Produktdetails
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • 1997.
  • Seitenzahl: 81
  • Deutsch
  • Abmessung: 11mm x 123mm x 194mm
  • Gewicht: 166g
  • ISBN-13: 9783455023121
  • ISBN-10: 3455023126
  • Artikelnr.: 07029685
Autorenporträt
Walter Helmut Fritz, geboren 1929, ist einer der bedeutendsten Lyriker im deutschsprachigen Raum. Sein Werk, das auch Romane, Prosa, Essays und Übersetzungen umfasst, wurde mit zahlreichen Auszeichnungen wie dem "Georg-Trakl-Preis" oder dem "Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste" bedacht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1998

Damit außer Atem nichts bleibt
Gratwanderung: Prosagedichte von Walter Helmut Fritz

Die Frage, was ein Prosagedicht sei, beschäftigt germanistische Seminare semesterlang vergeblich: Irgend etwas zwischen Denkbild und Prosarhythmus, bloß perfekt muß es sein. Der vielfach ausgezeichnete Lyriker Walter Helmut Fritz hat sich in den letzten Jahren dieser schwierigen Gattung zugewandt und ergänzt deren deutschen Kanon nun durch einen eigenen neuen Band. Darin finden sich zweiundachtzig Miniaturen, zu Bildern gereihte und gefügte Sätze, Bilder, die sich in Sätze lösen, Träume, kurze Lebensläufe.

Die Qualität der Texte schwankt zwischen Geglücktem und Kunstgewerbe. Vollendet scheint der Grad an Verschmelzung von verbaler Ökonomie und Gegenstand, wie er durch acht Zeilen erreicht wird, in denen eine fünfundachtzigjährige Frau eine Woche lang verloren an ihrem Koffer packt: Das Bewußtsein zerfällt mit den einzelnen Worten wie beim Betrachten von Photographien, "auf denen man nichts hört. Die Schaukel im Garten. Das erste Fahrrad. Die Kinder im Arm. Bald ist Krieg". Ins Genre des Kunstgewerbes gehört dagegen "das Zimtbaumblatt", das vom "Ruhm des Bernsteins (erzählt), der es eingeschlossen hat, so wie er Käfer einschloß, Vogelfedern . . ., Zeit und Schattenrisse. Bernstein? . . . Brennstein, dunkle Energie, Lichtbildnerei".

Manchmal bringt Fritz sich selbst um die Wirkung seiner Prosa, indem er zuviel des Guten tut. Etwa in dem Text, der so eindrücklich beginnt: "Es ist abenteuerlich, jäh zu verstehen, daß die Dinge sich voneinander unterscheiden." Nach diesem Einsatz betritt ein kleiner Chor der Dinge die Bühne gelenkter Aufmerksamkeit: "Daß dieser von einer Küste mitgebrachte Stein, diese Vase, dieses Buch eine eigene Form haben, daß man sie berühren, umfassen kann . . .; daß sich die von reifen Zwetschgen angelockte, schwarz und gelb gezeichnete Wespe in Ruhe wahrnehmen läßt; . . . das alles kann ein Gefühl der Dankbarkeit entstehen lassen." Hätte Fritz es hiermit bewenden lassen, stünde dem "Reichtum der Erscheinung" wenig im Wege. Leider fügt er an "das Gefühl der Dankbarkeit" noch den Nebensatz "das einem wie ein Tor ins Freie vorkommt". Und schon gerinnt die frische Freude am Wahrnehmen zur Phrase.

Zwischen diesen knapp umrissenen Extremen spannt sich die Skala sprachlicher Aufmerksamkeit, die das titelgebende "Offene Fenster" verheißt. Zu deren Steuerung besitzt Fritz zwei Verfahren: In verbaler Lupe werden Momente in einer Autobahnraststätte, Gesten im Gespräch oder der Autor Genet beim Betrachten von Rembrandt-Bildern in enger Nahsicht vergrößert; in verbaler Raffung werden Lebensläufe aus Details kontrahiert und in ihrer Grundbewegung sichtbar gemacht.

In seinen konzentriertesten Texten erreicht Fritz dabei jene "erregende Ruhe", die sich an einem befreundeten Schriftsteller zeigt: "Wie immer wartet Joseph Joubert auf seine Sätze, bis er sich selbst mit ihnen überrascht; bis er den Worten einen Horizont und ein Echo gegeben hat." Als Versuchung des Prosagedichts droht aber auch dann noch die preziöse Idylle, und dagegen schützt nur eine radikale Poetik, wie Fritz sie selbst formuliert: "Ein Schimmer von Licht kündigt an, was sichtbar sein wird. Dann erscheint der Berg. Erkennst du Shiva, der darauf tanzt? Was er hervorbringt . . ., hat einen Namen. Er zerstört es, damit es wieder namenlos wird; damit außer Atem nichts bleibt." Ja, allein dies ist Ziel und Bedingung des Prosagedichts: Schreiben, "damit außer Atem nichts bleibt". THOMAS POISS

Walter Helmut Fritz: "Das offene Fenster". Prosagedichte. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1997. 88 S., geb., 28,- DM.

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