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Wer die Brutalität des russischen Geheimdienstes verstehen will, muss dieses Buch lesen.
Nach intensiver Recherche in russischen und deutschen Archiven zeichnet Christian Neef ein neues Bild der Anfangsjahre der Sowjetischen Besatzungszone nach 1945. Mag auch stellenweise ein gutes Verhältnis zwischen den Russen und der ostdeutschen Bevölkerung geherrscht haben, die Regel war es nicht. Von Beginn an malträtierte der sowjetische Geheimdienst die Bewohner des besetzten Gebietes und konterkarierte damit die Politik der von Moskau eingesetzten Militärverwaltung. Als "Schattenregime" war das…mehr

Produktbeschreibung
Wer die Brutalität des russischen Geheimdienstes verstehen will, muss dieses Buch lesen.

Nach intensiver Recherche in russischen und deutschen Archiven zeichnet Christian Neef ein neues Bild der Anfangsjahre der Sowjetischen Besatzungszone nach 1945. Mag auch stellenweise ein gutes Verhältnis zwischen den Russen und der ostdeutschen Bevölkerung geherrscht haben, die Regel war es nicht. Von Beginn an malträtierte der sowjetische Geheimdienst die Bewohner des besetzten Gebietes und konterkarierte damit die Politik der von Moskau eingesetzten Militärverwaltung. Als "Schattenregime" war das NKWD verantwortlich für die Verhaftung, Verschleppung und Ermordung von Menschen, die willkürlich als Abweichler oder gar Verräter gesehen wurden. Auch die Entführung wichtiger Wissenschaftler und materielle Demontagen geschahen auf geheimdienstliche Anweisung - alles im Einvernehmen mit Stalin. Neef schildert diese Anfangsjahre, in denen Schrecken verbreitet und ein langfristiges Klima des Misstrauens aufgebaut wurde, und erklärt mit Blick auf deren Vor- und Nachgeschichte das Kontinuum von Angst und Gewalt, welches das russische Staatswesen damals wie heute kennzeichnet..
Autorenporträt
Christian Neef, geboren 1952 im brandenburgischen Perleberg, studierte in Leipzig Journalistik und Geschichte. Der ausgewiesene Experte für Russland, Osteuropa und Afghanistan lebte 16 Jahre in Moskau. U. a. war er zehn Jahre stellvertretender Auslandschef des Spiegel. Heute arbeitet er als freier Autor zu Themen über Russland und Osteuropa. Er veröffentlichte mehrere Bücher zur russischen Geschichte, zuletzt über den Untergang der deutschen Gemeinde von St. Petersburg nach 1917.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024

Stalins langer Arm im Osten Deutschlands

In der sowjetischen Zone

sollte ein stalinistisches Regime installiert werden: Die Geheimdienste spielten dabei eine wichtige Rolle, und erschreckend sind Parallelen zwischen 1945 und heute.

Von Daniela Münkel

Das Jahr 1999: Im August wird Wladimir Putin zum Ministerpräsidenten der Russischen Föderation ernannt, am 31. Dezember übernimmt er das Amt des Präsidenten. Kurz zuvor, am 20. Dezember, hielt der ehemalige KGB-Mann Putin auf einer Versammlung vor russischen Geheimdienstleuten eine Rede, in der er unter anderem Folgendes sagte: "Die Gruppe von Mitarbeitern des FSB [der russische Inlandsgeheimdienst, D.M.] die zur Arbeit in die Regierung abkommandiert wurde, hat die erste Etappe ihres Auftrages erfolgreich erfüllt." Was wahrscheinlich scherzhaft gemeint war, ist heute, 24 Jahre später, bittere Realität in Russland. Die Sicherheitsorgane kontrollieren das ganze Land, vom Justizapparat über die Verwaltungen bis hin zu den Medien. Jegliche oppositionelle Regungen werden im Keim erstickt. Wer sich dennoch nicht unterkriegen lässt und sich kritisch zum Putin-Regime äußert, muss damit rechnen, mit seinem Leben zu bezahlen, wie zuletzt Alexej Nawalnyj. Doch der Arm des russischen Geheimdienstes reicht auch weit über das eigene Land hinaus. So scheint er in Deutschland allgegenwärtig: Der Mord an dem Georgier Selimchan Changoschwili im August 2019 im Berliner Tiergarten, russische Agenten im Bundesnachrichtendienst (BND), Fake News und ständige Versuche, auf das politische Geschehen in der Bundesrepublik Einfluss zu nehmen, sind nur einige Beispiele. Auch das kürzlich bekannt gewordene abgehörte Gespräch zwischen Luftwaffenoffizieren gehört in diese Reihe.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit erlebte der Versuch russischer Geheimdienste, die Geschicke Deutschlands in ihrem Sinne zu lenken, seinen Höhepunkt. Im sowjetischen Herrschaftsbereich auf deutschem Boden, der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), wollten NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) und andere russische Geheimdienste eine staatliche und gesellschaftliche Ordnung nach stalinistischen Vorstellungen installieren. Dabei verhielten sie sich "selbstherrlich und gnadenlos". Sie schreckten auch nicht davor zurück, die Politik der eigenen Militärregierung zu unterlaufen oder gar zu sabotieren. So kam es zu Machtkämpfen mit anderen Akteuren, vor allem mit der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), die die Geheimdienstler - auch durch die Unterstützung Stalins - nicht selten für sich entscheiden konnten. Diese Themenfelder bilden den Schwerpunkt des Buches von Christian Neef. Von den 24 Kapiteln des Buches widmen sich 21 der Zeit von 1945 bis 1949.

Nach eigener Angabe war Neefs Motivation, dieses Buch zu schreiben, dass das Thema wenig im öffentlichen Bewusstsein verankert sei. Diese Lücke zu schließen scheint ihm nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen innenpolitischen Lage in Russland und dem Angriffskrieg auf die Ukraine geboten.

Ausgangspunkt für seine Darlegungen sind die 2016 in Moskau erschienenen Erinnerungen von Iwan Serow, dem Geheimdienstbevollmächtigten Stalins in der SBZ und späteren ersten Chef des KGB. Diese Erinnerungen werden durch Dokumente aus dem russischen Staatsarchiv ergänzt. Da das Thema insgesamt gut erforscht ist, konnte der Verfasser zudem auf eine breite Forschungsliteratur zurückgreifen. Nicht zuletzt deshalb liest man viel Altbekanntes: Mit "erprobten" Methoden aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren sowie aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges gingen die russischen Geheimdienste in der SBZ vor. Die Exzesse gegen die deutsche Bevölkerung wie willkürliche Erschießungen und Massenvergewaltigungen geraten genauso ins Blickfeld wie die Deportationen von deutschen Spezialisten, hier besonders von Ingenieuren und Atomwissenschaftlern. Gleiches gilt für die Reparationsleistungen, die Demontagen sowie die massive Einschränkung der Lebensmittelversorgung der deutschen Bevölkerung. Die Verfolgung von ehemaligen Nationalsozialisten und solchen, die man ohne Einzelfallprüfung per se dazu machte, wie größere Bauern, Fabrikbesitzer oder Kritiker der sowjetischen Herrschaft in Deutschland, wird ebenfalls ausführlich erörtert. Das Vorgehen gegen Sozialdemokraten nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED im Jahr 1946 sowie der neugründeten Blockparteien in der SBZ wird ebenso thematisiert wie die Verfolgung und Drangsalierung der eigenen Staatsangehörigen in Deutschland - hier vor allem von ehemaligen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, die sich gegen ihre Repatriierung zur Wehr setzten.

Immer wieder greift Neef dabei die inneren Machtkämpfe zwischen und in den verschiedenen sowjetischen Geheimdiensten in Deutschland sowie mit der SMAD auf und zeichnet dabei ein Bild davon, wie "sehr sich Geheimdienste verselbständigen können, wenn sie allein ihren Vorstellungen von Kontrolle und Repression folgen".

Es folgt ein Kapitel über die Vorläufer der DDR-Staatssicherheit und deren Aufbau. Dass es gleich nach Kriegsende eine deutsche politische Polizei sowie andere Vorläuferorganisationen der Staatssicherheit in der SBZ gab und der Aufbau des 1950 gegründeten Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) nach sowjetischen Vorbild erfolgte, ist hinlänglich bekannt. Gleiches gilt für den sowjetischen Einfluss auf die Besetzung von Spitzenposten im MfS und auf die Arbeit der Staatssicherheit vor allem bis zum letzten Drittel der Fünfzigerjahre.

Die letzten Kapitel beleuchten den weiteren Lebensweg der wichtigsten russischen Protagonisten, den Umgang mit den Geheimdiensten nach dem Zusammenbruch der alten Sowjetunion und ihrer Renaissance seit Putins Machtantritt.

Abschließend schlägt der Autor einen Bogen ins Heute: Er analysiert den Geschichtsrevisionismus unter Putin und die Instrumentalisierung von Geschichte für russische Großmachtphantasien. Der ausgewiesene Russlandkenner Neef, der schon zu DDR-Zeiten Korrespondent in der Sowjetunion war und später für den "Spiegel" aus Moskau berichtete, legt mit "Das Schattenregime" eine gute und dichte Beschreibung des Wirkens und der Gräueltaten der sowjetischen Geheimdienste in Deutschland in der Zeit von 1945 bis 1949/50 vor. Die Stärken des Buches sind dabei nicht vornehmlich neue oder überraschende historische Erkenntnisse, sondern die immer wieder hergestellten Bezüge zur heutigen Situation in Russland sowie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Neef gelingt es, aufzuzeigen, welchen Einfluss und Macht die sowjetischen Geheimdienste in der Stalin-Ära in Deutschland hatten, und macht eindringlich klar, dass sie im System Putin längst wieder ihre alte Machtstellung zurückerobern konnten.

Christian Neef: "Das Schattenregime". Wie der sowjetische Geheimdienst nach 1945 Deutschland terrorisierte.

Propyläen Verlag, Berlin 2024.

320 S., geb., 28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Neef gelingt es, aufzuzeigen, welchen Einfluss und Macht die sowietischen Geheimdienste in der Stalinära in Deutschland hatten, und macht eindringlich klar, dass sie im System Putin längst wieder ihre alte Machtstellung zurückerobern konnten.« Daniela Münkel Frankfurter Allgemeine Zeitung 20240316

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Keineswegs reißerisch ist dieses Buch, meint Rezensent Ralf Husemann, aber erschreckend ist es gleichwohl. Christian Neef stellt darin, lernen wir, die Aktivitäten sowjetischer Geheimdienste - vier an der Zahl, untereinander verfeindet - in der sowjetischen Besatzungszone nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Entlang des Buches zählt Husemann Verschleppungs- und Ermordungsaktionen in diesem Zusammenhang auf, auch das Nazi-KZ Buchenwald wird für neue Terrorzwecke weiterbenutzt. Besonders wichtig ist für Husemanns Buch, lernen wir, der Geheimdienst-Bevollmächtigte Iwan Serow, auf dessen Aufzeichnungen - sowie weiteren Archivrecherchen - das Buch unter anderem basiert und dessen Karriere der Rezensent darstellt. Aktuell ist das Thema außerdem, meint Neef mit Blick auf Putins Russland laut Husemann, und auch den Rezensenten schaudert es, wenn er an den geheimdiensterprobten Mann im Kreml denkt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2024

Sowjetisch
bedrohte Zone
Christian Neef schildert die Schreckensherrschaft
der Geheimdienste in Ostdeutschland nach 1945.
Von der Willkür lernte auch KGB-Mann Putin.
VON RALF HUSEMANN
Der verhuschte, revolutionsrote Titel ist etwas schreierisch geraten. Dies sollte aber niemand von der Lektüre abschrecken. Denn hier wird keine reißerisch aufgemachte Geschichtsschreibung geboten, sondern es werden nur Tatsachen berichtet. Die sind allerdings so fürchterlich, dass „Das Schattenregime“ auch ein Krimi ist – mit vielen Opfern und jeder Menge skrupelloser Mörder, Betrüger, Räuber und Lügner. Das Buch beschreibt schonungslos und spannend, „wie der sowjetische Geheimdienst nach 1945 Deutschland terrorisierte“. Und das ist keinesfalls übertrieben, zumindest was das Leiden der Bevölkerung im östlichen Teil des Landes, der „Sowjetischen Besatzungszone“ (SBZ) und späteren DDR, betrifft.
Der Autor Christian Neef ist ein erfahrener Journalist (Jahrgang 1952), der 16 Jahre in Moskau lebte, acht Jahre als Korrespondent des DDR-Rundfunks, nach der Wende fünf Jahre für den Spiegel, dessen stellvertretender Auslandsressortleiter er später wurde und für den er dann noch mal drei Jahre in die russische Hauptstadt wechselte. So gesehen kann man davon ausgehen, dass Neef die gerne beschworene „breite russische Seele“ und, nicht ganz so romantisch, auch den harten sowjetischen Alltag kennengelernt hat.
Der Autor nennt die unmittelbar an die Nazi-Gräuel sich anschließende Schreckensherrschaft in Ostdeutschland ein Schattenregime, weil nicht die sowjetische Militäradministration (SMAD), also die „Besatzungs-Regierung“, tatsächlich das Sagen hatte, sondern die vier (!) sich auch noch bekämpfenden russischen Geheimdienste, die zugleich die Macht einer Geheimpolizei hatten. Sie versuchten, sich in ihrer Brutalität noch gegenseitig zu übertreffen, um dem absoluten Diktator Stalin Eindruck zu machen. Das war allerdings für die Agenten auch überlebensnotwendig. Denn allen war bewusst, dass auch nur der kleinste Verdacht, ein „Volksfeind“ oder ein „Spion“ zu sein, den Tod bedeutete. Allein in der Zeit des „Großen Terrors“, der in den Jahren 1936 bis 1938 Hunderttausenden in der Sowjetunion das Leben kostete, wurden auch 23 000 Mitarbeiter des NKWD, des wichtigsten sowjetischen Geheimdienstes und Teil des Innenministeriums, umgebracht. Als feige „Vaterlandsverräter“ kamen auch Zigtausende aus deutscher Kriegsgefangenschaft befreite Soldaten der Roten Armee in Haft, viele wurden gefoltert und erschossen.
Die in normalen sowjetischen Militäruniformen in der SBZ auftretenden Agenten und die von ihnen befehligten Soldaten und Polizisten machten ihre „Arbeit“ in Ostdeutschland im selben Stil weiter. So meldete der Chef der „Operativen Abteilung“ des Stabs der NKWD-Truppen, dass 101 060 Personen allein von Juni bis August 1945 festgenommen wurden. Viele verschwanden auf Nimmerwiedersehen in Lagern der Sowjetunion. Aber etwa auch im „Speziallager“ Buchenwald, gerade noch ein Nazi-KZ, wurden 122 000 Menschen bis 1950 interniert, 43 000 starben – dies wurde erst nach dem Ende der DDR publik. Insgesamt wurden etwa 400 000 Deutsche vertrieben, nach Sibirien und nach Kasachstan.
Dies alles ist im Prinzip schon ein bekanntes trauriges Kapitel der Zeitgeschichte. Neef hält sich aber nicht bei den dennoch exakt beschriebenen, gruseligen Fakten auf, er stellt die Geschehnisse auch in einen größeren inhaltlichen wie zeitlichen Rahmen. Nützlich dafür war die ihm ermöglichte Einsicht in Moskauer Staatsarchive mit den Nachlässen Stalins und seines Regierungschefs Molotow sowie in die Personalakten der sowjetischen Militärregierung SMAD. Außerdem wertete er die 5700 Seiten Aufzeichnungen von Iwan Serow aus, die dessen Enkelin 2016 veröffentlicht hat.
Iwan Serow war als Stalins „Geheimdienst-Bevollmächtigter“ die wichtigste Figur in der jungen sowjetischen Besatzungszone. Freilich erst, nachdem der unglaublich populäre SMAD-Chef Marschall Georgi Schukow – der NKWD-Mann Serow war auch noch sein Stellvertreter und angeblich sein Freund – sich durch persönliche Raubzüge diskreditiert hatte. Stalin ließ mehrere Eisenbahnwaggons mit Möbeln beschlagnahmen, die Schukow für sich ausgesucht hatte. Der Sieger der Schlacht von Stalingrad wurde degradiert. Allerdings wurde er von Nikita Chruschtschow 1955 zum Verteidigungsminister ernannt, der für die Niederschlagung des ungarischen Aufstands die Verantwortung trug.
Zurück zu Serow. Der oberste Geheimdienstler der Zone hatte schon einschlägige Erfahrungen im Krieg gesammelt. Er organisierte Deportationen aus dem Baltikum nach Sibirien, auch die der Wolgadeutschen, vieler Polen, der Krimtataren und anderer Minderheiten. Von den Betroffenen starb fast die Hälfte. So wurde er Generaloberst und „Held der Sowjetunion“. Bei der sogenannten Aktion Ossoawiachim (kein russisches Wort, sondern ein Anfangsbuchstaben-Kürzel) organisierte er die Verschleppung von etwa 2500 Wissenschaftlern und Ingenieuren, unter ihnen viele Raketenspezialisten, sowie 4000 Familienangehörigen aus Ostdeutschland zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion – ein klarer Verstoß gegen die Bestimmungen des Alliierten Kontrollrats.
Es wurden aber nicht nur Nutzen versprechende Menschen eingesammelt, sondern auch unglaublich viel Beutegut. Dutzende Unternehmen wurden demontiert und in die Sowjetunion verfrachtet, unter anderem 11 800 Kilometer Eisenbahnschienen und sogar 300 Tankstellen. Das NKDW mit seinem gigantischen Straflagersystem brauchte alles, es war der größte Bauunternehmer und einer der größten Arbeitgeber und Investoren der Sowjetunion.
In seltener Ehrlichkeit räumte Serow laut Neef einmal ein, die Besetzer hätten „niemals gelernt, ein Land wie Deutschland zu führen“. Um aber sogleich wieder in seinen Agenten-Slang zurückzufallen: Man müsse es hinbekommen, dass dieses Land „für einige Jahrzehnte nicht mehr den Kopf hebt“. Der von ihm organisierte Terror ging auch nach dem Tod des Diktators unvermindert weiter: Beteiligung an der Verschwörung gegen den berüchtigten Geheimdienstchef Lawrenti Beria, der hingerichtet wurde, Beibehaltung der Zwangsarbeit im Gulag, „Operationen“ gegen den ungarischen Volksaufstand. Er wurde Chef des 1954 geschaffenen neuen Geheimdienstes KGB, später des für Militärspionage zuständigen GRU. Aber weil er mit dem CIA-Agenten Oleg Penkowski befreundet war, verlor er schließlich alle Positionen und wurde aus der Partei ausgeschlossen. Aber er blieb, eine Seltenheit für so eine Karriere, am Leben und starb unbehelligt mit fast 85 Jahren.
Die von Neef aufgespürten Details über das Wirken der Geheimdienste belegen, wie er schreibt, ein „Kontinuum von Angst und Gewalt, von denen das russische Staatswesen damals wie heute gekennzeichnet ist“. Und sie zeigten, „wie sehr sich Geheimdienste verselbständigen können, wenn sie allein ihren Vorstellungen von Kontrolle und Repression folgen und auf diese Weise die politischen Absichten jener durchkreuzen, in deren Auftrag sie eigentlich handeln“. Damit können allerdings nur die wenigen tapferen SMAD-Mitglieder gemeint sein, die sich nicht bereicherten und tatsächlich versuchten, so etwas wie eine staatliche Verwaltung aufzubauen. Denn die sowjetischen Geheimdienste waren, so schreibt Neef selbst, „gerade im besetzten Deutschland eine besonders krasse Verkörperung des stalinistischen totalitären Regimes“. Dazu gehörte es aber wohl, die eigenen Bürger ständig zu verunsichern, Misstrauen zu säen und klare Kompetenzverteilungen zu vermeiden.
Schon im ersten Kapitel macht der Autor deutlich, dass es ihm nicht zuletzt darum geht, eine Parallele dieser Willkürherrschaft zum Russland Putins zu ziehen. Wer wie der russische Präsident im Geheimdienst groß geworden sei, misstraue anderen und unterstelle auch ihnen jene Skrupellosigkeit und Gewaltbereitschaft, zu denen er selbst fähig sei. „Auf dieser anerzogenen Form von Paranoia fußt Putins Unfähigkeit zum Kompromiss.“
Zum Schluss gesteht Neef, er habe das Gefühl, in Russland werde gegenwärtig die Zeit um mehr als siebzig Jahre zurückgedreht. Es werde weitgehend „das Narrativ akzeptiert, dass das, was Russland heute mit seiner Armee in der Ukraine tut, ein notwendiger Kampf zur Wiederherstellung einer gerechten Weltordnung ist“. Mit anderen Worten: Das Schattenregime hat längst seine Tarnung abgeworfen und residiert heute, für jedermann unübersehbar, im Kreml.
Die wichtigste Figur
war Geheimdienstchef
Iwan Serow
Das besiegte Land sollte
„für Jahrzehnte nicht mehr
den Kopf heben“ können
Christian Neef:
Das Schattenregime.
Wie der sowjetische Geheimdienst nach 1945 Deutschland terrorisierte. Propyläen-Verlag,
Berlin 2024.
320 Seiten, 28 Euro.
E-Book: 23,99 Euro.
Genosse Stalin war gar nicht so nett: Jugendparade in Ost-Berlin 1951.
Foto: United Archives/SZ Photo
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