kämpfte Hans H. gegen das Vergangene an. Er war ein rücksichtsloser Macher, der nur den Blick voraus kannte. Vergessen wollte er die Armut, der er entstammte, und die Tricks, denen er seinen Aufstieg verdankte, und die Jahre in der französischen Fremdenlegion. Dorthin floh Hans H., nachdem er, der kleine Sekretär, zu tief in die Kasse des Arbeitgebers gegriffen hatte.
In den afrikanischen Wüsten lernte „Sergeant Schnider”, wie er sich nannte, die Liebe zu den Elementen und den Hass auf die Menschen. „Großvater trug eine Glut in seiner Erinnerung, ein Brennen, das sich in Felsen und an Steinen brach, sich auffächerte zu einem rostigen Rot, zu bläulichen Grautönen, die Luft in eine schlierig zitternde Masse verwandelte, angefüllt mit einer Stummheit, in der die Geräusche der Schuhe, der Hufe der Mulets gelöscht wurden”.
Doch das Vergangene bricht sich Bahn, und sei es in Form von Angst und Scham. Hans H. spürte je länger, je bedrohlicher die Ängste wachsen, „dieses Grau, das er ein Leben lang beobachtet und gefürchtet hatte, weil es Not und Armut verhieß”, ein „zersetzendes Grau, die Vergeblichkeit, die sich wie Schimmel in all das Erarbeitete und Erreichte fraß”. In Hallers leitmotivisch eingesetzter Farbmetaphorik kontrastiert dem abweisenden Grau ein wärmendes Gelb - „das Gelb aus Mutters Erzählungen von Rumänien”. Die Mutter des Erzählers verkörpert alles, was dem Großvater verhasst war: Extravaganz, Bildung, Stil, Ironie.
Auch wenn Ruth S. kleinere Hüte getragen und seltener von der Kindheit in Bukarest geschwärmt hätte, wäre sie für Hans H. eine Zumutung gewesen. Sie stand von vornherein auf verlorenem Posten, denn sie war eine Jüdin, und Juden mochte der Großvater nicht, „auch die Araber und Berber nicht, man war anders als sie”. So ist es vielleicht kein Zufall, dass Großvater in den Zwischenkriegsjahren, als das elektrische Stahlgussverfahren den Franken schneller rollen ließ denn je, gemeinsam mit den Kollegen eines Abends nach Zürich fuhr. Ein bayerischer Volksredner erklärte in der „Villa Schönberg”, wie er sich die Zukunft Europas vorstelle - und alles Zukünftige interessierte Hans H. brennend. Schnell begriff er, „dass er selbst ein wenig so war wie der da vorne”, nur klüger, zäher, gewandter, „dieser Vortragsreisende würde ihm nie auch nur das Wasser reichen können”. Sein Name war „Hettler oder Heitler” oder so ähnlich.
„Das schwarze Eisen” ist der Versuch, Hans H. und damit der Schweiz eine Geschichte zu geben - die wahre Geschichte, denn an künstlichen Mythen herrscht kein Mangel. Aufräumen wollte der alte Herr mit den unproduktiven Gefühlen, und leistungshemmend, also schädlich waren alle Gefühle. Aufräumen wollte er mit Menschen, die Gefühle zeigen, „und genau das tat der Krieg”. Noch als Greis strafte Hans H. die Enkel für schlechte Zensuren. Auch sein Lebenswerk, ein Stausee zur Stromgewinnung, ist Produkt eines eisernen Willens, der die Natur entstellt und die Menschen entseelt. Christian Haller zeichnet so am Beispiel seines Großvaters die mäandernden, schmerzhaften Wege nach, auf denen sich die Vergangenheit einen Weg ins lädierte Bewusstsein erzwingt.
Das ebenso psychologische wie erinnerungspolitische Anliegen des Autors weist über den konkreten Fall auch deshalb hinaus, weil Christian Haller die Abschnitte wie kleine szenische Miniaturen gestaltet, in sich vollendete Etuden der Einsamkeit. Wie bei Hermann Burger ist die Melancholie der Anfang des Staunens, wie Burger saugt Haller sich an den Worten fest, damit sie ihr Geheimnis preisgeben. Zugleich ist er, ähnlich wie Paul Nizon, ein Augenmensch, der wieder und wieder die Fotos der Ahnen befragt. Er sieht darauf Menschen, die ihrerseits blicken, und die Blicke, hofft er, führen ins Innere. Letztlich lassen sich aber der Großvater und der menschenfeindliche Geist, für den er steht, nicht auf den einen Begriff bringen.
In konzentrischen Kreisen nähert der Autor sich diesem Menschenfresser. Von Mal zu Mal wächst die Intensität, mit der das vergangene Leben befragt wird. Hans H., der ewige Kain, wollte das Beste und schuf eine ertragreiche Leere. Nach seinem Tod, heißt es, blieb wenig von ihm. Tröstliche Worte sind das eher nicht.
ALEXANDER KISSLER
CHRISTIAN HALLER: Das schwarze Eisen. Luchterhand Literaturverlag, München 2004. 314 Seiten, 22,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Samuel Moser hat sich von Christian Hallers Buch zum bildreichen Raunen hinreißen lassen, erfasst das Erzählte in einer Art poetischer Paraphrase, aber vielleicht ist das die richtige Annäherung. Denn der Roman - die sprachliche Bebilderung von Erinnerungen - folgt keiner Linearität, sondern "weitet sich zum Strom, zum Meer und Gewoge". Eine verfremdete Realität, 1947, in der Vergangenheit ein "Hettler oder Heitler", ein Industriemagnat - das ist der Großvater des Erzählers, der nicht in dessen Fußstapfen treten will: "Er verweigert sich ihm durch das Erzählen." Der Großvater fertigte Stahl, der Enkel gibt der Imagination eine Form, aber keine feste - "er schmilzt das Harte wieder in Weiches". Der Großvater ist geschichtslos, und Haller, so der Rezensent, füllt diese Leere nicht mit etwas Eigentlichem, Verdrängten. Sondern viel besser: "Hallers größte Leistung ist es, die Geschichtslosigkeit seiner Figuren in ihrer Geschichtlichkeit zu begreifen." Ein Roman des Sehens durch Sprache, der Vorstellungskraft, der "Kunst selber".

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"Glanzvoll und wortgewaltig" Oliver Ruf in "Der Bund"