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Produktdetails
  • Knaur Taschenbücher
  • Verlag: Droemer/Knaur
  • Gewicht: 231g
  • ISBN-13: 9783426774076
  • ISBN-10: 3426774070
  • Artikelnr.: 24015992
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.1998

Ein furchtbarer Mahner
Heiner Geißler verdrischt den Ochsen das Maul

Heiner Geißler: Das nicht gehaltene Versprechen. Politik im Namen Gottes. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997. 298 Seiten, 39,80 Mark.

Heiner Geißler hält seit geraumer Zeit in der CDU die Rolle des Bußpredigers besetzt. Ein Bußprediger ist nur dann ein guter Bußprediger, wenn seine Predigt weh tut. Geißler spielt seine Rolle gut, insofern er sich stets bemüht, mit seiner Kritik an der Union die Kritik ihrer politischen Gegner zu verschärfen. Das gelingt ihm zumeist durch Hinweis auf Kriterien, die diese Gegner nicht nennen dürfen, wollen sie sich nicht auf den Boden christlicher Überzeugungen begeben.

Ein guter Bußprediger darf allerdings denen, die ihm durch den gemeinsamen Glauben verbunden sind, nicht nur Schmerzen bereiten und Angst einjagen, er muß auch glaubhaft sein als einer, der weiß, wovon er spricht, er muß vom Leben selbst für seine Rolle autorisiert sein. Das ist Geißler. Er ist es in den guten Taten - etwa als Sozialminister von ehedem in Rheinland-Pfalz - wie in den bösen Anschlägen: als CDU-Generalsekretär in den achtziger Jahren. Aus einem fürchterlichen Haudegen ist seither ein furchtbarer Mahner geworden. Niemand hat einst wie er zum Vorteil der Partei auf Andersdenkende eingeprügelt. Es entspricht bester katholischer Tradition, wenn deshalb auch niemand mehr befugt ist, heute auf eine Politik einzuprügeln, wie sie von den Unionsparteien und ihrem Bundeskanzler betrieben wird. Dieses Buch enthält, was Geißler nicht gefällt. Es überrascht, daß es nicht umfangreicher geworden ist.

Vielleicht liegt das an dem großen Gestus, für den sich der Politiker hier entschieden hat. "Das nicht gehaltene Versprechen" bezieht sich nicht nur auf die Politik der christlich-demokratischen Partei seit ihrer Gründung 1945, sondern, wie der Untertitel "Politik im Namen Gottes" etwas großspurig erläutert, wie es sodann gleich auf der zweiten Textseite heißt: "Es geht in diesem Buch um die politische Dimension des Evangeliums, aber auch anderer Religionen." Das ist mutig. Aber mutig war Geißler immer. Indes, es ist nicht klug, denn damit hat sich der Autor ein größeres Stück aus der Geschichte abgebissen, als er kauen kann. Aber klug war Geißler selten.

Indem man gnädig die Passagen dieses Buches überblättert, in denen der Autor Themen der europäischen Geistesgeschichte berührt, tut man das Seine, um sich den Respekt vor Geißler zu bewahren. Und wer es mit schlechtem Gewissen tut, weil zu den ewigen Hinweisen, die zu Geißler gegeben werden, zuverlässig dieser gehört, daß er seine Erziehung bei den Jesuiten genossen habe, kann sich beruhigen. Daß Jesuiten besonders kluge Leute seien, war immer nur ein protestantisches Vorurteil. Gelehrsamkeit und Bildung fand man seit dem Mittelalter bis zu den Tagen, da die geistigen Fundamente der CDU gelegt wurden, vor allem bei den Dominikanern, Jesuiten zeichnen sich durch Gehorsam aus und durch jene Tapferkeit, die durch Disziplin eher als durch Einsichtsfähigkeit befördert wird. Das schafft Zwist, und so ist es gewiß nicht zufällig, daß bei Geißler die Dominikaner Albertus Magnus und Thomas von Aquin durch einseitiges Zitieren arg verunglimpft werden.

Jesuiten sind zudem auf schlaue Tricks spezialisiert. Zu einem solchen greift Geißler, um auf das zu sprechen zu kommen, wovon er etwas weiß: die CDU. "Anspruch und Wirklichkeit" hat er das entsprechende Kapitel überschrieben. Da beginnt er: "Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus und dem totalen Zusammenbruch entstand in Deutschland eine Partei, die sich Christlich Demokratische Union - in Bayern Christlich Soziale Union - nannte, die also in ihrem Namen aussagt, daß sie die Politik ,christlich' gestalten will." Das kleine Wörtchen "also" soll den Eindruck erwecken, damit sei alles gesagt. Wer diesen Eindruck aus der Formulierung gewonnen hat, übersieht leicht, daß Geißler nichts gesagt hat, um die höchst anfechtbare Behauptung, aus der allein, wenn sie denn zutreffend wäre, der Vorwurf eines "nicht gehaltenen Versprechens" abgeleitet werden könnte, zu belegen.

Sicherlich gab es in der ersten Generation der CDU-Mitglieder viele, die aus den Erfahrungen, die sie in der Zeit der Diktatur gemacht hatten, den Schluß zogen, künftige Politik in Deutschland solle in Übereinstimmung mit den Prinzipien der christlichen Religion gemacht werden. Doch das wird kaum von vielen im Sinne eines Monopolanspruchs verstanden worden sein, und gerade diejenigen, die mit der kirchlichen Sozialarbeit verbunden waren, billigten den Sozialdemokraten zu, Politik aus den gleichen Grundsätzen gestalten zu wollen wie sie, und drängten von Anfang an auf Koalitionen mit der SPD.

Das Attribut "christlich" im Parteinamen der CDU signalisierte die Abkehr vom alten Zentrum als der Partei der Katholiken, die selber so nur aus der Defensive in der protestantischen Hohenzollern-Monarchie entstanden war. Die neue Partei sollte die konfessionelle Enge überwinden, deshalb nannte sie sich christlich. Sie sollte nicht als Außenposten der Kirche Erfolg haben, sondern als politische Partei, weshalb sie dann auch lieber mit der FDP koalierte, obwohl deren Mitglieder den Kirchen ferner standen als viele Sozialdemokraten. Es gab kein Versprechen, das die CDU hätte brechen können. Und wenn je ein CDU-Politiker demonstrierte, daß christliche Verhaltenslehre beim Bemühen um politischen Erfolg nicht stören dürfe, dann war das Geißler.

Das soll ihm jetzt nicht vorgeworfen werden. Auch daß seine jetzigen Frontlinien ganz anders verlaufen als einst, spricht nicht gegen ihn. Jeder Mensch kann sich ändern und verdient, nachdem er sich geändert hat, eine neue Chance. Man wird aber auf die alten Untugenden zeigen dürfen. Etwa wenn Geißler in seinen vermeintlich frauenfeindlichen Ausführungen zum Paragraph 218 durch die - richtige - Betonung der Bedeutung einer kinderfreundlichen Sozialpolitik den Eindruck einer Konkurrenzsituation zur Entscheidung einer rechtspolitischen Frage heraufbeschwört. Direkt zu sagen, daß Kindergärten das Abtreibungsverbot überflüssig machen würden, was Unsinn wäre, dazu ist Geißler zu schlau. Nur sein Vortrag drängt einfältigen Lesern, mit denen der Autor offenbar bevorzugt rechnet, diesen Schluß auf.

Zu Recht redet Geißler seiner Partei ins Gewissen, wenn er christliche Überzeugungen mit den Themen Nationalismus und Ausländerpolitik verknüpft. Das sind die interessantesten Passagen seines Buches. Doch gerade hier ist unabweisbar, daß kühles Temperament beim Thema Nation zu den Gründungsfaktoren der CDU gehörte und ihre Politik lange bestimmte. Dagegen, daß sich dies ändern könnte, wendet sich indes nicht nur Geißler, dagegen ist gerade die Europapolitik Kohls gerichtet.

Wahrscheinlich wird auch hier Kohl ein Erfolg eher zuzutrauen sein als Geißler. Der ist, wie nun sein Buch noch einmal veranschaulicht, lieber ein flinker Rechthaber - manchmal zu flink. So polemisiert er gegen den Heiligen Nikolaus von Flüe, weil dieser eine "weinende Frau" zurückgelassen habe, um "hoch oben auf der Alm das Leben eines Einsiedlers" zu führen. "Es wäre interessant zu wissen", fragt Geißler heuchlerisch, "wie Jesus den Mann beurteilt hätte." Heuchlerisch deshalb, weil Geißler es ebensogut weiß, wie wir es wissen: Matthäus 19, 29: "Und wer Häuser oder Brüder oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verläßt um meines Namens willen, der wird's hundertfach empfangen und das ewige Leben ererben." JÜRGEN BUSCHE

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